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Amy Ryan in "Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel"
Warum fettige Haare wichtig sind
Interview: Amy Ryan wäre gerne Königin
Amy Ryan begann ihre Karriere auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Zum Film kam sie erst vor einigen Jahren. In unserem Interview erklärt sie uns den Unterschied zwischen Theater und Film. Sie erörtert auch die Frage, warum sie den einen Affleck-Bruder lieber mag, als den anderen. Zudem bezieht Ryan Stellung zu ihrer Rolle in "Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel" und berichtet, warum sie während der Dreharbeiten vom Set ferngehalten wurde und was ein Film mit einer Krankenversicherung zu tun hat.
erschienen am 29. 11. 2007
Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
Casey Affleck auf der Suche nach dem verschwundenem Kind
Ricore: Es hat nicht viel Spaß gemacht, so eine Figur zu verkörpern, oder?

Amy Ryan: Doch, es hat viel Spaß gemacht. Ich bekam als Schauspielerin einen Part zugewiesen, der keine Grenzen hat. Die Figur ist nicht schwarz-weiß, sie hat unterschiedliche Facetten. Es war aufregend, diese Rolle zu spielen.

Ricore: Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Ryan: Am intensivsten informierte ich mich über Boston, da die Stadt eine zentrale Rolle im Film spielt. Ich komme aus New York und musste viel über den Stadtteil Dorchester herausfinden, wo die Leute einen ungewöhnlichen Akzent sprechen. Spricht man den Akzent falsch, macht man daraus unwissentlich eine Karikatur. Zudem hatten Ben und ich viele Diskussionen über meine Figur, die oft sehr theatralisch reagiert. Die größte Vorbereitung stellte für mich also die fremde Umgebung dar, an die ich mich anpassen musste.

Ricore: Können Sie sich an eine interessante Begebenheit während der Dreharbeiten erinnern?

Ryan: Als wir die ersten Szenen drehten, standen etwa 80 Leute herum, die unbedingt Ben Affleck sehen wollten. Der Set war mit Zäunen abgeriegelt. Als ich zurück wollte, wurde ich von einem Sicherheitsbeamten angehalten. Da ich meinen Boston-Akzent bis dahin noch nicht testen konnte, tat ich es in diesem Moment. Er glaubte mir nicht, dass ich zu der Crew von Ben gehörte. Es dauerte 20 Minuten, bis ich wieder an den Set durfte. Ein Produzent musste mich da rausholen. Aber wir brauchten diese Art von Vertrauen. Ich war nervös und hatte Angst, zu sehr wie eine New Yorkerin zu klingen.

Ricore: Sie erwähnten eingangs, dass der erste Film von Ben Affleck mehr unter Beobachtung stand, als andere Filme. Fühlten Sie sich unter Druck?

Ryan: Das öffentliche Interesse war um einiges größer, als bei anderen Filmen. Wenn Sie ins Kino gehen, um einen Film von Scorsese zu sehen, wissen Sie, worauf Sie sich einlassen. Das, was wir gemacht haben, war eine neue Welt zu schaffen. Alle, denen ich erzählt habe, dass ich gerade einen Film von Ben Affleck abgedreht habe, waren überrascht. Viele fragten mich nach seinen Qualitäten als Regisseur. Es gab schon viel Nachfragen. Von Ben war es ein mutiger Schritt, den er meiner Meinung nach sehr gut bewältigt hat.
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Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel
Ricore: Sie sagten zuvor, dass sie ebenso viel Energie in die Filmschauspielerei wie in die Theaterschauspielerei stecken. Was machen Sie lieber und was planen Sie für die nächsten Jahre?

Ryan: Das sind zwei unterschiedliche Leidenschaften. Man könnte es damit vergleichen, dass mich jemand fragt, welches meiner Kinder ich am liebsten mag. Auf der Theaterbühne habe ich meine Karriere angefangen und hoffe, eine noch bessere Schauspielerin zu werden. Beim Film kann man mit vielen Tricks arbeiten, auf der Theaterbühne bist es wirklich du. Das kann man mit nichts anderem vergleichen. Im Moment möchte ich mich jedoch mehr im Filmbusiness bewegen. Ich mag es, Geschichten in relativ kurzer Zeit zu erzählen. Beim Theater legst du dich für eineinhalb Jahre fest, was das Minimum ist. Mir gefällt es, mich wieder und wieder in verschiedene Figuren zu versetzen.

Ricore: "Dan in Real Life" ist einer Ihrer wenigen Blockbuster. Sonst spielen Sie vorwiegend in Independent-Produktionen. Was hat Sie dazu bewegt, darin mitzuwirken?

Ryan: In "Dan in Real Life" habe ich nur eine kleine Rolle. Ich kannte Regisseur Peter Hedges vom Theater. Ein paar Jahre zuvor hatte er ein Stück am Theater inszeniert. Die Arbeit mit ihm war, als würde ich auf meine Familie treffen. Er hat die alte Crew absichtlich zusammen gebracht, damit wir eine Zusammengehörigkeit entwickeln. Die acht Wochen Arbeit am Film war wie ein Traum. Wir wurden gut bezahlt und arbeiteten vor einer wunderschönen Kulisse.

