Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Neele Leana Vollmar
"Mit Kindern zu drehen ist anstrengend"
Interview: Spring' aus dem Fenster
Mit der Komödie "Friedliche Zeiten" bringt Neele Vollmar ihren zweiten Spielfilm in die Kinos. Die lustig-melancholische Geschichte spielt Ende der 1960er Jahre. Vor Jahren ist Familie Striesow aus der DDR in den Westen geflohen, aber nicht alle Familienmitglieder kamen dort an. Filmreporter.de traf sich mit der jungen Regisseurin und sprach mit ihr über traumatische Erlebnisse und den schmalen Grad zwischen Mitgefühl und Genervtheit.
erschienen am 21. 06. 2008
Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Neele Leana Vollmar mit Nina Monka, Tamino Wecker, Leonie Brill
Filmreporter.de: Schon in "Urlaub vom Leben" und "Meine Eltern" stand die Familie im Mittelpunkt der Geschichte. Was fasziniert Sie so an diesem Thema?

Neele Leana Vollmar: Damit kann sich jeder identifizieren, jeder kennt das und es beschäftigt jeden. Das macht den Reiz an der Sache aus. Aus dem Bereich kann man noch so viel herausholen, das ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Filmreporter.de: Beschäftigen Sie sich in Ihrem nächsten Film wieder mit dem Thema?

Vollmar: Der nächste Film ist eine Romanadaption von Jan Weilers "Maria, ihm schmeckt's nicht". Ich werde ihn diesen Sommer drehen. Die Geschichte hat sehr viel mit Kulturen und Fremdsein zu tun, aber natürlich auch wieder mit Familienstrukturen. Es ist eine autobiographische Geschichte von Jan Weiler, der mit der Tochter eines Italieners verheiratet ist. Es geht darum, wie die Deutschen mit den Italienern zusammen kommen. Ein Kulturerlebnis also. Das Paar fährt nach Italien, um dort zu heiraten. Der Schweigervater macht dem Bräutigam das Leben zur Hölle. Dieser stößt dann schnell an seine Grenzen. Man merkt sehr gut, wie unterschiedlich die Kulturen doch sind. Da muss jeder lernen, über seinen Tellerrand hinaus zu schauen.

Filmreporter.de: Warum ist die Geschichte von "Friedliche Zeiten" in den 1960er Jahren angesiedelt?

Vollmar: Man hätte sie auch in einer anderen Zeit ansiedeln können, aber wir haben uns an die Romanvorlage von Birgit Vanderbeke gehalten. Die Erzählung spielt in den 60er Jahren. Es ist eine Zeit, in der viel passiert ist.
Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Neele Leana Vollmar mit der Produzentin Caroline Daube
Filmreporter.de: Es haben sich schon einige deutsche Komödien mit der DDR befasst, in denen das Regime aber viel mehr im Vordergrund stand. Jetzt rücken immer mehr die zwischenmenschlichen Beziehungen in den Mittelpunkt. Wieso wird mit dem Thema jetzt anders umgegangen?

Vollmar: Wir wollten keinen Film über die DDR und die Unterschiede zur BRD machen. Uns ging es um die zwischenmenschlichen Beziehungen und Problematiken. Das hat uns an der Geschichte gereizt,. Auch, dass sich Kinder für ihre Eltern verantwortlich fühlen. Das war schon bei "Meine Eltern" ein Thema, und bei "Friedliche Zeiten" ist es wieder so. Es findet ein Rollenwechsel statt, nach dem die Kinder das Ruder in die Hand nehmen und sich für die Eltern verantwortlich fühlen. Das war es, was uns an der Geschichte gereizt hat. Man darf natürlich nicht vergessen, dass sich viele in der DDR wohl gefühlt haben, für die bedeutete das System Sicherheit. Die Figur Irene hat auch unglaublich Heimweh. Die sitzt im Westen und denkt: "Oh Gott, oh Gott, ich will wieder zurück!" Ihr fehlt die Sicherheit von früher, in der Fremde ist sie orientierungslos. Das ist eine andere Sichtweise, zu zeigen, dass es auch Leute mit Heimweh gab, weil es in der DDR auch Gutes gab.

