Jean-François Martin/Ricore Text
Elli Medeiros präsentiert "Löwenkäfig" in Cannes 2008
Wild und exzessiv
Interview: Elli Medeiros' wilde Jahre
Man kann vieles über sie sagen, aber nicht, dass ihr Leben ruhig verlaufen sei. Wildes Partyleben, zahlreiche Exzesse und tolle Musikalben liegen hinter Elli Medeiros. Heute ist die in Uruguay geborene Sängerin und Schauspielerin etwas ruhiger geworden, wenngleich sie immer noch um die Welt tingelt. Freunde, Kinder und vor allem die Schauspielerei nehmen heute viel Platz in ihrem Leben ein. Wir befragten sie zu ihrer wilden Vergangenheit und zum im Wettbewerb von Cannes 2008 gestarteten "Löwenkäfig". Bereitwillig gab sie uns in München Auskunft, und das, obwohl sie eigentlich etwas angeschlagen war.
erschienen am 4. 06. 2009
MFA+ Filmdistribution
Löwenkäfig
Elli Medeiros: Es tut mir leid, ich habe Kopfschmerzen…

Ricore: Sie nahmen gestern bei der Floßfahrt teil, stimmt's?

Medeiros: Ja, dabei habe ich einen Sonnenstich bekommen. Ich hatte leider keinen Hut dabei. Es war sehr heiß. Als ich zurück ins Hotel kam, hatte ich Fieber und Schüttelfrost und fühlte mich total müde. In diesem Zustand befinde ich mich auch heute noch. Ich glaube, die Mischung aus Hitze, Wasser und zu wenig Schlaf hat mir nicht gut getan.

Ricore: Sie haben noch Fieber?

Medeiros: Als ich heute Morgen aufgewacht bin, hatte ich zum Glück keines mehr. Aber die letzten 36 Stunden waren schlimm. Das nervt mich, da ich hier bin, um "Löwenkäfig" zu präsentieren, aber nicht sehr viel Kraft besitze, mit den anderen auf der Bühne zu stehen.

Ricore: Ist es das erste Mal, dass Sie in München sind?

Medeiros: Ja. Ich war schon im Englischen Garten, der in der Nähe des Hotels ist. Der ist wundervoll. Ich bin viel herumgelaufen. Ich fühle mich hier sehr wohl. Die Menschen sind sehr nett und freundlich.

Ricore: Bedeutet der Original-Filmtitel, "Leonera", noch etwas anderes als "Löwenkäfig"?

Medeiros: Sie haben es erkannt. In Argentinien bezeichnet "Leonera" auch eine Art Präventivgefängnis. Bevor man verurteilt wird, stecken sie dich da hinein. Es ist ein sehr starkes, symbolträchtiges Wort. Ich glaube, dass Regisseur Pablo Trapero den Film deshalb so genannt hat. Auch weil die Mutter im Film wie eine Löwin um ihr Kind kämpft. Insofern bedeutet "Löwenkäfig" mehrere Dinge. Pablo zog quasi eine Parallele zwischen Löwen und Müttern.
Jean-François Martin/Ricore Text
Elli Medeiros beim Photocall zu "Löwenkäfig" in Cannes 2008
Ricore: Ihre Filmfigur steht auf der anderen Seite. Sie verkörpern die böse Mutter, die der Tochter das Kind entziehen will.

Medeiros: Es war sehr schwierig und gleichzeitig interessant, ausgerechnet diese Figur zu verkörpern. Persönlich fühlte ich mich meiner Filmtochter und den eingesperrten Frauen näher, als meiner Figur Sofia, die recht spießbürgerlich ist, alles strukturiert und genau plant. Das bin nicht ich. Für eine Schauspielerin ist so eine Rolle natürlich interessant. Es ist sogar interessanter, eine Figur zu verkörpern, die anders ist, als man selbst.

Ricore: Sie haben ausschließlich in realen Gefängnissen gedreht, nicht wahr?

Medeiros: Ja, genau. Das Frauengefängnis war neu gebaut worden und wir erhielten die Erlaubnis, dort zu drehen. Einige Gebäude wurden noch nicht verwendet. Das ganze Gelände war gigantisch groß und da noch nicht viele Leute da waren, wirkte alles sehr ausgestorben und leer. Ich hatte am Anfang Bedenken, ob das funktionieren würde. Aber ich habe mir umsonst Sorgen gemacht. Denn allein der Gedanke daran, drückte die Stimmung. Unsere Umkleidekabinen und Maskenräume waren in Zellen untergebracht. Um in die frische Luft zu gehen, mussten wir in den Innenhof gehen, dessen Boden aus Zement war. Rundherum waren Stacheldrähte und Mauern, man sah nichts anderes. Das war schon heftig.

