Senator Film Verleih
Sönke Wortmann, Regisseur des Wunder von Bern
Sönke Wortmann's Wunder von Bern
Interview: David gegen Goliath auf dem Fußballplatz
In den 90er Jahren sorgte Sönke Wortmann mit Komödien wie "Kleine Haie" und "Der bewegte Mann" für eine neue Leichtigkeit im deutschen Kino. Kein Wunder, dass er bald als Hoffnung des deutschen Films galt und als "Feinmechaniker der Komödie" bezeichnet wurde. Mit der Verfilmung des Wunders von Bern hat sich der Regisseur einen langgehegten Traum erfüllt. Das Heldenepos erzählt vom unerwarteten Weltmeisterschaftssieg der deutschen Fußballnationalmannschaft 1954 in Bern, befasst sich aber auch mit der Gefühlslage im Nachkriegsdeutschland. Die Fußballszenen wurden mit einem für deutsche Filme ungewöhnlichen Aufwand nachgespielt und digital in das virtuelle Wankdorfstadion zu Bern eingebettet. Im Interview erzählt Sönke Wortmann von seiner Begeisterung für dieses historische Ereignis und von seiner eigenen Fußballerfahrung.
erschienen am 18. 10. 2003
Senator Film Verleih
Sönke Wortmann, Regisseur des Wunder von Bern
Ricore: Woher kam denn bei Ihnen die Faszination mit dem Wunder von Bern? Es ist ja im Gegensatz zum Mauerfall ein Ereignis, das Sie nicht selbst miterlebt haben.

Wortmann: Ich habe ja selbst früher Fußball gespielt und konnte irgendwann ermessen, was Das Wunder von Bern bedeutet und was es für ein Gefühl gewesen ist, das mitzuerleben. Es ist ja auch deswegen so besonders, weil dort David gegen Goliath gespielt hat: Ungarn war fast fünf Jahre ungeschlagen. Deutschland war der absolute Außenseiter und hatte in der Vorrunde 3:8 gegen Ungarn verloren. Nach sieben Minuten steht es im Endspiel schon 0:2 gegen Deutschland. Das sind doch alles Dinge, die man gar nicht besser erfinden kann. Einem Hollywood-Drehbuchautor hätte ich das Buch vielleicht zurückgeschickt und gesagt: "Das ist ein bisschen dick aufgetragen!" Aber es hat sich tatsächlich so zugetragen. Bei diesem Ereignis muss man auch gar nicht dabei gewesen sein. Es wird seine Faszination immer behalten - wie auch vieles andere in der Vergangenheit. Beim Untergang der Titanic war ich auch nicht dabei, aber es hat sich in unser kollektives Gedächtnis eingegraben.

Ricore: Um das Berner Wankdorfstadion für den Film wieder aufleben zu lassen, haben Sie Spezialeffekte benutzt, die fast schon an "Gladiator" erinnern. Wussten Sie, worauf Sie Sich da einließen?

Wortmann: Das wusste ich nicht wirklich. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass das Resultat so gut wird. Wenn man ganz genau hinguckt, sieht man natürlich, dass sie nicht im Wankdorfstadion spielen. Das weiß man auch. Aber bei "Gladiator" erkennt man die Effekte ja auch. Die künstlichen Tiger fand ich darin nicht besonders gut, und trotzdem hat der Film einen Oscar für die besten Spezialeffekte gewonnen. Da darf man nicht so streng sein. "Das Wunder von Bern" ist auch kein Special-Effects-Film, sondern eher das Gegenteil davon. Wir haben mit den Fußballszenen, die hinterher digital bearbeitet wurden, angefangen. Als wir kurz vor Drehbeginn in unserem überdimensional großem Stadion mit den grünen Wänden waren, wurde mir und meinem Kameramann klar, dass wir uns auf eine große Aufgabe eingelassen hatten. Ich habe mich dann schon erschrocken. Wir haben noch mal kurz innegehalten und uns gesagt: Das wird harte Arbeit.

Ricore: Wie lange haben Sie gebraucht, um die nachgespielten Fußballszenen des Endspiels zu choreographieren?

