Walt Disney Studios Motion Pictures
Miley Cyrus (Premiere von: Hannah Montana & Miley Cyrus: Best Of Both Worlds Concert In Disney Digital 3D)
Wie baut man sich einen Goldesel?
Starfeature: Kunststar Miley Cyrus
Die jungen Mädchen vor dem Mathäser-Kino in München kreischen unaufhörlich, rufen immer wieder einen Namen. Bei der Deutschlandpremiere von "Hannah Montana: Der Film" wiederholt sich Ende April 2009 das, was zwei Tage zuvor in London und davor in Los Angeles passiert ist. Miley Cyrus ist daran gewöhnt, posiert unablässig lächelnd für die Fotografen. Jetzt stemmt sie wieder die Hände in die Hüfte, verschränkt ihre Beine und blickt lasziv über die Schulter in Richtung der Kameraobjektive.
erschienen am 23. 05. 2009
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Miley Cyrus
Muktada meets Miley
Was die schauspielerische Qualität betrifft, so ist für die "Hannah Montana"-Darstellerin durchaus noch Raum nach oben. Ihre Rolle im wirklichen Leben beherrscht Miley Cyrus hingegen perfekt. Das Nachrichtenmagazin TIME wählte sie kürzlich zum wiederholten Mal in die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten. Bereits 2008 ist sie als 15-Jährige neben Zeitgenossen wie dem Dalai Lama, Apple-Gründer Steve Jobs oder dem radikalen Schiitenprediger Muktada Al-Sadr aufgeführt - Namen, die eher selten in einem Atemzug mit pubertierenden Mädchen genannt werden. Im Gegensatz zu den Letztgenannten stehen von Cyrus jedoch bereits Wachsimitate in mehreren Filialen von Madame Tussauds.
Walt Disney
Hannah Montana & Miley Cyrus: Best Of Both Worlds Concert In Disney Digital 3D
Ein Star, der Deinen Namen trägt
"Wer bitte ist Miley Cyrus?", wird manch einer fragen. Um sich einer Antwort zu nähern, müsste man nun die Figur beschreiben, die Cyrus spielt, seit sie 13 ist. Doch die Grenze zwischen beiden ist so verschwommen, dass man kaum noch sagen kann, wo die Kunstfigur Hannah Montana aufhört und wo Miley Cyrus beginnt. Längst ist die Schauspielerin selbst zur Kunstfigur geworden. Genau das ist auch das Kalkül von Disney, als der Medienkonzern vor drei Jahren einen Superstar am Reißbrett erschafft. Das war 2006, seitdem spielt Cyrus in der Kinderfernsehserie "Hannah Montana" die Titelfigur. Diese führt ein geheimes Doppelleben, tagsüber ist sie die Schülerin Miley Stewart, abends zieht sie sich eine blonde Perücke über und verwandelt sich in einen Popstar. Die Übereinstimmung der Namen kommt nicht von ungefähr: Einer der wenigen Eingeweihten ist Robby Ray Stewart - Vater, Manager, Songwriter und Produzent in Personalunion. Die Rolle wird gespielt von Billy Ray Cyrus, Miley Cyrus’ Vater und Manager, der nebenbei ein erfolgreicher christlicher Country-Sänger ist. Um die Identität seiner Serientochter zu schützen, ist er stets mit Schnurrbart zu sehen wenn er als Mileys Manager auftritt.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Miley Cyrus
Hannah Montana in Islamabad
Disney sorgt dafür, dass "Hannah Montana" keine sechs Monate nach US-Start auf allen Erdteilen und sogar in Ländern wie Brunei und Pakistan zu sehen ist. Heute können Kinder ihre Miley von der Dominikanischen Republik bis nach Mazedonien in der Landessprache verfolgen und aus einem unüberschaubaren Angebot von Merchandising-Artikeln wählen. Generalstabsmäßig wird die neue Marke vermarktet. Zeitgleich mit dem weltweiten Start der TV-Serie im September 2006 lanciert Disney eine Musikkarriere der Schauspielerin, im Oktober schießt das Debütalbum "Hannah Montana" in den Billboard Charts von Null auf Eins. In kurzer Folge werden fünf Alben innerhalb von 13 Monaten publiziert, mal als Hannah Montana, mal als Miley Cyrus. Die Zielgruppe, die sich von 14 Jahren abwärts bewegt, sorgt dafür, dass in Ländern auf der ganzen Welt Platin, in den USA Multi-Platin Status erreicht wird. Kein anderes Unternehmen schöpft die junge Klientel so erfolgreich ab, wie Disney. Das aktuelle Album, das zufällig den gleichen Titel trägt wie "Hannah Montana: Der Film", erscheint im März 2009, das nächste ist für den 14. Juli des gleichen Jahres terminiert. Es ist das achte in weniger als drei Jahren. Am Weihnachtsalbum wird bestimmt schon gearbeitet.