Ricore: Hatten Sie Kontakt mit weiblichen Gefangenen?

Medeiros: Alle im Film gezeigten Mütter und Kinder waren keine Gefangene. Allerdings haben sie schon Erfahrung mit dem Knast gemacht. Entweder waren ihre Väter, ihre Brüder oder ihre Ehemänner eingesperrt. In einigen Szenen allerdings sind reale Gefangene zu sehen. Sie haben glücklicherweise die Erlaubnis erhalten, mit uns zu drehen. Das waren extreme Momente, die Frauen waren total gespannt was passieren würde. Wir hingegen waren etwas angespannt. Jene Szenen im Männergefängnis waren jedoch real.
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Elli Medeiros präsentiert "Löwenkäfig" in Cannes 2008
Ricore: Sie sind mit Martina Gusman gut befreundet, nicht?

Medeiros: Martina und ich verstehen uns wirklich gut, ich mag und schätze sie. Unsere ersten gemeinsamen Szenen landeten gleich im Mülleimer. Pablo hat uns ausgelacht. Wir mussten uns nämlich bekriegen und so tun, als würden wir uns hassen. Das fiel uns schwer und das merkte man den Aufnahmen an. Wir mussten die Szenen mehrmals wiederholen. Uns schmerzte es, so wild und respektlos miteinander umzugehen.

Ricore: Auch Pablo Trapero kennen Sie schon lange, nicht wahr?

Medeiros: Ja, schon Ewigkeiten. Ich habe ihn kennen gelernt, als er seinen ersten Film präsentiert hat, "Hoch hinaus". Das war 1999 auf dem lateinamerikanischen Festival in Toulouse, bei dem ich in der Jury saß und er den Grand Prix gewonnen hat. Damals erhielt ich einen Einblick in seine Filmwelt. Mich beeindruckte dieser spezielle Blick fürs Kino, den nur er hat. Seitdem haben wir uns aber nur mehr selten gesehen, sind aber in Kontakt geblieben. Dann haben wir uns 2007 wieder getroffen, als ich nach Buenos Aires kam, um mein neues Album zu promoten und zwei Konzerte zu geben. Ich wusste, dass er viel unterwegs war und einen neuen Film vorbereitet. Aber ihm kam die Idee, mich in seinem Projekt aufzunehmen. Das Drehbuch befand sich allerdings erst in Arbeit und ich wusste noch nichts von meiner Figur. Sie war auch noch nicht fertig geschrieben.

Ricore: Sie sind vielbeschäftigt. Sie haben gerade Ihr Album angesprochen, daneben wirken Sie in einem weiteren Film mit.

Medeiros: Ich habe lediglich einige Drehtage im Sommer 2007 gehabt, bevor ich nach Buenos Aires kam. Ende August, Anfang September habe ich dann mein Album fertiggestellt. Zu dieser Zeit habe ich Martina kennen gelernt. Sie kam mit Pablo zu meinem Konzert. Das war schön. Ich hatte auch die Gelegenheit, das gesamte Filmteam kennen zu lernen. Es war wie in einer großen Familie. Zwischen den Dreharbeiten hatten wir einige Tage Zeit, um uns zu entspannen und Freunde oder Bekannte zu treffen.
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Elli Medeiros und Martina Gusman: beste Freundinnen
Ricore: Stimmt es, dass Sie für die Kostüme Ihrer Filmfigur selbst gesorgt haben?

Medeiros: Ja. Ich kam aus Paris nach Buenos Aires und brachte viele Klamotten für meine Sofia mit. Ich hatte zwei gigantische Koffer: einen für mich und einen für Sofia. Das war lustig. Man sollte ja schließlich auch an ihrem Äußeren erkennen, dass sie spießig war und aus dem Ausland kam. Sofia hatte allerdings gar nicht meinen Modegeschmack und so konnte ich ihre Klamotten privat nie anziehen.

Ricore: Sie wohnen derzeit in Paris?

