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Dustin Hoffman und Emma Thompson
Emma Thompson und Dustin Hoffman über die Liebe
Interview: "Wir fokussieren zu sehr auf Sex"
Emma Thompson überreichte ihrem Schauspielkollegen Dustin Hoffman beim nationalen Filmpreis Frankreichs vor kurzem den César für sein Lebenswerk. Während unseres Gesprächs enthüllt der Schauspieler, dass ihm das wie eine vorzeitige Beerdigung vorgekommen sei. Demnächst sind Thompson und Hoffman in "Liebe auf den zweiten Blick" zu sehen. Im Interview mit beiden wird deutlich, dass sie nicht nur auf der Leinwand hervorragend harmonieren.
erschienen am 16. 04. 2009
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Liebe auf den zweiten Blick
Ricore: Mrs Thompson, Sie bekommen zahlreiche Filmangebote. Warum haben Sie sich für "Liebe auf den zweiten Blick" entschieden?

Emma Thompson: Sie werden sich vielleicht wundern, doch es ist sehr selten, dass man ein gutes Drehbuch bekommt. Es ist als weibliche Schauspielerin sehr schwer, eine gute Rolle zu finden. Das letzte gute Drehbuch, das ich erhalten habe, war "Schräger als Fiktion". Man weiß immer sofort, ob ein Drehbuch gut geschrieben ist. Das wird nach den ersten Seiten klar. Das Drehbuch von Regisseur Joel Hopkins war ehrlich und zugleich simpel. Diese Kombination ist relativ schwer zu erzielen. Ich erinnere mich daran, wie ich Dustin Hoffman angerufen habe. Ich sagte ihm "Sag sofort für diesen Film zu! Schau weder nach rechts, noch nach links, sprich mit niemandem! Spiel diesen Film." Es war ein wirklich gutes Drehbuch. Und es steht außer Frage, dass gute Drehbücher selten sind. Insofern konnte ich mich glücklich schätzen, die Rolle zu bekommen.

Ricore: Sehen Sie Parallelen zwischen Harvey Shine und Ihrem eigenen Leben?

Dustin Hoffman: Bei meiner Tochter Jenna und mir war es etwas anders. Wir hatten uns nicht entfremdet, wie Harvey und seine Tochter. Bis Jenna älter war, wusste ich nicht, dass sie als Kind nach der Scheidung so viel Schmerz empfand. Sie ließ ihn nicht raus, vergrub ihn in sich. Mit sieben, acht, neun Jahren drückte sie ihren Schmerz nicht aus. Erst später teilte sie mir das mit. Das inspirierte mich bei meiner Rede, die ich im Film halte. Ich fragte Joel, ob ich die Rede selbst schreiben könnte. Ich überzeugte ihn folgendermaßen: Ich fragte ihn, ob ihm "Kramer gegen Kramer" gefiel. Er sagte "Ja". "Erinnerst Du Dich an Meryl Streeps Rede vor Gericht?", fragte ich weiter. Joel bejahte. Ich erzählte ihm, dass Meryl Streep den Regisseur damals fragte, ob sie diese Rede schreiben könne. "Dieser Regisseur hat es ihr erlaubt", sagte ich zu meinem Regisseur.
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Dustin Hoffman als liebestrunkener Mann
Ricore: Hat ihre Erfahrung als geschiedener Vater Sie beeinflusst?

Hoffman: Es gibt einen Moment in meiner Rede, wo ich eine Pause mache und verdammt noch mal nicht weiß, was ich sagen soll. Denn ich spreche über den Schmerz, den alle Eltern empfinden, die sich scheiden lassen. Es kommt nicht darauf an, ob man sich entfremdet hat oder nicht. Dieser Schmerz ist mit nichts zu vergleichen. Egal, wie viele Filme man gesehen hat oder wie viele Trennungen man im Bekanntenkreis mitbekommen hat. Es ist so furchtbar.

Thompson: Ich hatte während dieser Szene ein Problem. Als Dustin seine emotionale Rede hielt, war ich mit einem Mikrofon verkabelt. Ich musste mich die ganze Zeit zusammenreißen, um nicht loszuheulen. Ich war fürchterlich aufgeregt. Uns waren unseren Rollen während dem gesamten Film emotional sehr nahe.

