20th Century Fox
Tom Wilkinson
Die Menschheit bleibt schlecht
Interview: Pessimist Tom Wilkinson
General Friedrich Fromm ist eine umstrittene Figur des Dritten Reiches. Als Vorgesetzter Claus Schenk Graf von Stauffenbergs wusste er um dessen Attentatspläne auf Hitler und deckte sie bis zu einem bestimmte Zeitpunkt. In "Operation Walküre - Das Stauffenberg Attentat" wird Fromm vom Oscar nominierten Tom Wilkinson gespielt. Im Gegensatz zu anderen Schauspielern zeigte er sich kaum beeindruckt von der historischen Gewichtigkeit und Kraft des Films. Wilkinson präsentierte sich in unserem Gespräch als Pessimist, bemühte sich aber dennoch um positive Antworten.
erschienen am 22. 01. 2009
20th Century Fox
Tom Wilkinson als General Friedrich Fromm
Ricore: Wie spielt man jemanden, den man nicht mag?

Tom Wilkinson: Das tut man nie. Wenn man eine Rolle annimmt, spielt man immer vom Standpunkt dieser Person. Man muss jemanden spielen, der das, was er tut, befürwortet.

Ricore: Also lassen Sie sich selbst vollkommen raus?

Wilkinson: Ja, absolut. Es steht dem Schauspieler nicht zu, unterschwellig dem Publikum mitzuteilen "Das ist ein schlechter Mensch". Das macht man nicht. Man sagt sich, dass die eigene Figur eigentlich ein guter Mensch ist.

Ricore: Vielleicht war Friedrich Fromm auch kein schlechter Mensch?

Wilkinson: Natürlich. Ich glaube, gerade dieser Charakter ist kein schlechter Mensch. Er besitzt eine Mischung aus Feigheit, Tatsachenverdrehung und Selbsttäuschung, Eigenschaften, die wir alle in uns tragen.

Ricore: Er versucht zu kalkulieren...

Wilkinson: Ja, ich denke, das ist menschlich und fehlbar. Normal.

Ricore: Wie zeigt man so was schauspielerisch?

Wilkinson: Indem man ausschließlich das tut, was im Drehbuch steht. Nichts anderes. Das ist schließlich der Charakter, der geschrieben wurde.
Capelight Pictures, United Artists Production Finance
Operation Walküre - Das Stauffenberg Attentat ("Valkyrie", 2008)
Ricore: Sie haben also keine weiteren Informationen eingeholt, die über das Drehbuch hinausgehen?

Wilkinson: Nein, nicht wirklich. Das kann nützlich sein, gleichzeitig kann es aber auch ein Problem darstellen. Weil sie etwas über den Charakter herausfinden könnten, das nicht im Drehbuch steht. Ich erlebe das häufig. Schauspieler sagen "In dieser Szene heißt es soundso - aber in Wirklichkeit hat es sich so zugetragen..." Man kann den Regisseuren ansehen, wie sie denken "Halt's Maul!"

Ricore: Haben Sie jemals daran gezweifelt, diesen Charakter zu spielen?

Wilkinson: Nein. Zweifel? Nein, das kann ich mir nicht leisten.

Ricore: Was war der erste Eindruck, als Sie das Drehbuch gelesen haben?

Wilkinson: Es ist eine sehr instinktive Sache, wenn man ein Drehbuch zum ersten Mal liest. Das ist der Augenblick, wenn sich entscheidet, ob man die Rolle spielt. Es kommt vor, dass man ein Drehbuch nochmal liest und sich fragt "Will ich das wirklich tun?" Aber bei diesem stellte sich die Frage nicht, da ich die Geschichte faszinierend fand.

Ricore: Können Sie uns erklären, wie Sie ein Drehbuch beurteilen und aufgrund welcher Punkte Sie sich für eine Rolle entscheiden?

