Jean-François Martin/Ricore Text
Emir Kusturica und Diego Armando Maradona (Cannes 2008)
Fußballlegende freut sich des Lebens
Interview: Emir Kusturica liebt Maradona
Emir Kusturica hat eine Dokumentation über Fußball-König Diego Armando Maradona geschaffen. Das Werk wurde in Cannes außerhalb des Wettbewerbs gezeigt. Die Lebensgeschichte der argentinischen Fußballlegende beinhaltet eine steile Karriere auf dem Sportplatz, besteht aber auch aus Drogenexzessen und wilden Frauengeschichten. Kusturica und Maradona beschreiben im Interview die bei den Dreharbeiten zu "Maradona" entstandene Freundschaft.
erschienen am 23. 05. 2008
Jean-François Martin/Ricore Text
Kusturica und Maradona bringen bringen den Fußball nach Cannes
Ricore: Was macht Sie zu Freunden? Was ist die Gemeinsamkeit des Balkanbewohners und dem Latino?

Diego Maradona: Da gibt es viele Ähnlichkeiten. Es geht um die Vision der Freiheit, darum das Leben auf Festivals und dem Karneval zu feiern. Es gibt zwei Parameter. Der eine ist, wie viel Geld wir internationalen Geldinstituten schulden und der andere, wie sehr wir unser Leben genießen.

Ricore: Mike Tyson hat über seine Dokumentation gesprochen. Haben Sie den Film gesehen? Und haben Sie ihn hier getroffen?

Maradona: Nein, ich habe ihn noch nicht gesehen. Vielleicht gibt es da Ähnlichkeiten. Aber ich bin Fußballspieler, er ist Boxer. Er lebt im Leiden und ich im Vergnügen. Ich denke nicht, dass wir soviel gemeinsam haben. Wir haben uns noch nicht getroffen, um über unsere Leben zu sprechen. Falls man ein besseres Leben haben kann - umso besser für einen selbst. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben. Natürlich gibt es Dinge die man nicht tun sollte. Aber hier bin ich, hier sind Sie. Ich habe auch meine zwei Töchter mitgebracht.
Jean-François Martin/Ricore Text
Emir Kusturica (Cannes 2008)
Ricore: Warum geht es in der Dokumentation so viel um politischer Themen? George W. Bush, Fidel Castro, Hugo Chavez, Evo Morales... War es schwierig für Sie, über die Drogen zu sprechen?

Maradona: Der politische Aspekt? Natürlich rede ich über Politik. Es scheint als könnte - oder besser dürfte - eine Berühmtheit nicht mehr über Politik, etwa über Bush reden. Aber auch als bekannter Fußballstar sollte man frei seine Meinung über Politiker äußern können. Auch über Bush, der ein Mörder ist. Deshalb haben wir auch den Film gemacht. Und wir präsentieren Bush so, wie wir ihn selbst sehen. Wir behaupten nicht, Lösungen zu haben. Viele Persönlichkeiten oder Politiker kritisieren ihn ohne Erfolg. Alles was ich mit dem Film sagen will ist, dass ich eine Meinung habe. Und dass ich das Recht habe, diese Meinung auch zu vertreten. Die argentinische Bevölkerung erwartet auch eine politische Meinung. Genau wie Emir manchmal in seinen Filmen seine Meinung über seine Landsleute kundtut. Wir sind nicht dazu verpflichtet, so zu denken wie die Amerikaner. Wir alle haben das Recht zu denken, uns mitzuteilen und auszudrücken. Wir haben das Recht auf unsere Freiheit. Zu Ihrer zweiten Frage bezüglich der Drogen: Nein, es war nicht schwierig für mich über Drogen zu sprechen. Es ist gut, dass ich überlebt habe - um überhaupt darüber sprechen zu können. Ich bin hier, ich kann darüber sprechen, ich kann jeden Tag aufstehen, ich kann mit meinen Töchtern sprechen. Ich kann mein Leben mit Fußball leben oder anders. Ich lebe das Leben auf andere Art. Ich lebe nicht mehr mit 100 Meilen pro Stunde, so wie ich es vorher gemacht habe. Ich genieße jeden Moment des Lebens, vor allem mit meinen Töchtern.
Jean-François Martin/Ricore Text
Diego Armando Maradona (Cannes 2008)
Ricore: Maradona, wie viele Frauen haben Sie in Ihrem Leben, im Laufe Ihrer Karriere geküsst? An Emir: Ich denke, dass Sie uns mit dem Film Ihre politische Einstellung kundtun wollen. Liege ich richtig mit der Vermutung?

