Concorde Filmverleih
Margarethe von Trotta
"Wo hat sie das mit dem Sex her?"
Interview: Margarethe von Trotta über Gott
Hildegard von Bingen faszinierte schon immer Frauenbewegung, Christen und alle an der Heilkunst interessierte. Diese Faszination für eine starke Frau, die wusste, was sie mit ihrem Leben wollte, ist auch an Margarethe von Trotta nicht vorbeigegangen. Nach mehreren Jahres der Beschäftigung mit dem Stoff, entschied sie sich schließlich, einen Film über die Kräuternonne zu drehen: "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen" ist nicht nur prominent besetztes deutsches Kino, sondern auch eine Reflexion über den Glaube. Mit uns sprach die Regisseurin über ihre ganz persönliche Beziehung zum Glauben. Dabei traten erstaunliche Meinungen zu Tage.
erschienen am 21. 09. 2009
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Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen
Ricore: Wie fühlt man sich, nachdem man so ein Werk vollendet hat? Erleichtert? oder fallen einem noch Sachen ein, die man hätte anders machen sollen?

Margarethe von Trotta: Naja, ich hab schon während der Dreharbeiten dauernd gedacht, das müsste noch rein, und das müsste rein. Barbara Sukowa geht es genauso. Sie hat immer weiter gelesen und recherchiert. Sie kam eines Tages mit diesen Szenen über Sex zu mir, wo die da über die Türmchen und so... Es ist komisch, wie Hildegard von Bingen sich das vorstellt, wie Mann und Frau sich vereinigen. Der Vorschlag, das in das Buch mit hineinzunehmen, kam von Barbara, mitten beim Drehen. Das stand im ursprünglichen Drehbuch nicht drin. Uns fiel andauernd etwas ein, was wir hier und da noch unterbringen wollten. Nachher hab ich es zum Teil wieder wegschneiden müssen, da es dann doch zu viel war. Man muss immer eine Auswahl treffen. Später quält einem die Frage: Hat man die richtige Auswahl getroffen? Das quält mich bis heute.

Ricore: Die Aufklärungsszene ist wirklich sehr komisch.

Von Trotta: Ich hab diese in einer Biografie gefunden, die von Barbara Beuys verfasst wurde. Sie hat dazu geschrieben: "Wie Volmar...", der bei uns von Heino Ferch gespielt wird, "...wie der wohl reagiert hat, als er das gelesen hat und abschreiben musste." Das haben wir mit rein genommen. Heino spielt diese Szene so wunderbar (lacht).

Ricore: Wo hat Hildegard von Bingen das her? Wie ist sie aufgeklärt worden?

Von Trotta: Das weiß ich auch nicht. Sie hat sicherlich durch ihre Heiltätigkeit oder durch das Krankenhaus, durch ihre Tätigkeit als Ärztin viel gelesen. Sie hat sich einiges vorstellen können. Wir haben uns das alle gefragt. Wo kriegt eine Nonne sowas her? Überhaupt einen Penis zu beschreiben, wie der so steht, wie zwischen zwei Gebäuden ein Türmchen, die ihn stützen (lacht)….
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Margarethe von Trotta mit ihren beiden Hauptdarstellerinnen
Ricore: Die Idee zum Film geisterte schon lange in Ihrem Kopf herum. Was war der Auslöser, dass das Projekt tatsächlich zustande kam?

Von Trotta: Zum ersten Mal hatte ich sie Anfang der 1980er Jahre. Das war aber nicht auf meinen Mist gewachsen, sondern ein Ergebnis der damaligen Frauenbewegung, die es Anfang des Jahrhunderts auch gegeben hat. Nach 1968 entstanden Frauengruppen, die recherchiert haben. Wo waren die Frauen in der Vergangenheit, was haben die gemacht? Das wurde uns damals in der Schule nicht gelehrt. Im Religionsunterricht waren es höchstens die Heiligen, die sich für ihren Glauben malträtieren ließen. Aber starke Frauen wurden uns nicht präsentiert. Bis in die Mythologie suchten wir danach. Zu jener Zeit tauchte Hildegard von Bingen zum ersten Mal auf. Ich habe gedacht, über diese Frau müsste man was machen. Den Produzenten habe ich das aber nicht zugetraut.

Ricore: Scheiterte es am Geld?

Von Trotta: Nun ja, ich konnte mir nicht vorstellen, dass man dafür Geld zusammenkratzen konnte. Aber es lag auch an mir. Ich bin die Sache erst gar nicht angegangen. Irgendwann erzählte ich meinem jetzigen Produzenten von Concorde Markus Zimmer davon. Als ich eigentlich einen Film über Hannah Arendt machen wollte, kam er dann mit dieser Idee an. Wissen Sie, wer Hannah Arendt war?

