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Julia Jentsch in "Ich habe den englischen König bedient" als Nazifan
Julia Jentsch weiß, was sie will
Interview: "Rollen, die ich toll finde"
In einer weißen, legeren Bluse und blauen Jeans sitzt Julia Jentsch auf der Gartenterrasse des Münchner Hotels. Ihre langen blonden Haare trägt sie offen. Freigiebig erzählt sie, wie sie ausgerechnet die Rolle einer Nazi-Anhängerin in einem tschechischen Film erhielt. In "Ich habe den englischen König bedient" schlüpft sie in die Rolle der Sudetendeutschen Julia. Außerdem verrät sie uns bei einer Tasse Cappuccino, wie sie ihre Rollen aussucht und warum sie nicht 20 Kilo zunehmen wird.
erschienen am 18. 08. 2008
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Julia Jentsch in "Ich habe den englischen König bedient" als Nazifan
Ricore: Dies ist heute schon Ihr neuntes Interview und einen Interview-Tag in Berlin haben Sie schon hinter sich. Ist das nicht anstrengend?

Julia Jentsch: Wenn man einen Film mag und ihn schön findet, dann nimmt man das gerne auf sich.

Ricore: In einem Interview vor Produktionsbeginn meinte Regisseur Jiri Menzel, er würde alle Rollen mit tschechischen Darstellern besetzen…

Jentsch: Ich habe mitbekommen, dass Jiri für die Rolle der Líza, die eine Sudetendeutsche ist, nach einer deutschen Schauspielerin gesucht hat. Es kann aber natürlich sein, dass sich das aufgrund der Sprache geändert hat, da Líza deutschsprachige Passagen hat.

Ricore: Wie sind Sie zu dem Engagement gekommen?

Jentsch: Jiri Menzel hat seinen Produzenten gefragt, wer als Líza in Frage kommen könnte. Dieser war mit einer Dame aus dem Weltvertrieb von "Die fetten Jahre sind vorbei" befreundet. Sie hat gesagt, "Schau dir doch mal die Julia Jentsch an". Sie hatte vorher schon Menzels Drehbuch gelesen und konnte sich die Rolle etwas vorstellen und hat mich eben empfohlen. Aber der Jiri meinte, "Die will ich erst mal treffen und genau anschauen". So bin ich für einen Abend nach Prag gefahren und habe ihn getroffen um zu sehen, ob man miteinander kann. Das Gespräch war sehr gut und so kam unsere Zusammenarbeit zustande.
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Abgeschieden und grausam: Julia Jentsch in "Schneeland"
Ricore: Es gibt eine Szene, in der Lízas zu Adolf Hitlers Gesicht wird. Wie bereitet man sich auf so eine Rolle vor?

Jentsch: Speziell bei dieser Szene war ich nach dem ersten Anschauen des Films sehr geschockt. Ich wusste zwar, dass die Szene so beschrieben ist im Drehbuch, aber während der Dreharbeiten vergisst man das. Diese Verwandlung wurde erst im Nachhinein mit dem Computer eingefügt. Die Wirkung ist schon irre. Letztendlich bereitet man sich auf diese Rolle vor, wie auf jede andere.

Ricore: Hatten Sie Bedenken, eine Frau zu spielen, die Hitler und sein Gedankengut verehrt?

Jentsch: Ich stellte mir die Frage, ob ich Lust habe, eine Person mit einer derartigen Motivation und Ideologie darzustellen. Ich fragte mich, ob ich mich ganz persönlich damit beschäftigen und das spielen möchte. Das habe ich für einen Moment lang überlegt. Aber letztendlich war ich von der gesamten Geschichte und dem Roman überzeugt und begeistert. Bei Líza hatte ich schon gemischte Gefühle, denn wenn sie nur aus nationalsozialistischer Ideologie bestehen würde, hätte ich keine Lust darauf gehabt. Aber in manchen Szenen ist sie mit einer großen Lebensfreude beschrieben, und lustig ist sie dazu. Da ich mich mit so einem Charakter bisher noch nicht beschäftigt habe, fand ich es auch spannend. Auch um herauszufinden, wie es ist, so jemanden zu spielen. Nach dem Treffen mit Jiri Menzel hatte ich auch keine Bedenken mehr, da ich gespürt habe, was er für ein Mensch ist und was für eine Haltung hinter dem Film, hinter dem Thema steht. Als ich dann auch gemerkt habe, wie er Líza sieht, war es für mich völlig klar, dass ich das machen würde.

Ricore: Kannten Sie den Roman von Bohumil Hrabal schon vorher?

Jentsch: Nein, ich habe ihn auf die Dreharbeiten hin gelesen.
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Ich habe den englischen König bedient
Ricore: Wie wählen Sie Rollen aus?

