Ulrich Blanché/Ricore Text
Uli M. Schüppel im Gespräch
"Von uns nach drüben"
Interview: Uli M. Schüppel über Berlin
Uli M. Schüppel ist in Berlin aufgewachsen. Nach der Wende zog er aus dem Stadtteil Kreuzberg nach Ostberlin. Der Filmemacher hat sich in seinen Werken immer wieder Menschen und Plätzen seiner Stadt genähert. In unserem Gespräch erzählt er von seiner neuen Dokumentation "Neubauten zu Elektrokohle - Von Wegen" und natürlich über Vergangenheit und Gegenwart der deutschen Hauptstadt.
erschienen am 28. 05. 2009
Neue Visionen
Neubauten zu Elektrokohle - Von Wegen
Ricore: Wie haben Sie die damaligen Konzertbesucher gefunden?

Uli M. Schüppel: Wir haben normal recherchiert, so wie man es für einen Dokumentarfilm macht. Wir haben in lokalen Zeitungen, hauptsächlich in Ostberliner Zeitungen inseriert. Radiostationen haben das Gesuch gesendet, wir haben unsere Nachricht im Internet verbreitet. Die Unterstützer der Neubauten sind sehr gut vernetzt, wir konnten uns dann letztlich raussuchen, wen wir einspannen.

Ricore: Was waren die Auswahlkriterien?

Schüppel: Schwer zu sagen. Die Person zunächst über eine gute Erinnerung verfügen, denn nicht jeder erinnert sich daran, was vor 20 Jahren geschah. Ein weiteres Kriterium war die Farbigkeit des Erzählens, wie sich jemand erinnert. Ich bin ein großer Freund von Psychogeografie, wie ich das nenne. Das ist eine emotionale Geografie, eine Landschaft gewissermaßen. Das emotionale Erinnern ist wichtiger, als das, was wirklich war. Dadurch bekommt es natürlich etwas Fiktives. Wenn beispielsweise eine Frau erzählt, wie kalt es war, und immer wiederholt, wie schrecklich sie die Kälte empfunden hat. Bei der Recherche kommt dann heraus, dass besagter Tag der wärmste Wintertag seit 150 Jahren war. Doch das ist für mich nicht wichtig. Mich interessiert das, was die Leute fühlen, was für sie die subjektive Wirklichkeit ist. Ich habe mir beispielsweise 20 Mal den Konzertsaal beschreiben lassen. Wenn ich das hintereinander schneiden könnte... Der war jedes Mal anders. Das finde ich schön, das ist das, was mich interessiert. Das Fiktive macht auch den Charme des Films aus. Es ist dadurch keine trockene Langzeitdokumentation von vor 20 Jahren. Ich sehe das als ein archaisches Konstrukt. Menschen gehen ihre Wege und erinnern sich dabei.
Neue Visionen
Szene aus "Neubauten zu Elektrokohle - Von Wegen"
Ricore: Sie sprechen von Wegen...

Schüppel: Ja, und das ist sehr spannend.

Ricore: Ursprünglich hatten Sie mit dem Material, das Sie vor 20 Jahren aufgenommen haben, etwas anderes vor...

Schüppel: Ich hab im selben Jahr (1989; d. Red.) einen Tourfilm über Nick Cave and the Bad Seeds gemacht. Den hatte ich noch mit einer 16 mm Kamera gedreht. Ich war es gewohnt, mit Freunden und Bands unterwegs zu sein. Dann hörte ich vom Konzert VEB Elektrokohle und habe mich morgens mit Blixa im Café in Schöneberg getroffen. Ich bin einfach mitgefahren, ohne zu wissen, was passieren würde. Wobei man das bei einem Dokumentarfilm auch nie wissen kann. Die Tatsache, dass ich das Material nicht veröffentlicht habe, lag daran, dass ich Angst hatte, dass man mich in eine Schublade steckt. "Ach, der Freund von den Musikern. Der macht immer so Musikfilme." Ich war damals 27 und wollte nicht, dass die Leute denken "Der macht das für immer". Ich hab deshalb 20 Jahre lang keinen Musikfilm mehr gemacht. Wobei die Filme natürlich immer was mit Musik zu tun haben. Hier habe ich versucht, dies aufzulösen. Es hat ja eine ganz andere Dimension, indem man die Wege der Ostbesucher zum Konzert noch einmal mitbekommt. Es ist jetzt kein Tourfilm mehr, würde ich sagen. Es ist schon ein Roadmovie, ein absurdes Roadmovie, wenn man so will. Alle laufen auf ein Ziel zu und finden es auch. Das Ziel ist diese Ost-West-Annäherung. Im Publikum, zwischen der Band und den damaligen Fans - es ist schön, das zu erleben.
Ulrich Blanché/Ricore Text
Schüchterner Regisseur mit Mütze
Ricore: Inwiefern ist das Ost-West Denken noch in den Köpfen drin?

