Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Horst Rehberg
"Sex-Szenen sind unproblematisch"
Interview: Horst Rehberg mag es skurril
Vor allem im Osten Deutschlands ist Horst Rehberg ein bekannter und gefeierter Theaterschauspieler. Seine Karriere beginnt als Statist am Schweriner Staatstheater in William Shakespeares Tragödie "König Lear" - 2005 gibt Rehberg am selben Ort selbst den eitlen Herrscher. Andreas Dresen holt den Theatermann für sein Drama "Wolke Neun" vor die Kamera. Darin spielt er einen Ehemann, dessen Frau sich nach jahrzehntelanger Ehe in einen anderen Mann verliebt. Der Schweriner sprach mit uns über Jugendwahn und Sex im Alter.
erschienen am 30. 08. 2008
Senator Film Verleih
Wolke Neun
Ricore: Wie sind Sie zu Ihrer Rolle in "Wolke Neun" gekommen?

Horst Rehberg: Ich hatte am Schweriner Theater gerade eine Rolle als Gast zugesagt. Da rief Andreas Dresen mich an und fragte, ob er bei mir vorbeikommen könnte. "Wenn er vorbei kommen möchte, dann will er was von dir", dachte ich mir. Und so war es auch. Er hat mir von dem geplanten Film erzählt und daß er mich gerne dabei haben möchte. Für mich war es sofort klar, daß ich auch dabei sein wollte. Also musste ich beim Schweriner Schauspielchef die Lage klären. Peter Dehler hat nur gesagt: "Klar machst du den Film. Wir kriegen die Besetzung schon ohne dich hin." Ich hatte ungeheuren Respekt vor der Sache mit dem fehlenden Drehbuch. So etwas hatte ich noch nie gemacht. Ich wußte nicht, ob ich das kann, aber es war dann kein Problem. Andi hatte ja schon durch den Film "Halbe Treppe" Erfahrungen, in dieser Art zu drehen. Er ist ein fantastischer Regisseur, die anderen Schauspieler waren wunderbar, da gab es keinerlei Verklemmungen. Bei Andy hatte ich vorher schon einen "Tatort" gedreht und wir kennen uns auch durch die Theaterarbeit. Außerdem ist er der Sohn meiner Kollegin Barbara Bachmann, mit der ich jahrzehntelang auf der Bühne gestanden habe. Andreas hat schon als ganz junger Mensch Amateurfilme gemacht, als Abiturient. In einem war ich auch dabei. Jetzt - bei "Wolke 9" - das war meine bisher schönste Arbeit beim Film, richtig toll!

Ricore: Kannten Sie die anderen Schauspieler von vorhergehenden Arbeiten?

Rehberg: Uschi Werner kannte ich von einer Geschichte, die ich im Maxim Gorki Theater gemacht hatte, und den Horst Westphal vom Theater in Schwerin. Steffi Kühnert, die die Tochter spielt, war die Iphigenie in "Antike Entdeckungen". Das war eine große Unternehmung, bei der wir 19 Stücke an einem Abend spielten.
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Wolke Neun
Ricore: War diese Vertrautheit wichtig bei den Dreharbeiten?

Rehberg: Uschi Werner ist einfach eine patente Frau und Schauspielerin! In diesem Film ist sie fantastisch. Die ganze Crew hat so gearbeitet, dass die sogenannten Sex-Szenen völlig unproblematisch waren.

Ricore: Die spielen im Film ja auch eine untergeordnete Rolle, im Zentrum steht das Melodram.

Rehberg: So ist es. Die Unbedingtheit, mit der diese Frau zu sich steht! Meine Figur, der Werner, kriegt das nicht auf die Reihe, er kommt mit der Situation nicht klar.

Ricore: Können Sie diese Frau verstehen?

Rehberg: Ich als Horst Rehberg kann sie wunderbar verstehen. So etwas gibt es halt, da kann man nichts machen.

Ricore: Stört es Sie, wenn der Film auf die Sex-Szenen reduziert wird?

Rehberg: Die Reaktionen des echten Kino-Publikums muß man ja erst noch abwarten. Im Übrigen empfinde ich diese Szenen gar nicht als so tabubrechend. Ob es nun 40 oder 50-jährige miteinander treiben oder Menschen, die noch ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel haben - die Unterschiede sind nicht wesentlich.

Ricore: Man bekommt in Filmen selten alte nackte Menschen zu sehen, die miteinander schlafen.

Rehberg: Ich weiß, dass Kinder mit 16 denken, wenn ihre Eltern 40 oder 50 sind, daß zwischen ihnen nichts mehr stattfindet. Das ist doch Quatsch. Das werden die Jungen merken, wenn sie selber in dem Alter sind. Diese absolute Jugendvergötterung in den Medien ist grauenvoll, einfach dämlich.
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Horst Rehberg in "Wolke Neun"
Ricore: Frau Werner hat sich auch schon über den Jugendwahn geäußert. Gerade in Amerika gibt es 60-jährige Schauspieler, die aussehen wie 30.