Jentsch: Ganz oft ist es schon so, dass ich mich für Filme oder Rollen entscheide, weil ich es toll finde, was diese Figuren erzählen, was sie für Sätze sagen. Manchmal ist es so, dass ich mir denke, "Diesen einen Satz würde ich gerne mal in einem Film sagen". Es ist zwar ein kleines Detail, aber ich finde ihn gut und würde ihn gerne mal sagen. Bei Líza ist dies ja nicht der Fall, sie sagt keine tollen Sätze. Aber in der Art, wie es überzeichnet wird, hatte es für mich etwas Ungewöhnliches, was ich aus anderen Filmen nicht kenne, zumindest nicht aus deutschen Filmen. Diese spezielle Art des Humors war für mich neu. Manche Szenen sind dermaßen überhöht, dass man einfach lachen muss. Gleichzeitig wird einem aber auch anders, da man den ganzen Irrsinn, den Fanatismus spürt. Für mich bleibt die Realität die ganze Zeit spürbar, dass es beispielsweise diese Zuchtanstalten gab, wo die blonden, blauäugigen Superfrauen mit den superdeutschen Männern schlafen sollen, damit der perfekte Mensch für Europa gezeugt wird. Wenn man das hört, hat es an sich schon etwas Groteskes. Aber letztendlich bleibt es Realität.

Ricore: In "Sophie Scholl - Die letzten Tage" spielen Sie die Widerstandskämpferin. Das ist das andere Extrem zu Líza. Wie ist es bei Ihnen? Gehören Sie zur Mitläuferin oder ziehen Sie Ihre eigenen Sachen durch?

Jentsch: Ich war bisher noch in keiner Situation, wo ich mich der Frage stellen musste, was ich riskiere und was ich bereit bin, dafür zu geben. Privat bin ich nicht politisch aktiv und engagiere mich auch nicht besonders. Bei Filmen, die ich mache, versuche ich vorher herauszufinden, was sie aussagen und ob das etwas ist, womit ich übereinstimme. Aber ein Film muss bei mir nicht unbedingt politisch sein. Vielleicht ändert sich das auch irgendwann. Das ist ja auch ein Prozess. Im Moment steht sehr stark meine Arbeit und das Schauspielen im Vordergrund. Auch weil ich lange die Vorstellung hatte und auch noch habe, dass es als Zuschauer hilft, sich in die Person hinein zu fühlen, wenn man nicht viel über diese Person weiß.

Ricore: Dennoch spielen Sie häufig Frauenrollen, die sehr stark und keine kleine Mäuschen sind. Am Theater genauso wie im Film. Ist es vielleicht so, dass Sie diese Rollen unbewusst anziehen?

Jentsch: Prinzipiell ist es ein reizvolles Thema für Schauspieler und Regisseure, solche Figuren zu kreieren und darzustellen. Es kommt natürlich auch drauf an, was einem angeboten wird. Dann schaut man und fragt sich, ob man das mag oder nicht. Viele Regisseure stellen sich beim Drehbuch dann schon bestimmte Leute vor, von denen sie glauben, sie könnten diese Figur gut verkörpern.
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Sophie Scholl - Die letzten Tage
Ricore: Müssen Sie selbst noch zu Castings gehen?

Jentsch: Das ist unterschiedlich. Manchmal bekommt man etwas angeboten, manchmal ist es nur ein Gespräch. Und ab und zu geht man zu Castings. Ich bin aber eigentlich ein Freund von Castings. Da trifft man auf die anderen Darsteller und man merkt gleich, ob es funktioniert oder nicht. Man erfährt auch viel über den Regisseur. Man erfährt, wie er oder sie arbeitet und welche Idee er hat, worauf es ihm ankommt, noch vor den Dreharbeiten. Das ist auch für den Schauspieler von Nutzen, obwohl es schon eine gewisse Drucksituation ist. Es hat schon was Entspannteres, wenn man weiß, man ist gewollt und muss nicht mehr auf ein Casting, um sich gegen andere Bewerber durch zu setzen.

Ricore: Hätten Sie Lust, in einer richtig seichten Komödie mitzuspielen?

Jentsch: Bisher hatte ich keine solchen Angebote bekommen. Das liegt wohl daran, dass mich Produzenten und Regisseure nicht in solchen Rollen sehen. In Deutschland gibt es meiner Meinung noch mehr als in anderen Ländern eine Trennung zwischen Unterhaltung und ernsthafteren Filmen. Ich finde, dass die Grenze in anderen Ländern viel mehr verschwimmt. Wie auch in "Ich habe den englischen König bedient". Eigentlich ist das ein historischer Stoff, der mit schockierenden und ernsten Themen durchsetzt ist, und trotz allem schafft es der Regisseur, den Film mit einer Leichtigkeit und Humor zu durchsetzen. Man kann manchmal einfach gar nicht mehr richtig unterscheiden, ob es ein ernsthafter Film ist oder eine leichte Komödie. In Deutschland ist diese Trennung strikter. Ich habe jedenfalls keine Vorbehalte und denke mir auch nicht, dass ein Film das und jenes beinhalten muss. Er muss mich ansprechen und packen. Manchmal ist es die Figur, die gesamte Geschichte oder einfach auch das Gesamtkonzept, das dahinter steht. Das können verschiedene Sachen sein.

