Senator Film Verleih
Luigi Falorni
Heiß diskutiert: "Feuerherz"
Interview: Luigi Falorni und die Kraft zu Überleben
Viele Probleme begleiteten Luigi Falorni und sein Team bei der Arbeit zu "Feuerherz - Die Reise der jungen Awet". Schauspieler sprangen ab, das Team wurde bedroht, Drehgenehmigungen nicht erteilt und zu guter Letzt die Kontroverse um die Lügen der Buchautorin Senait Mehari, auf deren gleichnamigem autobiographischen Roman der Film lose basiert. Doch all die Probleme haben den sympathischen italienischen Regisseur nicht entmutigt. Er arbeitete unbeirrt weiter. Im Interview spricht er offen über die vielen Tiefs und wenigen Hochs, die Lügengeschichte, die Drohungen und woher er trotz allem die Kraft zum Weitermachen nahm.
erschienen am 28. 01. 2009
Senator
Feuerherz - Die Reise der jungen Awet
Ricore: Sie sind schon wieder auf Promotiontour für "Feuerherz - Die Reise der jungen Awet", der Ende Januar 2009 startet…

Luigi Falorni: Genau, im Januar ist es soweit. Es gibt vorher noch ein Festival in Norwegen und in Palm Springs. Es ist also noch viel zu tun. Gedreht haben wir den Film allerdings schon im Sommer und Herbst 2007.

Ricore: "Feuerherz" wurde 2008 auf der Berlinale erstmals ausgestrahlt. Hat sich seit der Aufführung etwas geändert?

Falorni: Es hat sich tatsächlich etwas geändert. Die Berlinale fand kurz nach Drehende statt. Normalerweise braucht man für so einen Film mindestens sechs bis sieben Monate Zeit für die Postproduktion, aber die hatte ich eben nicht. Die Zeit war sehr eng, mit dem Schnitt, der Musik und der Vertonung. Dann habe ich, nach Rücksprache mit dem Produzenten, mir noch die Möglichkeit genommen, nach der Berlinale den Film zu Ende zu schneiden, einzelne Passagen auszuarbeiten und die Musik zu überarbeiten.

Ricore: Auf der Berlinale wurden Sie heftig angegriffen, auch aufgrund der Kontroverse um das Buch, auf dem "Feuerherz" basiert. Hatte das auch damit zu tun, dass Sie nachträglich noch ändern mussten?

Falorni: Nein, gar nicht. Die Kontroverse bezieht sich auf einzelne Passagen im Buch "Feuerherz" von Senait G. Mehari. Diese waren aber schon von vorneherein nicht ins Drehbuch eingeflossen. Insofern war die Berlinale-Fassung weit von den Anklagepunkten entfernt, die Kritiker am Buch äußerten. Die Vorwürfe betreffen eigentlich die Autorin.
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Luigi Falorni auf der Berlinale-Premiere 2008 von "Feuerherz"
Ricore: Um welche Vorwürfe handelt es sich genau?

Falorni: Manche Weggefährten von Senait Mehari sagen, sie hätte als Kind keine Waffe tragen müssen. Es lässt sich in der Tat nicht nachweisen, ob Senait Mehari selbst eine Waffe getragen hat oder nicht. Es gibt aus jener Zeit kein Foto, keine Archivaufnahme die das bestätigt oder widerlegt. Aber der Film dreht sich nicht um Senait Mehari, sondern um Kinder in Eritrea in dieser Zeit. Alles was im Film zu sehen ist, ist recherchiert. Die Ergebnisse der Recherche sind jedem zugänglich. Es gibt eine Internetseite, die der Produzent eingerichtet hat: www.feuerherz-info.de. Darauf sind Fotos, Archivaufnahmen und Zeitzeugenberichte abrufbar. Alles was bei der Recherche zu Tage gekommen ist, ist dort gesammelt und liefert ein sehr eindeutiges Bild.

Ricore: Wurden Sie sich von der Kritik während der Dreharbeiten beeinflusst?

Falorni: Vor dem Drehen habe ich alles, was im Buch zu lesen ist, nachgeprüft. Ich habe nur das übernommen, was ich nachweisen konnte oder was sich durch die Recherche bestätigt hat. Nach dem Dreh hat dann eine ehemalige Kommilitonin von Mehari gegen das Buch geklagt, weil sie sich dort fälschlicherweise als brutale Kommandantin dargestellt sieht. Diesen Vorwürfen ist ein Gericht nachgegangen und in der Tat konnte die Autorin nicht nachweisen, was sie im Buch behauptete. Es wurde eine Abfindung vereinbart. Das ist aber, wie gesagt, etwas, was das Buch betrifft. Im Film entfernen wir uns von der persönlichen Geschichte von Senait Mehari. Der Film ist zwar inspiriert von ihrem Bericht, aber letzten Endes geht es nicht um sie als Person und um die Figuren, die sie beschreibt, sondern um frei erfundene Charaktere, die im historischen Kontext eingebunden sind und stellvertretend für das Schicksal von vielen Menschen in Eritrea stehen.

