Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Horst Westphal
Horst Westphals Idee der Liebe
Interview: Eine neue Frage, bitte!
Horst Westphal wartet in einem etwas schwach beleuchteten Münchner Hotelzimmer auf mich und meine Fragen. Sein neuer Film "Wolke Neun" startet Anfang September in deutschsprachigen Kinos. Darin geht es um eine Liebe zwischen zwei älteren Menschen. Die darin vorkommenden Sexszenen werden unverblümt gezeigt. Aber es geht um viel mehr als nur um Sex. Und genau darauf spreche ich den Schauspieler an. Damit die Fronten zwischen uns zwei gleich am Anfang geklärt sind, sagt er mir auch gleich, was ihn an Interviews gefällt und was nicht.
erschienen am 30. 08. 2008
Senator
Wolke Neun
Filmreporter.de: Sie wirken entspannt…

Horst Westphal: Ich bin ein sehr gesprächiger Mensch und mache Interviews eigentlich sehr gerne. Nur habe ich einen großen Widerwillen, immer dasselbe zu erzählen.

Filmreporter.de: Wenn ich Gefahr laufe, die gleichen Fragen zu stellen, wie meine Vorgänger, müssen Sie mich einfach stoppen und eine andere Frage fordern.

Westphal: Das werden wir sehen.

Filmreporter.de: Wahrscheinlich wurden Ihnen Fragen nach den Sexszenen in "Wolke Neun" schon des Öfteren gestellt?

Westphal: Ja, ich weiß aber nicht, woran das liegt. Wahrscheinlich geschieht es nicht oft, dass Sexszenen zwischen älteren Menschen in Filmen vorkommen. Ich wurde oft gefragt, wie wir das gemacht haben. Aber eigentlich geht es uns ja um etwas anderes. Wir zeigen eine Liebesgeschichte, die auch eine starke Sexualität hat. Eine Sexualität, die dem Alter oft abgesprochen wird, denn ab 50 sollen wir nur mehr Kaffekränzchen oder Spaziergänge machen. Vielleicht dürfen wir noch etwas Händchen halten und durch die Gegend wackeln. Die Gesellschaft wird letzten Endes immer älter, aber denen spricht man vieles ab. Vor allem in den beruflichen Fertigkeiten, in der Lebensauffassung, in der Fähigkeit, wach und flexibel zu denken. Dieses Thema hat uns sehr interessiert. Anhand dieser Liebesgeschichte haben wir auch die sexuelle Potenz durchleuchtet. Alte Leute können lieben, sie können sehr starke Gefühle entwickeln, die auch belastbar sind. Diese Empfindungen halten einer starken Belastung stand. So sind auch die Gefühle in "Wolke Neun" sehr stark und sehr gesund. Ich finde es toll, dass wir das zeigen.
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Wolke Neun
Filmreporter.de: Es ist nicht zuletzt ja auch ein Politikum.

Westphal: Ja, damit wollten wir auch aufzeigen, was macht die Gesellschaft mit jenen Menschen, die über 60 sind. Heute gilt es, so jung wie möglich zu sein. Selbst jene, die schon über 50 sind, wollen noch so aussehen und sich verhalten, als wären sie 20. Aber auch unter den Jungen befinden sich Schlafmützen, ebenso wie unter den Alten. Viele denken tatsächlich, dass ab 50 schon alles gelaufen ist und haben dann auch keine Lust mehr, etwas zu unternehmen. Das gibt es. Das gibt es aber auch unter jungen Menschen. Ich würde sagen, Lebensfreude ist nicht altersbedingt. Das war es auch, was mich sehr stark an der Sache interessierte.

Filmreporter.de: Glauben Sie, dass sich Künstler und Filmemacher mehr dem Thema "Altwerden" annehmen und es mehr thematisieren?

Westphal: Ich weiß es nicht. Nicht schön wäre, wenn es zu einem Trend werden würde. Wenn es aber in Gang käme, Probleme von reifen Menschen zu zeigen, was sie sind und was sie können, ist das wichtig und interessant. Wir haben uns vorher viele Filme angesehen und uns sehr stark vorbereitet.

Filmreporter.de: Wie haben Sie sich vorbereitet?