Wilkinson: Nicht wirklich. Das kommt auf das Gefühl an, das ich während des Lesens bekomme. Ich habe letztes Jahr einen Film gemacht, dessen Drehbücher eines der unflätigsten, vulgärsten war, die es überhaupt gibt: "Jane Austen". Das war unfassbar vulgär. Sie kennen doch die Filmvorführungen in Flugzeugen. Immer wenn geflucht wird, wird das von einem hohen Ton übertönt. Bei diesem Film würde man überhaupt keine Stimmen hören, nur Töne! Aber an diesem Film war etwas Fantastisches dran. Manchmal hat man einfach ein Gefühl, ob man es machen will oder nicht. Man weiß nicht, ob es gut oder schlecht oder sonstwas wird, man hat nur das Gefühl "Ja, das mach ich".
20th Century Fox
Tom Cruise ist Stauffenberg
Ricore: Wenn Sie ein Drehbuch lesen, spielt es auch eine Rolle, was Sie früher für Charaktere gespielt haben?

Wilkinson: Ja, das kann vorkommen. Ich versuche nicht notwendigerweise immer Rollen zu spielen, die vollkommen neu für mich sind. Aber es kann durchaus vorkommen.

Ricore: War dieser Film etwas Besonderes für Sie?

Wilkinson: Nein. Für die Drehbuchautoren und Produzenten natürlich. Ich weiß, dass sie sich der Sensibilität des Themas bewusst waren und die damaligen Ereignisse mit angemessenem Respekt verfilmen wollten. Doch für einen Schauspieler ist es immer das Gleiche. Egal mit welchen Stars man arbeitet oder wo man arbeitet oder welchen Film man macht. Man steht auf, trinkt einen Kaffee, arbeitet, und dann geht man nach Hause.

Ricore: Dachten Sie überhaupt nicht an die politische Dimension?

Wilkinson: Nein. Man versucht, die Dinge so einfach wie möglich zu halten. Man versucht zu denken, wie der Charakter, den man spielt. Fragen wie "Was ist Heldentum? Was ist Schicksal?" erweitern die Perspektive zu sehr, sind unerwünscht. Die stellt man sich, wenn man den Film sieht, aber nicht wenn man einen Menschen darstellt. Dabei sind diese Fragen meiner Meinung nach nicht relevant.

Ricore: Kommen die Fragen danach?

Wilkinson: Sie kommen in komplett anderen Zusammenhängen. Beispielsweise las ich während den Dreharbeiten ein Buch des britischen Historikers Antony Beevor, "Berlin". Es werden die letzten Kriegsmonate beschrieben. Wenn Sie eine Definition für die Hölle haben möchten, finden Sie sie dort.
Capelight Pictures, United Artists Production Finance
Tom Cruise & Kenneth Branagh In "Operation Walküre - Das Stauffenberg Attentat" ("Valkyrie", 2008)
Ricore: Denken Sie, dass solche Filme den Zuschauern dabei helfen, sich zu widersetzen wenn Grausamkeiten wieder passieren?

Wilkinson: Das würde man gerne glauben, nicht wahr? Ich denke nicht. Dinge passieren weiterhin, Menschen wiederholen sich, Taten wiederholen sich. Ob man nun Filme über den Holocaust oder die hundertste Verfilmung von "Tagebuch der Anne Frank" macht. Das macht keinen Unterschied. Als nächstes überfällt ein afrikanisches Land sein Nachbarland, bringt viele um. Ich habe ein Zitat von Nabokov gelesen: "Die Kunst hält dem Leben keinen Spiegel vor, sie formt das Leben." Das glaube ich nicht, ich denke, er irrt sich. Die Kunst vermag weder das Eine noch das Andere. Aber ich bin kein Experte. Klar, man will glauben, dass sich Leute nach dem Film mit der Definition von Mut auseinandersetzen. Doch Menschen machen mit ihren Untaten weiter. Das ist ein Mythos, dass die Menschheit immer besser wird. Das wird sie nicht. Sie bleibt mehr oder weniger die gleiche.

Ricore: Sie sind ein Pessimist?

Wilkinson: Nein. Ich bin froh, am Leben zu sein. Ich liebe Menschen. Aber was diesen einen Punkt betrifft: Ich denke nicht, dass die Menschen zivilisierter, netter oder weiser werden.

