Movienet
Paul Kalkbrenner ist kein DJ
Wie ein Fisch im Wasser
Interview: DJ Kalkbrenner gibt es nicht
"Berlin Calling" ist das Schauspiel-Debüt von Paul Kalkbrenner. Der Musiker spielt DJ Ickarus, der auf dem Weg zum Musikerstar in den Drogenkonsum abstürzt und sich selbst in die Klinik einweist. Er verliert seine Freundin und Managerin und eine Album-Veröffentlichung wird abgesagt. In der Anstalt dreht er beinahe durch, doch seine Musik holt ihn wieder auf den Boden der Realität. Die Techno-Musik spielt auch im Leben des Musikers, der bei der Weltpremiere in Locarno mit seiner eigenen Musik den Piazza Grande rockte, die Hauptrolle. In einem lustigen Gespräch berichtet er von seinen Erfahrungen beim Dreh und warum er eigentlich ganz gut mit sich selbst klar kommt.
erschienen am 30. 11. 2008
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Das Publikum von Locarno (2008)
Ricore: Was haben Sie zur Einstimmung auf Ihre erste Filmrolle gemacht?

Paul Kalkbrenner: Regisseur Hannes Stöhr und ich beschäftigten uns relativ lange mit dem Drehbuch, bei dem ich als Detail- und technischer Berater tätig war. Aber auf das Spielen habe ich mich nicht wirklich vorbereitet. Ich weiß nicht, warum mir das so einfach von der Hand ging. Vielleicht spiele ich schon das ganze Leben vor mich hin, ohne es zu merken. Ansonsten habe ich mich nicht vorbereitet. Rund sechs Wochen vor Drehstart haben wir gut geprobt. Ich habe mich schnell super sicher gefühlt.

Ricore: Es war nicht von Anfang an geplant, dass Sie die Hauptrolle spielen. Was ist Ihnen als Erstes durch den Kopf gegangen, als Sie das Angebot bekommen haben?

Kalkbrenner: "Ja!" ist mir durch den Kopf gegangen. Das habe ich auch sofort gesagt.

Ricore: Waren Sie am Anfang der Dreharbeiten unsicher, weil Sie mit erfahrenen Schauspielern vor der Kamera standen?

Kalkbrenner: Nur der Tag vor den ersten Dreharbeiten war ich unsicher. Ich habe mich gefragt, was passieren würde, wenn ich aus meiner Selbstüberschätzung eine zwei Millionen Euro-Produktion in den Sand setzen würde. Aber als der Kameramann nach einem halben Tag zu mir sagte: "Die Kamera liebt dich - sogar wenn du mit dem Rücken zu ihr stehst" fühlte ich mich wie ein Fisch im Wasser.
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Paul Kalkbrenner macht auch in Locarno seine Musik
Ricore: Hat es eine besonders schwierige Szene für Sie gegeben?

Kalkbrenner: Nein, dafür das tägliche Aufstehen um sechs Uhr! Das ist sonst überhaupt nicht mein Ding. Ich bin ein notorischer Langschläfer. Ich schlafe gerne lange, und während der Dreharbeiten war mein Tagesrhythmus um acht Stunden versetzt. Das war heftig. Ich bin es auch nicht gewöhnt 15 Stunden am Tag zu arbeiten. Ich habe im Hotel in Berlin gewohnt, damit mich meine Crew und meine Jungs am Abend nicht ablenken können. Oft bin ich mit Turnschuhen auf dem Bett eingeschlafen. Vom Schauspielerischen her war nichts schwierig. Die Sexszenen haben Überwindung gekostet, aber sonst war das tägliche Frühaufstehen das Schwierigste. Das bin ich nicht gewohnt.

Ricore: Haben Sie eine Lieblingsszene im Film?

Kalkbrenner: Ja, viele. Ich könnte jetzt gar nicht sagen welche. Ich habe den Film jetzt schon so oft gesehen und könnte mich bei manchen Dingen noch immer scheckig lachen.

Ricore: DJ Ickarus aus "Berlin Calling" hält sich durch Drogen aufrecht. Sie sind selbst Musiker und sehr viel unterwegs. Wie managen Sie Ihren Alltag?