Filmreporter.de: Wieso kann sich Irene nicht in ihrer neuen Heimat einleben?

Vollmar: Sie hat Angst vor etwas Neuem, und sie hat nicht die Stärke und das Selbstbewusstsein von Dieter, der neugierig ist und die Welt erobern möchte. Irene will alle in der Wohnung halten, macht gleich die Kette vor, und hat einen extremen Kontrollwahn. Sie hat aber auch schlimme Dinge erlebt und ist depressiv.
Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Hauptdarsteller Oliver Stokowski
Filmreporter.de: Ist das Trauma Schuld an der schwierigen Beziehung zwischen Irene und Dieter oder sind die beiden einfach zu unterschiedlich?

Vollmar: Hier kommt wieder die Familie ins Spiel. Irene hat keinen Man an ihrer Seite hat, der sie stärkt. Sie hat die ganze Zeit Angst, dass ihr Mann sie betrügt. Sie ist panisch, und bei jeder Frau die grüßt, denkt sie gleich: "Oh Gott, das ist wieder eine Geliebte". Das Schöne ist, dass sie Recht hat, dass ihr Verdacht bestätigt wird. In dem Moment, in dem Dieter ihr sagt: "Du hast Recht, es hat eine andere Frau gegeben", ist ihr erster Gedanke nicht "Oh Gott, wie furchtbar". Sie denkt eher so: "Ich habe Recht gehabt, dieser Wahnsinn hat ein Ende, ich habe endlich eine Bestätigung, dass es so ist, wie ich dachte". Das gibt ihr Selbstbewusstsein und Kraft.

Filmreporter.de: Treibt Irene Dieter in die Affäre, weil sie ihn so wahnsinnig macht?

Vollmar: Sie macht einen ja auch wahnsinnig, sie geht einem total auf die Nerven. Irene hat viele schlimme Sachen erlebt und ist eine sehr anstrengende Frau. Als Irene Dieter fragt: "Was hat denn die andere Frau, was ich nicht habe", sagt er: "Sie hat weniger." Aber weniger bedeutet einfacher. Ihn hat die Leichtigkeit dieser Bürokraft fasziniert, mit der ist es unkomplizierter.

Filmreporter.de: Warum mag man die Irene trotzdem?

Vollmar: Man kann ihre Probleme nachvollziehen. In dem Moment, wo man weiß, was ihr passiert ist und dass sie betrogen wird, steht man auf ihrer Seite. Sie öffnet das Herz, und man merkt, was für eine tolle, weiche und sensible Frau sie ist. Sie hat Kraft und kann sich freuen, wenn es einen Grund gibt. Als sie von dem Hausbau erfährt, spaziert sie singend mit den Kindern durch die Wohnung. Da merkt man, dass sie eigentlich ein harmonie- und liebesbedürftiger Mensch ist, und auch fröhlich sein kann. Diesen Zwiespalt hat Katharina toll hingekriegt. Man muss der Figur die Depression anmerken, aber sie muss den Menschen auch das Herz öffnen, sie darf einem nicht auf die Nerven gehen. Das ist ein schmaler Grat, und das hat sie toll hingekriegt.

Filmreporter.de: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 21. Juni 2008
Zum Thema
Neele Leana Vollmar genießt es, mit Leuten zu arbeiten, die sie bereits kennt. So engagierte sie auch in ihrem zweiten Langspielfilm "Friedliche Zeiten" lauter bekannte Gesichter. Darin arbeitete sie zum ersten Mal mit drei Kindern zusammen. Dieses Erlebnis beglückte sie zwar, war jedoch auch äußerst anstrengend.
Die meisten Kinder wollen, dass ihre Eltern für immer zusammen bleiben. Im Fall der Geschwister Striesow sieht das anders aus. Ständig streiten sich die Eltern über die vorgelegte Türkette und mögliche Affären von Vater Dieter (Oliver Stokowski). Schuld am ewigen Zoff ist die traumatisierte und neurotische Mutter Irene (Katharina Schubert), die sich nach der Flucht aus der DDR nie im Westen eingelebt hat. Von der neu gewonnen Freiheit fühlt sie sich bedroht, stündlich rechnet sie mit dem..
2024