Medeiros: Ja. Als ich 2007 nach Buenos Aires kam, war dies das erste Mal in vielen Jahren. Ich bin in Uruguay geboren und aufgewachsen. Als ich zehn war, lebte ich fünf Jahre in Buenos Aires. Danach ging ich nach Paris und kam nie wieder zurück. Seit 2001 besuche ich Montevideo regelmäßig einmal im Jahr. Buenos Aires besuchte ich 2007 erstmals wieder.

Ricore: Wie war Ihr Eindruck von der Stadt, nach so vielen Jahren?

Medeiros: Das war hart, beeindruckend. Und auch etwas komisch. Ich fühlte mich irgendwie Zuhause, obwohl ich so lange weg war. Es war, als ob ich einen Teil meines Lebens darauf gewartet hat, wieder zurück zu kommen. Ich habe dort noch heute viele Freunde. Diese Rückkehr war schon komisch.

Ricore: Gab es einen Grund, warum Sie so lange weg waren?

Medeiros: Keinen bewussten. Als ich mit 15 Jahren von Buenos Aires wegging, hatte ich viele Freunde. Am Anfang schreibt man sich sehr oft, aber das hört mit der Zeit auf. Heute wäre das anders. Heute gibt es Emails und Internet, heute würde der Kontakt nicht so schnell abbrechen. So haben wir uns aus den Augen verloren. Die einzigen Verbindungen, die ich noch hatte, waren zu meiner Familie nach Uruguay.
Jean-François Martin/Ricore Text
Elli Medeiros und Rodrigo Santoro präsentieren "Löwenkäfig"
Ricore: In Frankreich ist in der Zwischenzeit auch viel passiert …

Medeiros: Klar, und wie!

Ricore: Ihren argentinischen Akzent haben Sie aber dennoch nicht verlernt.

Medeiros: Das stimmt, mein Spanisch ist vom Río de la Plata-Akzent eingefärbt. Darum komme ich nicht herum. Viele sind verwundert, dass ich kaum einen französischen Einschlag habe, obwohl ich schon so viele Jahre dort lebe. Deshalb ist es komisch für mich, hier in Deutschland zu sein, da es die einzige, große Sprache neben dem Chinesischen ist, die ich nicht spreche und nicht verstehe.

Ricore: Sie machen also gerade eine seltsame Erfahrung durch?

Medeiros: Es ist eigentlich sehr interessant. Die Menschen hier sprechen so wahnsinnig schnell, ich beobachte meist nur deren Lippenbewegungen, was sehr seltsam aussehen muss, aber ich bin hin und weg von der Akustik und der Schnelligkeit der deutschen Sprache.

Ricore: Sie haben als Vierjährige angefangen, als Schauspielerin zu arbeiten. Bereuen Sie Entscheidungen aus Ihrer Kindheit oder Jugend?

Medeiros: Ich weiß es nicht. Es ist sehr viel passiert in meinem Leben. Ich habe heute das Gefühl, als hätte ich viele Leben gelebt. Als ich in die Pubertät kam, habe ich das Theater total abgelehnt, denn das gehörte zu meiner Mutter. Ich habe zwar auf der Bühne meine ersten Schritte gemacht, aber in der Pubertät musste man ja gegen etwas rebellieren. Das Theater abzulehnen, war meine Art von Rebellion. Ich hatte aber Glück, die Musik zu finden, die mich faszinierte. Klar habe ich ab und zu etwas fürs Kino gemacht, aber meine große Liebe galt immer der Musik.
Jean-François Martin/Ricore Text
Sängerin und Schauspielerin Elli Medeiros
Ricore: Heute haben Sie alles.

Medeiros: Ja, das stimmt. Heute lebe ich meine Musik, spiele Theater, obwohl ich nie mehr auf der Bühne stehen wollte, mache Filme und habe sogar Kinder (lacht).

Ricore: Welcher Ihrer vielen Leben gefällt Ihnen am besten?

Medeiros: Über viele Jahre hinweg dachte ich, das wäre die Musik, aber in den letzten Jahren hat sich alles miteinander vermischt. Heute gehört alles zu mir und mir wurde klar, dass alles nebeneinander existieren kann. Dessen wurde ich mir aber erst vor kurzem bewusst. Man lernt tatsächlich nie aus.

Ricore: Leben Sie heute ruhiger als früher?

Medeiros: Nein, bei weitem nicht! Mein Leben war noch nie ruhig. Aber heute ist es vielleicht nicht mehr so super interessant und kompliziert und schwierig, wie es früher einmal war.

Ricore: Vielen Dank für das nette Gespräch.
erschienen am 4. Juni 2009
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