Pietro Pesce/Ricore Text
Takeshi Kitano
Macht Selbstmord unsterblich?
Interview: Takeshi Kitano kann rechnen
Takeshi Kitano ist ein mehrfach ausgezeichneter japanischer Filmemacher. Das breite Publikum hierzulande kennt ihn auch von seiner wilden TV-Gameshow "Takeshi's Castle". Nachdem sich Kitano einige Jahre als Komödiant einen Namen machte, gelang ihm dies auch als seriöser Regisseur und Drehbuchautor. Seinen Durchbruch schafft er 1997. Auf den Internationalen Film Festspielen in Venedig gewinnt er den Goldenen Löwen für "Hana Bi". Im Jahr 2008 präsentiert er am Lido seinen inzwischen 14. Film. Mit der Komödie "Akires to kame" nimmt er erneut am Wettbewerb um den Goldenen Löwen teil. Mit uns spricht der leidenschaftliche Mathematiker über Kunst, Selbstmord und sein Talent für das Komische.
erschienen am 2. 09. 2008
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Takeshi Kitano in Venedig 2008
Ricore: Mit welchen Erwartungen machen Sie ihre Filme und speziell "Achilles to kame"?

Takeshi Kitano: Wenn ich auf meine letzten Filme zurückblicke, dann waren es ihrem Inhalt und Struktur nach in erster Linie Abenteuerstoffe. Sie bekamen allerdings nicht jene öffentliche Aufmerksamkeit, die ich erwartet hatte. In der Vergangenheit habe ich die Schuld dafür immer beim Publikum gesucht. Ich habe mir gesagt, dass das Publikum einfach zu dumm ist, den Film zu verstehen. Wie gesagt, so habe ich früher gedacht. Inzwischen habe ich eine andere Einstellung. Heutzutage frage ich mich in solchen Fällen, wo mein Fehler gelegen haben könnte. Ich beiße mich auch nicht mehr so an Ereignissen aus der Vergangenheit fest, sondern widme mich der Gegenwart. Natürlich gilt meine ganze Sorge immer meinem letzten Film. Und wenn ich für meine jüngste Produktion nicht die von mir erwartete öffentliche Aufmerksamkeit bekomme, bin ich durchaus frustriert. So war das eben im Fall meiner letzten Filme.

Ricore: Was hat bei Ihnen zu diesem Sinneswandel geführt?

Kitano: In den vergangenen Jahren habe ich wohl ein bisschen zu viel Wert auf die Wahrnehmung meiner Arbeit durch andere gelegt. Das hat sich bei mir drastisch geändert. Die Tatsache, ein Kunstwerk zu erschaffen, ist doch ein Sinn in sich selbst. Dann auch noch zu verlangen, dass man damit berühmt und populär wird, ist zu viel verlangt. Wichtig ist doch, sein Leben als Künstler führen zu können. Das ist eine Einsicht, zu der ich gekommen bin, als ich mich für einige Zeit in mein Schneckenhaus zurückgezogen habe.
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Takeshi Kitano (Venedig 2008)
Ricore: Welchen Stellenwert haben Farben in ihren Filmen? In "Akires to kame" spielt die Malerei ja eine zentrale Rolle.

Kitano: Film ist eine Form der Unterhaltung. Das Gleiche lässt sich über die Malerei sagen. Erst kürzlich habe ich ein Gemälde fertig gestellt. Für mich selbst ist die Malerei eine Möglichkeit, über die Folgen meines schweren Motorradunfalls hinwegzukommen. Noch nie habe ich meine eigenen Bilder an irgendwen verkauft. Auch Ausstellungen meiner Gemälde habe ich noch nie gemacht. Für mich ist die Malerei ein persönliches Hobby. Für mich ist das keine Arbeit, sondern einfach nur ein Spiel. Mich interessiert dabei überhaupt nicht, ob ich ein guter Maler bin. Ich kann einfach etwas machen, was mir liegt. Also hatte ich die Idee, meine Bilder zum Bestandteil meiner Filmarbeit zu machen. Einen Maler zur Hauptfigur meines Films zu machen, war da ein gangbarer Weg. Auf diese Weise konnte ich meine Bilder auch einer größeren Öffentlichkeit zeigen, ohne extra eine Ausstellung machen zu müssen.

