Concorde Filmverleih
Claude Chabrol
Claude Chabrol diszipliniert Depardieu
Interview: Die Katastrophe verhindern
Claude Chabrol gehört zu den alten Hasen im Filmgeschäft. So wie Hauptdarsteller Gérard Depardieu, mit dem Chabrol bei seiner Krimikomödie "Kommissar Bellamy" erstmals zusammenarbeitete. Beide sind für ihre starken Charaktere bekannt. Wir wollten natürlich wissen, ob es zwischen den beiden nicht mal gekracht hat. Der französische Regisseur gab uns offenherzig Antwort. Er erzählte sogar ein bisschen mehr und verriet, mit welcher Masche Marie Bunel das Machospiel von Gérard Depardieu unterband.
erschienen am 6. 07. 2009
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Claude Chabrol ("Kommissar Bellamy")
Ricore: Hatte Gérard Depardieu seine eigenen Vorstellungen von der Figur Bellamy oder hielt er sich an die Vorgaben des Regisseurs?

Claude Chabrol: Gérard Depardieu ist intelligent genug, um das Drehbuch beim Durchlesen zu verstehen. Im Übrigen ist die Figur Bellamy eine recht genaue Beschreibung seiner selbst. Zudem hat Bellamy zur Hälfte Depardieus Persönlichkeit. Daher hatte ich keine Probleme mit ihm: Er verfolgte von sich aus den richtigen Weg, um die Figur Bellamys natürlich zu entfalten. Es war sehr einfach.

Ricore: Gab es denn keine Diskussionen?

Chabrol: Lassen Sie mich überlegen. Gab es einen Moment, wo wir diskutiert haben? Ja, natürlich! Nur ein einziges Mal haben wir uns wegen einer Nichtigkeit gestritten. Es ging um die Szene beim Abendessen mit dem Zahnarzt, zu Beginn des Films. Depardieu interpretierte sie anders als ich und sagte "Ich habe mir das so und so gedacht". Ich antwortete: "Du kannst es so machen, aber es wäre weniger schön." Er hat sich dann auf das verlassen, was ich gesagt habe. Er wollte nicht die Macht ergreifen, was er durchaus hätte tun können.

Ricore: Wie würden Sie Gérard Depardieu beschreiben?

Chabrol: Er ist ein Beobachter. Er sieht erst einmal, was der andere macht und ob er sich seiner sicher ist. Einmal habe ich zu ihm gesagt: "Man hat mir erzählt, dass du des Öfteren die Macht zu ergreifen versuchst." Er bemerkte: "Das ist der Versuch, eine Katastrophe zu verhindern!"
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Kommissar Bellamy
Ricore: Ist der erotische Anteil der Figur stark von Depardieu inspiriert?

Chabrol: Ja, das ist wahr. Er ist körperlich sehr präsent. Seinen weiblichen Konterpart Marie Bunel auszusuchen, war keine leichte Sache. Ich habe eine Schauspielerin gewählt, die nichts an sich hat machen lassen. Sie hatte in ihrem bisherigen Leben nichts mit Schönheitsoperationen zu tun. Das wäre untypisch für Bellamy, sich für jemanden einzusetzen, der sein Gesicht hat machen lassen. Ich brauchte eine Schauspielerin mit unverbrauchtem Gesicht. Im Vorfeld hat Depardieu immer gefragt: "Ist sie denn gut, deine Kleine?" Als erstes hat er ihr - nicht als Schauspieler, sondern als Mann - die Hand auf den Hintern gelegt. Sie hätte sich natürlich empören und fragen können "Was soll das denn?" Aber sie reagierte mit "Weiter so" und hat ihn auf diese Art tatsächlich gestoppt. Am nächsten Morgen fragte sie ihn, warum er ihr denn nicht "Guten Morgen" gesagt hat, und hielt ihm den Hintern hin. Auf diese Art hat sie ihn daran gehindert, ihr jemals wieder auf einer solchen Ebene zu begegnen. Mittlerweile haben sie ein wunderbar unkompliziertes Verhältnis.

Ricore: Ist es heutzutage schwierig, jemanden zu finden, der noch nichts an sich hat machen lassen?

Chabrol: Eine gute Frage. Ich hatte zwei oder drei Kandidatinnen, die ich mir näher angeschaut habe. Aber in Marie habe ich das meiste Vertrauen gesetzt. Ich wusste, dass sie sich mit Depardieu gut verstehen würde. Sicher, das war nicht immer einfach.
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Marie Bunel und Gérard Depardieu in "Kommissar Bellamy"
Ricore: Chabrol und Depardieu sind zwei hochkarätige Namen des französischen Kinos. Warum hat es so lange gedauert, bis Sie beruflich zusammengefunden haben?

Chabrol: Das ist Zufall. Es gab durchaus Projekte, die wir gemeinsam machen wollten. Aber einmal ist der Produzent pleite gegangen, ein anderes Mal wurden die Rechte weggeschnappt, es ging immer so weiter. Das am weitesten gediehene Projekt war "Balzac" von Stefan Zweig. Leider haben wir nicht die Zeit gefunden, es durchzuziehen. Am Ende hat es das Fernsehen gekauft, und es wurde von jemand anderem realisiert. Zwar spielte Gérard Depardieu die Hauptrolle, aber es ist kein guter Film geworden. Das sagt Gérard selbst.

