UIP
Regisseur Davis Guggenheim
"Jimi Hendrix war nicht verfügbar"
Interview: Davis Guggenheim' Leidenschaft
Drei Männer wollen nur das eine: Gitarre spielen. In seiner Musik-Dokumentation "It Might Get Loud" arrangiert Regisseur Davis Guggenheim ein Gipfeltreffen der außergewöhnlichen Gitarristen Jimmy Page, The Edge und Jack White, die bisweilen sogar das Kamerateam ihre Arbeit vergessen ließen. Nun spricht er über das gelungene Experiment, planlos an das Projekt heran zu gehen und jeden seiner Protagonisten einfach seine persönliche Geschichte erzählen zu lassen.
erschienen am 24. 08. 2009
Arsenal Filmverleih
Davis Guggenheim am Set von: It Might Get Loud
Ricore: Sie machen Spielfilme, aber auch politische Dokumentationen. Was hat Sie zum Musikbusiness gebracht? Welchen Bezug haben Sie zu diesem Thema?

Davis Guggenheim: Thomas Tull, der "Dark Knight" produziert hat, ist ein großer Gitarren-Fan. Wir haben uns bis um sechs Uhr morgens unterhalten, wenn wir beide Zeit hatten. Er hat am Telefon Gitarre gespielt, weil er das gerne macht. Ich liebe Musik wirklich, aber ich hätte nie gedacht, dass ich eine Musik-Dokumentation machen würde. Ich weiß nicht, wie man einen Film über ein Objekt macht. Aber warum nicht einen Film über Menschen machen? Ich habe mir viele Musik-Dokumentationen angesehen und fand, dass die meisten nicht besonders interessant sind. Nur wenige sind sehr gut.

Ricore: Welche Filme sind das?

Guggenheim: Ich mag "No Direction Home" und "The Band". Es gibt ein paar gute, aber die meisten hinterlassen eine Leere. Man wünscht sich dabei gewesen zu sein, statt hier zu sitzen und den Film zu sehen. Es geht darin um Autounfälle, Drogenüberdosis, ausschweifende Lebensstile. Ich wollte einen Film darüber machen, was es bedeutet, Künstler zu sein. Vielleicht lernt man mehr über die Gitarre, wenn man die Menschen versteht.

Ricore: War es ein Projekt, zu dem Sie dazu gestoßen sind, oder haben Sie die drei Protagonisten selbst ausgewählt?

Guggenheim: Wir haben sie gemeinsam ausgewählt. Aber das war sehr einfach. Wir haben nachgefragt, aber Jimi Hendrix war nicht verfügbar. Dann kamen wir auf Jimmy Page. Einen Monat lang dachten wir, dass das unmöglich wäre, weil er so was noch nie gemacht hat. Und dann dachte ich, versuchen wir's doch einfach. Ich schrieb ihm einen Brief, flog nach London und wartete im Hotel. Er kam mit einem kleinen Regenschirm durch die Eingangstür. Ich hatte erwartet, dass er mit einer Entourage kommen würde, aber wir saßen einfach nur in der Hotel-Lobby. Er war ein liebenswerter Gentleman. Wir haben zwei Stunden geredet, und er sagte: Lass es uns machen! Ich war völlig überrascht. Danach kriegten wir Edge und Jack und es konnte losgehen. Einer der Produzenten brachte die Liste des Rolling Stone [Musik-Magazin] über die hundert besten Gitarristen. Ich hab sie durch gesehen und sagte: Das ist nicht der Film, den wir machen wollen. Diese Listen sind so bedeutungslos. Wie will man denn Martin Scorsese mit Francis Ford Coppola vergleichen? Wir wollten keinen Film über die Gitarristen der Liste machen, sondern über drei, die nicht nur Gitarre spielen, sondern auch eine Geschichte erzählen können. Das ist das Interessante.
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Jack White in "It Might Get Loud"
Ricore: Was war die Geschichte, die sie von jedem haben wollten? Was wollte Sie zeigen?