Walt Disney Studios Motion Pictures
Miley Cyrus
Method Acting frei nach Lee Strasberg
Ein Beispiel sei hier kurz erläutert, um zu veranschaulichen, mit welcher Konsequenz Disney sich hochprofitable Kaskadeneffekte schafft: Im Juni 2007 erscheint das Album "Hannah Montana 2/Meet Miley Cyrus". Anschließend wird Cyrus auf eine Konzerttour durch die Vereinigten Staaten geschickt, wo sie als Hannah Montana und als Miley Cyrus Kinder mit den neuen Liedern erfreuen soll. So geschieht es, dass Disney und Mileys fürsorglicher Managervater die 14-Jährige innerhalb von dreieinhalb Monaten 70 Konzerte geben lassen - nur über Weihnachten bekommt das Mädchen fünf Tage Urlaub. Die Tour wird kommerziell ein voller Erfolg, doch Disney wäre nicht Disney, wenn das schon alles wäre. Die Mitschnitte der Konzerte werden zu dem Tourfilm "Hannah Montana & Miley Cyrus: Best Of Both Worlds Concert In Disney Digital 3D" zusammengeschnipselt, der in die Kinos kommt. Die Einspielkosten belaufen sich auf schlappe 70 Millionen US-Dollar. Natürlich wurde nicht versäumt, die Tonaufnahmen rechtzeitig auf ein weiteres Live-Album zu packen, das zeitgleich mit der Live-Konzert-DVD erscheint. Die Jungdarstellerin ist nun wie ihre Serienfigur mehrfache Millionärin, führt ebenso wie Miley Stewart ein Leben als Popstar. Spätestens hier ist der Zeitpunkt erreicht, an dem Miley Cyrus selbst zu ihrer Serienfigur wird. Es stellt ein Novum dar, dass eine Schauspielerin einer Rolle auf den Leib geschnitten wird, und nicht umgekehrt.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Peter Chelsom mit Miley und Billy Ray Cyrus
Schizophrenie ist ansteckend
Diese schizophrene Haltung ist nicht nur Miley Cyrus und ihrem Alter Ego Hannah Montana vorbehalten. Auch die mediale Seite, so scheint es, weiß nicht so recht, wie sie mit Cyrus umgehen soll. Dies beschert Nachrichtenmagazinen und Zeitungen abseits des Boulevards ein handfestes Dilemma hinsichtlich der Berichterstattung. Ohnehin handelt es sich bei dem Gros der Nachrichten über berühmte Persönlichkeiten um von PR-Beratern lancierte Meldungen, die gerade dann gehäuft auftreten, wenn ein neuer Film oder ein neues Album ansteht. Deshalb wollen Journalisten sich einerseits nicht zum Werkzeug der PR Maschinerie degradieren lassen, indem sie über eine künstlich generierte Figur berichten. Andererseits kommt die Berichterstattung nicht mehr herum um eine Person, deren Popularität geradezu phantastische Ausmaße angenommen hat. Die Feuilletons kennen dieses Konfliktschema; spätestens seitdem peinliche Prominente wie Dieter Bohlen oder Bushido auf die Idee kamen, die Menschheit mit ihren Autobiographien zu beglücken und damit die Bestsellerlisten stürmten: Man will nicht über Gehaltloses schreiben, doch den Marktführer kann man nicht ignorieren.