Ricore: Haben Sie bei den Dreharbeiten mit Senait Mehari zusammen gearbeitet?

Falorni: Ich habe sie am Anfang der Produktion einmal in Berlin getroffen, da es mir natürlich wichtig war, dass wir uns ein Bild voneinander machen. Sie hat uns für das Projekt ihre Lebensgeschichte zu Verfügung gestellt und ich wollte sicher sein, dass sie mir als Regisseur vertraut und ich frei arbeiten kann. Sie hat aber nicht am Drehbuch mitgearbeitet. Wir haben uns danach noch zweimal getroffen, aber nur privat. Mit dem Film hat sie letzten Endes nichts zu tun gehabt.
Berlinale
Luigi Falorni


Ricore: Manche Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie ein geschöntes Bild von Kindersoldaten zeigen…

Falorni: …weil sie unter "Kindersoldaten" die extremen Fällen aus Uganda oder Sierra Leone verstehen. Kinder, die entführt wurden, die gezwungen wurden, ihre Eltern umzubringen, ihre Opfer zu vergewaltigen oder sogar Teile ihrer Leichen zu essen. Um eine von diesen abgründigen Geschichten geht es aber in "Feuerherz - Die Reise der jungen Awet" nicht - und nebenbei bemerkt, in Eritrea hat es solche extreme Fälle von Kindermissbrauch auch nicht gegeben. Der Film erzählt die Geschichte von einem Mädchen, das in Eritrea in den Bürgerkrieg verwickelt wird. Das es letzten Endes durch ihre inneren Werte schafft, physisch und seelisch zu überleben. Eigentlich sind "Kindersoldaten" per UNICEF-Definition alle Jugendliche unter 18 Jahre, die in einer militärischen Organisation verwickelt sind, sei es als Koch oder als Bote oder sonstwie. In diesem Sinn kann man die Kinder in "Feuerherz" auch als Kindersoldaten bezeichnen. Wenn der Film aber als "Kindersoldatenfilm" abgestempelt wird, werden bei den Zuschauern falsche Erwartungen geschafft. Ich fürchte dieses Wort schreckt das Publikum ab, das den Film eigentlich gern sehen würde und zieht das Publikum an, für das aber die Geschichte zu wenig erschütternd und zu "hoffnungsvoll" ist.

Ricore: Es gab nicht nur die Kontroverse um den Film. Im Vorfeld der Dreharbeiten hatten Sie auch Schwierigkeiten mit Schauspielern und den örtlichen Behörden. Können Sie jetzt einschätzen, wie viel Kraft Sie dieser Film gekostet hat?

Falorni: Der Film war ein enormer Kraftaufwand. Es war das schwierigste Projekt, das ich bisher gemacht habe. Es gab Gegenwind vor allem von der eritreischen Regierung. Ich wollte ursprünglich in Eritrea drehen. Mir wurde aber keine Drehgenehmigung erteilt, weil die dortige Regierung mit dem Thema nicht einverstanden war. Ihre Antwort lautete: "Im 30-jährigen Kampf für die Freiheit Eritreas gab es keine Minderjährigen an der Waffe." Das ist schlichtweg eine historische Lüge, die man so einfach nicht hinnehmen kann. Es gab Forderungen von Seiten der eritreischen Regierung, das Drehbuch so zu ändern, dass nichts mehr vom eigentlichen Thema übrig geblieben wäre. Wir haben uns entschieden, das nicht zu machen. Das wäre eine totale Geschichtsbeschönigung.
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Senait Mehari auf der Berlinale 2009
Ricore: Was haben Sie dann gemacht?

Falorni: Wir sind nach Kenia ausgewichen. Dort leben viele Eritreer. Aber selbst da haben uns die Probleme verfolgt. Die Eritreer in Kenia können nicht tun und lassen was sie möchten. Sie hängen an ihrem eritreischen Pass, der alle zwei Jahre erneuert werden muss. Sie stehen unter dem Einfluss der eritreischen Botschaft vor Ort und des eritreischen Staates und haben womöglich Verwandte in Eritrea. Als wir nach Kenia kamen, herrschte zunächst ein großes Interesse, auch von Seiten der eritreischen Exilgemeinde. Viele wollten an dem Projekt mitmachen, wollten aber eine schriftliche Erlaubnis von der eritreischen Botschaft. Die konnte ich ihnen aber nicht besorgen, da wir in Eritrea ja nicht drehen durften. Dann ist die Hälfte der Menschen wieder verschwunden.