Ricore: Gab es einen Film, den Sie mit Depardieu drehen wollten und dann anderweitig besetzen mussten?

Chabrol: Nein. Wenn ich die Liste meiner Filme durchschaue, sehe ich keinen, wo Gérard eine gute Besetzung gewesen wäre. Er kann im Grunde alles spielen, aber in keiner der Rollen wäre er großartig gewesen. Als Ausnahme-Schauspieler braucht er Ausnahme-Situationen. Es müssen gewisse Elemente da sein, die ihn provozieren. Sonst würde er Dienst nach Vorschrift machen, und das ist nicht schön.

Ricore: Nach dem 50-jährigen Jubiläum als Regisseur - gibt es einen Lieblingsfilm, der Ihnen besonders ans Herz gewachsen ist?

Chabrol: Das ist schwierig. Das ändert sich stets. Manche Filme mag ich anfangs sehr, später dann weniger. Andere mag ich zunächst nicht so sehr und gewinne sie danach umso lieber. Das ist so ähnlich wie bei meinen Kindern. Nur meine Kinder liebe ich eigentlich alle. Unter den Filmen gibt es auch welche, die ich nicht liebe. Wäre das dann vielleicht so wie bei Kindern, die ein anderer gemacht hat? Nein, also - ungefähr zehn Filme sind meine Lieblingsfilme. Die Reihenfolge, welcher von ihnen mir gerade am besten gefällt, wechselt. Es ist selten, dass ein neuer hinzukommt. Aber nicht, dass einer aus der Reihe fällt. Auch bei schlechten Filmen ändert sich meine Meinung nicht. Manchmal sehe ich einen und denke "der ist ja noch schlechter, als ich dachte". Nur bei denen im Mittelfeld erlebe ich manchmal positive Überraschungen und denke "Wow, doch gar nicht so übel. Wenn alle solche Filme machen würden, wäre das gar nicht schlecht." Da überfällt mich dann eine dumpfe Zufriedenheit meiner Arbeit. Vielleicht vergleichbar mit der Köchin, die mit ihrem Ergebnis hadert, dann probiert und doch positiv überrascht ist. Das hört sich jetzt vielleicht etwas dumm an.
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Kommissar Bellamy
Ricore: Sie haben Ihre schlechtesten Filme erwähnt. Welche würden Sie denn als Ihre zwei, Drei schlechtesten bezeichnen?

Chabrol: Ich habe wahrscheinlich den schlechtesten Film der französischen Filmgeschichte oder der Filmgeschichte überhaupt gemacht - nein, einen der drei schlechtesten. Er heißt "Folies Bourgeoises" ("Die verrückten Reichen") aus dem Jahr 1974/75. Sicher finden sich durchaus Entschuldigungen und Argumente, um mich zu verteidigen, aber das Resultat zählt.

Ricore: Ein großes Thema Chabrols ist die Entlarvung der Bourgeoisie. Bereits in den 1960ern haben Sie hinter die Kulissen der Bourgeoisie geschaut. Gibt es diese noch, vielleicht in der Provinz? Oder hat sich die französische Gesellschaft verändert?

Chabrol: Ich habe die Liste meiner Filme angeschaut und stelle fest, dass tatsächlich 50 Prozent das Thema Bourgeoisie behandeln. Klar kommt das Thema vor - warum? Weil ich so am besten das Verhältnis von Sein und Schein zeigen kann. Das ist doch ganz klar: Der Unterschied zwischen dem, was die Leute sein wollen und dem, wie sie von anderen gesehen werden wollen. Sie möchten etwas darstellen. Dabei finde ich es doch sehr viel wichtiger, etwas zu sein als etwas darzustellen. Besser Sein als Schein!

Ricore: Herr Chabrol, ich danke Ihnen für das Gespräch.
erschienen am 6. Juli 2009
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Aus einer alten Apothekerfamilie stammend, entwickelt sich der französische Regisseur zu einem der wichtigsten Vertreter der François Truffaut, Jean-Luc Godard und Eric Rohmer verleiht Claude Chabrol seinen Werken stets seine wiedererkennbare Handschrift. Dass nicht alle Filme aus dieser Zeit gut waren, weiß Chabrol selbst. Müde ist er mit seinen knapp 80 Jahren dennoch nicht und plant nach "Kommissar Bellamy" im Jahr 2009, der ihn erstmals mit Gérard Depardieu zusammenführte, unverdrossen..
Kommissar Bellamy (Gérard Depardieu) macht mit seiner Frau Françoise (Marie Bunel) wie immer Urlaub in Südfrankreich. Neben seinem plötzlich auftauchenden Bruder (Denis Leprince) stört ein mysteriöser Fremder (Jacques Lebas) das Paar in der Sommerfrische. Der behauptet, vielleicht einen Mann getötet zu haben. Kommissar Bellamy kann nicht anders, er ermittelt. Claude Chabrol unterhält mit witzigen Dialogen und überzeugenden Darstellern.
2024