Hoffman: Als ich das Drehbuch las, hatte ich ein Problem. Joel hatte uns beide während des Schreibens bereits im Kopf. Er kannte Emma nicht nur, weil wir vorher schon zusammengearbeitet haben. Er kannte sie auch persönlich. Mich dagegen kannte er nicht persönlich. Ich wollte in meiner Rolle auch diese persönliche Note haben, die Joel in Emmas Rolle einfließen ließ.

Ricore: Wie haben Sie ihre Frau kennengelernt?

Hoffman: Unsere Familien kannten sich. Ich spielte bei der Hochzeit ihrer Eltern Klavier. Damals war ich 14 Jahre alt. Danach kam ich alle zwei Jahre bei den Eltern zu Besuch. Ich wusste, dass sie Ballett machte. Ich forderte sie auf, ihr Tutu anzuziehen. Sie tat es und ich spielte dazu Klavier.
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Emma Thompsons sehnsüchtiger Blick zu Dustin Hoffman
Ricore: Spielen Sie im Film tatsächlich Klavier?

Hoffman: Ja. Der Regisseur hatte die Idee, mich einen Pianisten spielen zu lassen. Das Lied, das ich im Film spiele, habe ich auch komponiert. Für eine Karriere als Pianist hat es aber nie gereicht. Seit "Liebe auf den zweiten Blick" nehme ich Unterricht bei einem Jazzlehrer. Ich habe mir einmal gesagt, dass ich zwei Dinge machen werde, bevor ich sterbe. Ich werde verdammt noch mal wenigstens eine Fremdsprache lernen. Und ich werde Jazz lernen.

Ricore: Sie sagten in einem Interview, dass Emma sich über das Gesetz der Schwerkraft hinwegsetze.

Hoffman: Und was sollte das bedeuten?

Ricore: Sie meinten damit, dass Emma nicht altere.

Hoffman: (überlegt kurz)… Passen Sie auf, wenn wir alle…

Thompson: (schreit) Was?! Das ist totaler… Ich meine, sehen Sie mich doch an. Ich bin voller Make-Up. Natürlich altere ich!

Hoffman: Das ist falsch. Hör auf damit!

Thompson: Du meintest eben, dass ich geistig nicht altere…

Hoffman: Nein, das meinte ich nicht. Jeder Mann in diesem Raum würde Dich gerne bespringen.

Thompson: Das wird langsam sehr intim, wer weiß, wo das noch hinführt!
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Zwei, die sich finden: Emma Thompson und Dustin Hoffman
Ricore: Wie war es für Ihre Tochter während den Dreharbeiten vor der Kamera?

Thompson: Meine Tochter ist auch gerade hier in Paris, sie präsentiert den Film mit uns. Am besten gefällt ihr wohl der Zimmerservice im Hotel. Nach den Dreharbeiten fragte ich sie: "Jetzt wo du diese Erfahrung in einer kleinen Rolle gemacht hast: Hast du Lust, Schauspielerin zu werden?" Sie antwortete: "Nicht wirklich. Aber wenn du mich einmal brauchen solltest, werde ich versuchen, mich freizumachen." (lacht) Meine Tochter hat zwei klare Ziele. Sie will Kellnerin und Künstlerin werden. Das finde ich großartig. Denn damit hat sie gleichzeitig ein sehr hohes und ein weniger ambitioniertes Ziel.

Ricore: Die Liebe zwischen Harvey und Kate spielt sich hauptsächlich auf emotionaler Ebene ab. Ist diese Beziehung auf das wirkliche Leben übertragbar?

Thompson: Wenn man jung ist und sich verliebt, fühlt man sich unsterblich. Man weiß in dem Alter einfach nicht, dass man sterben wird. Doch wenn man älter ist, weiß man das. Dann geht es nur noch darum, dass man sterben wird. Und mit diesem Wissen bedeutet Liebe etwas anderes. Für mich geht es bei der Liebe um Kommunikation, um wirkliche Kommunikation. Wir sind in der Liebe viel zu sehr auf Sexualität fokussiert. Was mich an der Beziehung in diesem Film am meisten fasziniert, ist dass Harvey und Kate sich auf emotionaler Ebene ausziehen. Das geht zwar schnell, es dauert nur einen Tag. Doch so etwas passiert in der Liebe tatsächlich. Diese Nacktheit ist eine ganz besondere, denn die beiden tragen so viel Schmerz in sich.