Ricore: Ist die eigene Kunstbesessenheit es wert, dafür alles zu zerstören, was einem wichtig ist: Sich selbst, eigene Verwandte und Freunde?

Kitano: Nein, so weit darf es nicht gehen, dass man Verwandte und Freunde für die eigene künstlerische Leidenschaft opfert. In meinem Film geht es ja eher um einen dämonischen Charakterzug, der Menschen zu so etwas veranlasst. Kunst kann wie eine Droge sein.

Ricore: Was machen Sie, wenn Sie schlecht drauf sind? Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?

Kitano: Das ist nicht mein Lieblingsthema. Ich lade gerne meine Schützlinge ein. Sie waren auch im Film, als Machisus' Freunde in der Kunst-Schule. Ich würde sie zu mir einladen. Ich habe eine Art Studio zu Hause, wo man Stepptanzen kann und wir Komödien spielen. Wir hängen gemeinsam herum und ich verbringe die Zeit mit jungen Comedy-Schülern. Wir tratschen, essen und trinken Wein oder Saki. Und ich verbringe die Zeit mit ihnen. Ich habe nicht wirklich ein Hobby. Nach meinem Unfall mit dem Motorroller, vor mehr als zehn Jahren, habe ich aufgehört zu fahren. Dann wollte ich Auto fahren und mir einen Ferrari kaufen. Dann wurde mir gesagt, dass ich zwei Jahre warten muss. Aber es ist dann doch schneller gegangen und jetzt muss ich nur noch ein Jahr warten. Ein Jahr ist so lange und ich habe Angst, dass sich meine Einstellung noch ändert und dass ich dann keinen Ferrari mehr fahren will, wenn ich ihn schließlich bekomme. Was Kleidung oder Uhren betrifft, bin ich kein modebewusster Mensch. Wenn ich öffentlich auftrete, trage ich immer etwas von einem Freund von mir. Privat trage ich das, was mir die Leute geschenkt haben, es ist auch bei Uhren so. Wein - haben Sie jemals von einem Wein namens Mouton gehört? Das ist mein Lieblingswein. Mir gefällt die Etikette auf der Flasche. Wenn das meine Bilder wären, wäre das großartig.
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Takeshi Kitano
Ricore: Sehen Sie sich selbst als talentierter Künstler? Wie würde es Ihnen gefallen, erneut den Goldenen Löwen zu gewinnen?

Kitano: Ich weiß nicht genau, was dabei mein Talent ausmacht. Aber ich hatte zumindest soweit Talent, das ich seit vielen Jahren Erfolg habe. Ich habe bewiesen, dass ich mehr als drei Dekaden als professioneller Komödiant arbeiteten kann. Ich bekomme auch gute Kritiken als TV-Komödiant. Was die Frage mit dem Preis betrifft: Für mich ist vor allem die internationale Präsentation des Films wichtig. Vor allem was japanische Produktionen betrifft, ist eine Auszeichnung ein wichtiger Schritt vorwärts im öffentlichen Ansehen des Films. So wie es bei meinem letzten Film der Fall war. Für einen Filmemacher ist es schon ein Erfolg, wenn der Film am Wettbewerb teilnimmt. Es werden so viele Filme eingereicht. Die Öffentlichkeit bewertet den Film danach, ob er ausgezeichnet wurde oder am Wettbewerb teilgenommen hat. In diesem Sinne glaube ich schon, dass ein Preis wichtig ist. Aber genauso wie die Aussage dieses Films über Art und Entertainment zeigt, sind Kritiker-Beifall, Preise, Bekanntheit, Einspielergebnis nebensächliche Dinge für einen Künstler. Die Beteiligung am Entstehungsprozess ist das Wichtigste für einen Künstler.

