Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Jan Henrik Stahlberg
Jan Henrik Stahlberg über seine Liebe
Interview: "Man darf nicht naiv sein"
Jan Henrik Stahlberg gilt als deutsches Multitalent. Als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent hat er mit "Muxmäuschenstill" und "Bye Bye Berlusconi" sein Publikum gefunden. Seine Liebe gilt jedoch der Schauspielerei. In "Märzmelodie" gibt er nun auch seine Gesangskünste zum Besten. Warum er erfreut war, nur Playback singen zu müssen, erzählt er uns vor offenem Kamin und einer Tasse Kaffee. Zudem erfahren wir, warum es äußerst schädlich ist, im Filmgeschäft naiv zu sein, und wie er mit dem gesamten Filmteam einem italienischen Filmverleiher zum Opfer fielen.
erschienen am 4. 02. 2008
Ricore: Wofür brauchen wir Filme über die Liebe?

Jan Henrik Stahlberg: Wenn wir keine Filme mehr über die Liebe brauchen, dann frage ich mich, aus welchem Grund wir Filme über Krieg drehen und uns diese anschauen. Das Ur-Thema der Menschheit ist die Liebe. Ich würde mir nicht nur Liebesfilme anschauen, aber ich glaube sie haben mehr als eine Berechtigung, wenn man nachher beschwingt aus dem Kino hinausgeht.

Ricore: Glauben Sie an die Liebe auf den ersten Blick?

Stahlberg: Ich habe mich schon auf den ersten Blick verliebt und auch schon auf den Zweiten. Ich muss sagen, dass der zweite Blick spannender war, obwohl der erste vielleicht romantischer ist. Es gibt definitiv Liebe auf den ersten Blick, aber sie wird überschätzt.

Ricore: Erging es Ihnen ähnlich wie Thilo, dass Sie Dinge machten, die Ihnen gar nicht gefallen haben?

Stahlberg: Ja natürlich, das passiert einem tausend Mal. Thilo ist ein sehr zugespitzter Charakter. er sitzt in einer totalen Scheiße. In dieser Hinsicht bin ich glücklich, dass dieser Kelch an mir vorbeigegangen ist. Aber natürlich kann ich mir das sehr gut vorstellen. Ich mag es sehr, einen anderen Schauspieler in einem Film zu spielen. So kann man eine Art Selbstironie an den Tag legen. Die Berufsgruppe ist ja auch etwas Besonderes, sie hat mit Träumen zu tun, die sich in die seltensten Fälle erfüllen. Das ist ein Berufsfeld in dem wahnsinnig viele Menschen frustriert und traurig sind. Ich habe mal gehört, das die Lebenserwartung bei Schauspielern, nach den Politikern am niedrigsten ist. Das mag an vielen Dingen wie Drogenkonsum liegen, aber es sind halt auch die vielen gescheiterten Träume verantwortlich. Daher finde ich es auch spannend, jemanden zu spielen, der diese Träume zwar noch hat, aber doch schon Mitte 30 ist und noch nie etwas richtig auf die Beine gestellt. Das hat etwas Tragikomisches an sich, was ich sehr amüsant zu spielen finde.
X-Verleih
Jan Henrik Stahlberg
Ricore: Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Sie schon mal angefangen haben aus Leidenschaft zu singen?

Stahlberg: Ich habe mal Straßenmusik gemacht und spiele auch Klavier. Ich glaube, Frauen habe ich bisher keine Liebesständchen gebracht, das war vielleicht aber auch nicht schlecht so.

Ricore: Ist Ihnen dies zu kitschig?

Stahlberg: Nein, das nicht. Wenn die Situation käme, und es ein Lied gibt, von dem ich sage, das ist das absolute Muss, meiner Angebeteten zu bringen, würde ich ihr natürlich auch ein Ständchen singen. Aber es war einfach noch nicht der Moment da.

Ricore: Gibt es Melodien, die sie mit bestimmten Situationen in ihrem Leben verbinden?

Stahlberg: Natürlich, das kennen wir alle. Das fing damals schon an bei Klassenfahrten, dann der beste Urlaub mit Freunden, die große Liebe. Auch in letzter Zeit gibt es Lieder, die ich ganz klar mit bestimmten Situationen verbinde. Das ist allerdings so privat, dass ich nicht darüber reden möchte. Es gibt Songs, wo auf einmal eine ganze Welt aufgeht, man erinnert sich an Gesichter, Gerüchte, oder was auch immer vorgefallen ist. Und das hängt sehr stark mit Musik zusammen.
X-Verleih
Muxmäuschenstill
Ricore: Das Publikum kennt Sie vor allem aus "Muxmäuschenstill", wo Sie auch hinter der Kamera agiert haben. Wie ist es als Schauspieler, im Film mitzuwirken, im Unterschied dazu, den Film selbst zu konzipieren?