Wortmann: Nur die fünf Tore, die man kennt, sind nachgespielt, der Rest nicht. Ich hatte einen Co-Trainer, der auch im wirklichen Leben Trainer ist. Wir haben das einen Nachmittag lang geübt, und spätestens beim fünften Versuch klappte das dann mit allen Beteiligten. Die waren ja Fußballer. Die Zuschauer sind Fußball gegenüber so kritisch. Jeder erkennt, ob einer das kann oder nicht. Da kann man kein Risiko eingehen. Das waren alles richtig gute, höherklassig spielende Leute.

Ricore: Sie haben ja selbst mal höherklassig gespielt.

Wortmann: Ja, das war in der Oberliga Westfalen. Ich bin einmal mit der Spielvereinigung Erkenschwick von der dritten in die zweite Liga aufgestiegen. Mittlerweile sind die in der fünften Liga, aber das ist halt der Lauf der Dinge.

Ricore: Was bedeutet Fußball denn heute noch für Sie?

Wortmann: Ich gucke es gern und verfolge das, aber auch nicht mehr. Ich bin auch kein Fan eines Vereins. Es hat für mich keine tiefere Bedeutung, und ich denke nicht über Selbstmord nach, wenn Bayer Leverkusen absteigt.
Szene aus: Das Wunder von Bern
Ricore: Wären Sie manchmal nicht doch lieber Fußballer geworden?

Wortmann: Nein. Ich finde es wesentlich besser, Regisseur zu sein. Ich bin jetzt 43, und meine Fußballerkarriere wäre schon seit zehn Jahren zu Ende. So bin ich noch mitten im Saft und kann vielleicht noch mit 70 arbeiten.

Ricore: Haben Sie bei der Entwicklung eines Films schon das Publikum im Kopf? Oder haben Sie eine Idee und machen das so, wie es Ihnen gefällt?

Wortmann: Ich mache es schon so, wie es mir gefällt, habe aber gleichzeitig ein Publikum im Kopf. Es kommt auf den Ansatz an, den man hat. Ich war immer jemand, der behauptet hat, man muss Filme auch für das Publikum machen. Ich sehe mich weniger als Autorenfilmer oder Kunstfilmer, sondern eher als Unterhaltungsfilmer - und da hat man automatisch ein Publikum im Kopf. Zunächst mal muss es mich interessieren, was schwierig genug ist. Dann muss ich mir noch vorstellen können, dass es auch ein Publikum interessiert - und da wird die Auswahl an Stoffen relativ klein.

Ricore: Sie sagen, Sie sehen sich als Unterhalter und nicht als Kunstfilmer - sehen Sie sich denn als einen Künstler?

Wortmann: Eigentlich nicht, nein. Ich habe immer gesagt, ich bin Film-Handwerker. Gerade Komödie hat viel mit Handwerk zu tun - es stand mal in der Zeitung, ich sei der Feinmechaniker der Komödie. Das habe ich als gutes Kompliment empfunden. Aber natürlich ist beim Film auch ein bisschen Kunst dabei. Karl Valentin hat gesagt: Kunst kommt von Können.
Senator Film Verleih
Sönke Wortmann, Regisseur des Wunder von Bern
Ricore: Hatten Sie mal überlegt, "Das Wunder von Bern" pünktlich zum fünfzigjährigen Jubiläum im Juli 2004 zu starten?

Wortmann: Das wäre möglich gewesen, aber man sollte im Sommer keinen Film starten, weil dann keiner ins Kino geht. Da wären wir ja blöd, wenn wir mitten im Juli den Film starten würden. Es ist auch ganz gut, dass dieses Jahr ein fußballfreies Jahr ist, ohne WM oder Europameisterschaft. Ich glaube, das ist besser für den Film.

Ricore: Trägt "Das Wunder von Bern" autobiografische Züge?

Wortmann: Jein. Ich komme aus der gleichen Gegend und bin in einer ähnlichen Straße aufgewachsen. Dieser Familienbezug ist meinem relativ ähnlich, aber es gibt keine wirklichen Berührungspunkte. Es ist einfach ein Milieu, das ich gut kenne und deswegen ganz gut schildern kann.

Ricore: Der Film hat ja ein großes Budget. Können Sie Sich eigentlich noch vorstellen, auch wieder kleinere Filme zu drehen, oder gewöhnt man sich an solche Verhältnisse?

