It Works! Medien
Anna Ratte-Polle mag anspruchsvolle Rollen
Spiele lieber ungewöhnlich
Interview: Anne Ratte-Polle mit Herz dabei
Anne Ratte-Polle pickt sich stets anspruchsvolle Rollen heraus. Sei es die Doppelrolle der Lady Macbeth und Macduff in William Shakespeares "Macbeth" oder die Freiberuflerin Emske in Gesine Danckwarts Kinodebüt "UmdeinLeben", Ratte-Polle macht einen Bogen um ausgetretene Wege. Seit 2009 spielt sie an der Volksbühne Berlin unter Frank Castorf, der dem Unkonventionellen ein neues Gesicht gegeben hat. Für tolle Figuren verlässt sie immer mal wieder die Bühne und begibt sich vor die Kamera, wie bei "Umdeinleben" geschehen.
erschienen am 14. 07. 2009
It Works! Medien
Anna Ratte-Polle versinkt als Emske im Chaos
Ricore: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Regisseurin Gesine Danckwart? Kannten Sie sie zuvor?

Anne Ratte-Polle: Sie war mir als Theaterregisseurin und Autorin bekannt. Persönlich haben wir uns bei einer Lesung für das Theatertreffen in Berlin kennengelernt.

Ricore: Danckwart kommt eigentlich vom Theater. Macht es einen Unterschied, mit einer Theater-Regisseurin an einem Film zu arbeiten als mit einem Filmregisseur?

Ratte-Polle: Die Art der Texte war natürlich anders, weil es ihre eigenen waren. Allerdings kommt das bei einem Filmregisseur auch vor. Aber ihre Texte gleichen eher einer Kunstsprache als Filmdialogen. Die Arbeitsweise war natürlich nicht dieselbe wie bei einem normalen Film, wo klar abgesteckt ist, in welchem Rahmen alles umgesetzt wird. Die Herangehensweise war anders. Wir sind vor Drehbeginn bei mir zu Hause die Texte durchgegangen und haben überlegt, wie was gesprochen wird. Es war für mich erstaunlich, wie schnell sich die Spielmöglichkeiten der Sprache beim Dreh ergeben haben. Das hat sich aus der jeweiligen Situation am jeweiligen Ort ergeben. Es war ein tolles Erlebnis, die Texte spielerisch umzusetzen. Auch die Idee mit dem weißen Raum fand ich beeindruckend.

Ricore: Haben Sie den Film zum ersten Mal auf dem Filmfest München gesehen?

Ratte-Polle: Zum zweiten Mal.

Ricore: Wie finden Sie das Endresultat? Etwa der weiße Raum am Anfang des Films, in dem jede Protagonistinnen etwas von sich erzählt?

Ratte-Polle: Beim ersten Schauen des Filmes war ich überrascht, wie gut das funktioniert. Ich war beim ersten Drehtag im weißen Raum dabei. Da gab es Ton-Schwierigkeiten. Ich glaube, es lag am Straßenlärm, deswegen konnten wir erst nicht drehen und alles stand auf der Kippe. Im Endeffekt hat es doch geklappt und ist super geworden. Ich finde die Bilder schön.
It Works! Medien
Anna Ratte-Polle in "UmdeinLeben"
Ricore: Gibt es viele theatrale Elemente im Film?

Ratte-Polle: Dass mit Sprache so umgegangen wird, ist eher selten im Film. Die Drehbuchsprache wird normaler Weise im Film eher der jeweiligen Situation der Szene angepasst, also im Notfall mundgerecht gemacht. Hier ist es umgekehrt: Der Text ist richtungsgebend. Aus ihm ergibt sich die Situation. Im Theater ist dieser Prozess genauso. Ebenso arbeitet man oft mit Kunstsprache. Auch Monologe sind im Theater nichts ungewöhnliches. Im Film schon.

Ricore: Glauben Sie, dass dies für den traditionellen Filmzuschauer eine sperrige Sache ist?

Ratte-Polle: Ja, es könnte durchaus eine sperrige Sache sein. Man muss sich reinhören und schauen. Schon allein deshalb, weil er nicht einer konventionellen Erzählstruktur mit Höhepunkt und Endpunkt folgt.

Ricore: Was würden Sie sagen: Für wen ist der Film interessant, obwohl er den Zuschauer nicht an die Hand nimmt?

Ratte-Polle: Diese Art Film gibt es seit den 1960er und 70er Jahren, das ist nichts Neues. Mit dem Medium Film kann man viel mehr machen, als nur einen Plot zu erzählen. Ich finde es immer gut, wenn man die eigenen Sehgewohnheiten bricht und erneuert.

Ricore: Würden Sie sich wünschen, dass solche Angebote öfter kommen?

Ratte-Polle: Auf jeden Fall.

Ricore: War es Luxus, über ein Jahr lang eine solche Rolle vorzubereiten?

Ratte-Polle: Mir hat es gefallen, das Projekt mitzutragen. Sonst ist oft alles in einem Monat abgedreht und verfliegt wieder. Dieses Mal ging es über einen langen Zeitraum. Es hat mir gefallen, dass man in Abständen das Team und die Leute wieder getroffen hat und alles gewachsen ist.
It Works! Medien
Anna Ratte-Polle spielt in "UmdeinLeben"
Ricore: Ist das nicht anstrengend, wenn man abwechselnd eine Rolle am Theater und im Film spielt?

Ratte-Polle: Nein. Am Theater ist es normal, dass man mehrere Rollen mit sich trägt. Es ist etwas Schönes, dass sich die Figuren mit einem verändern. Man lernt immer wieder dazu und eröffnet sich neue Spielräume. Es macht Spaß, wenn die Rollen nicht einfach weg sind, sondern wachsen und gedeihen.

