Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Frank-Markus Barwasser
Erwin Pelzig ist Fluch und Segen
Interview: Jetzt seien Sie doch mal Pelzig
Erwin Pelzig gibt es jetzt auch im Kino zu sehen. In "Vorne ist verdammt weit weg" versucht der naive und gutherzige Freund von nebenan, deutsche Arbeitsplätze zu retten. Doch welchen Beruf geht Pelzig selbst nach? Pelzig-Erfinder und -Darsteller Frank-Markus Barwasser spricht mit uns über die nicht vorhandene Biografie seiner Kunstfigur und warum er nicht ewig Erwin Pelzig spielen wird.
erschienen am 20. 12. 2007
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Frank-Markus Barwasser in "Vorne ist verdammt weit weg"
Ricore: 1985 war das Entstehungsjahr der Kunstfigur Erwin Pelzig. Wie kam es dazu?

Frank-Markus Barwasser: Das stimmt nicht ganz. 1985 hatte ich das erste Programm, Pelzig ist aber erst Anfang der 1990er Jahre entstanden. Er war zunächst nur ein Typus ohne Namen, ohne klaren Charakter. Seine Themen waren rustikaler, auch sein Outfit hat sich geändert. Pelzig hat sich erst im Laufe der Jahre entwickelt. So seit sieben oder acht Jahren, oder auch schon etwas länger, ist er so, wie man ihn jetzt kennt. Heute würde ich sagen, sind seine Gedanken ganz in Ordnung, an seinem Outfit muss ich allerdings noch arbeiten.

Ricore: Wie würden Sie Erwin Pelzigs Charakter heute beschreiben?

Barwasser: Er ist ein Mensch, der sich in positiver Weise eine gewisse kindliche Naivität bewahrt hat, daher geht er so unerschrocken auf Menschen zu, beschäftigt sich furchtlos mit Themen, macht absurde Schlüsse und Schlussforderungen. Das Erstaunliche dabei ist, dass er immer wieder irgendwie Recht hat. Er ist ein freundlicher Grübler.

Ricore: Wurden Sie jemals mit Pelzig verwechselt, beispielsweise in der Fußgängerzone?

Barwasser: Das kommt gelegentlich vor, aber das ist normal, wenn man mit einer Figur wie Pelzig dermaßen stark an die Öffentlichkeit geht. Aber selbst wenn jemand zu mir Herr Pelzig sagt, weiß ich, dass er eigentlich mich meint. Ich denke, die meisten können unterscheiden.

Ricore: Haben Sie Ähnlichkeiten mit Erwin Pelzig? Können Sie sich mit ihm identifizieren?

Barwasser: Nein, ich würde eher sagen, dass ich über meine Kunstfigur vielleicht etwas auslebe, was in mir steckt, und was ich nicht rauszulassen wage. Wenn es so ist - ich bin mir aber nicht sicher - dann hätte Pelzig sogar etwas Therapeutisches an sich. Das wäre dann in Ordnung.

Ricore: Wie war es für Sie, plötzlich vor der Kamera zu stehen?

Barwasser: Das war natürlich eine neue Erfahrung. Ich habe sehr schnell kapiert, dass ich die Figur zurücknehmen muss. Ein Bühnenmensch neigt zu großem Theater, das geht im Kino gar nicht, das habe ich schnell gelernt. Auch das Zusammenspiel mit dem anderen Darstellern. Wir wollten keinen Kabarettfilm machen, sondern einen wirklichen Spielfilm. Das war viel Neuland für mich.
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Vorne ist verdammt weit weg
Ricore: Ist es als Kabarettist besonders schwierig, einen Film zu machen?

Barwasser: Wenn Kabarettisten Filme machen, neigen sie oft dazu, alles auf sich zulaufen zu lassen, und sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sodass das Interesse an der Figur nachlässt. Das haben wir vermeiden wollen. Daher haben wir auch die Figur Pelzig reduziert. Er ist zwar wichtig und tragend für die Handlung, aber es darf keine One-Man-Show werden. Die Bühne funktioniert natürlich anders. Bei mir geht es auf der Bühne sehr stark über den Text. Beim Film kommt das Bild hinzu. Da war es natürlich zu unserem Vorteil, dass Thomas Heinemann ein visuell denkender Mensch ist. Ich wurde es dann langsam auch. In diesem Sinne haben wir uns sehr gut ergänzt.

Ricore: Erwin Pelzig ist strikt gegen Frau und Kinder. Wie steht es mit Ihnen?

