Senator
Regisseur Andreas Dresen
Andreas Dresen: Sex, Liebe, Schweiß
Interview: "Freu mich aufs Älterwerden"
Andreas Dresen überraschte in Cannes 2008 mit seinem neuen Film "Wolke Neun" nicht nur die Kritiker. Das Publikum applaudierte nach der Vorführung lang anhaltend. Diese Tatsache verschweigt der Regisseur in unserem Gespräch, der trotz seiner Erfolge auf dem Boden bleibt. Er freue sich vor allem mit den Schauspielern, die solche Momente umso seltener erleben, je älter sie werden. Vielleicht hat Dresen recht. Die nächste Zeit gehört die Aufmerksamkeit des deutschsprachigen Publikums ganz bestimmt seinen Hauptdarstellern Horst Rehberg, Ursula Werner und Horst Westphal. In "Wolke Neun" nämlich zeigen die sich von einer ungewohnten Seite.
erschienen am 1. 09. 2008
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Wolke Neun
Ricore: Im Vorfeld wurde immer wieder über die Sexszenen gesprochen, aber kaum über das Melodram, das dahinter steckt. Was ist "Wolke neun"?

Andreas Dresen: Ich sehe "Wolke Neun" als Liebesgeschichte und zur Liebe gehört auch Sex. Oft fängt es damit erst an oder ist zumindest nicht der Endpunkt. Für mich ist es eine Geschichte, in der dich die Liebe in jeder Phase des Lebens treffen kann. Wie eine Urgewalt, gegen die man sich schlecht wehren kann. Dann muss man versuchen, damit umzugehen. Liebe ist nicht nur ein Hochgefühl, es bereitet auch Schmerzen. In diesem Fall ganz besonders, weil es mit einer Entscheidung zu tun hat. So ist der Film für mich durch das heftige Ende sicherlich auch ein trauriger Film, aber andererseits auch optimistisch. Solange ein Herz in uns schlägt, haben wir die Fähigkeit zur Unvernunft. Das ist auch etwas Schönes, dass man in einer vernünftigen und organisierten Welt Gefühlen ausgesetzt ist, die sich nicht daran richten. Die Sexszenen spielen für mich keine große Rolle. Wir wollten damit niemanden provozieren.

Ricore: Aber für Sie stand von Anfang an fest, dass es diese geben wird im Film…

Dresen: Ja. Ich finde es komisch, dass man in unserer Welt nicht in der Lage ist, Dinge so zu zeigen, wie sie sind. Dass man immer versucht zu verstecken, so als würden Menschen und ihre Körper nicht alt werden. Das ist Blödsinn. Wir altern alle und irgendwann sterben wir. Vielleicht sind wir in dieser säkularisierten Welt mit einer Scheu behaftet, überhaupt übers Sterben nachzudenken. Aber ich finde das gehört zum menschlichen Leben dazu, genauso wie Pubertät. Irgendwann wird man alt. Die Brüste hängen, die Körper werden faltig und es kommen Altersflecken. Das ist vielleicht nicht schön, aber es ist Teil des Lebens. Wenn man davon erzählt, dass eine Liebe auch bei alten Menschen passieren kann, wie in jeder Phase des Lebens, dann gehört auch dazu, die Nacktheit, die Sexualität zu zeigen. Die hört im Alter ja nicht auf. Das ist natürlich bei jedem anders, klar. Aber es hört nicht per se auf, wie uns immer klar gemacht werden will, dass es ab 60 mit der Sexualität aus ist.
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Eine Szene aus "Wolke Neun"
Ricore: Wollten Sie in Ihrem Film mit Klischees aufräumen?

Dresen: Es ist tatsächlich ein Klischee, das wir alle mit uns herumtragen, ich selbst auch. Wenn man sich aber mit alten Menschen unterhält, darüber liest und sich rumhorcht, merkt man sehr schnell, dass dies totaler Blödsinn ist. Viele ältere Menschen können ihre über die Jahre gesammelte Erfahrung durchaus auch in Form von Lustgewinn bei der Sexualität umsetzen. Zärtlichkeit spielt dann natürlich eine andere Rolle. Sex ist dann vielleicht nicht mehr nur Orgasmusorientiert, sondern es tritt ein anderes sexuelles Erleben ein. Und das finde ich sehr schön und macht mich sehr froh, weil ich mir denke, dann habe ich noch ein bisschen Zeit. Wir wollten es daher auch ungeschönt zeigen.

