barnsteiner-film
Francesco Lucente
Francesco Lucente: Irak kein Thema
Interview: Wut und Enttäuschung
Es ist wahrlich keine leichte Kost, die uns Regisseur Francesco Lucente in "Badland" präsentiert. Ein Ex-Soldat kehrt gebrochen aus dem Irak zurück. Ein Funke - und er explodiert. Er tötet seine hochschwangere Frau sowie seine zwei Söhne. Einzig seine kleine Tochter verschont der Vater. Warum Lucente sich an dieses Thema wagte und dafür auch einen Flop an den Kinokassen einkalkuliert, berichtet er uns in einem ernsten Gespräch unter vier Augen in München. Auch seine Enttäuschung über das amerikanische Volk, das blind zwei Mal den falschen Präsidenten wählte, thematisierte der Kanadier.
erschienen am 3. 05. 2008
barnsteiner-film
Szene aus "Badland"
Ricore: Wie lange haben Sie an "Badland" gearbeitet und wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Francesco Lucente: Ich startete mit dem Skript 2004, im Oktober 2005 haben wir mit den Dreharbeiten begonnen. Grundlage war die Wiederwahl der Bush-Regierung 2004. Ich war enttäuscht, und habe versucht mir vorzustellen, was passiert wäre, wenn ich als Reservist in den Irak geschickt worden wäre. Wäre ich gezwungen gewesen, hinüber zu gehen, um bei meiner Rückkehr herauszufinden, dass die Gründe meines Einsatzes nicht die ganze Wahrheit waren, wäre ich wohl total verzweifelt.

Ricore: Hatten Sie Kontakt zu ehemaligen Soldaten?

Lucente: Nein, es ging mehr um die emotionale, politische Seite und ich wollte die Geschichte aus einer emotionalen, persönlichen Perspektive schreiben.

Ricore: Was wollen Sie den Zuschauern mitteilen?

Lucente: Ich hoffe, dass das Publikum die Auswirkungen eines Kampfes zwischen Menschen wahrnehmen - den Kollateralschaden. Ein Krieg endet nicht auf dem Schlachtfeld, man nimmt ihn mit nach Hause. Eine Studie zeigte, dass die Familien der Soldaten noch zwei oder drei Generationen später unter dem Kriegseinsatz leiden. Das ist etwas, womit wir lernen müssen, umzugehen. Die Menschen müssen damit umgehen, auch lange nachdem ein Krieg beendet wird.
barnsteiner-film
Badland
Ricore: Glauben Sie, dass der Film die Meinung der Zuschauer zu Krieg ändert?

Lucente: Ich hoffe, dass tut er! Aber ich bin pessimistisch, ich weiß es nicht - ich glaube nicht, dass er das macht.

Ricore: Wie waren die Dreharbeiten? Wie war die Stimmung am Set? Ich kann mir vorstellen, dass es bei einem derart schwierigen Thema nicht immer einfach ist, die Schauspieler bei Laune zu halten...

Lucente: Es war ziemlich anstrengend, vor allem weil es ein unsäglich grauenhaftes Verbrechen ist, das der Hauptcharakter mit seiner Familie macht. Es erschöpfte uns alle. Es war ein langer Dreh und es war sehr kalt. Wir drehten bei Schneesturm, weil wir im späten Oktober in Kanada mit dem Dreh begannen. Die Crew konnte sich warm anziehen, aber die Schauspieler waren meist nur dünn gekleidet. Körperlich war es wirklich sehr anstrengend.

Ricore: Wie haben Sie die Schauspieler auf das Thema vorbereitet?

Lucente: Unsere statistische Recherche basierte auf dem Internet und auf Zeitungsberichte. Es gab ein Ereignis, das sich 2003 in Fulbright zugetragen hat. Ein Soldat kam von seinem Einsatz aus dem Irak zurück und tötete sich selbst und seine Familie. Meine Schauspieler haben zudem ihre eigene Recherche gemacht, zu ihrem Vorteil, um ihre Charaktere besser zu verstehen

Ricore: Glauben Sie, dass es einen Unterschied in den Reaktionen zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Publikum gibt?

Lucente: Ja, die Reaktion in Deutschland ist sehr positiv, es sieht aus, als hätten die Menschen hier den Film verstanden. Sie schienen darauf zu antworten.
barnsteiner-film
Grace Fuller in "Badland"
Ricore: Ist das in Amerika anders?

Lucente: Ich glaube, es gibt unterschiedliche Reaktionen. Jene, die den Film gesehen haben, reagieren in der gleichen Art wie die Europäer. Aber ich glaube, die meisten Amerikaner scheuen sich vor Filmen, die das Irak-Thema behandeln, weil sie nicht mit der Realität konfrontiert werden wollen.

Ricore: Wie erklären Sie, dass das amerikanische Volk vor der Realität flieht?

