Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Brigitte Bertele und Hanno Koffler
Brigitte Berteles schwieriges Erstlingswerk
Interview: "Der Krieg wirkt sich auch hier aus"
Brigitte Bertele hat es sich mit ihrem Spielfilmdebüt nicht leicht gemacht. Ihr Drama "Nacht vor Augen" handelt von einem Soldaten, der nach einem Afghanistan-Einsatz nicht mehr derselbe ist. Traumatisiert von einem einschneidenden Ereignis, bricht die Welt des jungen Mannes und seiner Familie zusammen. Wir trafen uns mit der jungen Regisseurin und ihrem Hauptdarsteller Hanno Koffler und sprachen mit den beiden über Schuld und das Leben nach dem Krieg.
erschienen am 22. 10. 2008
BFilm Verleih
Nacht vor Augen
Filmreporter.de: Denken Sie, dass das europäische Publikum für eine derart skandalöse Geschichte bereit ist? Bisher kennt man solche Folterszenen eher aus amerikanischen Filmen, weniger von deutschen Soldaten.

Brigitte Bertele: Als ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen habe, war es für mich auch erst eine fiktionale Geschichte, die man vielleicht in die von Ihnen beschriebene Schublade stecken kann. Als ich dann aber die zugrunde liegenden Recherchen gesehen, mir Gespräche angehört habe, welche die Autorin Johanna Stuttmann mit Soldaten geführt hat, war ich tief betroffen, wie real die Geschichte ist. Man kann fast sagen dokumentarisch. Ich musste meinen Blickwinkel verändern. Für uns war die Intention zu sagen: Wir kennen die Länder, in denen unsere Truppen stationiert sind, nicht wirklich, wie Afghanistan oder Somalia. Es wird da interessant, wo der Krieg zurückkommt und Konsequenzen hat, die im Herzen unserer Gesellschaft spürbar sind.

Filmreporter.de: Wollten Sie mit dem Film eine politische Botschaft verfolgen?

Bertele: Mit politischen Botschaften ist es immer schwierig. Da haben wir auch eine Vergangenheit, die uns nachdenklich stimmen sollte, allzu programmatische Botschaften in die Welt zu streuen. Für mich war es wichtig, einen Reflexionsprozess anzuregen. Das Profil des Einsatzes hat sich inzwischen so verändert, dass man nicht mehr von rein humanitären Einsätzen sprechen kann und es wird Zeit, dass ein anderer Wahrnehmungs- und Reflexionsprozess in Gang gesetzt wird.

Hanno Koffler: Wenn man von Botschaft spricht, kann die nur darin bestehen, zum Denken anzuregen und zu zeigen, dass diese Dinge gar nicht so weit weg sind. Man sieht in den Medien Kriegsbilder aus fernen Ländern, aber das hat Folgen, die sich direkt hier in unseren Familien und unserem Zuhause auswirken. Man hat so ein verklärtes Bild von diesen Einsätzen, das betrifft uns alle. Diese Gewaltspirale zieht sich bis in unser friedliches Leben weiter.
b.film Verleih
Eine Szene aus "Nacht vor Augen"
Filmreporter.de: In einer Szene sagt die Mutter zu ihrem Sohn: "Manchmal scheint es mir, als hätte dir der Einsatz gut getan." Ist das eine Kritik an den Eltern, die ihre Kinder in den Krieg ziehen lassen?

Bertele: Naja, der David im Film ist ein erwachsener Mann, der seine Entscheidungen selbst treffen kann. So wird jeder Mann, der bei der Bundeswehr ist, und sich für einen Auslandseinsatz entschließt, seine Entscheidung selbst treffen. Was ich als sehr irritierend empfand, waren Gespräche mit Eltern, die sich darüber im Unklaren sind, welchen Situationen sich sie Einsatzwilligen aussetzen. Sie hatten teilweise sehr naive Sichtweisen.

Filmreporter.de: Inwieweit haben Sie selbst recherchiert?