Ricore: Hmmm…

Von Trotta: Eine Superintellektuelle, die im letzten Jahrhundert gelebt hat. Markus meinte, das will doch keiner sehen. Ich hab ihm gesagt, wenn er das wolle und mir das Drehbuch gestattet, und ich nicht wieder in die Luft hinein arbeiten muss, wie bei Hannah Arendt, mache ich das gerne. Denn schließlich muss ich auch von etwas leben. Ich glaube, er hat die Zeit reif gesehen. Es ist ja oft so, dass die Produzenten das besser riechen, als der Regisseur.

Ricore: Wie haben Sie sich den religiösen Zugang zur Geschichte verinnerlicht?

Von Trotta: Wir sind doch alle christlich erzogen worden. Es ist ja nicht so, dass ich als Atheistin auf die Welt gekommen bin. Meine Mutter war gläubig, und ich bin auf einem Diakonissen-Internat gewesen. Ich bin evangelisch, aber doch sehr christlich erzogen. Ich habe eine Zeitlang Kunstgeschichte studiert. Im christlichen Europa ist das unser Background. Da brauchen wir nicht lange zu suchen, das haben wir in den Genen. Entweder kann man tiefgläubig werden oder sich davon abwenden. Aber zumindest ist das unsere Basis, unsere Kultur.
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Barbara Sukowa in "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen"
Ricore: Aber die Dimension, in der von Bingen ihren Glauben lebt, muss man sich trotzdem neu erarbeiten.

Von Trotta: Ich bin davon ausgegangen, dass dies etwas Natürliches war. Glauben und Wissen war im Mittelalter eins. Man hat den Glauben gar nicht hinterfragt. Wenn heute jemand gläubig ist, kommt sofort der andere und fragt, hast du keine Zweifel? Das gab es damals nicht. Im Mittelalter war die Religion das Fundament der Existenz. Man glaubte an Gott, man glaubte an den Teufel, man glaubte an Engel, man glaubte an das Paradies, man glaubte an die Verdammnis, an Gut und Böse. So wie wir heute an unsere Technik glauben. Sie existieren, sie sind da. Sie liegen auf dem Tisch, und da reden wir rein. Der Glaube war Wahrheit. Davon bin ich ausgegangen. Das wurde gar nicht, wie man modern sagt, hinterfragt.

Ricore: Stimmt, damals haben wir sogar noch auf einer Scheibe gelebt…

Von Trotta: Ja, das versteht heute auch niemand mehr, wie die Leute glauben konnten, die Erde sei flach. Unten war die Hölle und oben Gott. Und wenn die alle nach oben geguckt haben, dann war da wirklich Gott. Wir gucken immer noch nach oben und wissen genau, dass da nicht Gott ist. Wenn Gott irgendwo ist, dann ist er überall.

Ricore: Haben Sie bei der bildlichen Darstellung der Vision verschiedene Dinge ausprobiert?

Von Trotta: Mein Wunsch war es, Barbara Sukowas Ehemann Robert Longo, einen fantastischen Videokünstler und Maler zu gewinnen. Ich wollte, dass er die Vision macht. Es sollte jemand sein, der eine völlig andere Sprache hinein bringt. Aber das Geld war nicht da. Dann wollte ich das selbst machen, aber das habe ich mir nicht zugetraut. Es gibt Bücher aus jener Zeit, die Hildegard von Bingens Visionen bebildern. Das ist so weit weg, das wäre nur kitschig geworden. Sozusagen kunstgewerblicher Kitsch. Deshalb beschränkte ich mich auf die allererste Vision, die sie selbst beschreibt: Ein Blitz kam aus dem Himmel und eine Stimme hat gesagt, "beschreib' was ich dir sage". Wir haben aber nur den Himmel dargestellt, wie er sich öffnet und der Strahl blendet. Das war der Ausgangspunkt. Alles, was von Bingen danach sieht, sind fantastische, unglaubliche Bilder. Ich müsste schon Steven Spielberg sein und die Möglichkeiten der digitalen Bearbeitung haben, um das wirklich reizvoll zu machen. Meine finanziellen Mittel hätten nicht gereicht.
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Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen
Ricore: Dafür ist die Ausstattung sehr aufwendig geworden…

Von Trotta: Gott sei Dank sehen Sie das so (lacht). Ich hatte einen fabelhaften Ausstatter, der viel recherchiert hat. Auch die Requisiteurin war mit großer Passion dabei, alle haben sich große Mühe gegeben und sehr sorgfältig gearbeitet und recherchiert. Das Team bestand aus Leuten, die noch nie etwas über das Mittelalter gemacht hatten. Und auf einmal wurden sie mit Fragen konfrontiert wie: "Wie sehen Kuchen oder Teller im Mittelalter aus?" Glas gab es in unser heutigen Form auch nicht, also wie sah das alles aus? Das zu entdecken hat ihnen viel Spaß gemacht, das fand ich wunderbar.