Ricore: Wonach wählen Sie Ihre Rollen aus?

Ryan: Viele meine Rollen kamen zu mir, als ich eine Schauspielerin war, die gerade nach Arbeit suchte. Sidney Lumet führte bei "Before the Devil Knows You're Dead" Regie und wenn Sidney Lumet dich anruft, hast du einfach keine andere Wahl. In diesem Moment sagst du einfach nur "Ja" und "Wo soll ich stehen, was soll ich machen". Wenn man mit einem Meister wie Sidney Lumet zusammen arbeitet, lernt man sehr viel. Die anderen zwei Projekte sind Independent-Produktionen von Freunden von mir. Bisher wissen wir noch nicht, ob sie überhaupt in die Kinos kommen. Das hängt von ihrem Erfolg oder Misserfolg auf Filmfestivals ab. Bisher wurden die Projekte noch nicht verkauft. Das ist eine Sache, die viel mit Glück und Zufall zu tun hat.

Ricore: Haben Sie die literarische Vorlage zu "Gone Baby Gone" gelesen?

Ryan: Nachdem Ben mich für die Rolle engagiert hatte, habe ich das Buch gelesen. Es war eine gute Quelle, denn es enthält sehr viele Informationen. Natürlich kann man nicht sämtliche Inhalte des Buches in einen zweistündigen Film packen. Viele Szenen des Buches, die nicht in den Film aufgenommen wurden, nutze ich als zusätzliche Informationen über meine Figur, was sehr hilfreich war.
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Von Journalisten umzingelt
Ricore: Der Film ist nicht nur ein Thriller, er beschäftigt sich auch mit einem sehr heiklen Thema, dem Missbrauch von Kinderadoptionen.

Ryan: Die meisten Kinder werden von Familienmitgliedern oder Personen, die die Familie kennen, adoptiert. Im Vordergrund steht bei den Eltern meist der Gedanke, den Kindern dadurch ein besseres Leben zu geben. Das ist eine Tatsache, die ich auch erst durch die Pressearbeit für "Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel" gelernt habe. Sie haben recht, das Thema ist auf eine Weise wirklich gruselig.

Ricore: Was denken Sie über Ihre Rolle? Fühlt sich die Mutter verantwortlich oder vermisst sie ihre Tochter erst, als diese verschwunden ist?

Ryan: Ich glaube, dass sie aufgrund ihres Egoismus und ihrer Drogensucht nicht in der Lage ist, die Tragweite der Situation zu erkennen. Sie hat andere Sachen im Kopf, hat so viel Selbsthass, dass sie nicht fähig ist, ihre Entscheidung überhaupt zu überdenken. Aber in dem Moment, als sie reumütig zugibt, etwas falsch gemacht zu haben und ihr Leben in Ordnung bringen will, glaube ich, dass sie es wirklich wollte, dass sie überzeugt davon war. Als sie jedoch ein neues Date hat, ist dies das einzige, das sie wirklich interessiert. Solche Leute können keine Prioritäten setzen. Sie hat auch nicht den Luxus, den Menschen der Mittelklasse und der gehobenen Mittelklasse genießen. Die haben Zeit, sich zurückzulehnen und über Situationen und Entscheidungen nachzudenken. Menschen, die der Unterschicht angehören und eine schlechte Schulbildung haben, sind lediglich in der Lage, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Ricore: Dieser Film hat ein beeindruckendes Ende. Sobald der Abspann läuft, muss man unweigerlich darüber nachdenken, wie man sich selbst entscheiden würde. Trifft der Protagonist tatsächlich die beste Entscheidung?

Ryan: Zunächst würde ich mein Kind nicht in einer derartigen Umgebung aufwachsen lassen wollen. Ich würde auch nicht die Entscheidung treffen wollen, die Casey Afflecks Figur im Film treffen muss. Aber ich glaube, dass keine dieser Möglichkeiten die richtige Lösung ist. Sie ist viel weitreichender. Man sollte sich in dieser Situation fragen, wo man den Teufelskreis durchbrechen kann. Wenn man sich Helene anschaut, muss man daran denken, dass sie Jahre zuvor eben dieses Mädchen war, für das wir so viel Mitgefühl entwickelt haben. Die nächste Frage stellt sich dann unweigerlich: Wird das Mädchen später wie ihre Mutter? Wo sind also die Sozialeinrichtungen, die diese Menschen brauchen. Die ganze Situation ist ein einziger Schock, den man nach dem Film erst einmal verarbeiten muss. So sieht wohl die direkte Reaktion auf den Film aus.

Ricore: Waren Sie überrascht, als Sie hörten, dass der Film in Großbritannien zunächst nicht gezeigt wird?