Ricore: Der Film wird oft mit dem Realismus und dem Naturalismus in Verbindung gebracht. Wo würden Sie sich selbst positionieren?

Dresen: Im Kino wird oft von Authentizität gesprochen, aber die gibt es für mich im Kino nicht. Das ist alles Fiktion, Lug und Trug. Ich finde, man kann im Kino nicht die Wirklichkeit, aber die Wahrheit sehen. Dazu muss man das Instrumentarium benutzen, was einem für die jeweilige Geschichte richtig erscheint. Hier ist es durchaus eine stilisierte Form, so realistisch es daher kommt, sind es manchmal ja doch streng gebaute Bilder. Es ist zum größten Teil eine ruhige Kamera mit besonderen Ausschnitten, wo man nicht alles sieht. Wir haben viel weggelassen in der Erzählung. Man kann schon sagen, dass es eine stilisierte Form ist. Wenn man trotzdem den Eindruck hat, dass es sehr viel mit dem Leben zu tun hat, ist mir das nur recht. Wenn man mit Realismus Wahrheit meint, ist es richtig, wenn mit Realismus aber Naturalismus meint, ist es Quatsch. Das hat damit eigentlich nicht zu tun.

Ricore: Der Stil hat aber schon etwas mit den Charakteren zu tun, von denen Sie erzählen?

Dresen: Der Stil ist so eine Sache. Ich entscheide mich nicht im Vorfeld für einen Stil, sondern der findet sich meistens im Laufe der Geschichte. Ich finde es komisch, von Vorneherein zu sagen, der Film muss diese oder jene Ästhetik haben. Das merkt man, wenn man sich mit dem Stoff beschäftigt. Bei diesem Film wollte ich auf keinen Fall nur ruhige Beschaulichkeit haben. Es ist nämlich eine Geschichte, die von einem anarchischen Aufbruch erzählt. Dann wurden es trotzdem ruhige Bilder, weil uns die Situationen in so eine Ruhe gezwungen haben. Wir haben viel öfter das Stativ benutzt, als ich anfangs dachte. Plötzlich haben sich Bilder entwickelt, wie eine vierminütige Totale auf ein Wohnzimmer, wo meist gar keine Figur im Bild ist. So etwas habe ich vorher noch nie gemacht. Aber das hat sich aus der Arbeit heraus entwickelt, es kam einfach. Wir haben während dem Drehen oft sehr nach der elliptischen Form gesucht. Vielleicht kommt es auch dadurch, dass Filmanfang und Filmschluss in der szenischen Abfolge sehr genau fixiert waren. Das hat vielleicht auch den Erzählton für die ganze Geschichte geprägt. Ich musste dann immer an Hitchcock denken, der im Truffaut-Interview gesagt hat, das Drama ist ein Stück Leben, aus dem man die langweiligen Momente herausgeschnitten hat. Hier haben wir es umgekehrt gemacht Wir haben die dramatischen Momente herausgeschnitten, die sieht man nicht, die macht man sich im Kopf. Wir verteidigen, wenn man so will, die langweiligen Momente, indem wir sagen, die gibt es nicht. Es kommt immer nur darauf an, wie man etwas erzählt. Da kann auch ein leerer Flur etwas total aufregendes sein.
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Wolke Neun
Ricore: In einem anderen Interview sagten Sie, manche Filme würden Ihnen in den Schoss fallen, um andere müssen Sie kämpfen. Zu welcher Sorte gehört "Wolke Neun"?

