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Heinrich George in Der Postmeister
Mime in tiefen Tälern
Retro Feature: Die Irrwege des Heinrich George
Ohne die Schule mit dem Abitur abzuschließen, geht Heinrich George seinen eigenen, äußerst eigenwilligen und umstrittenen Weg. Schauspieler will er werden und so nimmt er in Stettin Schauspielunterricht. Der Erfolg gibt ihm Recht. Die Karriere des aufstrebenden Mimen führt ihn auf die Bühne, zum Stummfilm und dem Tonfilm der 1930er Jahre. Schließlich erliegt George - zunächst ein Sympathisant der kommunistischen Idee - den Verlockungen der Propagandamaschinerie Joseph Goebbels und wird von diesem zum Staatskünstler ernannt.
erschienen am 29. 09. 2021
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Heinrich George in Der Postmeister
Schneller Aufstieg
Der Aufstieg Georges als Bühnendarsteller ist kometenhaft. Bereits 1920, mit gerademal 27 Jahren, ist der Stettiner festes Mitglied im Ensemble der Salzburger Festspiele und tritt unter Max Reinhardt in Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" auf. 1923 gründet er mit den Kollegen Elisabeth Bergner und Alexander Granach ein eigenes Schauspiel-Ensemble, um sich eine künstlerische Unabhängigkeit zu bewahren.

Bis zu seinem Einstieg ins Filmgeschäft spielt George alles, was in der Theaterwelt Ruf und Anspruch besitzt und arbeitet mit renommierten Regisseuren wie Max Reinhardt, Jürgen Fehling und Bertolt Brecht zusammen. Sein Rollenspektrum ist enorm breit. Mal gibt er Johann Wolfgang von Goethes "Götz von Berlichingen", dann Gerhart Hauptmanns Fuhrmann Henschel. Das zeitgenössische Theater ist eine Konstante in seiner Rollenauswahl. So spielt er in Brechts "Mann ist Mann", die Titelfigur in Ernst Barlachs "Der blaue Boll" und den versehrten Helden (Thomas Koebner) in Ernst Tollers "Hinkemann".
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Heinrich George in Der Postmeister
Harte Schale, weicher Kern
George hat eine beeindruckende Statur und weiß seine körperliche Gegebenheit von Anfang an dramaturgisch einzusetzen. Denn sein großer Körper ist nicht ohne Brechungen, ist nicht nur groß und plump, sondern auch von einer eigentümlichen Schwäche gekennzeichnet, eine Art "Verschränkung von zugleich starker und weicher Männerkraft", wie Filmwissenschaftler Thomas Koebner mit Verweis auf einen zeitgenössischen Kritiker bemerkt (vgl. Thomas Koebner. Der Betrogene. Zum 100. Geburtstag von Heinrich George. In Film-Dienst, Heft 21, 1993). George setzt dem plumpen und kraftvollen Äußeren oft ein höchst sensibles und gebrechliches Inneres entgegen.

Aus dem Kontrast zwischen den starken Äußeren und dem brüchigen Inneren zieht Koebner nicht nur ein durchgehendes gestalterisches Prinzip, sondern auch eine Art Weltanschauung des Schauspielers. "War es das humane Grundmuster seiner künstlerischen Arbeit", diesen Typus des nicht mehr jungen, doch im Kern naiven, des gütigen und starken, des vielleicht behäbigen Menschen zu spielen, des äußerlich kraftvollen und in der Seele so verletzlichen "Mannes aus dem Volke"? Vermutlich sei es so, so Koebner.
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Heinrich George in Der Postmeister
Wendepunkt 1933
Wenn man sich auf den Filmschauspieler George bezieht, so kann man nicht umhin eine dicke Trennlinie zwischen der Zeit vor 1933 und der Zeit danach zu ziehen. Vor 1933 beeindruckt George in Filmen wie Fritz Langs "Metropolis" (1927) oder der Alfred Döblin-Adaption von Piel Jutzi "Berlin, Alexanderplatz" (1931). Nach 1933 wählt der Schauspieler von den Alternativen den denkbar schlechtesten Weg. Während viele Kunstschaffende Hitler-Deutschland angewidert verlassen und andere unauffällige Unterhaltungsfilme machen, lässt sich George von den braunen Machthabern widerstandslos vereinnahmen und wirkt in einigen der beschämendsten Propagandafilmen der Nationalsozialisten mit. "Hitlerjunge Quex" (1933), Durchhaltefilm "Kolberg" (1945) und der unerträglich rassistische Hetzfilm "Jud Süß" (1940) sind nur die schlimmsten Beispiele.

