Universal Pictures International (UPI)
Bill Nighy für jeden Spaß zu haben
Rock'n'Roll und Hemingway
Interview: Bill Nighy rockt das Boot
Seinen Durchbruch beim Film gelang Theaterschauspieler Bill Nighy erst im Jahr 2003 im reifen Alter von 53 Jahren in Richard Curtis' romantischer Komödie "Tatsächlich ... Liebe". Wir trafen den Charakter- und Komödiendarsteller in Berlin anlässlich der Deutschland Premiere von "Radio Rock Revolution", in dem Nighy erneut für Curtis vor der Kamera stand. Ohne eine Miene zu verziehen, erzählt uns der Mime mit leiser und augenzwinkernder Selbstironie Episoden aus seinem abwechslungsreichen Leben.
erschienen am 20. 04. 2009
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Tom Sturridge mit Bill Nighy
Bill Nighy: Wie geht es Ihnen?

Ricore: Gut, danke. Wie gefällt ihnen Berlin?

Nighy: Gut. Ich mag Berlin, das letzte Mal war ich hier mit "Operation Walküre - Das Stauffenberg Attentat", dem Tom Cruise-Film. Das ist noch gar nicht lange her. Damals war das mein erstes Mal in Berlin. Ich hatte eine schöne Zeit in den Babelsberg-Studios und im Regent Hotel. Alle waren sehr nett zu mir. Ich liebe Berlin. Obwohl ich weiß, dass das jeder sagt. Aber es stimmt.

Ricore: Sie haben viel fürs Radio gearbeitet.

Nighy: Als ich jung war machte ich viel Radio. Es war wie eine Schauspieler-Ausbildung. Ich schätze das Phänomen "Radio" sehr. Ich denke, dass es womöglich der Punkt ist, wo die Technologie hätte enden sollen. Ich habe eher Hörspiele statt Musik-Radio gemacht. Auch habe ich gerne Geschichten übers Radio angehört. Musik-Radio war für mich als Jugendlicher sehr wichtig, jedoch nur die Piraten-Sender. Nur da konnte man die ganze neue Musik hören. Damals war sie zumindest neu, was man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Legal gab es keine neue Musik, außer Sie zählten die Musik Ihrer Eltern dazu, die vollkommen uninteressant war und zudem langweilig und konservativ. Plötzlich gab es all diese neue, unerhörte, radikale und elektronische Musik.

Ricore: Was ist der Soundtrack Ihres Lebens?

Nighy: Es ist ein großer Dschungel voller unterschiedlicher Leute. Die wichtigsten Namen sind Bob Dylan und The Rolling Stones. Dann kommt Soul-Musik, die für mich ebenso wichtig ist, wie jede andere Musik: Marvin Gaye, Aretha Franklin, Prince, Otis Redding, Maxwell, Ray Charles. Auch Blues schätze ich: John Lee Hooker, Howling Wolf, Muddy Waters und Chuck Berry. Ich denke für einen Mann in meinem Alter ist das ziemlich vorhersehbar. Das sind die üblichen Verdächtigen. Die Stones sind Giganten, nicht umsonst gibt es sie immer noch. Vor etwa vier Jahren war ich auf einem Stones-Konzert und merkte: Sie sind unglaublich, nicht nur "Etwas" aus meiner Jugend. Sie sind schlicht die großartigste Rythm'n'Blues-Band auf der Welt. Vergessen Sie Mode, Zeit, das heutige Datum, wenn sie Blues wollen, brauchen Sie nicht weiter zu suchen. Nichts ist besser als wenn Keith Richards zur Gitarre greift und Charlie reinhaut. Ich interessiere mich nicht für Wettbewerbe. Ich sage nur, dass sie die besten sind. In Sydney sah ich kürzlich The Who, auch sie sind sensationell. Pete Townshend ist einer der größten und originellsten Künstler in meinem Leben. Er brachte die Welt voran.
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Bill Nighy rockt Berlin
Ricore: Wie erlebten Sie die rebellischen 1960er Jahre?