Bertele: Die Drehbuchautorin Johanna Stuttmann hat sehr viel recherchiert, sehr genau und jahrelang. Sie hat mit vielen Therapeuten, Psychologen und Seelsorgern gesprochen und natürlich mit Rückkehrern. Anhand dieser Recherchen hat sie das Buch entwickelt. Um das Umsetzen zu können, haben wir uns intensiv mit diesen Recherchen beschäftigt.

Koffler: Ich habe zur Vorbereitung das Recherchematerial durch gearbeitet. Aber die Arbeit eines Schauspielers findet auf einer anderen Ebene statt als bei einer Drehbuchautorin oder Regisseurin. Man muss das Schicksal irgendwie zu seinem eigenen machen. Man muss das Buch in den Bauch und in das Herz bekommen. Die theoretische Arbeit, sich auf einer politischen und intellektuellen Ebene damit zu beschäftigen, das habe ich irgendwann ad acta gelegt. Ich habe einfach versucht, mich mit dem Schicksal eines Soldaten auseinanderzusetzen und zu verstehen. Da gibt es so viele Fragen, denen man folgt.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Hanno Koffler
Filmreporter.de: War die Rolle eine besonders emotionale Herausforderung?

Koffler: Absolut, das muss ich ganz klar bejahen. Ich habe mich in die Vorbereitungen total reingehängt.

Filmreporter.de: Wie haben Sie sich vorbereitet?

Koffler: Am Anfang habe ich sehr viel mit Brigitte geredet. Dann habe ich angefangen, das immer zu lesen und das Recherchematerial von Johanna durch zu arbeiten. Das war schon sehr viel Material. Ich habe auch selbst angefangen zu recherchieren, habe Artikel gesammelt, Bücher über Afghanistan und die Bundeswehr gelesen. Dann habe ich angefangen, mich körperlich fit zu machen. Mit David wollten wir einen Typ schaffen, der vor dem Einsatz mit beiden Beinen im Leben stand. Ein selbstbewusster, gut gebauter und gut aussehender Kerl. Wenn man ihn zum ersten Mal sieht, ist er eigentlich ein toller Typ. Und das war das Spannende, dass der plötzlich eine Macke bekommt. Das Bild fängt an zu bröckeln. Ich habe mich aber auch mit einem auf Traumata spezialisierten Therapeuten getroffen.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Brigitte Bertele
Filmreporter.de: Inwieweit hat sich Ihr Bild über die Bundeswehr verändert?

Bertele: Das kann ich nicht pauschalisieren. Mich hat das Individuum interessiert. Ich wollte David kennen lernen als eine konkrete Person in dieser Menge von jungen Männern, über die ich keine pauschalen Aussagen treffen möchte. Aber in der Auseinadersetzung mit dieser Figur haben sich bei mir viele Positionen verändert.

Koffler: Man wird natürlich auf eine gewisse Art und Weise sensibilisiert. Man nähert sich dem Schicksal von David an und fängt an, sich damit zu identifizieren. Man fragt sich: "Wie würde ich damit umgehen?" Das sind Fragen, wo es auch für die Zuschauer losgeht. Wenn sie erst einmal anfangen, sich mit ihm zu identifizieren, löst das eine Kette von spannenden Fragen aus. Eine Kernfrage des Films ist: Was macht das Töten mit mir? Und wie geht es nachher weiter? Man kennt amerikanische Filme, in denen einer nach dem anderen abgeknallt wird. Dann schaut man sich einen Polizeibericht an, in dem einer einen anderen angeschossen hat. Das hat für diese Person derart nachhaltige Folgen, und für alle, die mit ihr in Verbindung stehen. Das ist eine sehr spannende Kettenreaktion.

Filmreporter.de: Dies wurde auch in einer Szene umgesetzt, in der David seinen Freunden erzählt, wie er einen Jungen erschossen hat. Einige sind abgestumpft, einer aber geht, weil es ihm zu viel wird.