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Hannah Montana: Der Film
Ein Dilemma
Während Kinder einem verhassten Menschen mit Spott und Häme begegnen können, müssen sich Erwachsene schon subtilerer Stilmittel bedienen. Über Miley Cyrus berichtet der gemeine Journalist konsequenterweise nur unter Zuhilfenahme von Ironie und Sarkasmus. Auf diesen Konsens, so scheint es, haben sich die Redakteure seriöser Zeitungen stillschweigend geeinigt. Das treibt mitunter jedoch merkwürdige Blüten, ein Beispiel: Als Hacker im November 2008 den "YouTube"-Account von Miley Cyrus knacken und ein Video hochladen, demzufolge die 16-jährige Schauspielerin von einem Betrunkenen überfahren wurde, berichtet die Süddeutsche Zeitung von dem makaberen Streich mit der zynischen Überschrift: "Wer früher stirbt, ist länger tot". Nie würde es der Redaktion einfallen, eine derartige Geschmacklosigkeit mit einer solchen Überschrift zu versehen, wenn es sich bei dem Scherzopfer um Senta Berger handeln würde.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Miley Cyrus in München
Schein-Heiligkeit für Wertkonservative
Angesprochen auf ihren Freund, ein 20-jähriges Unterwäsche-Model, sagte Cyrus im April 2009: "Seit ich ihn kenne, bin ich dem Herrn so nah, wie nie zuvor. Er hat mich dazu gebracht, nicht mehr nur die kurzen Verse in meiner Bibel zu lesen, sondern auch die Geschichten. Die helfen nicht nur mir selbst, sondern zeigen auf, wie ich Anderen helfen kann." So geschehen in einer US-Fernseh-Show an der Seite ihres Bibel treuen Vaters. Das als Gedanken eines 16-jährigen Mädchens zu verkaufen, ist so durchschaubar, dass die PR-Berater den Text genauso gut selbst hätten aufsagen können. Doch was hierzulande sogar Gläubigen als unerträglich erscheinen würde, geht in den USA nicht nur den Wertkonservativen runter wie Öl. Überflüssig zu erwähnen, dass Miley Cyrus regelmäßig erwähnen darf, sie sei für sexuelle Enthaltsamkeit. Als Beweis trägt das Mädchen einen Keuschheitsring an ihrem Finger, der wohl eher die Eltern ihrer Fans als sie selbst daran erinnern soll. Ins gleiche Horn bläst sie mit der Aussage, sie wolle "Teenager motivieren, an der Beziehung zu ihren Eltern zu arbeiten". So ist auch zu erklären, dass es einen landesweiten Skandal auslöst, als Miley Cyrus im April 2009 auf Bildern der Star-Fotografin Annie Leibovitz mit nackten Schultern und Oberarmen zu sehen war. Die New York Times berichtet bereits vor Veröffentlichung der Fotos, am nächsten Tag sieht sich Cyrus zu der Aussage genötigt, die renommierte Fotografin habe sie eingelullt. Disney meint, das Auftrag gebende Magazin wolle auf schamlose Weise seine Auflage steigern. Doch es handelt sich um die namhafte I>Vanity Fair und zum Kundenkreis von Annie Leibovitz zählten bereits Persönlichkeiten wie John Lennon und Königin Elizabeth II.
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Peter Chelsom und Miley Cyrus auf dem roten Teppich in München
Wenn in China ein Sack Reis...
Eine weitere bezeichnende Episode aus dem jungen Leben der Miley Cyrus spielt sich im Februar 2009 ab. Als Privatfotos von ihr im Internet verbreitet werden, kommt es zu einem weiteren Mini-Skandal. Die Vereinigung chinesischer Amerikaner wirft Cyrus Rassismus vor, US-Bürgerin Lucie J. Kim droht mit einer Milliardenklage, Cyrus solle jeden einzelnen chinesisch-stämmigen Mitbürger finanziell für das ertragene Leid entschädigen. Was ist passiert? Das 16-jährige Mädchen hat gemeinsam mit Freunden Grimassen geschnitten und dabei unter anderem die Augen zu Schlitzen verzogen. Auf einem der Fotos ist ein chinesisch-stämmiger Jugendlicher im Hintergrund zu sehen. Die IHK Nordwestfalen und die Universität Münster formulieren, bezogen auf die veränderten Bedingungen einer globalisierten Welt, einmal den Satz "Die Zeiten, in denen es egal war, wenn in China ein Sack Reis umfällt, sind vorbei". Das trifft offensichtlich nicht nur auf die Wirtschaftswelt zu, ohne Cyrus nun mit dem sprichwörtlichen Sack Reis vergleichen zu wollen. Diese und andere Geschichten hat Miley auch in ihrer Autobiographie "Miles to go" verarbeitet. Richtig gehört, Literaturbegeisterte dürfen sich die Memoiren einer 16-jährigen, respektive ihres Ghostwriters zu Gemüte führen. Der Titel stürmt erwartungsgemäß die Bestseller-Listen, was dem Feuilleton wieder das altbekannte Dilemma beschert. Die "New York Times" reagiert umgehend und setzt das Buch kurzerhand auf die Bestsellerliste für Kinderbücher. Miley entschuldigt sich dennoch für die Grimassen-Fotos. Auf ihrer Homepage schreibt sie reumütig "Ich weiß, dass alles Teil von Gottes höherem Plan ist. Letztendlich werde ich mich zu der Frau entwickeln, als die er mich haben will". Wenn das stimmt, dann deckt sich Gottes Plan auf geradezu erschreckende Weise mit dem des Disney-Konzerns.
erschienen am 23. Mai 2009
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Miley Cyrus' Geschichte liest sich wie eine Bilderbuchkarriere. In geordneten Familienverhältnissen aufgewachsen, lernt sie von ihrem Vater, dem Country-Sänger Billy Ray Cyrus, schon früh das Gitarrespielen. Mit neuen Jahren interessiert sie sich erstmals für die Schauspielerei und bewirbt sich bei Disney für die Hauptrolle einer neuen Serie. Nach einer Absage versucht sie es ein Jahr später erneut und wird prompt genommen. Hannah Montana" entwickelt sich zum Selbstläufer, eine ganze..
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