Jean-François Martin/Ricore Text
Angelina Jolie
Clint Eastwood braucht die Palme nicht
Interview: Mutterrolle für Angelina Jolie
Clint Eastwoods Entführungsdrama "The Changeling" läuft im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes 2008. Dass ein Hollywood-Streifen die Goldene Palme gewinnt, gilt aber als unwahrscheinlich. Eastwood kümmert das kaum. Er interessiert sich viel mehr für die Reaktionen des Publikums. Von den geladenen Journalisten gab es viel Applaus und Zuspruch. Ein besonderes Lob galt Angelina Jolie, die nach "Kung Fu Panda" bereits ihren zweiten Film in Cannes vorstellt.
erschienen am 21. 05. 2008
Filmreporter.de: Sie waren 2007 mit Ihrem Film "Ein mutiger Weg" in Cannes. Auch dieser Film basiert auf einer wahren Geschichte.

Angelina Jolie: Ich las das Skript und bekam es nicht mehr aus meinem Kopf. Für eine Mutter ist das eine ganz besondere Geschichte. Christine lebt zu einer Zeit, in der Frauen noch nicht das Recht hatten, sich öffentlich zu äußern, wie Mariane es in "Ein mutiger Weg" tut. Ich fand es also besonders spannend, eine starke Frau in den 1920er Jahren zu spielen. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als ein Kind zu verlieren.

Filmreporter.de: Wie weit konnten Sie ihre persönlichen Erfahrungen als Mutter in die Rolle einbringen?

Jolie: Natürlich spielt es eine große Rolle, dass ich mir als Mutter sehr gut vorstellen kann, was es bedeutet, wenn das eigene Kind plötzlich verschwindet. Aber für den Film musste ich etwas anderes verarbeiten. Ich verlor meine eigene Mutter einige Wochen vor Drehstart. Mich erinnerte diese Rolle sehr an sie. Sie war sehr leidenschaftlich und sehr fürsorglich. Wenn es um ihre Kinder ging, wurde sie zu einer Löwin. Aber als Frau war sie sehr zurückhaltend.

Filmreporter.de: Am Donnerstag wird in Cannes Ihr Film "Dirty Harry" in der Retrospektive erneut aufgeführt. Wie hat sich die Darstellung von Polizisten in Ihren Filmen seit der Erstaufführung verändert?

Clint Eastwood: Das ist 38 Jahre her. Zu dieser Zeit war das ein ziemliches Abenteuer. In dieser Zeit befassten sich nicht allzu viele Filme mit den Opfern von Gewaltverbrechen. Deshalb erzeugte der Film schon damals viel Aufmerksamkeit. Manche hielten das für einen politischen Film. Ich weiß nicht, ob er das war oder ob jemand beabsichtigte, einen solchen zu drehen.
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Clint Eastwood
Filmreporter.de: Es wurde darüber gesprochen, es werde eine Fortsetzung von "Dirty Harry" geben. Stimmt das?

Eastwood: Das Gerücht ist unwahr. Ich habe wirklich nicht vor, bei einer Fortsetzung mitzuspielen.

Filmreporter.de: Haben Sie bei den Dreharbeiten auch an "Erin Brockovich - Eine wahre Geschichte" gedacht. Darin geht es ja auch um eine gewöhnliche Frau, die sich gegen die Behörden zur Wehr setzt.

Eastwood: Ich gehöre zu den wenigen, die "Erin Brockovich" nicht gesehen haben. Ich kenne natürlich die Geschichte und sehe die Parallelen. Aber ich kann mich dazu nicht weiter äußern.

Filmreporter.de: Sie haben erneut einen Film vorgelegt, der die Autorität in Frage stellt. War das Ihre Absicht?

Eastwood: Natürlich interessiert man sich für eine Geschichte in erster Linie, weil sie spannend ist. Konflikte sind die Voraussetzung dafür. Eine Story wie diese, die einen starken Konflikt hat, interessiert mich daher besonders. Niemand erzählt eine Geschichte, in der alles gut geht.
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Clint Eastwood
Filmreporter.de: Wie war die Arbeit mit Clint Eastwood?

Jolie: Es war wunderbar. Am ersten Tag war ich sehr nervös. Er ist fantastisch. Nicht nur als Regisseur, der das Beste aus dieser Geschichte herausholt. Sondern auch, weil er jedes Mitglied der Crew respektiert und Zeit für jeden hat. So tun alle ihr Bestes. Ich habe nie einen Regisseur gesehen, der so respektvoll mit seiner Crew umging. Er ist so fürsorglich und hat uns näher zueinander gebracht. Es war eine Freude mit ihm zu arbeiten und ich bin sicher, jedes Crewmitglied wird mir da zustimmen.

Filmreporter.de: Welche Rolle spielt die Wahrheit in Ihren Filmen?

Eastwood: Die Wahrheit ist eine unserer höchsten Werte. Die Wahrheit zu erzählen ist eine der vornehmsten Aufgaben eines Schauspielers. Ja, ich halte das für die größte Herausforderung für uns alle.

Filmreporter.de: Viele Hollywoodregisseure kommen nach Cannes, nehmen aber nicht am Wettbewerb teil. Warum tun Sie das?