Dresen: In den Schoss fallen, tut einem letztendlich gar nichts. Aber manchmal ist es schwer, den richtigen Faden zu finden. Hier hat sich alles spielerisch ergeben. Was natürlich leichter ist, wenn man mit einem so kleinen Team arbeitet. Wir waren am Drehort fast immer nur zu viert: Kameramann, Tonmeister, Kostümbildnerin oder Ausstatterin und ich. Dadurch ist man sehr frei und kann versuchen, den Faden in der Arbeit zu finden. Dann kommt man auf solche Ideen wie der leere Flur. Die Szene haben wir zu Anfang einen ganzen Tag mit der Handkamera gedreht. Bis es uns nach der 16 Klappe langweilig wurde und wir uns gefragt haben, geht es nicht auch anders? Dann kommt man plötzlich auf so was. Diese ruhige, bedächtige Art nachzudenken, was der richtige Weg ist, hat man beim klassischen Filmdrehen oft gar nicht. Weil man den gesamten Apparat im Rücken hat. Bei meinem letzten Film "Whisky mit Wodka" hatte ich plötzlich ein 50-Mann-Team im Rücken. Da kann ich mich nicht noch mal hinsetzen und sagen, ich denke jetzt noch mal fünf Stunden nach. Da muss ich viel planvoller vorgehen. Aber die Umsetzung gestaltet man immer nach der Geschichte.

Ricore: Sie haben mit dem Team aus "Wolke Neun" schon des Öfteren zusammengearbeitet. Fiel Ihnen die Zusammenarbeit daher leichter?

Dresen: Das Team besteht aus meinen Freunden. Einige von ihnen kenne ich schon seit über 20 Jahren. Wir haben ganz viel miteinander gearbeitet. Mit einigen von Ihnen habe ich "Halbe Treppe" oder "Sommer vorm Balkon" gemacht. Ich arbeite fast immer in der gleichen Konstellation. Das sind hochprofessionelle Filmemacher. Der Kameramann kann ganz alleine arbeiten, aber auch eine 20-köpfige Beleuchtercrew dirigieren, wenn es sein muss. Die Kostümbildnerin ebenso. Es ist einfach ein vertrauter Kreis von Profis, die sich auf die verschiedensten Arbeitsweisen einstellen können. Mir ist dies sehr wertvoll, weil ein Grundvertrauen herrscht und wir sehr offen miteinander umgehen. Das impliziert natürlich auch Kritik. Wir schonen uns keineswegs, wenn uns etwas nicht gefällt. Wir fordern uns heraus, neue Lösungen zu finden. Das finde ich sehr aufregend. Das macht in einer solchen vertrauten, intimen Atmosphäre sehr viele Tore auf. Plötzlich wird man offen für neue Arten, eine Szene zu erzählen. Man kann auch sehr gut nachdenken, auf diese Weise.
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Ursula Werner in "Wolke Neun"
Ricore: War diese vertraute Umgebung auch für die Schauspieler wichtig, gerade was die Nacktszenen betraf?

Dresen: Ja, das spielte sicherlich eine große Rolle. Vor Nacktszenen hat man generell immer großen Respekt. Aber uns allen war klar, dass es diese geben wird und dass diese Teil der Geschichte sind. Das war den Schauspielern auch recht. Sie waren von Anfang an involviert und haben den Gedanken mitgetragen. Wir haben uns gemeinsam Filme angeschaut und dann überlegt, wie man das machen kann. Es ging dann leichter, als ich dachte. Nachdem man die ersten Hemmungen überwunden hat, haben sich die Schauspieler relativ schnell ausgezogen und dann haben wir angefangen. Dann ist es eine ganz normale Arbeitssituation. Man muss lernen die Dinge zu formulieren, die man sehen will und die man nicht sehen will. Aber spätestens wenn man fünf bis sechs Stunden daran gearbeitet hat, ist es plötzlich vertraut. Für mich stellte sich auch eine schnelle Vertrautheit mit den alten Körpern ein. Plötzlich fand ich es gar nicht mehr besonders oder außergewöhnlich, mit alten nackten Menschen zu drehen. Ich fand das sehr schön.