Kalkbrenner: Ich würde sagen, er hält sich nicht mit Drogen aufrecht, sondern er schießt sich einfach weg. Das ist manchmal ein Trugschluss von vielen Leuten. Die Menschen im Techno- und Feier-Bereich nutzen die Drogen schon anders, als beispielsweise in einer Werbeagentur. Dort wird das wirklich zur Leistungssteigerung gebraucht. Wir oder besser gesagt, unsereins will einfach breit sein. Man braucht nicht wirkliche Konzentration, um sich in den Flieger zu setzen, wohin zu fliegen und auf der Bühne das wieder zu machen, was man auch mit geschlossenen Augen tun könnte.

Ricore: Das Album von DJ Ickarus sollte ja "Techno, Titten und Trompeten" heißen. War das Ihre Idee?

Kalkbrenner: (lacht) Ja, da gab es einmal so eine Idee mit "Bier, Bumsen Ballermann". Das war eine Reminiszenz an diesen Unsinn. Das Schöne daran ist, dass er gerade noch davon überzeugt werden kann, das Album nicht so zu nennen.
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Paul Kalkbrenner (Locarno 2008)
Ricore: Okay, der Titel hat demzufolge nichts damit zu tun, dass Sie früher Trompete gelernt haben?

Kalkbrenner: Ja, ich habe Trompete gespielt, aber das hat nichts damit zu tun. Es war einfach ein griffiger - es gibt ja diese RTL II Reportagen, die genauso solche Titel haben. Also "Techno, Titten und Trompeten" oder "Bier, Bumsen Ballermann" ist meistens der Aufhänger dafür. Aber das ist eigentlich nur als Scherz gedacht.

Ricore: Es ist vielfach zu lesen, "Berlin Calling" sei ein Film über die Techno-Szene. Regisseur Hannes Stöhr war mit dieser Betitelung nicht so zufrieden. Wie würden Sie den Film beschreiben?

Kalkbrenner: Es ist natürlich ein schönes Bild der Bewegung und der Szene. Wir zeigen Techno, Rave, Drogen und Party. Aber das ist nur der Pinsel mit dem wir unser Bild malen. Die Story an sich ist viel universeller, die hätten wir auch mit einem Bildhauer oder jedem anderen Musiker erzählen können. Es geht um Dinge, die jeder Mensch kennt. Absturz und Aufstieg, Hoffnung, Liebe, Familie - das alles sind Themen im Film. Es ist ein Musikerporträt, es zeigt den Kampf des Musikers mit sich, mit seiner Drogensucht und vor allem auch mit der Welt und der Zeit, in der er lebt. Deswegen ist "Berlin Calling" viel mehr. Es ist ein Zeitporträt und fast ein bisschen wie ein Märchen, finde ich. Je öfter ich es jetzt anschaue, desto mehr kommt es mir wie ein Märchen vor. Der Film hat viele Wahrheiten, Ickarus schafft es am Ende, er muss seine Widerparts, die alle weiblich sind, dennoch nicht besiegen.

Ricore: Sie sind auch DJ. Spiegelt die Partyszene im Film die Realität wieder?

Kalkbrenner: Ich möchte das kurz zu definieren: DJ Paul Kalkbrenner existiert nicht, ich lege keine Schallplatten auf. Weil ich kein DJ bin. Ich mache einen Live-Act, ansonsten bin ich Musiker. Und die Szenen sind alle echt. Die Partyszenen sind keine Sets, das waren echte Gigs von mir. Man kennt das ja aus "Tatort" und solchen Sendungen, wo dann mal schnell eine Tanzszene gezeigt wird, und die dann gestellt ist und Komparsen tanzen. Aber Techno funktioniert nicht mit Komparsen.
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Paul Kalkbrenner genießt die Premiere in Locarno
Ricore: Haben Sie nicht ein bisschen Angst, dass die junge Menschen, die sich den Film anschauen, nicht abgeschreckt sind, sondern neugierig auf Drogen werden?

Kalkbrenner: Das glaube ich nicht. Das Ding ist, ein Film kann an einer Situation, an der Drogenszene oder gesellschaftlichen Verhältnissen nichts ändern. Der Film kann höchstens genauer hingucken. Zu jeder Zeit werden Jugendliche gegen die ältere Generation rebellieren. Dazu gehört auch, Dinge zu tun, die verboten sind. Da werden immer Drogen dazu gehören. Wir wollen nicht den moralischen Zeigefinger heben und sagen: "Nehmt bloß keine Drogen" sondern "Wenn ihr schon Drogen nehmt, dann informiert Euch zumindest ein bisschen. Steckt Euch nicht alles in den Mund, was Ihr finden könnt". Da ist heutzutage schon so viel Scheiße unterwegs, und wenn schon Gifte als Drogen verkauft werden! Das ist die Lehre und Erbse im Film beschreibt das ziemlich gut - es ist wie mit Safer Sex. Was bringt es von einer drogenfreien Welt zu träumen? Die wird es nie geben. Solange der Mensch existiert, ist er auf der Suche nach irgendwelchen Kräutern oder Stachelbeeren, die er essen kann, damit man sich mal ein bisschen anders fühlt. Ein etwas bewussterer Umgang würde mir schon reichen.