Maradona: Wie viele Frauen ich geküsst habe? Viele, viele ,viele. Meine Mutter, meine Schwestern, meine Töchter. Es gibt viele Frauen in meinem Leben. Ich habe fünf Schwestern, ich habe zwei Töchter und ich war verheiratet. Ich habe jetzt wieder eine Verlobte. Natürlich habe ich viele Frauen in meinem Leben geküsst, inklusive meiner Großmutter. Sie war die wundervollste Frau in meinem Leben. Über Frauen kann ich mich nicht beschweren.

Emir Kusturica: Ich komme aus einem der 24 Länder, dass nach 1954 von Amerika mit Bomben beworfen wurde, Serbien. Wenn du sagst "Werft keine Bomben auf unser Land", dann bist du ein Nationalist. Dieser Film ist mehr als meine politische Einstellung. Es zeigt die gemeinsame Einsicht der dritten Welt Länder. Als ich mich mit der politischen Einstellung Diegos in dem Film identifiziert habe, habe ich den gemeinsamen Sinn entdeckt. Meine eigenen politischen Statements sind stärker, sie sind unausgesprochen. Es war sehr heilend für mich, mit Diego den Film zu machen - mit seiner Sicht der Dinge und seiner Resistenz. Es war - wie einen guten Freund zu finden. Ich weiß, nicht ob ich so einen vorher hatte.
Kinowelt Home Entertainment
Maradona by Kusturica
Ricore: Sie gehen noch weiter. Am Anfang des Films stellen Sie Maradona als jemanden vor, der zu jedem ihrer Filme hätte gehören können. Maradona begibt sich zu Ihnen auf die Bühne und singt sich die Seele aus dem Leib. Ihr seid beide Rock and Roll-Stars!

Kusturica: Es ist mehr philosophisch. Wir stehen in einem Leben, in dem Chaos der größere Teil der Energie ist. Wenn der Arzt feststellt, dass du verrückt wird, ist das erste, das du verlierst, das Unterbewusstsein. Wir zwei sind typisch für die heutige Zeit. Inmitten der vernünftigen- Marktwirtschaftlichen Typen. Wir sind wie im antiken Zeitalter, in dem dionyschische Feiern die Aspekte der Menschlichkeit mobilisierten. Inklusive Chaos, das deine psychologische Stabilität garantiert. Ich bin sehr froh, dass Maradona es geschafft hat, aus der Drogenszene auszusteigen. Als ich ihn jetzt gesehen habe und den Vergleich zum ersten Zusammentreffen zog, wusste ich, die Basis dieses Menschen ist ein starkes Unterbewusstsein. Danke, dass wir irrational sind und dass wir leben.

Maradona: Es gibt viele Bücher über mich. Ich bin als teuflisch beschrieben worden, als böse, die Leute haben sehr viele schlechte Dinge über mich gesagt. Emir war der einzige, der bis zu meinem Herz durchgedrungen ist. Er fragte mich, was ich durchgemacht habe in meinem Leben. Nicht nur die guten Dinge, sondern auch die schlechten. Wir haben in dem Film unsere Herzen füreinander geöffnet. Und wir haben Vorteile aus der Freiheit gezogen, die wir haben - und die wir ausleben.
erschienen am 23. Mai 2008
Zum Thema
Emir Kusturica (Spitzname: Kusta) gehört zu Europas bedeutendsten Filmregisseuren. Gerade 34-jährig wurde er mit dem Roberto Rossellini-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet und seine Filme "Papa ist auf Dienstreise" (1985) und "Underground" (1995) erhielten bei den Filmfespielen in Cannes die goldene Palme. Kusturica ist dabei normal geblieben. Zu Interviews erscheint er gerne in löchrigen T-Shirts und mit seinem Sohn spielt er in der Rockband "No Smoking". Doch wenn es um Politik geht,..
2024