Ricore: Inwieweit war Produzent Peter Rommel in die Geschichte involviert, der in den letzten Jahren sehr schöne Projekte verwirklichte, unter anderem auch einige Ihrer Filme?

Dresen: Peter und ich kennen uns seit über 20 Jahren und sind wirklich gute Freunde. Wir kennen uns noch aus Ostzeiten, wo er einen Weltvertrieb leitete und noch kein Produzent war. Wir haben dann "Nachtgestalten"; "Halbe Treppe", "Sommer vorm Balkon" gemeinsam gemacht. Er ist ein wichtiger, lieber Freund für mich, der mir immer wieder wichtige Impulse gibt und mich auch ermutigt, so eine Geschichte zu drehen. Er hat grenzenloses Vertrauen zu mir. Ich habe ihm von meinem Vorhaben im Januar 2007 erzählt. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine geschrieben Zeile, sondern nur die Idee. Ich wusste nur, dass es eine Liebesgeschichte zwischen alten Menschen mit Sexszenen sein sollte. Im Mai haben wir bereits gedreht. In diesen vier Monaten haben wir das gesamte Projekt auf die Beine gestellt. Es ist zwar kein großes Ding, aber man muss es erst einmal in vier Monaten durchziehen. Aber Peter fand die Idee gut, ebenso wie die anderen Finanziers. Wie hatten keinerlei Schwierigkeiten, alles ging sehr schnell. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass es diese Art von Film braucht. Ich wollte auch gar nicht lange warten, deshalb musste alles sehr schnell gehen. Ich bin diesem Impuls gefolgt. Das ist manchmal gar nicht schlecht. Manchmal ist ein Film im Herzen drin und dann weiß man, jetzt ist es Zeit, ihn zu drehen. Das war bei "Sommer vorm Balkon" auch so. Jemand hat mal zu mir gesagt, "ich suche nicht die Filme, die Filme kommen zu mir". Und das stimmt auch. Manche Filme kommen zu einem, man nimmt sie dann in den Arm und dann sagt man, komm jetzt machen wir das Ding. Das war hier auch so.
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Ricore: Ist das Alter ein Thema, das derzeit in der Luft liegt? In Cannes und auch am Filmfest München 2008 gab es mehrere Beiträge, die dieses Thema behandelten.

Dresen: Die Gesellschaft beschäftigt sich schon eine ganze Zeit mit diesem Thema. Je älter die Gesellschaft wird, desto wichtiger ist es, sich damit auseinanderzusetzen, ohne Ressentiments. Wir haben uns daran gewohnt, dass Menschen Mitte 50 aus dem Berufsleben herausfliegen und gar nichts mehr zu melden haben. Genauso gehen wir im Kopf mit ihnen um: dass sie nichts mehr wert sind, dass sie nichts mehr leisten können, dass sie schon gar nicht mehr zu einem Aufbruch in der Lage sind. Irgendwie gehören sie nicht mehr richtig dazu. Das ist das gängige Klischee und das finde ich übel. Es hat aber auch was mit Verdrängung zu tun. Schaut man sich die Werbung an, ist Alter in erster Linie unsexy. Man will doch lieber schöne junge Körper sehen, was ich auch verstehen kann. Aber ich finde es trotzdem seltsam, dass man dies aus dem eigenen Bewusstsein verdrängt, obwohl man weiß, dass jeder älter wird. Und es nicht schlecht sein kann, dazu ein entspannteres Verhältnis aufzubauen. Und auch zu sagen, es ist eine Qualität, die man in einem gealterten Gesicht lesen kann, wie Erfahrung und so, das finde ich etwas ganz tolles. Auch was diese Leute vermitteln können. Alten Menschen etwas zuzutrauen, finde ich ganz spannend! Wenn ich alt bin, möchte ich selbst nicht abgeschoben werden. Darauf habe ich wenig Bock, wenn ich mir das so vorstelle.

Ricore: In der Literatur ist dies übrigens schon lange üblich.