Ricore: Also was ist Kunst für Sie, als Ihre persönliche Nabakov-Antwort?

Wilkinson: Ich denke die Kunst unterscheidet uns vom Rest des Universums. Ich halte sie für faszinierend. Ich denke, es gibt niemanden, der behaupten könnte "Ich kann ohne Kunst leben". Wir werden alle bereichert auf Wegen, die wir nicht wirklich verstehen. Doch ich bin froh, dass sie da ist. Obwohl ich nicht weiß, was sie tut. Oscar Wilde hat gesagt "Die Kunst ist nutzlos. So ist dann auch eine Blume nutzlos". Die Kunst ist, was sie ist. Wir sind auf irgendeine Weise an sie gebunden. Wir machen Kunst, wir sind darin involviert, wir sehen Kunst, wir lesen Kunst. Doch wir wissen nicht genau, was sie tut. Aber wir sind froh, dass sie da ist.
20th Century Fox
Tom Wilkinson als General Friedrich Fromm in "Operation Walküre"
Ricore: Verglichen mit anderen Kunstformen, welche Art Kunst ist Kino für Sie? Ist ein Film Kunstwerk oder einfach nur Unterhaltung?

Wilkinson: Ich denke, Kino ist beides. Marx' sehr weite Definition ist, dass Kultur alles ist, was man tut, spricht, entscheidet. Ich denke nicht, dass der Film oder das Theater oder sonstwas irgendeine Sonderrolle einnehmen. Man macht es, weil man es gerne macht. Man wird dafür bezahlt. Man bietet es Leuten an. Und wenn sie es sich ansehen, ist es schön. Es ist ein fortwährender Prozess, wie man sagt. Dann stirbt man und macht es nicht mehr. Dann macht es eben jemand anderes.

Ricore: Ach kommen Sie, das ist doch reiner Pessimismus.

Wilkinson: Nein, ist es nicht! Ich denke es ist einfach nur realistisch. Ich bin kein Pessimist. Ich sehe einfach nur nicht, dass die Menschen besser werden.

Ricore: Was erwarten Sie von einem Regisseur?

Wilkinson: Nichts. Wenn ich mich für einen Film entschieden habe, weiß ich wie ich meinen Charakter spielen muss. Ich brauche den Regisseur nicht um mir zu sagen, wie ich meine Rolle spielen muss. Er kann kommen und sagen "Ich will, dass es an dieser Stelle schneller geht" oder "Können Sie dies oder jenes machen?" Aber ich erwarte nicht, dass er zu mir kommt und mir sagt, was das für ein Charakter ist. Das weiß ich selbst und das wird von mir erwartet. Ein Regisseur kann tun und lassen, was er will, solange er mich dabei nicht anpisst (grinst). Aber in der Regel macht das keiner.
erschienen am 22. Januar 2009
Zum Thema
Der britische Schauspieler verbrachte Teile seiner Kindheit in Kanada. Zum Film kam der Bühnendarsteller erst Ende der 1970er Jahre. Internationales Aufsehen erregte er in Peter Cattaneos "Ganz oder gar nicht" (1997). Die Kritik überzeugte er als Hauptdarsteller in "In the bedroom" (2001). Die Rolle brachte ihm Nominierungen als bester Hauptdarsteller bei den Oscars und den British Film Awards ein. Der Vater von zwei Kindern ist mit Schauspielerin Diana Hardcastle verheiratet. Er lehnte eine..
Bryan Singers minutiös geplanter Spielfilm über das berühmteste Attentat auf Adolf Hitler war von vielen Skandalen begleitet. Allen voran war Hauptfigur Tom Cruise Gegenstand von feindlichen Attacken, nicht nur aufgrund seiner Zugehörigkeit zu Scientology. Doch das Drama überrascht in vielerlei Hinsicht: Der Film hält sich nur begrenzt mit unwichtigen Details auf und kommt schnell zur Sache, die Schauspieler überzeugen und man kann den Geschehnissen ohne Problem folgen. Aufgebaut wie ein..
2024