Schüppel: Ich glaube, dass dies die jüngere Generation viel weniger in sich trägt. Ich habe viel mit jüngeren Leuten zu tun. Berlin Mitte und Prenzlauer Berg; da trifft sich schon eher West mit West und Ost mit Ost - immer noch. Das vermengt sich nicht so, wie man es vor 20 Jahren gedacht hätte. Irgendjemand hat mal gesagt, "Das braucht eine Generation". Vielleicht sind 20 Jahre noch keine Generation. Aber gut, das verändert sich. Und irgendwo ist so ein Film auch Geschichtsunterricht light. 15, 16-jährige, die gar nicht begreifen, wie das damals war. Die müssen dann immer zu diesen Mauerstücken, das ist doch öde. Ich hab da immer dran gedacht, wobei das jetzt nicht der Grund war, den Film zu machen. Aber es ist schön zu sehen: Damals stand man zwischen Berlin Mitte und Kreuzberg vier Stunden am Grenzübergang. Das hat man heute echt vergessen. Auch, was die Fans in der Band gesehen haben hat man total vergessen.

Ricore: Was hat die Einstürzenden Neubauten ausgemacht? Die Tatsache, dass sie alles und jeden kritisiert haben?

Schüppel: Dass sie Grenzen gesucht haben. Sowohl in den Texten als auch formal in ihrer Musik. Und die dann auch noch versucht haben, niederzureißen. Da ist der Name ja eigentlich schon Programm - Einstürzende Neubauten. Das hatte als Metapher eigentlich schon alles, ohne dass sie es unbedingt bewusst gemacht haben. Wenn ich das rückblickend sehe: Diese eingemauerte Stadt, und die Gruppe, die immer auch mit Presslufthämmern und Motorsägen gearbeitet hat, manchmal Feuer gelegt hat auf der Bühne. Das hängt doch zusammen, wenn Du das als Ganzes zu Ende denkst. Und das hat die Band ausgemacht. Das ist natürlich politisch, aber ich glaube nicht, dass es da eine Message gibt. Höchstens, dass man Grenzen auslotet und sprengt. Was ja irgendwo auch mit der Mauer passiert ist.
Ulrich Blanché/Ricore Text
Uli M. Schüppel
Ricore: Wo haben 1989, gelebt und wo leben Sie heute?

Schüppel: Ich habe damals in Kreuzberg gelebt, in Westberlin. Ziemlich bald nach dem Mauerfall bin ich nach Ostberlin rüber. '92 muss das gewesen sein.

Ricore: Warum sind Sie nach Ostberlin gezogen?

Schüppel: Westberlin war für mich eigentlich zu Ende. Wenn die Mauer nicht gefallen wäre, wäre ich vielleicht nah New York oder anderswo hin gegangen. Aber dann fällt die Mauer und Du kriegst plötzlich ne Stadt dazu geschenkt. Ohne dass das besitzergreifend gemeint wäre. Aber da ist erst mal eine Öffnung, ein neuer Platz. Warum hat da Anfang der 90er in jedem Keller ne Bar aufgemacht? Da waren Räume, man war neugierig, wollte wissen "Was passiert da?" Man suchte eigentlich auch den Kontakt. Doch es war letztlich auch fast eine Invasion. Aus heutiger Sicht muss man es so sagen. Von uns nach drüben. Eigentlich eher so, als umgekehrt.

Ricore: Vor sieben Jahren haben Sie einen Berlinale-Trailer gemacht, der bis heute jedes Jahr aufs Neue die Berlinale ankündigt. Warum läuft der Trailer immer noch?