Dresen: Ja, genau. Es gibt unterschiedlichste Fachliteratur und Erfahrungsberichte zu diesem Thema. Auch Romane. Die Literatur hat keine Angst vor diesem Thema. Nur der Film. Das sind nämlich die Bilder, das Visuelle, dadurch wird das Thema direkter. Ich kann mir das auch gut vorstellen, wenn Leute plötzlich schockiert sind von den Bildern. Aber das war nicht unsere Absicht. Aber wir wollten auch nichts beschönigen. Wir wollten sagen, seht her, so werden wir alle einmal aussehen.
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Regisseur Andreas Dresen
Ricore: Haben Sie sich vor den Dreharbeiten Gedanken über die Reaktion des Publikums gemacht?

Dresen: Das kann man immer schwer einschätzen. Wir sind aber in keinem Fall mit einem provokativen Anspruch gestartet. Wir wollten die Geschichte einfach nur so offen wie möglich erzählen. Und es wäre schön, wenn man so nach und nach erreichen würde, dass die Gesellschaft zu anderen Bildern von alten Menschen kommen würde. Das habe ich auch schon bei meinen anderen Filmen versucht. Da gehen die Schauspieler auch oft sehr ungeschützt. Es ist einfach so, wie es im Alltag oft ist. Man wacht nun mal verschwitzt am Morgen auf und ist nicht frisch frisiert. Und ich finde, es kann auch beim Sex so sein, dass man schwitzt. Wenn er einigermaßen anständig ist, ist man halt nicht immer wohl frisiert. Und wenn man so eine Geschichte erzählt, gehören diese Bilder auch dazu. Und das war schon unser Wunsch, es so erzählen. Vor allem aber möchte ich eine Geschichte erzählen, die meine Zuschauer an die Hand nimmt, fesselt und bewegt. Wenn solche Sexszenen von Nöten sind, dann muss es halt so sein. Ich selbst drehe aber gar nicht gerne Sexszenen. Weil es doch ein Intimbereich ist, in dem man eindringt. Aber wenn es so sein soll, dann muss man sich dem als Regisseur stellen.

Ricore: In Cannes 2008 kam der Film sehr gut an…

Dresen: Ja, Cannes war bisher eigentlich die einzige öffentliche Vorführung, die ich erlebt habe. Und da hatte ich schon auch etwas Angst und befürchtete, dass die Leute vielleicht lachen. Gerade bei den Sexszenen, die ja sehr früh im Film kommen. Und es trat nichts dergleichen ein. Es war eine gespannte Stille. Hinterher kamen sehr viele Menschen auf mich zu und waren gerührt. Es wurde auch gar nicht so viel über die Sexszenen gesprochen, sondern über die Geschichte als solche, und die hat ja eine ganz eigene Wucht. Interessanterweise gibt es die Sexszenen ab einem bestimmten Punkt gar nicht mehr. Die sind ja nur zu Anfang nötig. Weil es eben der Ausgangspunkt ist, der die Geschichte zum rotieren bringt.
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Ricore: Was bedeutet die Cannes-Teilnahme und der Coup de Coeur des Certain Regard für Sie und Ihr Team?

Dresen: Es war sehr schön. Für uns alle war es ein großes Erlebnis. Das gesamte Team war anwesend. Das war eine besondere Vorführung, weil wir alle den Film dort zum ersten Mal gesehen haben, und das gemeinsam mit dem Publikum. Er wurde erst kurz davor fertig. Bei einem solchen Festival werden Filme ja wirklich geboren. Und das ist schon immer ein besonderer Moment, da oftmals Filme dort zum ersten Mal die Leinwand erblicken. Wir waren natürlich alle extrem neugierig. Und nach der Vorführung war die Reaktion des Publikums überwältigend und herzlich. Ich habe mich natürlich besonders für die Schauspieler gefreut. Denn wenn man Mitte 60 oder schon 70 ist, hat man nicht mehr viele solcher Momente in der Karriere. Das ist schon etwas ganz spezielles, noch dazu, mit einem solch persönlichem Film, der sehr intim ist. Der Preis war dann das I-Tüpfelchen. Eine Anerkennung bei einem solchen Festival ist schon etwas ganz besonderes.