Ricore: Hochzeiten scheinen eine besondere Magie auszustrahlen, wie können Sie sich sonst erklären, dass in so vielen Filmen geheiratet wird?

Thompson: Hochzeiten, Weihnachten, Beerdigungen - es muss nicht unbedingt eine Hochzeit sein. Ich war auf so vielen Beerdigungen, auf denen die Leute fröhlicher waren als auf einer Hochzeit!

Hoffman: Sie ist Britin.

Thompson: Ja, ich bin Britin (lacht). Beerdigungen können wirklich fantastisch sein. Menschen, die sich lange nicht gesehen haben, kommen zusammen. Kürzlich war ich auf einer wundervollen Beerdigung, mein Schwiegervater war gestorben. Es war fantastisch. Das einzig Traurige war, dass er nicht dabei war, um es zu erleben. Er hätte es geliebt. Ich sagte zu meinem Mann: "Ist es nicht eine Schande, dass wir diese Party nicht gefeiert haben, als er noch am Leben war?" Denn es war so fröhlich...

Hoffman: ...man sollte in der Lage sein, bei seiner Beerdigung lebend dazuliegen, um alles mitzubekommen.
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Emma Thompson und Dustin Hoffman auf einer Hochzeit
Ricore: Sie planen also, ihre Beerdigung vorzuverlegen, Mr. Hoffman?

Thompson: (fühlt sich angesprochen) Das ist eine ausgezeichnete Idee!

Hoffman: Jeder, der einen Preis für sein Lebenswerk erhält, kennt das. Das ist eine vorverlegte Beerdigung, nichts anderes. (lacht)

Ricore: Wie alt soll Harvey in ihrem Film eigentlich sein?

Hoffman: Nein, Sie wagen es nicht, diese Frage zu stellen! Sehen Sie mich an und sagen Sie mir, wie alt ich in dem Film aussehe. Sagen Sie die Wahrheit!

Ricore: So um die 60...

Hoffman: Oh mein Gott. (grinst) Wenn ich Sie mir so ansehe würde ich Sie auf 47 schätzen - vielleicht 46. (unsere Redakteurin ist 20 Jahre jünger; d. Red.)

Thompson: Ich würde sagen Kate ist so 44, 45. Dustin... ich meine Harvey ist um die 60. Ich denke 20 Jahre Altersunterschied ist eine Winzigkeit zu viel. Doch Dustin sieht so jung aus und hat so eine junge Seele, dass es funktioniert.
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Liebe kann sooo schön sein
Ricore: Ein Kompliment an Ihre Adresse, Mr. Hoffman.

Hoffman: Sie machte mir einmal das größte Kompliment, das mir je von einem Schauspielkollegen ausgesprochen wurde. Das war bei den Dreharbeiten von "Schräger als Fiktion". Emma sagte zu mir: "Die Zusammenarbeit mit Dir fühlt sich so an wie die Zusammenarbeit mit Anthony Hopkins." Tony ist für mich ein Vorbild. Außerdem ist er viel älter…

Ricore: Der Film fängt auf wunderschöne Weise die Einsamkeit eines Blind-Dates ein. Haben Sie aus Ihrer Jugend Blind-Date Erfahrung?

Thompson: Dustin; Du. Oder nicht?

Hoffman: Ja, einmal. Danach habe ich mich geweigert. In einem Interview wurde ich einmal gefragt, wie ich Mädchen abschleppe. Ich habe in meinem ganzen Leben kein Mädchen abgeschleppt.

Thompson: Sie haben Dich abgeschleppt…

Hoffman: Erst nach dem Film "Die Reifeprüfung". (lacht) Als ich gerade meinen Führerschein gemacht hatte, hat mir jemand ein Date eingefädelt. Das Mädchen war wirklich attraktiv. Wir wollten zu einer großen Party. Wir kamen dort an, danach habe ich sie nie wieder gesehen. Sie hat mich nur benutzt, um auf die Party zu kommen.
erschienen am 16. April 2009
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2024