Barwasser: Ich komme aus einer sehr kinderreichen Familie, wir waren zu fünft. Ich habe das als etwas Wundervolles erlebt. Meine Geschwister haben mittlerweile auch Familien gegründet, bis auf mich. Ich kann es mir ja schlecht aus den Rippen schnitzen, aber ich muss die Hoffnung ja nicht völlig aufgeben. Familie ist natürlich etwas tolles. Pelzig ist alleine, aber gar nicht so strikt gegen Familie wie Sie glauben. Ich denke, sein Antrieb für viele Dinge ist im Grunde die Einsamkeit. Er ist ein Mann ohne Biografie, ohne sozialen Background. Er ist einfach da und dann wieder weg. Wieso hat der Mann plötzlich drei Wochen Zeit, seinen Nachbarn zu vertreten? Wovon lebt der Mensch? Pelzig ist irgendwo auch geheimnisvoll. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, ihm eine Biografie zu geben. Ich glaube, dass Pelzig im Grunde seines Herzens ein einsamer Mensch ist.

Ricore: Wie geht Ihre Familie damit um, dass sie einen dermaßen bekannten Sohn, Onkel, Bruder hat?

Barwasser: Zum Glück völlig normal. Natürlich freuen sich meine Eltern und meine Geschwister, aber wenn wir uns treffen, auf Familienfesten beispielsweise, die doch relativ häufig sind, dann spielt das überhaupt keine Rolle. Ich erzähle natürlich auch von meinem Beruf, so wie jeder von seinem Beruf erzählt.

Ricore: Müssen Sie privat auch manchmal Erwin Pelzig spielen?

Barwasser: Nein, das ist eigentlich kein Thema. Das wird nicht erwartet. Ich profitiere vielleicht vom Klischee, dass Komiker in Wirklichkeit todtraurige Menschen sind, also erwartet man von ihnen nicht viel. Die Journalisten sind vielleicht manchmal etwas enttäuscht, wenn sie im Interview sagen: "Switchen Sie doch mal um und sagen Sie mal was Lustiges." Da muss ich sie immer enttäuschen. Bühne ist nun mal Bühne.

Ricore: Wen würden Sie gerne auf der Bühne bei "Pelzig unterhält sich" haben?

Barwasser: Eigentlich genau jene Leute, die in solche Shows eigentlich nicht gehen. Wie Wendelin Wiedeking, den Porsche-Chef, der würde mich sehr interessieren. Ich würde gerne wissen, wie die Leute, die nicht im klassischen Sinn prominent sind, denken und wie ein Hartmut Mehdorn beispielweise tickt. Das wären sehr reizvolle Gäste. Aber die kriege ich nicht.
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Erwin Pelzig rettet seinem Chef das Leben
Ricore: Warum nicht?

Barwasser: Weil sie nicht in eine solche Sendung gehen und weil, wie mir erst vor kurzem erklärt wurde, ein Vorstandsvorsitzender einer Aktiengesellschaft, sei es Porsche oder Siemens, sehr bedacht sein muss, was er sagt. Ein falsches Wort und der Aktienkurs rauscht in den Keller - Psychologie der Märkte eben. Solche Menschen halten sich vom Showbusiness fern. Sie gehen vielleicht zu Maybrit Illner, aber nicht in eine Sendung dieser Art. Was ich sehr bedauere, ich würde sie sehr gut behandeln.

Ricore: Mussten Sie vor einer Show jemals Zugeständnisse oder Abstriche machen, was Ihre Gäste betraf?

Barwasser: Nein. Es gab einmal einen einzigen Fall. Eine Frau bat mich, zu einem bestimmten Thema nicht zu sagen. Es war nichts dramatisches. Ich habe kein Problem, das zu respektieren. Es gibt auch keine Vorabsprachen mit den Gästen, da ich sie zum Teil erst auf der Bühne kennen lerne. Unser Gespräch soll überraschend sein, ich möchte nicht, dass sie vorher noch eine Stunde mit mir reden, und dann hinterher Probleme haben, den Pelzig als Pelzig zu akzeptieren.

Ricore: Möchten Sie den Erwin Pelzig manchmal in eine Ecke schmeißen und gar nicht mehr herausholen?

Barwasser: Es gab schon Phasen, wo ich dachte, warum immer nur Pelzig? Und warum muss ich mich immer unvorteilhaft anziehen? Aber dadurch, dass ich mit der Figur unterschiedliche Dinge mache, geht das. So eine Figur ist immer Fluch und Segen gleichzeitig. Aber ich bin ja frei in meiner Entscheidung, wenn ich nicht mehr will, dann mach ich es auch nicht mehr. Ich werde mit Pelzig mit Sicherheit nicht ins Rentenalter gehen. Wie ich immer zu sagen pflege: "Wenn ich ins Alter komme, wo ich mich nicht mehr umziehen muss, um Pelzig zu sein, dann höre ich auf."

Ricore: Kabarett steht in gewisser Maßen auch in Konkurrenz zu Comedy. Viele unterscheiden nicht oder vermischen beides. Wie sehen Sie die Zukunft von Kabarett in Deutschland?