Ricore: Ein kleines Detail im Film ist die Schallplatte mit den Zügen. Diese Szene lockert die Geschichte etwas auf. Was hat es mit der auf sich?

Dresen: Die Schallplatte kam von der Ausstatterin. Das Problem bei alten Menschen ist, dass die Arbeitswelt weg fällt. Normalerweise hat man das Berufsleben der Protagonisten, das meist auch eine Rolle in der Geschichte spielt. Hier stellte sich irgendwann die Frage, was machen die Protagonisten den ganzen Tag über? So haben wir uns für jede Figur Dinge überlegt. Und es gibt nun wirklich viele Menschen, die auf Eisenbahnen stehen. In den unterschiedlichsten Formen. Manche lernen Fahrpläne auswendig, andere finden Loks toll, die dritten fahren zum Jubiläum einer Strecke. Wir fanden dieses Thema interessant für diese Figur, komplementär zu Karl, der eher in der Natur zu finden ist. Die Ausstatterin brachte diese Schallplatte mit, da ihr Freund tatsächlich ein Eisenbahnfan ist. Er hat diese Platte aus Gag geschenkt bekommen. Diese existiert also wirklich. Es ist eine alte DDR-Platte von Litera. Der Sprecher ist der Nachrichtensprecher der ehemaligen Aktuellen Kamera, Klaus Feldmann. Es ist eine ganz seriös produzierte Platte. Ich weiß nicht, ob die dabei ironische Gedanken hatten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man so eine Platte ernsthaft produziert. Wir haben sie natürlich durchgehört, da lacht man Tränen. Die Ansage, die wir genommen haben, ist noch nicht mal die Lustigste.

Ricore: Für die Figur der Inge erfüllte der Chor diese Aufgabe. Diesen gibt es wirklich, nicht wahr?

Dresen: Ja, es ist ein realer Chor, die singen den Tausendfüßler. Das sind ganz lustige, vitale alte Damen zwischen 60 und 90. Sie treffen sich einmal die Woche, singen ihre Lieder. Ich war jede Woche mit Ursula dort, die da mitgesungen hat. Wir hatten viel Spaß mit den Damen. Die sind so herzlich und erfrischend realitätsnah. Wir haben sie ja auch zu unserer Geschichte befragt, und die meinten, bloß nicht einen Älteren nehmen, da wirst du dann gleich die Krankenschwester. Such dir einen Jüngeren. Sie waren wirklich lustig. Wenn ich solche alten Menschen sehe, kriege ich auch Lust alt zu werden, denn solange es so abläuft, gibt es nichts. Klar hat man seine Zipperlein und es schmerzt einem mal hie und da. Aber solange soviel Lebensfreude da ist, ist es etwas Wunderbares.

Ricore: Vielen Dank für das interessante Gespräch.
erschienen am 1. September 2008
Zum Thema
Sie passen gut zusammen, Andreas Dresen und seine Filme. Auf den ersten Blick eher unscheinbar, erweisen sie sich dem genaueren Beobachter rasch als mutig, klug, zugleich bodenständig und fantasievoll, zudem von einem feinen Sinn für die Abgründe und Absurditäten des Alltäglichen durchzogen. Andreas Dresen ist ein Abenteurer - einer, der seine Schwächen und Ängste gut genug kennt, um sie immer wieder neu herauszufordern. Seit "Nachtgestalten" hat Dresen nicht nur das Publikum begeistert,..
Wolke Neun (Kinofilm)
Regisseur Andreas Dresen versteht es, hinter die Fassade scheinbar ganz normaler Menschen zu schauen und dabei erstaunliches zutage zu fördern. In "Wolke Neun" leben die Alten Sex und Leidenschaft hemmungslos aus. Inge (Ursula Werner) ist Mitte 60 und seit über 30 Jahren verheiratet als sie sich in Karl (Horst Westphal) verliebt. Aus schüchternen Blicken wird schnell eine wilde Affäre. So guten Sex hatte Inge ihr ganzes Leben noch nicht! Was ist sie bereit, dafür zu opfern?
2024