Ricore: Woran liegt es, dass es in unserer Zeit ein größeres Bedürfnis nach Spiritualität gibt? Wenn man daran denkt, wie viele Leute den Jakobsweg gehen.

Von Trotta: Naja, Hildegard von Bingen sagt, Geist und Seele gehören zusammen. Sie hatte eine ganzheitliche Vorstellung. Jene Personen, die den Pilgerweg gehen, setzen sich körperlichen Dingen aus, um ein geistiges Erlebnis zu haben. Der Körper und der Geist kommen dabei wieder zusammen. Das ist genau das, was wir über die Jahrhunderte aufgegeben haben. Der Geist hat sich immer mehr vom Körper wegbewegt. Die Fitnessgurus bewegen sich übrigens auch weg, denn die trainieren nur ihre Muskeln. Und auf dem Jakobsweg kommt plötzlich alles wieder zusammen.

Ricore: Sind Sie ihn schon mal gegangen?

Von Trotta: Nein, aber ich glaube schon, dass es ein besonderes Erlebnis ist. Gerade in der jetzigen Krise, im Klimawandel, in der Finanzkatastrophe. Alles, was man sich aufgebaut hat, ist plötzlich weg. Wie viele Menschen auf einmal ihre Häuser oder ihre Ersparnisse verloren haben. In Deutschland geht es ja noch, aber gerade in Amerika ist es besonders schlimm. Was bleibt uns denn noch, wenn nicht eine geistige Dimension? Es gibt viele Finanzhaie, die sich derzeit umbringen. Müssen sie sich umbringen, nur weil sie ihr Geld verloren haben, wenn sie noch irgendetwas anderes haben, worauf sie bauen können? Das ist doch verrückt. Ich kann das nicht nachvollziehen.
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Margarethe von Trotta
Ricore: Vielleicht ist es auch das Schuldbewusstsein, das Geld anderer Leute verloren zu haben.

Von Trotta: Na gut, der Madoff, der hätte sich von mir aus umbringen können, aber der tut es nun gerade nicht (lacht). Der fängt jetzt an, ans Jenseits zu glauben.

Ricore: Hat es Sie nie gereizt, Filme über große Männerfiguren zu machen?

Von Trotta: Reizen würde mich das schon, aber das besorgen die Männer selbst. Ich sehe das als Aufgabe, ein bisschen zu kramen. Komischerweise fragt man das Männer nie. Oder haben Sie mal einen Mann gefragt, warum er nicht einen Film über eine starke Frau macht? Das werde immer nur ich gefragt.

Ricore: Wäre die Situation ausgeglichener, sagen wir in 30 Jahren, dann würden Sie vielleicht...?

Von Trotta: Bei mir kommen ja auch Männer vor. So ist es nicht. Gerade Heino Ferch als Volmar finde ich wunderbar. Vor allem deshalb, da man von ihm immer dieses Machotum kennt.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 21. September 2009
Zum Thema
Margarethe von Trotta gehört zu den wichtigsten Protagonistinnen des deutschen Films. 1942 in Berlin geboren, beginnt sie nach ihrem geisteswissenschaftlichen Studium in Paris und Düsseldorf mit Schauspielunterricht. Sie wirkt in Filmen von Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff und Herbert Achternbusch mit. Von 1971 bis 1991 ist sie mit Schlöndorff verheiratet. Die bleierne Zeit" (1981), "Die Geduld der Rosa Luxemburg" (1986), "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen" (2009) und..
Äbtissin und Visionärin Hildegard von Bingen (Barbara Sukowa) lebte vor etwa eintausend Jahren. Ihre Bücher erleben seit langem eine Renaissance. Vor allem ihre Heilkunde ist sie heute wieder populär. Aber die Benediktinerin aus adeligem Geschlecht war nicht nur ihrem Kräutergarten zugewandt. Im Gegenteil, ihre vielfachen Interessen führten sie in Konflikt mit der kirchlichen Obrigkeit.
2024