Ricore: Wie haben Sie dann doch noch Darsteller bekommen?

Falorni: Das alles hat sich monatelang hingezogen, auch durch die Castings und Workshops, die wir in Nairobi gemacht haben. Alle Schauspieler waren Laien, Leute von der Straße. Aber wir haben uns mehr und mehr kennengelernt und es wurde uns immer klarer, wer es wirklich ernst meinte und teilnehmen wollte, und wer sich frei genug fühlte, um bei uns zu bleiben.

Ricore: Dennoch sind kurz vor Drehstart fast alle Schauspieler abgesprungen…

Falorni: Wir hatten Ende Juni, Anfang Juli 2007 unseren Cast zusammen. Es waren alle Rollen besetzt und wir konnten anfangen. Das Team aus Deutschland war angereist, alles stand bereit. Das Basislager war aufgestellt, die Zelte, drei Lastwagen voller Wasser und so weiter und so fort. Die bereits entstandenen Kosten waren sehr hoch. Als es uns am härtesten treffen konnte, drei oder vier Tage vor Drehbeginn, kamen die Darsteller ins Produktionsbüro in Nairobi und erzählten uns von Drohungen, die sie erhalten hatten. Manche wurden zu Hause aufgesucht. Es wurde ihnen bedeutet, nicht am Film teilzunehmen und uns gewissermaßen zu sabotieren. Aber sie waren ehrlich genug, uns die Wahrheit zu sagen.
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Feuerherz
Ricore: Was haben Sie dann gemacht?

Falorni: Nun ja, es ging soweit, dass einer der Darsteller, der die ganzen Monate voller Überzeugung dabei war, zu uns ins Büro kam und sagte, er könne das nicht machen, er wäre massiv bedroht worden, so dass er das für sich und seine Familie nicht verantworten könne. Der Produzent hat noch versucht, ihn zu motivieren. Aber der Mann ist in Tränen ausgebrochen und hat gesagt: "Gott segne diesen Film, aber ich kann es nicht machen." Danach sind viele andere gegangen. Dann standen wir da, ein paar Tage vor Drehbeginn und 80 Prozent der Rollen waren nicht besetzt. Zum Glück ist die Hauptdarstellerin bei uns geblieben. Ihre Schwester und ihr Bruder und ein paar Nebenrollen sind ebenfalls geblieben, aber ein Großteil der Besetzung war weg. So mussten wir von Neuem angefangen.

Ricore: Was geschah dann?

Falorni: Wir mussten die Entscheidung treffen, ob wir weitermachen oder nicht. Und wie wirtschaftlich das ist. Für mich als Filmemacher war natürlich die Hauptsorge, werde ich in der knappen Zeit noch Ersatzdarsteller finden, die auch ohne Workshops auskommen und spielen können. Ich bin dann in den Norden Kenias in ein Flüchtlingslager gefahren, wo viele Eritreer leben. Wir waren schon einmal dort und haben dort nach Statistenrollen gesucht. Ich habe schnell versucht herauszufinden, welche Person zu welcher Rolle passt, charakterlich sowie äußerlich. So haben wir an einem Nachmittag die drei Hauptnebenrollen, Awet, Mike'ele und Amrit gefunden.

Ricore: Wie wurde das von den Flüchtlingen aufgenommen?

Falorni: Für die Flüchtlinge war das natürlich erst mal ein Wahnsinn. Sie hatten keine Ahnung von Film, von Dreharbeiten und plötzlich kommt einer mit so einem Vorschlag. Sie haben einfach zugesagt, da es eine Möglichkeit war, ein bisschen Geld zu verdienen. Die meisten lebten von Gelegenheitsjobs. Keiner hat wirklich eine Tätigkeit, der er dauerhaft nachgeht. Obwohl ein paar einen Beruf oder studiert hatten. Mit der Zeit sind die meisten doch sehr stark in ihre Rollen gewachsen, haben einen erstaunlichen Ehrgeiz entwickelt und haben sich toll engagiert. Im Nachhinein denke ich, sie haben ihre Rollen sogar besser gespielt als es der ersten Besetzung aus Nairobi gelungen wäre. Das Thema ging ihnen einfach näher, weil sie Furcht und Flucht aus eigener Erfahrung kannten.
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Ricore: Haben Sie noch Kontakt zu den Schauspielern?

Falorni: Ja, eine von ihnen hat es geschafft, nach Kanada auszuwandern. Die meisten wollen ein Visum für den Westen. Europa, Amerika, Kanada oder Nordamerika. Einer von ihnen lebt noch in den Camps und ist dort sehr aktiv. Er arbeitet als Lehrer, organisiert Kulturereignisse und versucht einen Sinn in ihren Alltag zu bringen. Von einem anderen habe ich gehört, dass er nach Kampala ausgewandert sei. Die Mehrheit ist immer noch dort.