Ricore: Glauben Sie, dass eine solche Rolle für einen reinen Filmschauspieler anstrengender wäre?

Ratte-Polle: Das glaube ich nicht unbedingt.

Ricore: Sie sagen, Sie hatten ein Mitspracherecht bei der Rollenentwicklung. Hatten Sie das mehr als bei anderen Filmen oder Rollen?

Ratte-Polle: Ich habe gar nicht so sehr auf mein Recht gepocht. Gesine Danckwart hat mir von ihrer Idee erzählt und mir einen groben Umriss gegeben, was sie sich für meine Figur vorstellt. Es ging vielmehr um den Gedankenaustausch und nicht um das Recht als solches. Eigentlich waren es ihre Ideen, die ich gut fand.

Ricore: Was hat Sie an der Rolle der Emske fasziniert?

Ratte-Polle: Sie ist eine Figur, die einsam ist und ein Problem damit hat, an die Umwelt heranzutreten. Beispielsweise fällt es ihr schwer, Anrufe zu tätigen.
IT WORKS! Medien
Szene aus "UmdeinLeben"
Ricore: Also geht es um Situationen, in denen man sich selbst anbieten und kommunizieren muss?

Ratte-Polle: Ja, genau. Gerade in dieser Zeit, in der Flexibilität und Selbstständigkeit gefragt sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass man sich selbst verbarrikadiert und immer mehr verschließt. Es wird schwierig, wenn man nicht aus sich raus kann. Witzig fand ich, als Gesine mir erzählte, meine Figur gehe Joggen. Im Film geht sie dann zwischen den Gängen ihrer Wohnung und denen des Shopping Centers joggen. Solche Gebäude existieren natürlich, mit ihren langen unterirdischen Gängen. Das ist keine Erfindung. Ich fand aber die Vorstellung lustig, in solchen Gängen zu joggen.

Ricore: Können Sie die Schwierigkeiten der Figur nachvollziehen?

Ratte-Polle: Klar kenne ich die Situation, lästige Anrufe erledigen zu müssen oder andere banale Tätigkeiten. Gerade langweiliger Behördenkram nimmt einem oft den ganzen Tag weg.

Ricore: Sie haben das Generationsproblem der 20- bis 30-Jährigen schon angesprochen, die in der Selbständigkeit untergehen.

Ratte-Polle: So schön das auch ist, dass man freier ist und nicht von einer Institution zur nächsten wandelt. Der Vorteil einer Institution ist, dass man in einer festen Struktur seinen Platz hat. Man kommt vielleicht nicht sofort hinauf, aber auch nicht hinunter. Als Selbständiger ist man einer anderen Art von Hierarchie unterworfen. Man lebt in einer unsicheren Situation. Es sagt einem ja niemand, wo man hingehen muss.

Ricore: Was reizt Sie mehr: Vor der Kamera zu stehen oder auf der Bühne zu sein?

Ratte-Polle: Beides macht mir großen Spaß. Theater ist deswegen schön, weil man langsam in die Rolle hineinwächst. Es gibt einen großen Energie-Austausch zwischen den Kollegen. Zudem erfährt man die direkte Reaktion vom Publikum. Die Stimmung hängt auch oft vom Publikum ab, ob Schulklassen im Publikum sitzen oder Seniorengruppen. Es geht sehr um die momentane Stimmung mit dem Publikum. Im Film arbeitet man mehr für sich. Das mag ich auch. Oft kenne ich die Kollegen auch gar nicht vorher. Da besteht eine große Fremdheit miteinander. Das birgt aber zugleich neue Möglichkeiten von Intimität, weil man sich behutsamer öffnet.

Ricore: Ist es schwieriger, gute Rollen am Theater oder am Film zu bekommen?

Ratte-Polle: Das weiß ich nicht. Ich habe immer mehr im Theater als im Film gespielt. Deswegen kann ich das nicht genau sagen. Im Film muss man vielleicht eher Prominenz besitzen, um gute Rollen zu bekommen und die Filme zu machen, die man will.

Ricore: Sie halten sich die Option offen, in den Filmen zu spielen, die Sie selbst wollen?

Ratte-Polle: Ja auf jeden Fall. Auch in den Theaterstücken, die ich selbst will. Die Auswahl nach der Bekanntheitsschiene will ich mir nicht aufbürden. Dazu hat der Beruf zu viel mit mir selbst zu tun.
erschienen am 14. Juli 2009
Zum Thema
UmdeinLeben (Kinofilm)
HB (Caroline Peters) hat wirklich viel zu tun. Ihr Arbeits- und ihr Privathandy klingeln ohne Unterbrechung, während sie eine Taxifahrt nach der andern fährt und nie anzukommen scheint. Auch ihre Gespräche sind eine Schleife von Wiederholungen, die keinen Sinn ergeben. Zeit für eigene Gedanken und Gefühle bleibt kaum, HB muss weitermachen. So wie sie müssen versuchen auch die anderen fünf Frauen aus "Umdeinleben" ständig weiter am Ball zu bleiben. Der Zuschauer folgt atemlos...
1974 in Cloppenburg geboren, stand für Anne Ratte Polle nicht von Anfang an fest, dass sie Schauspielerin werden würde. Sie begann zunächst ein Lehramtsstudium in Münster, brach dies aber ab und schrieb sich in der Hochschule für Musik und Theater in Rostock ein. Direkt von der Schule weg wurde sie für das Staatstheater Cottbus engagiert, später spielte sie in Hannover. 2009 ging sie schließlich an die Volksbühne Berlin. Neben dem Theater ist Ratte-Polle auch immer wieder in Filmen zu sehen.
2024