Barwasser: Kabarett hat eine lange Tradition, und hat sich bisher auch immer gehalten. Es hat sich mal mehr entwickelt und mal weniger. Es wird immer ein Bedürfnis danach geben, wenngleich es sich immer in einer Nische befinden wird. Das Fernseh-Kabarett ist im Fernsehen auch einigermaßen erfolgreich und hat sich bereits den modernen Wahrnehmungsgewohnheiten angepasst. Zum Teil sind schon Elemente des Stand-Up-Comedy darin zu erkennen. Es ist aber weniger die Comedy, sondern es sind viel mehr die Wahrnehmungsgewohnheiten, die das Kabarett zumindest formal teilweise beeinflussen. Ich glaube aber, auf der Bühne wird Kabarett immer seinen Platz finden. Im übrigen habe ich auch gar kein Problem mit Comedy. Es gibt großartige Comedians, das ist eine große Kunst. Nur muss es thematisch nicht immer nur darum gehen, dass Frauen gerne Schuhe kaufen...

Ricore: Was auch nur selten zutrifft...

Barwasser: Ja gut, es geht halt um Klischees. Dieses Mann-Frau-Thema ist so alt wie die Menschheit, und das wird wahrscheinlich immer so sein, aber das versetzt mich nicht in Begeisterung.
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Erwin Pelzig bei der Polizei
Ricore: Apropos Moral, hat der Film eine Art moralische Botschaft?

Barwasser: Nein, ich denke, das ist auch nicht die Aufgabe des Films. Es ist einfach eine satirische Zustandsbeschreibung. Die Botschaft kann sich jeder selbst rausziehen. Eine Botschaft hat auch immer mit einer Handlungsanweisung zu tun. Das kann schnell anmaßend sein.

Ricore: Gemäß dem Thema des Films, sind Sie mit ihren Programmen auch im Ausland unterwegs?

Barwasser: Ja, ich war bereits in der Schweiz und einmal in Österreich.

Ricore: Österreich ist ein sehr großes Kabarettland...

Barwasser: Ja, mein persönlicher Geschmack liegt sehr im österreichischem Kabarett. Ich finde die Österreicher schräg und klasse. Ansonsten habe ich meinen Humor noch nicht exportiert, ich lasse meine Texte auch nicht in China fertigen. Als es bei der Produktion ums Kostüm ging - ich brauchte ja neue Anzüge mit kamerafreundlichem Material - habe ich am Rande mitbekommen, dass diese Anzüge in Rumänien genäht werden sollen. Ich habe dann gesagt, "Also, wir machen einen Film über Jobverlagerung und Pelzig trägt rumänische Anzüge, das geht gar nicht. Das ist Made in Germany, Unterfranken, ein mittelständischer Betrieb, einer der Letzten die es gibt." Ich trage im Film wirklich Made in Germany.

Ricore: Spüre ich da eine leise Kritik an der deutschen Filmindustrie? Viele Produktionen werden ja im benachbarten Ausland gedreht?

Barwasser: Nein, das darf man nicht so hart sehen, man sollte versuchen, europäisch zu denken. Filme zu machen, ist eine sehr teure Angelegenheit, das haben wir selbst festgestellt. Man muss sehr spitz rechnen. Es ist keine explizite Kritik, dass deutsche Filme im Ausland gemacht werden. Aber wir haben schon gesagt, wir wollen den Film dort drehen, wo er auch spielt, in irgendeiner Provinz, naheliegenderweise in der fränkischen Provinz. In Thüringen haben wir schließlich Motive gefunden, die sehr gut passten. Wir hatten auch Förderungen von dort, waren also verpflichtet, dort zu drehen, und sind damit gut gefahren.

Ricore: War es schwierig, die Finanzierung aufzutreiben?

Barwasser: Es war vor allem spannend. Der Bayerische Rundfunk ist als Koproduzent massiv eingestiegen ist und hat uns eine super Zusammenarbeit beschert. Ich habe diese Beteiligung des BR als persönlichen Vertrauensvorschuss betrachtet, gerade auch was meine Person betrifft. Mit einem starken Partner sind die Förderungsanstalten eher bereit, sich einzuschalten. Dennoch haben Sie sich das Drehbuch genau angeguckt und haben dann aufgrund des Drehbuchs entschieden, uns zu unterstützen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 20. Dezember 2007
Zum Thema
Mit "Vorne ist verdammt weit weg" wagt sich Erwin Pelzig erstmals über die große Kinoleinwand. Erfinder und Darsteller Frank-Markus Barwasser wollte jedoch keine oberflächliche Gag-Parade, sondern ein Werk mit schwarzem Humor und Tiefgang. Das ist gelungen. Mit dem altbekannten Hut, der Männerhandtasche und dem karierten Hemd geht Pelzig jeden Tag mit neuem Optimismus an. Sein einziges Ziel: Er will seinem Nachbarn Johann Griesmaier (Peter Lohmeyer) helfen, seinen Job als Chauffeur zu behalten.
2024