Westphal: Wir haben uns Filme angesehen, die Sex von jungen, schönen Menschen zeigen. Tolle Filme, aber keine Pornos. Wir haben gesehen, wo bestimmte Szenen verschämt und voyeuristisch dargestellt wurden und andere nicht. Das hat uns gefallen. Solche Sachen wollten wir auch machen. Als wir Liebesszenen zwischen reiferen Menschen sehen wollten, wurde die Auswahl immer dünner. Zum Teil wurden diese Szenen dann lieblich, ironisch oder gar spaßig dargestellt und nicht ernst genommen. Wenn dann Liebe gezeigt wurde, sah man meist nur die Köpfe. Das hat uns nicht gefallen. Wir haben gesagt, was ist, das ist. Wir wollten zeigen, was die Gesellschaft hat und kann. Wir wollten zeigen, wie alte Menschen lieben. Da ist natürlich auch Egoismus dabei. Der Film, hoffe ich, wird auch als harte Sache empfunden. Das ist natürlich auch anfechtbar. Der Mann steigt der Frau hinterher, die aus einer Ehe kommt, die offenbar nicht schlecht ist. Der Mann bleibt dran, er schiebt nicht, aber drückt. Er sagt, du musst dich entscheiden.
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Wolke Neun
Filmreporter.de: Als Schauspieler müssen Sie sich in Ihre Rolle hinein fühlen. Aber können Sie Ihren Gegenpart, Werner, dargestellt von Horst Rehberg, auch verstehen?

Westphal: Ich habe schon mal gesagt, den Werner hätte ich ebenfalls gerne gespielt, weil ich ihn sehr gut verstehe. Er befindet sich in seinem Unglück und versucht mit einer völlig idiotischen Argumentation seine Frau zu halten. Jeder, der einmal von seinem Partner enttäuscht wurde, kann ungerecht und blöd reagieren, aber das ist menschlich und verständlich. Wie es dann endet, sehe ich allerdings kritisch. Ich sage nämlich immer, wenn man liebt, muss man auch die Kraft haben, die Last zu tragen, wenn die Liebe auseinandergeht. Denn das kann immer passieren. Auch aus Liebe zu dem anderen. Ich hoffe, dass ich es verkraften kann. Ob ich es dann tatsächlich verkrafte, weiß ich nicht. Aber ich denke, das muss man können, Jüngere wie Ältere. Obwohl es für ältere Menschen schwieriger wird. Denn man ist dann allein, hat sich an die Ehe gewöhnt, woher soll man noch einen Partner finden? Abgesehen vom gefühlsmäßigen Druck, der entsteht, befindet sich Werner in einer Krise, allein von der Alltagsbewältigung her gesehen.

Filmreporter.de: Im Film wird oft geschwiegen. Dinge werden nicht ausgesprochen…

Westphal: Ja, das Ehepaar spricht die neue Situation nicht aus, sie verkraften das einfach. Oft sagt man ja: "Nun haben wir was angerichtet…". Aber die Protagonisten im Film sagen das nicht. Sie bewahren einfach Stillschweigen.

Filmreporter.de: Wie würden Sie reagieren in einer solchen Situation?

Westphal: Ich hoffe, dass ich die Kraft habe, das zu verkraften und sagen zu können, das Neue hat nichts mit unserer Ehe zu tun und dass ich mit der neuen Situation gut umgehen könnte. Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll, aber ich denke, dass ich es verkraften könnte. Aber das sind Spekulationen. Soll man darüber überhaupt reden, was man noch nicht erlebt hat?

Filmreporter.de: Ok, dann reden wir von etwas anderem. Sie waren mit "Wolke Neun" in Cannes. Als Sie im Saal saßen, umringt vom Publikum, waren Sie da nervös?