Guggenheim: Den Film zu machen war ein Experiment. Ich wusste nicht, ob es funktionieren würde oder nicht. Es ist meine vierte Dokumentation. Als ich Al Gore alleine interviewt habe, sind die besten und intimsten Interviews zustande gekommen. In einer großen Menschenmenge war er immer sehr formell. So wollte ich auch mit diesem Film anfangen. Warum bei Wikipedia oder Fanseiten nachschauen und die Biografie von Jimmy Page nachlesen, wenn er seine Geschichte auch selbst erzählen kann? Deshalb haben wir mit den Interviews in einem kleinen Hotelzimmer angefangen, nur er und ich. Wir haben uns einfach unterhalten, ohne Ziel und Plan. Ich fragte ihn, wo sein Kopf und wo sein Herz liegen. Etwa sechs Stunden nach dem Interview entstand dann die Geschichte. Jimmys Geschichte wird von Jimmy erzählt, Jacks Geschichte von Jack und Edges Geschichte von Edge. Als wir mehr über sie wussten, war der Rest ganz einfach. Wir wussten, wo wir drehen mussten. Vor der Doku wollten wir Edge nach Dublin begleiten. Aber was dann? Am Ende hätten wir gedreht, was alle anderen auch drehen. Es wäre langweilig geworden.

Ricore: Wie sind Sie auf die drei Gitarristen gekommen? Vor allem The Edge und Jack White? Es gibt ja so viele gute Gitarristen.

Guggenheim: Wir wollten keinen ausschließen, oder sagen, dass einer wichtiger oder einflussreicher ist. Wir haben nicht auf Verkaufszahlen oder Popularität geachtet. Die Liste habe ich wieder weggelegt. Vor zehn Jahren oder in zehn Jahren würde die Liste anders aussehen. Der einzige Plan, den ich hatte, war, dass sie aus verschiedenen Generationen und verschiedenen Stilrichtungen kommen sollten. Es ist eine Sache, Künstler zu sein. Aber es ist etwas ganz anderes, Künstler zu sein und darüber reden zu können. Sie wissen, wer sie sind. Es gibt großartige Filmemacher, die sich aber nicht selbst einordnen können. Diese Drei sind nicht nur Künstler, sondern können auch darüber erzählen. Das war für mich interessant.

Ricore: Wie wussten Sie das denn vorweg?

Guggenheim: Das war Instinkt. Es hätte auch ein Disaster werden können. Es war wirklich ein Experiment. Oft hat einer von ihnen gefragt: Was machst du daraus? Und ich sagte: Ich weiß es nicht. Als sie sich getroffen haben, wollten sie wissen, worüber sie reden sollten.
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It Might Get Loud
Ricore: Waren die Drei irgendwie unsicher als sie sich getroffen haben, oder hat jeder sein Ding durchgezogen?

Guggenheim: Ich glaube sie waren sehr nervös. Sie hatten sich noch nie vorher getroffen. Sie hätten als Künstler wohl gerne eine Setlist gehabt, aber die gab es ja nicht.

Ricore: Wie lange hat das Treffen gedauert?

Guggenheim: Zwei Tage.

Ricore: Wie verlief das Treffen?

Guggenheim: Es war für alle etwas besonderes. Sie haben sich lange unterhalten. Dann ist Jimmy einfach aufgestanden und hat die Gitarre genommen. Vier Kameras waren da, die ich alle im Blick hatte. Eine davon war plötzlich auf den Boden gerichtet, weil auch die Kameramänner, ebenso wie Jack und Edge, auf Jimmy gestarrt haben. Sie wollten sehen, wo seine Finger waren, wie er es machte. Es gab eine Menge Momente wie diesen. Fünfzehn Songs haben sie zusammen gespielt, die sind aber nicht im Film.

Ricore: Wird es eine Extended Version auf DVD geben?

Guggenheim: Ja, auf der DVD gibt es viel mehr Songs und noch mehr Stories. Es gibt eine Stunde zusätzliches Material.

Ricore: Sie erzählen viel über die Anfänge der Musiker und über das Treffen. Aber was wäre das Neue?