Nighy: Ich war in einer großen Verwirrung. Ich wollte primär meine Haare präsentieren. Die internationale Situation habe ich nicht durchschaut. Ich wollte die richtige Jeans und vielleicht eine Freundin. Ich war nicht politisch und wusste nicht, was in diesem Zusammenhang rechts und links bedeutete. Ich hatte einen frühen Job in einem sozialistischen Theater. Links war scheinbar das Gute, Rechts schlecht. Aber ich wusste nie, wovon sie sprachen. Sie kennen diesen Moment, wenn es zu spät ist, zu fragen? Also schwieg ich. Es funktionierte ziemlich gut, keiner merkte es. Ich war instinktiv Sozialist, jung und rein wie ich war. Weiter kam ich nie mit der Politik.

Ricore: Als Stones-Fan waren Sie dann einer der wilden Rock'n'Roller, einer von den Bösen?

Nighy: Ich fühlte mich nie böse. Byron, Shelley und Keats waren die frühen Rolling Stones. Sie waren Leute, die Ihre Mutter nicht im Haus haben wollte. Dafür waren sie da, sie erschreckten unsere Eltern, das war Teil der Abmachung. Ich erlebte die Stones nie als Konzept. Ich verschlag einfach die Platten. "Walking the Dog" ist einer der dämlichst-verrücktesten und besten Tanzplatten, die ich je hörte. Sie waren kaum 20, als sie diese Platte machten. Auch erfanden sie die Formation der Beat-Gruppen. Drei Gitarren und ein Schlagzeuger gab es vorher nicht. Das war bahnbrechend. Heute klingt das, als spräche ich über das Mittelalter. Ich mochte die Musik und wollte wie Keith Richards aussehen. Jetzt sehe ich tatsächlich wie er aus - aber aus anderen Gründen.

Ricore: Wollte Sie jemals jemand ins Musikgeschäft bringen?

Nighy: Ja [lacht]. Nachdem mich Richard Curtis in "Tatsächlich ... Liebe" besetzte und ich diesen Song im Film sang, brachten wir den Song auch als Platte im Vereinigten Königreich heraus. Dieser Weihnachts-Song basiert auf "Love is All Around" von den Troggs. Der Song wurde zu wohltätigen Zwecken als Witz veröffentlicht, was der einzige Grund ist, weshalb ich mir das verzeihen kann. Ich schaffte es bis auf Platz 26 der britischen Charts! Ich war also in den Top 30. Die Idee war, es wie im Film auf Platz Eins zu schaffen. Mit etwas mehr Werbung wäre das vielleicht sogar möglich gewesen. Ich war jedoch nicht zielstrebig genug und so schafften wir es nicht. Ich fühle mich deswegen manchmal schuldig. In jedem darauffolgenden Jahr wurde ich gefragt, ob ich nicht einen weiteren Weihnachtssong einspielen wolle, nur um ein paar Kröten dazu zu verdienen. Einmal wollte man aus Marketing-Gründen sogar, dass ich "MacArthur Park" singe. Dafür sind Sie zu jung - das war eine Single für Richard Harris. Er war auch Schauspieler - Sie sehen die Parallele! Eher älter, blond, hatte Haarausfall und sang die unsterblichen Zeilen: "Someone left the cake out in the rain". Niemand außer Jimmy Webb, der den Song schrieb, hat je verstanden, was damit gemeint ist. "I don't think that I can take it. Cause it took so long to bake. And I'll never have that recipe again." Das ist Geheimnis pur.
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Bill Nighy
Ricore: Da haben Sie sich ja als Musikbegeisterter einen Wunsch erfüllt. Ich habe gelesen, dass Sie einst Journalist werden wollten?

Nighy: Als Schulabbrecher hatte ich keinerlei Qualifikationen, weil ich dumm und faul war. Ich wollte unbedingt Journalist werden, weil neben Bob Dylan mein großer Held Ernest Hemingway war, der als Junior-Journalist mit 17 seine Karriere beim Toronto Star begonnen hatte. Dann ging er an die italienische Front, wurde verwundet und verliebte sich in eine Krankenschwester. Das klang alles ziemlich gut für mich. Anschließend schrieb er ein schönes Buch über diese Affäre. Ich habe kürzlich wieder ein Buch von ihm erstanden. Statt zu dem cool klingenen Totonto Star fing ich nur beim The Croydon Advertiser an. Sie waren sehr nett und freundlich zu mir als sie mir sagten, dass ich zuerst die nötigen Qualifikationen erwerben müsse.