Eastwood: Wenn man zu einem Festival kommt, steht man im Wettbewerb mit anderen Filmen. Ob man nun in den offiziellen Kategorien antritt oder nicht. Ob man hier ausgezeichnet wird oder nicht, ist nicht wichtig. Worauf es ankommt, ist, den Film vorzustellen und die Reaktionen entgegenzunehmen. Ich selbst war schon Jury-Präsident. Ich weiß, dass da immer eine Menge Leute sind, die ganz unterschiedliche Vorstellungen und Vorlieben haben. Als ich den Vorsitz hatte, gewann ein Film, den ich nicht für den Besten hielt. Es geht nur darum, ein Teil dieses Festivals zu sein. Ich glaube nicht, dass außerhalb des Wettbewerbs zu sein, bedeutet, dass der Film nicht kritisiert wird. Ich will nicht, dass meine Filme wie etwas Besonderes behandelt werden. Sie müssen sich stellen. Sehr viele gute Filme haben diesen Preis bereits gewonnen. Und auch einige schlechtere. Das ist nicht anders als bei den Oscars.
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Clint Eastwood und Angelina Jolie scherzen mit den Fotografen
Filmreporter.de: Am Anfang des Films blenden Sie ein altes Logo der Universal-Studios ein. Was hat das zu bedeuten?

Eastwood: Wir haben das Universal-Logo von 1928 benutzt, weil der Film in diesem Jahr spielt. Ich arbeite mit diesen Studios seit 54 Jahren zusammen.

Filmreporter.de: Wenn Christine heute vor Gericht ginge, um ihr Recht zu erlangen, würde sie gewinnen?

Eastwood: Ich glaube, sie bekäme ihr Recht.

Jolie: Ich glaube das auch. Natürlich handelt der Film von der Polizei von L.A.. Aber wir sollten die Geschichte etwas allgemeiner betrachten. Es geht darum, dass Menschen ihre Grundrechte genommen und dass sie sich dagegen zur Wehr setzen. Das alles geschieht heute auch. Die Handlung des Films ist symbolisch.

Filmreporter.de: In der Anfangsszene stellt die Mutter das Radio an und die Musik beginnt sofort zu spielen. Die Radios in dieser Zeit brauchten aber einige Zeit…

Eastwood: Ich selbst habe es noch erlebt, dass man minutenlang warten musste, bis ein Ton aus dem Radio kam. Aber ich wollte mein Publikum nicht zu Tode langweilen. Wir müssen uns also auf unsere künstlerische Freiheit berufen.
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Angelina Jolie beim Photocall zu "The Changeling"
Filmreporter.de: Was braucht man, um ein guter Regisseur zu werden?

Eastwood: Man muss einfach dranbleiben. Wenn einem jemand die Tür vor der Nase zuschlägt, muss man es eben woanders versuchen. Man muss weiter an sich arbeiten, bis man eine gute Geschichte geschrieben hat oder auf eine gestoßen ist. Wenn man daran glaubt, wird man auch jemanden finden, der sie produziert.

Filmreporter.de: Im Film wird die Korruption der Polizei durch die Öffentlichkeit überwunden. Würde das heute auch gelingen?

Eastwood: Ich denke schon. Aber es braucht jemanden, der sie dazu aufruft. Auch heute gibt es Korruption. In diesem Fall war es die Stimme einer Frau, die Veränderungen bewirkt. Das könnte auch heute geschehen und es ist seither schon oft vorgekommen.

Filmreporter.de: Ihr Film ist wirklich gut. Normalerweise geht der Preis hier in Cannes aber nicht an große Hollywood-Filme. Stört Sie das?

Jolie: Ich glaube es ist besser, wenn der Preis an Filmemacher geht, die noch nicht so bekannt sind und auf ihn angewiesen sind, um ihre Karriere voranzubringen. Ich finde das legitim. Wir sind hier, um den Film vorzustellen. Es geht nicht so sehr darum, einen Preis mitzunehmen. Es ist einfach herrlich, hier zu sein und wir sind sehr stolz darauf.
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Angelina Jolie sexy wie immer
Filmreporter.de: In vielen Ihrer Filme geht es um das Verhältnis von Kindern zu Ihren Eltern. Warum interessieren Sie sich dafür?

Eastwood: Im Drehbuch sagt Christine, ihr Sohn bedeute ihr alles. Ihr wird also das Wichtigste in ihrem Leben genommen. Das hätte auch etwas anderes sein können.

Filmreporter.de: Wie sehr orientiert sich der Film am realen Kriminalfall?

Eastwood: Wir sind sehr sorgsam mit dem Material umgegangen. Wir hatten Ausschnitte aus der Los Angeles Times von 1928 und anderes Archivmaterial. Ein großer Teil der Szenen hat sich ziemlich genau so abgespielt.

Filmreporter.de: Warum spielen Sie nicht selbst im Film mit?

Eastwood: Der Grund, warum ich nicht mitspiele, ist ganz einfach: Ich bin zu jung, um einen der Jungs zu spielen. Es gab keine Rolle für mich. Ich arbeite in letzter Zeit mehr hinter der Kamera als davor.

Filmreporter.de: Zeigt dieses Drama auch die Stärke der Demokratie und die Möglichkeit jedes Einzelnen politisch aktiv zu werden?

Eastwood: Ich glaube, dass die Demokratie zu Gerechtigkeit führt. In einer Gesellschaft, wo es den Menschen verboten ist, ihre Meinung zu äußern, gelingt das nicht. Ein wenig ist das auch im Film der Fall. Eine Frau kann zu dieser Zeit ihre Meinung nur schwer öffentlich äußern.

Jolie: Ich sehe das genauso. Es geht um Gerechtigkeit. Es war unglaublich, das Drehbuch zu lesen und daran erinnert zu werden, dass alles wirklich geschehen ist. Es ist ermutigend, von jemandem zu lesen, der gegen Korruption vorging und dabei das Recht in Anspruch nahm, vor Gericht zu ziehen und notfalls Gesetze zu ändern.

Filmreporter.de: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 21. Mai 2008
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2024