Bertele: Mir war es wichtig, die verschiedenen Reaktionen aufzuzeigen. Manche Menschen reagieren mit Rückzug, mit Schweigen aus Überforderung, vielleicht auch mit einem Angriff. Es gibt keine homogenen Reaktionen. Ich wollte den Film auch nicht auf Afghanistan und Kriegsthematik im Allgemeinen reduzieren. In einem weiteren Sinne beschäftigt sich der Film damit, wie Menschen mit einem traumatischen Erlebnis umgehen. Das könnte zum Beispiel auch ein Unfall sein, der jemanden plötzlich aus dem Leben reißt. Neben der Frage von Schuld und sich schuldig machen, dem Spannungsfeld von Opfer und Täter, was in Davids Figur vereint ist, ist für mich auch die Frage, wie ein Mensch die gesellschaftliche Reintegration nach einem traumatischen Ereignis erlebt.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Hanno Koffler beim interview mit Filmreporter.de
Filmreporter.de: Wie geht es mit David weiter? Er ist nicht vollständig geheilt.

Koffler: Das war für uns schon vor den Dreharbeiten ein Thema. Das Ende eines Films ist immer heikel, darüber wird immer diskutiert. Es gab verschiedene Varianten aber es war klar, dass wir kein plattes, eindeutiges Ende haben wollten. Ich als Schauspieler hatte schon das Bedürfnis und habe zu Brigitte gesagt: Komm, lass es gut enden. Ich muss es schließlich spielen und will nicht vollkommen fertig aus den Dreharbeiten rauskommen. Die Szenen, in denen David aus der Klinik kommt, haben wir am letzten Drehtag gedreht. Es war für uns alle emotional sehr hart. Wir haben mitgelitten. Ich weiß nicht, wie es weiter geht. Aber ich hoffe, es geht gut weiter und möchte auch daran glauben, dass David dieses traumatische Erlebnis im Positiven überwindet.

Bertele: Für Davids Figur ist es eine Riesenerrungenschaft und ein wahnsinnsinniger Gewinn und Hoffnungsschimmer, dass er Hilfe überhaupt annimmt. Dass er es zulässt und eingesteht, unter einem Trauma zu leiden. Das ist ein reisengroßer Schritt, den viele gar nicht gehen. Viele Bundeswehrtherapeuten erzählen, dass viele Soldaten gar nicht erst an diesen Punkt kommen. Weil das Männlichkeitsbild dann bröckelt. Man muss das anerkennen, und dann findet ein langsamer, schmerzhafter Verarbeitungsprozess statt. Für Afghanistan gibt es noch keine Langzeitstudien, aber wir haben viel im Vietnam-Rückkehrer-Milieu recherchiert. Viele Autobiografien beschreiben, dass es ein jahrelanger Verarbeitungsprozess ist. Der Hoffnungsschimmer ist der, dass der Prozess in Gang gesetzt wurde.

Koffler: Der Film setzt mit Davids Rückkehr ein. David steht zwischen dem, wie er vorher war und dem, was passiert ist. Diese zwei Seiten befinden sich in ständigem Kampf miteinander. Er will der Alte sein, kann es aber nicht. Er will das Töten verdrängen, will weitermachen wie zuvor.

Bertele: Es gibt keine Wiedergutmachung im Sinne von Ungeschehen machen. Es gibt nur ein Akzeptieren und Lernen, mit dem Vergangenen zu leben. Es geht darum, das Leben neu zu lernen. Aber es wird nie mehr so sein wie zuvor.

Koffler: Und das ist nur ein Schicksal. Es gibt in Deutschland fünf Bundeswehrkliniken, die auf posttraumatische Belastungssymptome spezialisiert sind. Da sind noch ein paar mehr Davids unterwegs und verarbeiten das auf ihre Weise.
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Brigitte Bertele beim Interview
Filmreporter.de: In Amerika sind solche Filme gängiger, hierzulande fehlt dafür das Bewusstsein. Glauben Sie, dass Ihr Film den Menschen die Augen öffnen wird?