Ricore: Ein Film muss also nicht unbedingt eine Botschaft enthalten?

Jentsch: Nein, das finde ich nicht. Er muss auch nicht wirklich etwas kritisieren. Wenn ein Film gut unterhält, ist das für mich auch schon ein Grund, ihn zu machen oder ihn anzuschauen.
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Kurz vor der Hinrichtung: Widerstandskämpferin Sophie Scholl (Julia Jentsch)
Ricore: Mit "Ich habe den englischen König bedient" waren sie erneut auf der Berlinale. Der Film erhielt auch den Fipresci-Preis. Was bedeuten solche Auszeichnungen für Sie persönlich?

Jentsch: Für mich selbst spielen Preise keine große Rolle. Mir ist es wichtig, wie jene Leute reagieren, die mir etwas bedeuten, und deren Urteil mir wichtig ist. Wie wird der Film beim Publikum angenommen und sind jene Leute damit zufrieden, die mitgearbeitet haben. Solche Dinge sind mir eher wichtig. Ich muss natürlich auch einverstanden und zufrieden sein, mit dem was ich gemacht habe. Wofür Preise aber wichtig sind, das habe ich aber auch erst im Laufe der Zeit gemerkt, Filme erhalten durch sie eine größere Aufmerksamkeit. Regisseure aus anderen Ländern werden auf sie aufmerksam und Filme werden dadurch möglicherweise auch im Ausland gezeigt. Und es ist natürlich für jene aus dem Filmteam, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, eine große Belohnung, und die freuen sich riesig. Wenn man hört, dass der eigene Film auf diesem und jenen Festival lief und möglicherweise den Publikumspreis erhielt, dann ist das schon eine tolle Bestätigung.

Ricore: Dann zählen Preise für Sie nicht zum Maßstab für eine gelungene Arbeit?

Jentsch: Nein. Ich muss das Gefühl haben, hinter der Arbeit zu stehen. Und wenn alle Beteiligten mit dem Ergebnis zufrieden sind, ist das natürlich am Schönsten. Und noch schöner ist es natürlich, wenn ich einen Film selbst sehr mag und der dann auch sein Publikum findet.

Ricore: Wo sind Ihre Grenzen als Schauspielerin? Würden Sie sich beispielsweise Ihre Haare abrasieren für einen Film?

Jentsch: Wenn eine Rolle sehr interessant ist, dann glaube ich schon, dass man das sehr weit geht. Weil man dann selbst den Anspruch und das Ziel hat, dieser Figur so weit wie möglich zu entsprechen und sich auch zu verwandeln. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir 20 Kilo anessen würde für eine Rolle. Denn da spielen ja auch gesundheitliche Folgen eine Rolle.

Ricore: Derzeit sind Sie nur als Gast bei den Kammerspielen in München…

Jentsch: Ja, aber ich hoffe schon, dass der Kontakt zu den Kammerspielen bestehen bleibt. Ich finde nämlich, die haben ein Super-Ensemble und tolle Projekte. Aber man muss das sehen, vor allem wenn in zwei Jahren der Intendantenwechsel ansteht.

Ricore: Vielen Dank für das Interview.
erschienen am 18. August 2008
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Bevor Julia Jentsch das Kino im Sturm eroberte, war sie zumeist auf Theaterbühnen zu sehen. So war sie bis 2006 festes Ensemblemitglied bei den Die fetten Jahre sind vorbei" ergatterte, und in Sophie Scholl in Marc Rothemunds gleichnamigen Film verkörperte. Zahlreiche Preise und eine Oscar-Nominierung für den besten nicht-englischsprachigen Film waren die Folge. Heute konzentriert sich Julia Jentsch mehr auf ihre Schauspielkarriere. Im Theater ist sie nur mehr als Gast-Darstellerin zu..
Jiri Menzel präsentiert mit "Ich habe den englischen König bedient" einen dramatischen und zugleich komischen Kriegsfilm. Er handelt vom Lebenstraum von Jan Dite (Ivan Barnev), einem einfachen Würstchenverkäufer, der Millionär werden will. Der preisgekrönte Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Bohumil Hrabal. Der Aufstieg des Hauptprotagonisten wird in einer Rückblende gezeigt, in der filmischen Gegenwart wurde er als alter Mann gerade aus dem Gefängnis entlassen.
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