Berlinale 2009
Annette K. Olesen in "Kleiner Soldat"
Annette K. Olesen über Rettung
Interview: "Soziale Realität hat sich verändert"
"Kleiner Soldat" erzählt die Geschichte einer ehemaligen Soldatin, die von ihrem Vater einen Job angeboten bekommt. Sie soll Prostituierte zu ihren Freiern begleiten. Wir sprachen mit der dänischen Regisseurin Annette K. Olesen über die Motive dieser ungewöhnlichen Geschichte. Zusammen mit ihrer Hauptdarstellerin Trine Dyrholm sprach sie das Thema Emigration an, das ihrer Meinung nach eine der größten Herausforderungen für Europa darstellt.
erschienen am 7. 02. 2009
Berlinale 2009
Lorna Brown in "Kleiner Soldat"
Ricore: Was war Ihr Ziel, was wollten Sie mit "Little Soldier" erreichen?

Annette K. Olesen: Wir haben nur selten von Anfang an ein klares Ziel. Wir beginnen damit, unterschiedliche Bereiche zu untersuchen. Unser Drehbuchautor hat immer gesagt: "Warum machen wir nicht einen Gangsterfilm draus!" Ich zögerte ein wenig, dachte nach. Aber Sex und Gewalt funktioniert doch immer. In gewisser Weise war es ganz interessant, mich darauf einzulassen.

Ricore: Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Olesen: Im Prinzip haben wir das gemacht, was wir immer machen, wenn wir beginnen. Ein bisschen Recherchieren, ein bisschen Ausprobieren. Dann sagte unser Drehbuchautor "Warum wollen wir nicht das Thema Menschenhandel reinnehmen". Es folgte eine intensive Recherche, im Laufe derer ich Kontakt mit Menschen hatte, die in Afghanistan oder im Irak gekämpft haben. Wir fragten uns, wie wir das in die Geschichte reinbringen könnten. All diese Themen wie die Vater-Tochter-Beziehung, Menschenhandel, Prostitution. Wir haben versucht, einen roten Faden zu finden und einigten uns auf den Begriff "Rettung". Wie kann man einen Menschen retten? Es kann ein Mensch sein, den man rettet, es kann auch ein Land sein. Das war die Richtung, als wir mit dem Drehbuch anfingen. Meine zumindest - vielleicht hat unser Drehbuchautor ganz andere Gedanken gehabt.
Berlinale 2009
Trine Dyrholm in "Kleiner Soldat"
Ricore: Versucht die Hauptfigur aus ihrer eigenen Vergangenheit auszubrechen, indem sie einem anderen Kind eine Mutter gibt?

Olesen: Ich denke, sie versucht sich von vielen Dingen freizumachen. Sie ist ohne Mutter aufgewachsen, das spielt natürlich eine Rolle. Das wird ein Thema, wenn sie Lily trifft und feststellt, dass diese ihre Tochter zurückgelassen hat. Da spielen viele persönliche Motive rein. Ich denke, das ist eine Frage für Trine.

Trine Dyrholm: Ja, genau darum geht es im Film. Dass man versucht, Menschen zu retten oder das zumindest möchte. Manchmal will man - indem man anderen hilf - sich selbst retten. Genau das ist das Problem der Hauptfigur in "Little Soldier". Sie zwingt Lily zur Rückkehr, obwohl sie das eigentlich nicht will.

Ricore: Sie gehen auch auf Stereotypen ein...

Dyrholm: Wir haben schnell begriffen, dass wir es hier mit drei Stereotypen zu tun haben. Da ist zum einen der Held, der Mensch, der etwas Gutes tun will. Dann gibt's noch den Böse und das Opfer. Was wir besonders interessant fanden, war herauszufinden, wie man diese Stereotypen auf den Kopf stellen kann. Es gibt natürlich nichts vergleichbares, wie ein wunderbarer, reiner Held. Genauso wenig wie den, der nur ein Opfer oder Schurke ist. Wir haben versucht dies zu thematisieren, Lotte damit zu konfrontieren. Sie will etwas Gutes tun und stellt fest, dass es nicht so geht, wie sie sich das vorstellt. Sie fragt Lily ja nicht. Sie weiß selbst, was für die Frau am Besten ist. Das kann man nun mal so nicht machen.
Berlinale 2009
Lorna Brown in "Kleiner Soldat"
Ricore: Haben Sie etwas über sich gelernt, als sie sich so intensiv mit diesen Fragen beschäftigt haben?

Dyrholm: Wenn man daran arbeitet Charaktere zu gestalten, ist das auch für einen selbst gut. Wir fragen uns: macht sie das weil sie sich selbst retten will, weil sie mit ihrem Vater etwas anders machen will oder weil sie diese Beziehung nicht mehr haben will. Oder versucht sie wirklich nur Gutes in der Welt zu bewirken. Jeder muss die Antwort darauf selbst finden. Es ist gut, dass dies nicht so klar ist. Ich glaube, das gibt den Schauspielern genügend Freiraum, damit zu arbeiten. Auch sie haben nicht alle Antworten.

Ricore: Nimmt "Little Soldier" dazu Stellung, dass die erste Welt versucht, die Probleme der dritten Welt zu regeln?

Olesen: Das ist eine Frage, die wir oft diskutiert haben: "Was passiert in der Zukunft mit Menschen, die viel reisen?" Wir glauben einen Film gemacht zu haben, der zeigt, dass in Europa jeder reist. Auch arme Menschen kommen in unsere reichen Länder. Obwohl sie nicht immer willkommen sind. Es ist ein interessantes Phänomen. Ich glaube, das ist umgekehrt interessanter. Also in den Industrieländern. Da sehen wir uns einer ganz anderen Realität gegenüber als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Wir hatten eine Politikerin in Dänemark, die kurze Zeit Emigrationsministerin war. Nur kurz, weil sie eine Bruchlandung hingelegt hat. Sie hat gesagt, dass in Zukunft Menschen nicht nur in unsere Länder kommen würden, weil sie vor Folter oder Krieg fliehen, sondern weil sie der Armut entkommen wollen.
erschienen am 7. Februar 2009
2024