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Dror Zahavi
Sympathie für Selbstmordattentäter?
Interview: Dror Zahavis Liebesgeschichte
Der israelische Regisseur Dror Zahavi nahm sich viel vor, als er mit der Liebesgeschichte einer Jüdin zu einem Araber begann. Zumal seine Hauptfigur ein palästinensischer Selbstmordattentäter ist. Die Reaktionen bei den Testscreenings von "Alles für meinen Vater" bestärkten ihn. Welche Schwierigkeiten er mit dem Projekt dennoch hatte, und warum er Aufrufe zum Boykott seiner Dreharbeiten nicht versteht, erklärt er Filmreporter.de im Gespräch.
erschienen am 21. 01. 2009
Kinowelt
Alles für meinen Vater
Ricore: Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen? Dror

Zahavi: Produzent Zvi Spielmann hat vor rund vier Jahren eine Veranstaltung besucht, auf der junge Drehbuchautoren ihre Ideen vorstellen. Er hat von diesem Drehbuch gehört und war sofort Feuer und Flamme. Er bat den Autor um das Skript und hat mir den Entwurf geschickt. Das hat mich wirklich begeistert und seitdem bin ich dabei.

Ricore: Was war Ihre Motivation für den Film?

Zahavi: Was mich faszinierte war, dass die Geschichte versucht, zwischen den Völkern Brücken zu bauen. Sie zeigt Menschen, keine Monster. Auch wenn die gezeigten Personen Selbstmordattentäter sind. Abgesehen davon haben mich die Figuren sehr gereizt.

Ricore: Wie war es, in Tel Aviv zu drehen?

Zahavi: Das war sehr schön. Natürlich sind die Bedingungen nicht wie in Deutschland. Aber die Menschen sind offen. Wir haben schnell gelernt, dass man hier und da improvisieren muss. Aber wenn man den Leuten Ideen gibt, suchen und finden sie immer eine Lösung.

Ricore: Haben Sie sich auf diesen Film besonders vorbereitet?

Zahavi: Ja, wir haben sehr gründliche Recherchen über die Profile von Selbstmordattentäter gemacht. Über die technischen Vorgänge, wie man Bomben baut, wie sie verbunden sind, ob man sie abnehmen kann oder nicht. Und wir haben mit Militärexperten und einer Psychologin gesprochen, um ein Profil von einem Attentäter zu zeichnen.
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Szene aus "Alles für meinen Vater"
Ricore: Wie sieht ein solches Profil aus?

Zahavi: Wir sind zur Schlussfolgerung gekommen, dass es kein einheitliches Profil gibt. Erst dachte man, es seien Männer zwischen 16 und 22. Danach glaubte man, sie seien religiös. Dann kamen Ältere dazu, später Frauen, Akademiker. Die Motivation für einen Selbstmordanschlag ist vielfältig und manchmal sehr persönlich. Deshalb kamen wir auf die Idee, die Motivation unseres Helden auf der persönlichen Ebene zu finden und nicht auf der direkt politischen.

Ricore: Sie sind selbst in Israel aufgewachsen, fließen persönliche Elemente im Film ein?

Zahavi: Das ist in jedem Film so. Jeder spiegelt eigene Erfahrungen. Ich zeige Tel Aviv etwas kaputter, weil dies auch dem seelischen Zustand der Figuren entspricht. Es erschien mir passender zu sein.

Ricore: Sie waren auf dem Filmfest in Zürich, wie war die Resonanz?

Zahavi: Unglaublich, nach dem Film gab es eine Diskussion mit 400 Zuschauern, zwei Stunden lang, bis ein Uhr nachts. Die Leute waren begeistert, haben unheimlich viele Fragen gestellt. Es war eine der besten Vorführungen, die ich erlebt habe.
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Szene aus "Alles für meinen Vater"
Ricore: Sie waren bei der Vorführung in Jerusalem dabei?

Zahavi: In Jerusalem und in Montreal. Es gibt von Land zu Land Unterschiede bei den Reaktionen. In Israel betrachtet man den Film natürlich anders. Er wird sofort an der eigenen Realität gemessen. Die kritische Betrachtung ist stärker. Aber auch in Israel ist er gut angekommen wenn auch kontroverser. Die Leute sind emotional involviert. Es gibt Menschen, die Verwandte haben, die bei Selbstmordattentaten ums Leben gekommen sind. Für sie ist es sehr schwer, einen solchen Film zu sehen - vielleicht sogar dabei mit einem Selbstmordattentäter zu sympathisieren.

Ricore: Haben Sie auch extrem negative Reaktionen erfahren?

Zahavi: Oh ja! Nicht nur eine. Es gab mehrere Aufrufe an die israelische Filmförderung, solche Filme zu boykottieren. Ein Aufruf war dabei, den Film auf keinen Fall zu veröffentlichen, da es angeblich ein anti-israelischer Film sein soll. Es gab sehr heftige Reaktionen.

Ricore: Wie geht man damit um?