Stahlberg: Als Schauspieler hat man wesentlich weniger Verantwortung für den Film als Ganzes. Man denkt nicht darüber nach, wie man den Film später im Schneideraum schneidet. Man kann sich auf seine Rolle konzentrieren. Das ist es, was ich gelernt habe. Ich bin von Haus aus Schauspieler. Damit verdiene ich mein Geld und bin sehr froh darüber. Bei meinen eigenen Filmen - und es kommt mit "Short Cut to Hollywood" bald wieder einer heraus - kann ich eine Art Humor und Geschichte erzählen, die mir persönlich naheliegen. Genau wie Markus Mittermeier, mit dem ich "Muxmäuschenstill" gemacht habe. Die Schauspielerei ist aber mein Haupterwerb und mein großes Glück, das machen zu können.

Ricore: Worum geht es in "Short Cut to Hollywood"?

Stahlberg: Er handelt von drei deutschen Idioten, die denken, dass sie eine geniale Idee haben, mit der sie in den USA ganz groß herauskommen. Diese Idee ist tatsächlich so geisteskrank, dass sie wirklich groß herauskommen. Im Prinzip ist es eine Persiflage auf den deutschen Superstar. Die drei Idioten halten sich zwar für sehr ausgebufft und clever, aber mit ihrer Idee können sie wirklich in einer nur noch idiotischeren Welt zu dem werden, was sie dann auch werden, nämlich zu Stars.

Ricore: In welcher Sparte fühlen Sie sich am Wohlsten? Als Regisseur, Drehbuchautor oder Schauspieler?

Stahlberg: Das ist insofern schwer zu sagen, weil es auf das Projekt ankommt. Wenn man in einem Projekt aufgeht, dann ist es ein großes Glück, überhaupt daran teilzunehmen. Meine Ausdrucksform, die ich gelernt habe und die mir am meisten Spaß macht, ist die Schauspielerei. Aber ein Drehbuch zu schreiben und dann Regie zu führen, wie bei "Bye Bye Berlusconi" ist eine große Herausforderung.
Jetfilm
Eine Szene aus "Bye Bye Berlusconi"
Ricore: Spielt Politik eine wichtige Rolle in Ihrem Leben?

Stahlberg: Ich würde schon sagen, dass ich mich für Politik interessiere, aber es gibt politische Filme wie "Bye Bye Berlusconi" und gesellschaftspolitische Filme und Satiren wie "Muxmäuschenstill". Und dann gibt es auch noch Filme über Schicksale, in denen man sich die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt, wie bei "Short Cut to Hollywood". Von daher würde ich sagen, nur politische Filme zu machen, interessiert mich nicht, dann würde ich in die Politik gehen. Aber es gibt sehr spannende Felder in unserer Gesellschaft, die politisch sind. Ich würde aber nicht nach dem Thema gehen, sondern eher nach der Idee.

Ricore: Gibt es ein Thema, dass Sie unbedingt verwirklichen wollen?

Stahlberg: Ja, Pornografie. Da möchte ich mal einen Film darüber machen.

Ricore: Können Sie das ein bisschen näher beschreiben?

Stahlberg: Das schwirrt mir schon lange im Kopf herum. Ich würde gerne so eine Art "Porn and the City", die männliche Alternative zu "Sex and the City" machen. Ich finde das Fernsehen unglaublich langweilig und nervtötend, dass es sich nicht einmal mehr lohnt, über die Kakerlaken aufzuregen. Man sollte stattdessen mal ein Format versuchen, das politisch hoch unkorrekt ist, einen schwarzen Humor hat und gleichzeitig viel näher an den Befindlichkeiten der Menschen ist. "Porn and the City" soll in diesem Sinne die Problematik von Mittdreißigern, oder Männer in der Mid-Life-Crisis zeigen, die ihre sexuellen Wünsche ausleben oder auch nicht. Das wird eine Fernsehserie, an der ich derzeit schreibe.
erschienen am 4. Februar 2008
Zum Thema
Jan Henrik Stahlberg wurde als Weltverbesserer "Mux" in "Muxmäuschenstill" bekannt. Dazu schrieb er auch das Drehbuch. Zusammen mit seiner Freundin, der italienischen Schauspielerin Lucia Chiarla verfasste er auch an der Politsatire "Bye Bye Berlusconi". Stahlberg übt in seinen Satiren gerne Kritik an Medien und Gesellschaft, so auch in "Short Cut to Hollywood".
Märzmelodie (Kinofilm)
Zwei gegensätzliche Typen treffen aufeinander und verlieben sich. Eine nervlich abgespannte Lehrerin und ein Schauspieler ohne Engagements müssen viele Hürden überwinden, um trotzdem zusammenzukommen. Jede Stimmungsschwankung untermalt Martin Walz in seiner "Märzmelodie" mit einem Lied. Die Darsteller singen nicht selbst - zu hören sind die Originalinterpreten, sobald die Charaktere zum Gesang ansetzen.
2024