Bertele: Ich würde mir wünschen, dass eine Reflexion stattfindet. Bei uns wird das auf weltpolitischer Ebene diskutiert. Es geht um Bündnisstrategien und solche Sachen. Einmal bin ich in einer großen Wochenzeitung auf den Erlebnisbericht eines deutschen Soldaten gestoßen, in dem das Thema von der Basis aus aufgerollt wurde. Ich habe aber nie Berichte über Menschen der afghanischen Bevölkerung gelesen. Wie sie das sehen. Wir hatten Interviews mit Kosovaren, die über den damaligen Einsatz reflektierten. Es war sehr interessant zu sehen, wie das von der Bevölkerung gesehen wurde. In letzter Zeit habe ich viel Zeitung gelesen und es wird davon berichtet, dass die Bundeswehr exzellente Aufbauhilfe leistet. Was aber von manchen Teilen der Bevölkerung in Afghanistan durchaus anders gesehen wird. Ich war nicht dort, habe keine Ahnung. Ich würde mir nur wünschen, dass insgesamt ein differenzierteres Bild gezeichnet wird. Was in den Medien diskutiert wird ist eindimensional. Ich würde mir wünschen, dass der Film anregt, die ganze Sache einmal unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Filmreporter.de: Warum haben Sie sich für ihr Erstlingswerk ein derart schwieriges Thema ausgesucht?

Bertele: Was mich immer schon interessiert hat, ist das Thema Gewalt. Mich interessieren beide Teile der menschlichen Seele. Die zur Liebe fähige und die zum Hass fähige Seite. Die Ambivalenz und Zerrissenheit an Davids Charakter hat mich interessiert. Auf der einen Seite die destruktive Kraft, auf der anderen Seite die Fähigkeit zu Liebe und Leidenschaft. Es ist auch die Geschichte eines sehr lebenshungrigen Menschen, der sich danach sehnt, aus seinem beschränkten Umfeld auszubrechen. Ich selbst bin in einer Kleinstadt aufgewachsen und habe das als sehr repressiv und eng empfunden. Ich konnte mich gut mit der Figur von David identifizieren, der mehr will vom Leben. Er will raus, etwas erleben, sich spüren und sich aussetzen. Es kippt dann in eine andere Richtung. Aber mit dieser Ursehnsucht seiner Figur konnte ich mich identifizieren.

Filmreporter.de: Vielen Dank Ihnen beiden für das Gespräch.
erschienen am 22. Oktober 2008
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Hanno Koffler ist Schauspieler mit Leib und Seele. Nachdem er von Marco Kreuzpaintner für den Film entdeckt wurde, einige Fernseh- und Kinoengagements hatte, wollte er seinen Beruf noch einmal von vorne lernen. Er bewarb sich beim Max-Reinhardt-Seminar und wurde angenommen. Sein Lehrer war kein geringerer als Klaus Maria Brandauer, der ihn neben anderen Charakteren wie Klaus Kinski und Oskar Werner seit seiner Jugend inspirierte. Der Unterricht hat geholfen, seitdem ist Koffler in unzähligen..
Nach ihrem Schauspielstudium an der Akademie der darstellenden Kunst in Ulm, belegte Brigitte Maria Bertele zusätzliche Kurse an unterschiedlichen Universitäten. Bis 2002 war sie an den Theatern in Eisenach, Parchim und Dresden fest engagiert. Gleichzeitig arbeitete sie fürs Fernsehen. Der Lerndrang war auch nach dieser Zeit weiterhin vorhanden. So begann sie 2002 an der Filmakademie Baden-Württemberg ein Studium mit Hauptfach Dokumentarfilmregie. Die daraus entstandene Doku "Roaming Araound"..
Nacht vor Augen (Kinofilm)
Als der 25-jährige Bundeswehrsoldat David (Hanno Koffler) von seinem Afghanistan-Einsatz zurückkehrt, scheint alles in Ordnung zu sein. Die Eltern freuen sich, dass ihr Sohn wieder zu Hause ist, die Freundin hat die gemeinsame Wohnung hübsch eingerichtet und die Freunde versammeln sich zu einer Willkommensparty. Nachts hat David jedoch Alpträume. Er hüllt sich in Schweigen, und seine Angehörigen wollen nicht tief unter die Oberfläche graben. Brigitte Berteles Drama schildert die psychischen..
2024