Ricore: Dann waren Sie Postbote?

Nighy: Mein Güte ja, ein Weinnachts-Postbote. In meiner Heimatstadt konnte man als Arbeitsloser zur Weihnachtszeit ein Weinnachts-Postbote sein. Das war ein guter Job, abgesehen davon, dass man unmenschlich früh aufstehen musste. Da entdeckte ich, dass im Dunkeln aufstehen sehr glamourös ist. Von da an hatte ich nie Probleme damit, im Dunkeln aufzustehen, weil ich wusste, sobald ich aufgestanden war, würde es glamourös und unheimlich werden, weil alle anderen noch schlafen. Das lernte ich als Postler. Ich bekam viel Geld, heißen Tee und ein Sandwich, was ich ziemlich toll fand.

Ricore: Wenn Sie Ihre Jugend mit der heutigen vergleichen, was verstehen Sie an der heutigen Jugend nicht?

Nighy: Was ich nicht verstehe, ist das permanente Sprechen über seine eigenen Genitalien in Kombination mit Hip-Hop-Beat. Immer wenn jemand über seine Genitalien spricht und wie groß sie sind, versiegt mein Interesse. Mir erzählte kürzlich ein junger Mann, dass es einen Song gibt, wo sich "Genious" mit "Penis" reimt. Das ist das letzte. Aber es gibt auch guten Hip Hop. Frühe europäische Trance-Electronic-Musik lässt mich auch kalt. Sachen ohne Text geben mir ein unbehagliches Gefühl. Alles, wo ein Schlagzeuger einen Jazzbesen verwendet, macht mich unruhig. Bei traditionellem Jazz bekomme ich komische Gefühle, wobei komisch nicht positiv gemeint ist. Ich bin nicht wahnsinnig glücklich mit allem, das nicht auf dem zwölf-Takte-Schema basiert. Am meisten mag ich amerikanische Musik. Wenn der Rest der Welt mit diesen zwölf Takten herumspielt, wird mir oft unbehaglich. Ich bin nicht sehr abenteuerlustig in dieser Hinsicht.
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Bill Nighy und Regisseur Richard Curtis auf der Premiere von "Radio Rock Revolution" in Berlin
Ricore: Was war Ihre erste Platte?

Nighy: Ich wünschte, Sie hätten mich das nicht gefragt. Das ist eine schreckliche Frage. Ich bin schon ziemlich alt und erinnere mich an 78er Schallplatten, die sehr zerbrechlich waren. Meine Schwester war fünf Jahre älter als ich und mein persönlicher Held. Ich habe viel Zeit damit verbracht, um sie immer wieder neu zu überraschen. Als Schallplatten aufkamen, kaufte ich eine, weil ich dachte, dass sie mich dann mehr mögen würde. Ich kaufte also diese 78er Platte einer Mädchen-Band, die Teddybear's Picnic hieß. Ich brachte sie meiner Schwester. Sie sagte jedoch: "Warum hast du eine 78er gekauft? Warum keiner 45er? Wenn du dich da draufsetzt, zerbrechen die nämlich nicht." Ich wusste damals noch nichts von 45ern. Ich hatte all mein Geld für diese Platte ausgegeben und dann hat es sie nicht einmal beeindruckt, sie mochte mich sogar weniger als vorher.

Ricore: Und was war Ihre erste ernsthafte Platte?

Nighy: Meine erste ernsthafte Platte war eine 45er von The Searchers, die "When You Walk In The Room" hieß. Ich glaube, Bruce Springsteen hat ihn später gecovert. Die Amerikaner waren von den britischen Beat-Bands sehr beeinflusst. Meine erste LP kaufte meine Schwester für mich, eine Georgie Fame-Platte. Ich weiß nicht, ob den noch irgendjemand kennt. Mit ihm kommen wir nun tatsächlich zurück zu "Radio Rock Revolution". Sein Manager schuf den ersten britischen Piratensender, weil der offizielle britische Sender BBC Georgie Fame nicht senden wollte.