Ryan: Das überraschte mich überhaupt nicht. Es ist die einzig feinfühlige Reaktion auf die derzeitige Situation. Leider ist das das echte Leben. Was wir zeigen ist nur ein Film, der auf einem Buch basiert. Selbst wenn der Film in England erst in einem Jahr rauskommt, ist das auch in Ordnung.
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Ed Harris als Polizeiermittler
Ricore: Waren Sie schockiert, als Sie sich selbst im Film sahen? Im wahren Leben sehen Sie wunderschön aus, ganz anders als im Film.

Ryan: Schockiert war ich nicht. Natürlich habe ich eine extrem mädchenhafte Seite in mir, die gerne schöne Kleider anzieht und sich die Haare für einen Film hübsch frisiert. Würde ich im Film frisch gewaschene Haare haben, würde ich mich nur selbst belügen. Das wäre hinderlich für die Rolle und nicht echt. Ich fühle mich geschmeichelt, dass ich im wahren Leben anders aussehe. Das ist das, woran ich immer arbeite. Wenn Freunde von mir sagen, dass sie mich im Film nicht wiedererkennen, ist das ein Kompliment.

Ricore: Wenn Sie es sich aussuchen könnten, was für einen Charakter würden Sie gerne spielen?

Ryan: Ich würde gerne jemanden verkörpern, der nicht versucht, sein Leben zu verbessern, jemanden, der all das schon erreicht hat. Eine Person, die Macht, Zuversicht und Selbstvertrauen besitzt. Ich habe schon so viele Figuren gespielt, die sich auf dem Höhepunkt ihres Kampfes um ein gutes Leben befanden. Es wäre schon schön, hätte ich mal den Blick von dort oben - wie eine Königin.

Ricore: Als Königin könnten Sie auf jeden Fall ein schönes Kleid anziehen...

Ryan: Das würde aber auch viel mehr Arbeit bedeuten. Immer gut aussehen zu müssen, zehrt an den Nerven.

Ricore: Für "Gone Baby Gone" haben Sie mit beiden Affleck-Brüdern zusammen gearbeitet. Welchen mögen Sie lieber?

Ryan: Natürlich Ben, denn er hat mir eine Arbeit gegeben. Nein, natürlich mag ich Casey auch. Die beiden sind sehr unterschiedlich, aber wenn man sie kennen lernt, merkt man, dass sie aus derselben Familie kommen. Von Casey sage ich immer, er ist ein frecher Schauspieler - meine das aber als Kompliment.

Ricore: War die Atmosphäre am Set ähnlich familiär?

Ryan: Ja, es war tatsächlich eine sehr familiäre Stimmung. Amy Madigan und Ed Harris sind ja verheiratet. Es war für mich eine sehr sichere Umgebung zum Arbeiten, vor allem weil wir eine so sachliche Geschichte erzählen. Mit den vielen Familien am Set konnte man viel lachen.

Ricore: Das überrascht, wenn man das ernste Thema bedenkt...

Ryan: Ja, aber man muss es mit Humor angehen. Meine Mutter war Krankenschwester und hat immer gesagt, man muss seinen Galgenhumor behalten, sonst geht man unter. Man kann seine Arbeit nicht immer mit nach Hause nehmen.
erschienen am 29. November 2007
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Nach dem Besuch der New Yorker High School of the Performing Arts verzichtete Amy Ryan auf ein Studium und widmete sich der Schauspielerei. In den 1990er Jahren spielte sie zumeist am Broadway und wurde zweimal für den bedeutendsten US-Theaterpreis, den Tony Award, nominiert. Mit Eric Mandelbaums Drama "Roberta" (1999) wechselte die Schauspielerin zum Film. Dem US-Publikum aus der Serie "The Wire" bekannt, erregte Ryan in Ben Afflecks Krimi "Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel" Aufmerksamkeit.
Mit seiner eindringliche Kidnapper-Geschichte "Gone Baby Gone" verursacht Ben Affleck eine Gänsehaut, denn er erweckt nicht einen Moment den Schein einer rein fiktiven Erzählung. Mit dramaturgisch brillanten Wendungen werden von Ben Affleck immer wieder neue, spannende Ebenen eröffnet. Sie erschüttern mit ihrer Ehrlichkeit und berühren durch die Tiefe ihrer Figuren.
Eine Großfamilie trifft sich samt Anhang zum jährlichen Familienfest. Dass solche Zusammenkünfte nicht ohne Probleme ablaufen, ist klar. Doch in diesem Fall ist der Grund für das Chaos im Gegensatz zu anderen Komödien anders gelagert: Ein melancholischer Vater dreier Kinder verliebt sich in die Freundin seines Bruders. Die Dreieckssituation wird nicht mit großem Getöse gefeiert, sondern in kleinen, ruhigen Schritten zugespitzt, weshalb sich die Komik aus normalen Alltagssituationen heraus..
2024