Westphal: Wir sind immer vor einer Premiere nervös. Ich bin ja mehr ein Theaterschauspieler. Es ist aber besser, wenn ich die Premiere im Theater selbst spielen kann. Da hängt alles von mir ab. Aber der Film ist fertig und es ist nichts mehr zu machen. Man geht in die Premiere und fragt sich, was das wohl wird. Denn wir waren uns nicht sicher, ob der Film gut ankommt. Wir waren zwar stolz, froh und glücklich, dass er in Cannes gezeigt werden sollte. Aber mir war nicht klar, was er da bewirkt. Ich dachte, dass er viel stärker polarisiert. Aber dort herrschte Einhelligkeit und Applaus über zehn Minuten. Cannes-Fachleute sagten uns, dass dies nicht oft vorkommt. Es war ja eine Pressevorführung morgens um elf. Anschließend gab es stehende Ovationen, das war schon sehr beeindruckend. Die haben den Film toll gefeiert und angenommen. Ich war völlig perplex, hocherfreut und glücklich.
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Regisseur Andreas Dresen
Filmreporter.de: Wie haben Sie sich selbst auf der Leinwand gesehen?

Westphal: Ich habe den Film nun schon öfters gesehen und mich ein bisschen an mich gewöhnt. Als wir den Film zum ersten Mal sahen - er war beinahe fertig - waren wir alle sehr beeindruckt. Wir sind keine eitlen Schauspieler, aber wir haben uns gefallen und fanden den Film gut. Aber ich sage immer, "Mensch, was spiele ich denn da…". Ich muss mich immer erst an mich gewöhnen. Vielleicht habe ich dafür zu wenig gefilmt. Aber jetzt geht es. Wir haben versucht, die Geschichte so authentisch wie möglich rüberzubringen. Wir mussten glaubhafte Leute spielen. Das war unsere Arbeit.

Filmreporter.de: Wie hat Ihre Familie auf den Film reagiert?

Westphal: Meine Frau ist Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin. Sie hat schon einmal zu mir gesagt, dass sie keine Angst um mein Leben hat, wenn ich auf der Bühne sterben muss. Daher hat sie auch keine Angst, wenn ich im Film Sexszenen habe. Mit Uschi Werner zu arbeiten, war einfach schön. Sie ist eine wunderbare Schauspielerin. Mit Andi Dresen den Film zu machen, ist ebenfalls ganz wunderbar. Wir hatten eine extrem gute Atmosphäre. Wir waren aber auch nur ein kleines Team mit einem ausgezeichneten Kameramann. Wir hatten keine Schweinwerfer, keine Schminke. Einfach in der Natur gedreht. Klar, wenn es dunkel wurde, mussten wir künstliches Licht verwenden. Aber sonst war es wie bei einem Dokumentarfilm. Uschi und ich führten unseren Beruf aus.

Filmreporter.de: Mit dem Vorurteil, dass ältere Menschen prüde sind, damit können Sie nun aufräumen.

Westphal: Ja, ich war auch bei der Chorgruppe dabei, als wir diese Szenen gefilmt haben. Die waren einhellig begeistert. Das war ein wunderschönes Erlebnis. Das sind ja auch alles ältere Frauen, die toll reagiert haben. Natürlich, die älteren Menschen lieben etwas anders, und ihre Körper sind anders. Das ist vielleicht für einen Jüngeren nicht vorstellbar. Aber man wächst in jedes Alter hinein.

Filmreporter.de: Ein schönes Schlusswort, vielen Dank für das Interview.
erschienen am 30. August 2008
Zum Thema
Andreas Dresens Angebot, eine Rolle in "Wolke Neun" zu übernehmen, nahm der in die Jahre gekommene Schauspieler sehr gerne an. Denn schließlich ist das Thema Sex im Alter nicht vom Tisch. Westphal kannte seine Schauspielkollegen Ursula Werner und Horst Rehberg von früheren Produktionen, vor allem aber vom Theater. Dort ist er auch heute noch tätig.
Wolke Neun (Kinofilm)
Regisseur Andreas Dresen versteht es, hinter die Fassade scheinbar ganz normaler Menschen zu schauen und dabei erstaunliches zutage zu fördern. In "Wolke Neun" leben die Alten Sex und Leidenschaft hemmungslos aus. Inge (Ursula Werner) ist Mitte 60 und seit über 30 Jahren verheiratet als sie sich in Karl (Horst Westphal) verliebt. Aus schüchternen Blicken wird schnell eine wilde Affäre. So guten Sex hatte Inge ihr ganzes Leben noch nicht! Was ist sie bereit, dafür zu opfern?
2024