Lucente: Das kann ich nicht. Ich kann es mir selbst nicht erklären, Ich bin überrascht und enttäuscht, dass wir zweimal denselben Präsidenten gewählt haben. Ich weiß nicht, ob es Teil der amerikanischen Natur ist, oder ob alle Amerikaner so sind. Es gab eine Studie vor anderthalb Jahren, sie haben Amerikaner getestet, ob sie wissen, woher ihr Essen kommt. Tatsächlich haben einige gesagt, ihr Hamburger wachse auf Bäumen.

Ricore: Im November 2008 wird es einen neuen US-Präsidenten geben. Wie groß ist das Interesse der US-Bevölkerung an diesem Medienspektakel?

Lucente: Ein kleiner Bevölkerungsanteil hat das Ideal einer demokratischen Regierung. Aber ich glaube nicht, dass wir einen demokratischen Präsidenten bekommen, ich glaube John McCain wird gewinnen.

Ricore: Was ist Ihre Position?

Lucente: Ich bin definitiv demokratisch. Aber bedauerlicherweise haben die Demokraten auch keinen Erfolg. Die Demokraten sind der fortschrittliche Bestandteil der amerikanischen Bevölkerung. Nur leider benutzen die beiden Hauptkandidaten der Demokraten ihre Zeit, um sich gegenseitig fertig zumachen. Ich glaube, das ist nicht sehr intelligent.
barnsteiner-film
Badland
Ricore: Dennoch habe ich die Hoffnung, dass sich die Menschen weltweit in den letzten Jahren etwas verändert haben…

Lucente: Ich bin da pessimistischer. Ich bin enttäuscht, dass die amerikanische Bevölkerung Irak-Filme nicht so unterstützt, wie sie eigentlich sollte.

Ricore: Woran liegt das?

Lucente: Das ist ein Gefühl, ich kann es nicht genau beschreiben. Es gibt natürlich die wirtschaftlichen Krisen, Leute verlieren ihr Zuhause. Wenn Menschen anfangen, ihr Heim zu verlieren, wird es dramatisch. Zudem steigen die Gaspreise in den USA. Menschen haben Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie überhaupt einen haben. Das sind Themen, welche im Moment im Vordergrund stehen. Aber der Irak-Krieg sollte ebenfalls an vorderster Stelle stehen, denn das ist ein Krieg, den wir begonnen haben. Aber es wird nicht mehr darüber gesprochen, wie vor einem Jahr oder sechs Monaten. Und das bringt mich zu dem Schluss, dass McCain gewinnen wird.

Ricore: Ist es für einen Filmemacher nicht frustrierend, dass andere Filme mit unwichtigen Themen, große Erfolge erzielen, während Kriegsfilme, nicht so großen Erfolg haben?

Lucente: Was das amerikanische Kino betrifft, ja. Ich finde, all diese Filme sollten erfolgreich sein, ebenso unserer. Ich glaube aber, es gibt generell eine Veränderung im Filmbereich. So hoffe ich, dass es eine bessere Zukunft für diese Art von Filmen gibt.
barnsteiner-film
Szene aus "Badland"
Ricore: Was ist Ihr nächstes Projekt?

Lucente: Ich werde eine romantische Komödie machen.

Ricore: Wirklich? Eine Romcom?

Lucente: Ja, ich brauche etwas komplett anderes. Ich muss auch mal an etwas anderes denken. "Badland" war die letzten zwei Jahre sehr anstrengend.

Ricore: Sie haben auch als Autor und Produzent bei "Badland" mitgewirkt...

Lucente: Die positiven Dinge beim Schreiben und der Regie sind zahlreich. Es ist zwar anstrengender, dafür hast du mehr Blickwinkel auf deinen Film und kannst ihn selbst beeinflussen. Ich würde nie ein Drehbuch eines anderen verfilmen. Wenn ich alles selbst mache, funktioniert das besser.

Ricore: Sie schrieben das Drehbuch für die Romcom also auch selbst?

Lucente: Ja.

Ricore: Um was geht es dabei?

Lucente: Es gibt einige Ideen. Ich habe mich aber noch nicht festgelegt. Es wird hoffentlich romantisch und lustig.
erschienen am 3. Mai 2008
Zum Thema
Der in Kanada geborene Francesco Lucente startete bereits mit 16 Jahren seine Regie-Karriere mit dem Geisterkurzfilm "This Old Man". Der Mann mit italienischen Vorfahren lehnt es ab, fremde Drehbücher zu verfilmen. So ist er bei seinen Projekten stets in einer Dreifachrolle als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent tätig.
Badland (Kinofilm)
Im Zentrum der Handlung steht der Mord von Ex-Soldat Jerry (Jamie Draven) an seiner hochschwangeren Frau und seinen zwei Söhnen. Regisseur Francesco Lucente beschäftigt sich jedoch nicht mit der Schuldfrage, sondern damit, wie es zu der Schreckenstat kam. Inspirieren ließ er sich von zahlreichen Selbstmorden und Amokläufen ehemaliger US-Soldaten, die sich kurz nach Beginn des Irakkrieges häuften.
2024