Das ist alles rückblickend umso überraschender, als George vor Hitlers Machtergreifung politisch eher dem linken Spektrum nahesteht, sich zeitweise sogar in der Kommunistischen Partei Deutschlands engagiert. Sein Richtungswechsel überrascht und schockiert viele Kollegen und Freunde - nicht nur Bertolt Brecht, der Deutschland resigniert den Rücken kehrt und ins Ausland emigriert.
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Heinrich George in Der Postmeister
Leiser Protest?
Georges Engagement im nationalsozialistischen Film ist ein Faktum und doch ist Koebner rechtzugeben, wenn er meint, dass das Bild eines unbedingten Nazisympathisanten wenn nicht revidiert so doch differenziert werden solle. "Wer näher hinsieht, kann Entdeckungen machen", so der Filmwissenschaftler in seinem klugen Porträt über den Künstler. In "Hitlerjunge Quex" verkörpert George einen Kommunisten, der sich von den Nazis bekehren lässt. Dennoch verleihe George durch kleine Gesten seiner Figur eine Würde, die dem Bild eines unmündigen Anpassers offenbar Risse zufügen soll. Außerdem wirke George in seinen Nazi-Rollen trotz seiner beeindruckenden Statur immer dann klein, wenn er, wie Koebner bemerkt, von der Propaganda diktierte Überzeugungsmonologe halten soll. Wie in Veit Harlans "Kolberg", als seine Figur des Bürgermeisters Nettelbeck seine Durchhalteparolen an die Bürger richtet, wobei das, was als mitreißender Pathos gedacht war, in Georges zurückhaltender Darstellung eher klein wirkt.

"Der Blick der Kamera richtet sich von oben - auf den Fußgänger Nettelbeck. George, plötzlich ein kleiner, gedrungener, erschöpfter Mann, spricht seinen Text mit zurückhaltender Stimme. Will er überhaupt verstanden werden? Herrscht da nicht die Trauer über den Trotz vor?" (Koebner. Der Betrogene. Zum 100. Geburtstag von Heinrich George).
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Heinrich George in Berlin Alexanderplatz
Was spricht für George?
George ist auch im Dritten Reich nicht nur Darsteller im Dienste der Politik, sondern auch einer, der weiterhin Aufgaben mit Anspruch annimmt. 1940 steht er etwa in Gustav Ucickys Alexander Puschkin-Adaption "Der Postmeister" vor der Kamera und liefert in der Rolle des stolzen Vaters, der um die Ehre seiner geliebten Tochter bangt, die beste Leistung seiner Karriere. Hier bündelt George, was in bisherigen Rollen verstreut war. Der Schauspieler kann nicht eins zu eins mit der Person Georges gleichgesetzt werden. Hervorzuheben ist Georges Engagement für unerwünschte Künstler, vor die er sich als Intendant des Schillertheaters stellte, indem er sie unter Vertrag nahm. Allerdings ist nicht ganz klar, ob sein Engagement aus humanistischen oder künstlerischen Motiven herrührt.
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Heinrich George in Der Postmeister
Großer Künstler oder erster Staatspropagandist?
Fakt bleibt, dass George in einigen der berüchtigsten Propagandafilmen mitwirkt. Das wirft einen großen Schatten auf einen Mimen, "der mit einem Ausmaß an Fantasie" ausgestattet ist, "welche Gott in hundert Jahren nur ein paar Mal an Schauspieler verschenkt" (Jürgen Fehling, zitiert nach: Film-Revue, November 1955). So sehen ihn viele Zeitgenossen und so möchten ihn auch viele aus der späteren Generation sehen. Kollegen wie Will Quadflieg und Gisela Uhlen oder seine Söhne Jan und Götz George gehören dazu, die für eine stärkere Würdigung des Schauspielers Heinrich George plädierten.

George kann sich selbst zu seiner Verstrickung in die braune Politik nicht äußern. Er wird nach dem Untergang des Dritten Reichs im Juni 1945 verhaftet und zunächst im Gefangenenstraflager Hohenschönhausen, später in Sachsenhausen interniert. Hier stirbt er am 26. September 1946 bei einer Operation, wenige Wochen vor seinem 53. Geburtstag.
erschienen am 29. September 2021
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