Ricore: Würden Sie, mit dem Wissen um all die Probleme, noch einmal dasselbe machen?

Falorni: Man sagt ja immer: ich würde hier und da etwas anders machen. Aber man darf sich nicht in die Tasche lügen. Man muss in jeder Situation sein Bestes geben und bei all den Problemen haben wir immer das Beste daraus gemacht. Das Projekt hätte an so vielen Stellen zum Stillstand kommen können, nicht nur wegen der Darsteller, auch wegen Dinge wie dem Wetter.

Ricore: Inwiefern wegen dem Wetter?

Falorni: Wir haben im Norden Kenias gedreht, der monatliche Regendurchschnitt ist dort verschwindend gering. Aber ausgerechnet in diesem Jahr hat es Unmengen geregnet. Unser Camp war mehrmals überflutet. Wir mussten die Dreharbeiten unterbrechen und die Flüsse waren nicht mehr passierbar. Natürlich, mit mehr Zeit, Ruhe und ohne diesen Druck von außen, hätte man anders arbeiten können. Aber so ist das bei jedem Film. Was uns letzten Endes bleibt, ist was man im Film sieht. Mein Job als Regisseur ist, dass der Zuschauer die Probleme während der Dreharbeiten nicht als Manko empfindet. Man muss mit den Schauspielern auf der Leinwand gehen und das Spiel als glaubhaft empfinden.
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Luigi Falorni auf der Berlinale 2009
Ricore: Ihren Schilderungen entnehme ich, dass Sie immer noch gefangen sind von den Erlebnissen. Wenn Sie Ihr nächstes Projekt planen, ziehen Sie unter "Feuerherz" einen Schlussstrich?

Falorni: Jeder Film gibt einen Koffer voller Erfahrungen mit, den man zum nächsten Projekt mitnimmt. Sicherlich werde ich wieder an diesen Film zurückdenken, daran, was habe ich in jener Situation gemacht habe, wie wir dieses Problem gelöst haben.

Ricore: Was für Erwartungen stellen Sie an den Film in Deutschland?

Falorni: Bei der Berlinale wurde der Film von den Kritikern heftig angegriffen. Doch bei einer Testvorführung in München hat ein repräsentatives Publikum von über 300 Leuten den Film zu 81 Prozent für gut befunden, davon 25 Prozent sehr gut. Das war ein sehr gutes Ergebnis. Ich bin gespannt, was in den Kinos passiert. Die Presse auf der Berlinale hat einen hohen Anspruch und einen gewissen Ansatz. In den Kinos kann eine ganz andere Rezeption stattfinden. Die Herangehensweise der Zuschauer ist unterschiedlich.

Ricore: Lässt Sie die Kritik kalt, vor allem nach den Erlebnissen beim Dreh?

Falorni: Natürlich lässt das einem nicht kalt. Aber man muss das Beste daraus machen. Es gab während der Berlinale einen Pressebericht des Hollywoodreporters, der den Film regelrecht anhimmelte. Der Artikel war wunderbar zu lesen, mit Querverweisen zu meinen früheren Filmen. Es hat auch positive Reaktionen von Seiten des Publikums gegeben. Während der letzten Vorführung auf der Berlinale, jenseits der Wettbewerbsreihe, war ein Publikum, das dem normalen Kinopublikum näher kommt. Danach hatten wir eine Podiumsdiskussion und die war sehr gut. Viele Leute waren begeistert, kamen auf mich zu und wollten Autogramme. Das sind Dinge, die man mitnimmt. Wenn dann ein schlechter Artikel kommt, muss man damit leben.

Ricore: Vielen Dank für das nette Gespräch.
erschienen am 28. Januar 2009
Zum Thema
Der italienische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent erlernte sein Handwerk an der Münchner Filmhochschule, weshalb er perfektes Deutsch spricht. Seine große Leidenschaft ist das Reisen. Für seinen ersten Langspielfilm "Die Geschichte vom weinenden Kamel" reiste er mehrere Monate in die Mongolei und verbrachte Zeit mit den Einheimischen. Der Film wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, für den Oscar nominiert und erhielt gigantisches Publikumsecho. Hingegen sein zweiter Langspielfilm..
Schon im Vorfeld löste der Film von Luigi Falorni große Debatten aus. Einige bezeichneten ihn als diskriminierend, nicht der Wirklichkeit entsprechend oder überzogen. Dabei erzählt der Regisseur nur die Geschichte eines kleinen Mädchens, das am Unabhängigkeitskrieg von Eritrea teilnimmt.
2024