Ricore: Sie sagten, dass Sie mit 16 nach Paris gingen, um einen großen britischen Roman zu schreiben.

Nighy: Es war eher eine große britische Kurzgeschichte. Eigentlich ging ich nach Paris, weil ich einmal heraus wollte und wegen Hemingway natürlich. Sie kennen vielleicht dieses Gefühl, wenn man in der Schule sitzt und nur gähnt und wo anders sein will. Es kommt gar nicht darauf an, wo das sein soll. Ich denke, dass ist normal. Ich dachte mir, dass ich nach Paris gehe, weil mich Autoren wie F. Scott Fitzgerald und James Joyce fesselten, die genau das getan haben. Ich wollte Schriftsteller in Paris werden. Ich war damals durchschnittlicher Abschaum ohne ernsthafte Gedanken. Was nicht heißt, dass es heute besser ist. Natürlich ging es eigentlich um ein Mädchen.
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Bill Nighy mit Talulah Riley
Ricore: Haben Sie es später noch probiert? Schließlich gibt es eine Reihe von britischen Schauspielern, die Bücher schrieben.

Nighy: Nein. Ich will das nicht machen, weil es mich beunruhigt. Ich habe es bewusst nicht gemacht. Ich bin außerordentlich gut darin, Dinge nicht zu tun. Da bin ich der Beste. Ich fordere jeden heraus! Daher gehe ich immer arbeiten. Dann habe ich eine Entschuldigung, nichts anderes zu machen. Meine Karriere ist nur Verstellung, eine Art Verkleidung.

Ricore: Kann Musik die Welt verändern?

Nighy: Nein. Unsere Generation - was immer das auch heißen mag - endete mit Richard Nixon und Magaret Thatcher. Geben Sie sich das! Es tut mir leid. Ich entschuldige mich dafür. Musik war cool und schön und hatte wohl einen kulturellen Einfluss in der Welt. Aber Politiker sind hart, die scheren sich nicht um Musik.

Ricore: Wann genau gingen Sie nach Paris?

Nighy: Mit 16. Ich erinnere mich, dass ich es illegal tat. Ich schrieb meinem Vater einen pompösen Brief, den er aufhob. Als er starb, fand ich ihn unter seinen Papieren. Es war das aufgeblasenste Stück Scheiße, das je geschrieben wurde. Ich schäme mich sehr. Um Ihnen einen Geschmack zu geben, hier nur eine Zeile daraus: "Ich kann nicht länger unter deinem repressiven Regime leben." So ein Blödsinn. "Versuche nicht, mich zu finden!" Schrecklich. Er war ein sehr netter Mann, der das nicht verdiente. Wir versöhnten uns später.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 20. April 2009
Zum Thema
Eigentlich hat Bill Nighy eine ganz andere Karriere vor Augen, als er die Schule verlässt. Der begeisterte Leser will es seinem großen Idol Ernest Hemingway gleichtun und Schriftsteller werden. Um sich vernünftig inspirieren zu lassen, brennt er sogar nach Paris durch. Der hoffnungsvolle Jungautor kommt jedoch nicht über den Titel hinaus. Nighy kehrt nach England zurück, um die Wölfe jagen nie allein" spielt er SS-Offizier Helmut Hoffmann, der als Assistent von Reinhard Heydrich Karriere..
Nachdem Regisseur Richard Curtis mit "Notting Hill" zum Fachmann romantischer Komödien wurde, dreht sich diesmal alles um den Plattenteller. In der 1960er Jahre Sex-, Drugs- und Rock 'n' Roll-Komödie funkt ein Piratensender von der Nordsee die neuesten Scheiben auf die britische Insel. Die Fans freuen sich, die Obrigkeit bringt's zur Verzweifeln. Musik im Blut haben unter anderen Philip Seymour Hoffman, Bill Nighy und Kenneth Branagh.
2024