Zahavi: Solange es bei schriftlichen Aufrufen im Internet bleibt, akzeptiere ich das. Als ich den Arbeiten zum Film begonnen habe, war mir klar, dass ich keine seichte romantische Komödie mache. Es war klar, dass der Film polarisiert und deshalb auch kontrovers aufgenommen wird. Das ist okay. Dennoch war es beim Drehen hier und da etwas brenzlig, weil es Aufrufe gab, die Dreharbeiten zu stören. Das war weniger lustig. Alles blieb aber im Rahmen des Erlaubten und des von mir Akzeptierten. Ich kann verstehen, dass Leute mit einem solchen Film nicht einverstanden sind.
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Szene aus "Alles für meinen Vater"
Ricore: Warum?

Zahavi: Der Film berührt heilige Tabus der israelischen Gesellschaft. Da ist einmal die Liebesgeschichte zwischen einer Jüdin und einem Araber. Es gibt kaum gemischte Paare in Israel. Der zweite Punkt ist die religiöse Institution, die hier als Zwangsinstitution beschrieben wird. Und die Armee - auch die ist in Israel heilig. Da ist klar, dass man mit vielfältigen Reaktionen rechnen muss.

Ricore: Läuft es wirklich so extrem ab, wenn ein Mädchen wie Keren sich gegen Familie und Religion stellt?

Zahavi: Unter Umständen sogar noch extremer. Es gibt eine - wie soll sagen - eine Keuschheitspolizei in extrem religiösen Kreisen. Die sind manchmal nicht zimperlich.

Ricore: Sie haben ironische Momente im Film, die verwundern.

Zahavi: Auch wenn man Filme über schwere Themen macht, sollte der Humor und die Leichtigkeit nicht verloren gehen. Weil uns das als Menschen ausmacht. Menschen pfeifen in unterschiedlichen Situationen, sind nicht nur deprimiert und ernst. Das war mir sehr wichtig. Das ist etwas, das sich die israelische Gesellschaft erlauben kann. Solche schweren Themen mit Humor zu behandeln. Ich weiß nicht, ob ein Palästinenser das so hätte machen können.
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Shredi Jabarin in "Alles für meinen Vater"
Ricore: Was wollen Sie mit Ihren Filmen, die oft politische Konflikte thematisieren, verändern?

Zahavi: Erst einmal weiß ich, dass man mit Filmen nichts verändern kann. Filme können Menschen berühren, ihre Herzen erreichen und sie dadurch vielleicht, wenn man Glück hat, zum Nachdenken bewegen. Mir würde es reichen, wenn meine Filme Menschen zum Nachdenken bringen. Über sich selbst, über die Realitäten, in denen sie leben und sie dadurch ein bisschen verändern. Mehr kann ich nicht erwarten.

Ricore: Wie wichtig sind Ihnen Preise für Ihre Werke?

Zahavi: Preise sind für immer wichtig, weil sie eine Anerkennung für die Arbeit sind. Ich mache aber keine Filme, um Preise zu bekommen. Ich genieße solche Momente natürlich, aber ich mache keine Kompromisse um zu gefallen oder belohnt zu werden.

Ricore: Wie haben Ihre Familie und Freunde aus Israel auf Ihren Film reagiert?

Zahavi: Sie haben den Film geliebt, fast alle waren zu Tränen gerührt. Das ist übrigens häufig vorgekommen in Israel. Eine Frau, die ich nicht mal kenne, ist zu mir gekommen. Deren Schwester ist vor drei Jahren bei einem Selbstmordattentat umgekommen. Sie hat mir gesagt: "Ich wollte den Film hassen. Doch er hat mich so gepackt, dass ich ihn liebe. Nicht nur den Film, auch die Hauptfigur. Ich habe mit seinem Schicksal geweint."
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Hili Yalon in "Alles für meinen Vater"
Ricore: Wie wird der Charakter für die Zuschauer sympathisch?

Zahavi: Ich glaube, das ist vor allem der Verdienst des Schauspielers. Ich hatte ein Riesenglück, ihn zu bekommen. Die Voraussetzung für diese Figur war, dass man den Schauspieler vom ersten Augenblick an mag, wenn man seine Augen, sein Lächeln sieht. Abgesehen davon sympathisiert man immer mit einer Figur, die mit einer extremen Haltung irgendwohin hineingeht und mit einer anderen Haltung herauskommt. Mit anderen Worten: Diese Figur hat etwas dazu gelernt, hat sich verändert. Ich glaube, das honorieren Zuschauer.

Ricore: Wie haben Sie Shredi Jabarin gefunden?

Zahavi: Wir haben monatelang Castings gemacht. Wir haben für die Rolle der Keren ungefähr 350 Mädchen, fast alle Schauspielerinnen zwischen 16 und 25 in Israel gecastet. Bei Tarek war es genau so. Es waren nicht so viele, weil es nicht so viele arabische Schauspieler in Israel gibt. Hier hatten wir zudem die Schwierigkeit, dass die wenigen arabischen Schauspieler nicht alle in einem Film mitmachen wollten, der von Juden oder Israelis gemacht wird. Es war großes Glück, dass ich Shredi gefunden habe. Ohne ihn hätte der Film ein anderes Gesicht. Und vielleicht hätte er auch nicht so gut funktioniert, wie er es jetzt tut.

Ricore: Vielen Dank für das Interview.
erschienen am 21. Januar 2009
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