Rehberg: Furchtbar. In Baden-Baden sind mir diese menschenähnlichen Mehrzeller zum erstenmal begegnet. Die Haut ist gebräunt und gestrafft, aber darunter sieht man, sie sind 80 oder noch älter. Das hat mit Schönheit nichts zu tun. Furchtbar. Als ich 1960 von der Schauspielschule kam, gab es in jedem Ensemble vom kleinsten Stadttheater bis zum Deutschen Theater in Berlin, ganz selbstverständlich weit über 70 und 80-jährige Schauspieler. Heute werden sie mit 65 in die Rente geschickt. Wenn am Theater dann mal wirklich ein alter Knochen gebraucht wird, müssen sie sich einen Gast holen. Das war mein Glück in Schwerin, wo ich vor zwei Jahren den König Lear gespielt habe. Eine Schauspieler-Karriere muß nicht automatisch mit 65 zu Ende sein. Wenn man im Kopf klar ist, kann man noch mit 90 auf der Bühne stehen.

Ricore: Wie hat Ihr Umfeld auf den Film reagiert?

Rehberg: Meine Theaterkollegen haben sich gefreut, dass ich die Rolle bekommen habe. Die wissen, dass Andi ein fantastischer Regisseur ist. Seine Filme laufen zum Glück auch in Schwerin, weil er da aufgewachsen ist. Das sind die wenigen Filme, die man sich anschauen kann, ansonsten läuft viel Mist. Programm-Kinos gibt in es Schwerin nicht, dafür ist die Stadt zu klein und das studentische Publikum fehlt.

Ricore: Waren Sie vor der deutschen Premiere von "Wolke Neun" nervös?

Rehberg: Ich war gespannt, wie der Film bei den Deutschen ankommt. Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes waren wir sehr überrascht, als plötzlich ein Jubelsturm losbrach und das Publikum uns zehn Minuten lang gefeiert hat. Wir wussten, dass wir einen anständigen Film gemacht haben, aber mit solcher Begeisterung hatten wir niemals gerechnet.
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Ursula Werner und Horst Rehberg in "Wolke Neun"
Ricore: Stimmt es, dass Sie und die anderen sich aus dem ganzen Trubel und Glamour in Cannes zurückgezogen haben?

Rehberg: Wenn man im Landeanflug auf den Flughafen in Nizza ist, sieht man schon von oben, dass die Gegend mal eine paradiesische Landschaft gewesen sein muss. Aber da ist viel vermurkst worden, mit diesen Protzvillen und Hotels. Und wie im Hafen die Fettbäuchigen auf milliardenschweren Yachten ihren Reichtum zur Schau stellen der ganze Zirkus drumherum ist abstoßend. Aber was dann im Kino passiert, das ist ernsthaft und professionell. Da geht es um Film, um Filmkunst.

Ricore: In diesem Jahr häufen sich Filme, die sich um das Alter drehen. Glauben Sie, dass das ein Trend ist und sich die Regisseure immer mehr diesem gesellschaftspolitischen Thema annehmen werden?

Rehberg: Das weiß ich nicht. Andererseits: Das Durchschnittsalter der Bevölkerung wächst. Die Gesellschaft veraltet, besonders auf den Dörfern, besonders im Osten. Das wird sicherlich auch im Film ein Thema bleiben.

Ricore: In "Wolke Neun" gibt es eine amüsante Szene, in der Sie sich eine Schallplatte mit in einen Bahnhof einfahrenden Zügen anhören.

Rehberg: Ich musste mir das vorher sehr lange anhören, um nicht beim Drehen loszulachen. Im Film sehe ich so aus, als würde ich mir die Ouvertüre von "Tristan und Isolde" anhören. Das finde ich sehr schön - diese Skurrilität. Ich wusste gar nicht, dass es solche Platten überhaupt gibt, dass die Bahn so etwas produziert. Das war wirklich saukomisch.

Ricore: Sie hatten also trotz des ernsten Themas auch Spaß am Set?

Rehberg: Ja, natürlich. Diese Truppe war toll. Alle im Team hatten Respekt vor der Arbeit der Schauspieler. Bei anderen Filmteams habe ich durchaus erlebt, daß flapsig mit den Schauspielern umgegangen wurde. Das ist auch eine Qualität von Andi Dresen, dass er so etwas nicht duldet. Er schützt seine Schauspieler, da fühlt man sich geborgen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 30. August 2008
Zum Thema
Der 71-jährige Schauspieler und Theaterdarsteller wurde in Schwerin geboren. Horst Rehberg lebt mit seiner Familie auch heute noch dort. In Andreas Dresens neuem Film "Wolke Neun" mimt er einen älteren Mann, der seine Frau an einen anderen Mann verliert. Der Film wurde in Cannes 2008 mit tosendem Beifall und Standing Ovations bedacht.
Wolke Neun (Kinofilm)
Regisseur Andreas Dresen versteht es, hinter die Fassade scheinbar ganz normaler Menschen zu schauen und dabei erstaunliches zutage zu fördern. In "Wolke Neun" leben die Alten Sex und Leidenschaft hemmungslos aus. Inge (Ursula Werner) ist Mitte 60 und seit über 30 Jahren verheiratet als sie sich in Karl (Horst Westphal) verliebt. Aus schüchternen Blicken wird schnell eine wilde Affäre. So guten Sex hatte Inge ihr ganzes Leben noch nicht! Was ist sie bereit, dafür zu opfern?
2024