Wortmann: Ich kann auch wieder kleiner. Das hat ja auch große Vorteile, wenn man im kleineren Rahmen arbeitet. Aber hier ging das halt nicht. Man braucht 22 Leute in Trikots, alte Autos und Kostüme. Man kann es nur so machen. Das kostet viel Geld. Man kann nur froh sein, wenn man nicht überzieht, wenn das Wetter mitspielt. Teuer genug war das alle mal. Es war ja auch recht risikoreich für den Produzenten - also für mich.

Ricore: Was ist außer den Fußballszenen alles am Computer nachbearbeitet?

Wortmann: Es sind insgesamt 120 Einstellungen. Da haben zwölf Leute über sieben Monate den ganzen Tag dran gesessen.
Szene aus: Das Wunder von Bern
Ricore: Wie haben Sie denn recherchiert, was damals in der Mannschaftskabine vor sich gegangen ist. Spielt da auch viel Fantasie mit?

Wortmann: Nein, das ist alles sehr authentisch. Es gibt ja Zeitzeugen wie Horst Eckel, die uns erzählt haben, was in der Kabine zuging: Wie der Herberger war und was er so gesagt hat.

Ricore: Gilt das auch für die Erklärungen, wie solch historische Sprüche wie "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel" entstanden sind?

Wortmann: Die Zitate sind natürlich von Herberger, aber die Putzfrau, die ihm im Film sozusagen die Steilvorlage dazu liefert, haben wir erfunden. Das macht natürlich Spaß, so etwas zu behaupten - und es sorgt auch immer für einige Lacher.

Ricore: Der Film, und insbesondere der Showdown, wenn die Spieler zur Fanfare ins Wankdorfstadion einlaufen, erinnert sehr an amerikanische Sportdramen.

Wortmann: Klar. Ein Heldenepos braucht Helden. Da macht sich schließlich der Außenseiter auf den Weg, den Goliath zu schlagen. Ich liebe natürlich amerikanisches Kino. Zur Zeit nicht so sehr, aber im Prinzip schon. Ich finde, man musste das so inszenieren. Das will man als Kinozuschauer auch so sehen - also ich zumindest.

Ricore: Typisch deutsch ist das nicht.

Wortmann: Nein, das stimmt, aber das muss man sich trauen. Es ist allerdings auch nicht so eine große Mutprobe - es ist doch so naheliegend. Endlich haben wir mal einen Stoff, wo man das machen kann. Deutsche Filme sind ja meistens eher kleiner und kammerspielartig. Wenn man schon mal eine Legion hat, die losmarschiert, dann kriegt die natürlich auch Fanfaren mit auf den Weg.

Ricore: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel - ist bei Ihnen nach dem Film auch vor dem Film?

Wortmann: "Das Wunder von Bern" war sehr anstrengend, aufreibend und mental fordernd. Ich bin momentan gar nicht in der Lage, über ein neues Projekt nachzudenken. Das wird also eine Weile dauern.
erschienen am 18. Oktober 2003
Zum Thema
Fußball gehört zu Sönke Wortmanns großen Leidenschaften. Als Junge träumte er davon, Profispieler zu werden. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 begleitet er die deutsche Nationalmannschaft bei ihrem Kampf um den Titel. Das Ergebnis ist die Doku "Deutschland. Ein Sommermärchen". Als seinen besten Film bezeichnet er selbst jedoch "Das Wunder von Bern", der sich ebenfalls um Fußball dreht.Die Päpstin", ein Film über die Legende um Papst Johannes Anglicus, der eine Frau gewesen sein soll. Mit..
Das deutsche Wirtschaftswunder begann mit dem Wunder von Bern. Es ist eine gewagte These, die Sönke Wortmann in seinem gleichnamigen Kinofilm aufstellt - und eine, die wohl für alle unglaublich scheint, die diese Zeit nicht miterlebt haben. Das dürften etwa 90 Prozent der aktiven Kinogänger sein. Was auf den ersten Blick nicht wirklich auf einen Publikumsmagneten hindeutet. Dennoch: Das Gefühl des "Wir sind wieder wer", das Wortmann als verantwortlich für das Wirtschaftswachstum dieser Zeit..
2024