Schüppel: Da fragst Du den Falschen. Ich kann Dir sagen, wie es passiert ist. Der damalige Berlinale Leiter brauchte vor sieben Jahren einen neuen Trailer. Er hatte viele Vorschläge von Agenturen, doch das gefiel ihm alles nicht. Also hat er Filmemacher angesprochen. Dann bin ich da auch irgendwie reingeraten. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nie eine Animation gemacht, hatte aber ein gutes Storyboard und ein gutes Konzept. Als ich dann die Zusage bekommen hatte, dachte ich eigentlich, ich sterbe. Es war eines der schwierigsten Projekte überhaupt für mich. Einen Film zu machen, der vor einem Kinderfilm funktionieren muss. Vor einem Forumsfilm wie vor einem Scorsese-Film. Also das ganze Spektrum, extreme Kunst bis Hollywood. Und dabei durfte der Trailer sich ja auch nicht zu wichtig nehmen, sollte aber trotzdem gut sein. Und den Film, der danach kommt, preisen. So habe ich das immer gesehen. Man muss den Film danach ja eigentlich ehren. Das war schon eine Hammer-Herausforderung. Und jetzt läuft der schon ewig. Vorgestern hat mir der Leiter vom Kinderfest was erzählt. Die Kinder haben ja immer so einen Wettbewerb. Sie müssen abstimmen, welcher Shortfilm ihnen am besten gefallen hat. Und in den letzten Jahren liegt der Trailer immer mit unter den besten Vieren. Die denken dann immer, das wär auch schon ein Kurzfilm.
Berlinale 2009
Szene aus "Elektrokohle (Von Wegen)"
Ricore: Sie haben einen Film über den Potsdamer Platz gemacht, "Der Platz". Haben die Berliner den Platz inzwischen angenommen?

Schüppel: Na, wer sind denn die Berliner? Also die Berliner gibt’s ja nun schon mal Gott sei Dank gar nicht. Wie kann man so einen Platz annehmen? Für die Berlinale bietet er sich an. Es ist ein guter Platz, alles ist klein, sehr eng zusammenliegend. Als ich damals die Bauarbeiter befragte, die den Platz bauten, welcher Platz denn der wichtigste in ihrem Leben sei, kam immer ein Platz in der Natur heraus. Dann beschreiben die gesangsartig immer eine Lichtung, einen Gipfel, einen See, ihren Garten. Und dabei sieht man, wie sie diesen Platz hier aufbauen, ihn aus Matsch hochziehen. Das ist dann schon Kommentar genug zu diesem Platz.

Ricore: Würden Sie sich selber als Dokumentarfilmer bezeichnen, oder als jemanden, der auch Dokumentarfilme macht?

Schüppel: Das ist vielleicht auch das Problem meiner Nicht-Popularität. Ich hab die Genres immer gewechselt. Spielfilm, Dokumentation, Kunst, Videoinstallation, Filmessay, Musikclips, Animation. Ich will eigentlich nicht eingeordnet werden können. Das ist einerseits ein Problem, andererseits unheimlich befreiend - für mich im Kopf.

Ricore: Kann man davon leben?

Schüppel: Ja. Ich habe Glück, glaube ich. Ich habe jetzt vier Filme in drei Jahren gemacht, die muss man ja auch irgendwie finanzieren. Wobei ich den Dokumentarfilm als Form schon mit am spannendsten finde. Die kommen ja auch immer besser an, werden besser platziert in den Kinos. Das ist schon spannend, weil auch das Publikum sieht: Selbst ein schlechter Dokumentarfilm ist immer noch besser, als ein mittelmäßiger Spielfilm. Weil Du irgendwas vom Leben erfährst und irgendwas Wirkliches mitnehmen kannst. Bei einem mittelmäßigen Spielfilm ist das alles nur Larifari. Dass die Dokumentarfilme seit etwa zehn Jahren wieder ein Hoch erleben, hat etwas mit Haltung, etwas mit dem Blick auf Wirklichkeit zu tun.

Ricore: Abschließende Frage: Wofür steht das M. in Ihrem Namen?

Schüppel: Ach, das wechselt. Je nach Tagesform. Manchmal heißt es Misery, manchmal heißt es Magic. Manchmal heißt es Moritz. Es gibt einen Song von einer australischen Rockband, "Misery is my Middle Name".
erschienen am 28. Mai 2009
Zum Thema
Uli M. Schüppels Dokumentation handelt einerseits vom Weg der Einstürzende Neubauten 1989 zu ihrem ersten Konzert im Osten Berlins. Schueppel folgt 20 Jahre nach dem Gig ehemaligen Konzertbesuchern auf deren damaligen Wegen zum Konzert. Das Ergebnis ist weniger eine Musikdokumentation als ein zeitgeschichtlicher Kommentar zur deutsch-deutschen Befindlichkeit. Der atmosphärisch dichte Film eröffnet jüngeren Generationen eine ungewohnte wie bereichernde Nahaufnahme der Wendezeit.
2024