Ricore: Tod ist ein wichtiger Bestandteil in unserem Leben. Denken Sie, dass der Tod und die Kunst sehr strikt voneinander getrennt sind und geht es in Kunst nicht viel über den Tod?

Kitano: In Japan gibt es jedes Jahr 30.000 Menschen, die Selbstmord begehen. Es ist eine furchterregende Vorstellung, wenn man betrachtet, dass sich in einem Land jeden Tag 100 Leute umbringen. Ich finde, dass ist sehr viel, im Gegensatz zu anderen Ländern. Vielleicht beeinflusst das die generelle Tendenz in Japan, wo Selbstmord als Weg gesehen wird, etwas Bestimmtes zu verfolgen. Tod wird in der Kunst oft im Rahmen einer tragischen, schönen Geschichte gesehen. Ich habe immer das Gefühl, dass viele Künstler, die sich selbst umbringen, versuchen, ihr Image damit aufzubessern. Sie werden tragische Genies, indem sie sich selbst umbringen. Es soll eine Hilfe für das Selbstvertrauen sein, als Ausgleich zu einem Mangel an Talent. Sie wollen ihre Karriere damit mehr qualifizieren und es ist ein Weg, aus ihrem Leben ein Geheimnis zu machen. Natürlich stirbt nicht jeder Künstler dafür - aber es bringt dir eine Art von Unsterblichkeit - Selbstmord kann dir zur Unsterblichkeit verhelfen. In diesem Sinne glaube ich nicht, dass Tod zwingend etwas mit Kunst zu tun hat oder nicht - vor allem angesichts der Tatsache, dass so viele Menschen in Afrika an Hunger sterben.

Ricore: Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Film?

Kitano: Das hat vielleicht viel damit zu tun, dass ich eine Mitternachts-Mathematik-Show im Fernsehen mache. Die japanische Mathematik-Vereinigung überreichte mir einen Preis für meine Leistungen, für meine Tätigkeit und mein Engagement, die Wichtigkeit von Mathematik aufzuzeigen. Das ist sehr selten, denn es ist wirklich ein akademischer und naturwissenschaftlicher Preis, der normalerweise an richtige Mathematik-Professoren vergeben wird. Es ist ein anerkannter akademischer Preis. Seit ich auf der Universität für Technik war, war ich in Mathematik immer gut. Ich habe in meiner privaten Freizeit auch immer Mathematik-Quizbücher gelesen. Es ist einer meiner Hobbies. Als ich am Skript für den Film gearbeitet habe, war ich überrascht über die Synchronität der Geschichte. Es geht um das Leben eines Künstlers, das voll von Paradoxen sein kann, und das Glück eines Künstlers, der sich nur auf das konzentriert was er gerade macht. Und wenn man sich einmal die Frage stellt: Was ist das wichtigste in der Kunst, dann fängt man an zu leiden. Wenn man sich selbst in Frage stellt, beginnt die Suche nach der Frage, auf die niemand eine Antwort geben kann.
erschienen am 2. September 2008
Zum Thema
Durch die Moderation seiner Gameshow "Takeshi's Castle" erlangte Takeshi Kitano in Deutschland einen mittleren Bekanntheitsgrad. In seinem Heimatland jedoch zählt Tausendsassa "Beat Takeshi", wie sein Künstlername in Japan lautet, zu den Superstars. Diesen Status erlangte er vor allem durch seine TV-Auftritte als Moderator und Komiker in verschiedensten TV-Formaten. Der Dichter, Standup-Comedian, Moderator, Maler und Autor betätigt sich zur Freude seiner Kinofans auch als Regisseur und..
Akires to kame (Kinofilm)
2024