Ricore: Ich habe gelesen, Sie haben bei ARD und ZDF gearbeitet?

Kalkbrenner: Ja, da war ich Cutter. Ich habe Nachrichten geschnitten. Das war in der Zeit, in der ich selber kurz davor war, Ickarus zu werden und in der ich dann meine ersten Schallplatten gemacht habe. Das waren nur zwei Jahre, als ich Anfang 20 war.

Ricore: Würden Sie in der Musik zurück stecken, um Filme zu machen?

Kalkbrenner: Nein, ich würde beides machen. Das wäre super, dann könnte ich von beiden Sachen nur die Filetstückchen aussuchen. Ich stelle es mir furchtbar vor, nur Schauspieler zu sein. Da steht man unheimlich unter Druck. Man macht einen Kinofilm, dann kommt wieder nichts, und dann macht man einen ZDF-Zweiteiler. Nur Schauspieler zu sein würde ich nicht so toll finden.
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Paul Kalkbrenner posiert für die Kamera
Ricore: Sie haben in Locarno eine Vorführung von "Berlin Calling" gehabt?

Kalkbrenner: Abgeräumt! Kann ich dazu nur sagen.

Ricore: Dort haben Sie die Leute nach der Vorführung mit Ihrer Musik unglaublich begeistert. Wie war das dort?

Kalkbrenner: Es war so, dass ich dort meinen Computer hingestellt habe. Sie wollten die Subwoofer dann ausmachen, damit sie nicht überbelastet werden. Du kannst die definitiv nicht an unsere Anlage stecken. Ich wollte dort nichts Großes starten, sondern nur einen schönen Song spielen - als Abschied auf der Piazza Grande. Danach schaue ich von links nach rechts, und auf einmal rockte das dort, das gab's noch nicht. Auch Frédéric Maire sagte, er habe so etwas in 61 Jahren Locarno noch nicht erlebt. Das war nicht einmal Techno-Publikum, sondern ältere Leute.

Ricore: Im Film geht es auch um die persönlichen Ziele von DJ Ickarus. Was sind Ihre persönlichen Ziele?

Kalkbrenner: Um noch einmal den Unterschied deutlich zu machen: Ickarus würde gerne dahin kommen, wo ich jetzt bin. Ich habe mal etwas gelesen, bezüglich des Traums Rockstars zu werden: Angeblich hat jeder achte männliche Typ zwischen14 und 30 einen Plattenspieler oder Computer zu Hause und spielt damit musikalisch rum. Viele werden sich in der Geschichte des Films wiedererkennen. Ickarus ist längst nicht da, wo ich jetzt bin, aber er will da gerne hin. Und das Business ist genau so hart wie jedes andere auch. Die Label-Chefin hat Recht, wenn sie sagt, dass sie das Album nicht machen will, bevor er nicht wieder in Ordnung ist. Da sind zehn andere die das machen wollen. Für meine nächsten zwei Jahre wünsche ich mir: Ich würde gerne wieder schön auf Tour gehen. Wir versuchen sooft wie möglich Screening und Party zu verbinden, auch mögliche Afterpartys zu haben.

Ricore: Sie waren also die letzten drei Jahre gar nicht unterwegs mit Ihrer Musik?

Kalkbrenner: Das war das Schöne daran: Ich konnte gut Geld verdienen mit dem Musikmachen. Sechs Wochen vor Drehbeginn hörte ich auf zu spielen, damit ich einen normalen Tagesrhythmus bekomme. Aber das schöne war, nach dem Drehschluss Ende Oktober 2007 hatte ich schon wieder eine Schedule, die voll war. Ich möchte gerne beides machen. Von beiden Berufen das Beste.

Ricore: Das ist ein schöner Plan. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Film und auch weiterhin mit der Musik! Danke für das Interview.
erschienen am 30. November 2008
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