Guggenheim: Es gab eine Szene über Berlin. Edge wurde von der Autobahn und der Architektur der späten 1970ern beeinflusst. Er sprach darüber, dass alles so sauber sei, ohne Ausschmückungen, die Musik sei so präzise wie die Autobahn. In einem Interview in London erzählte er darüber, wie die erste Tour in Deutschland die Band verändert habe. Bands wie Joy Division waren sehr wichtig für ihn. So etwas würde ich auf die DVD packen.
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Davis Guggenheim und Jimmy Page
Ricore: Spielen Sie selbst Gitarre?

Guggenheim: Ein bisschen.

Ricore: Man hat bei dem Treffen ein bisschen den Eindruck, dass die drei Jungs sich gegenseitig übertrumpfen.

Guggenheim: (lacht) Nein. Davor haben sie sich gegenseitig vorgespielt und zugehört. Erst als sie vertrauter waren, haben sie ihr Können miteinander geteilt. Wenn man sich mit einem anderen Künstler wohl fühlt, fängt man an, seine Seele mit ihm zu teilen. Das fand ich sehr bedeutungsvoll. Man wird dadurch sehr verletzlich und will sich schützen.

Ricore: Haben die drei den Film schon gesehen und wie haben sie reagiert?

Guggenheim: Er hat ihnen gefallen.

Ricore: Ich hatte den Eindruck, dass vor allem Jack White vor der Kamera seine Bühnenpersönlichkeit annimmt. Haben Sie auch den echten Jack White kennen gelernt?

Guggenheim: Oh ja. Jack ist faszinierend. Ein Teil von ihm kreiert nicht nur Musik, sondern eine Figur. Er weiß, dass wir wissen, dass er das tut. Er weiß, dass es ein Spiel ist. Er ist einfach so. Ich mag das.

Ricore: Ich habe noch nie jemanden an der Gitarre bluten sehen.

Guggenheim: Das war unglaublich! Es war bei einer zweistündigen Show in Austin Texas. Jack hatte sich schon am Abend vorher geschnitten und die Wunde öffnete sich beim Spielen wieder. Es wurde immer schlimmer, das Blut war überall. Wir wollten, dass er aufhört.
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The Edge in "It Might Get Loud"
Ricore: Ein besonderer Moment ist mit Jimmy Page im Wohnzimmer. Er scheint erst nervös zu sein, lässt sich dann aber ganz auf die Situation ein.

Guggenheim: Jeder öffnet sich anders. Auch wenn ich Ihnen etwas Persönliches erzähle, gibt es immer noch etwas Persönlicheres, das ich Ihnen nicht erzähle. Und jeder versteht das. Deshalb dachte ich, es wäre gut, wenn jeder seine eigene Geschichte erzählen kann. Jack wollte eine Metapher für sich als kleiner Junge. Auch das sagt eine Menge über ihn aus.

Ricore: Für wen ist dieser Film gemacht? Für Jungs, die gerne Gitarre spielen?

Guggenheim: Ich denke, er ist für jeden gemacht (lacht). Meine Frau ist in alle drei verliebt und würde mich sofort für jeden von ihnen verlassen.

Ricore: Gibt es ein neues Projekt?

Guggenheim: Ich mache einen Film über das Bildungssystem in Amerika. Kennen Sie amerikanische Schulen? Sie sind schrecklich.

Ricore: Sind Sie mit dem Guggenheim verwandt?

Guggenheim: Nein. Mein Großvater hat Socken verkauft (lacht)

Ricore: Ist The Edge wirklich so steif?

Guggenheim: Nein, das denke ich nicht. Er ist nachdenklich, sehr tiefgründig und sehr liebenswert. Ich glaube, er sieht sich selbst als eine Art Wissenschaftler. Aber ich mag ihn sehr. Er ist so kreativ. Jimmy muss seinen Mund und Körper bewegen, wenn er spielt. Edge macht das nicht. Kunst ist ein Mysterium und jeder muss seinen Weg finden.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 24. August 2009
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Kann schon sein, dass es laut wird, wenn Jimmy Page von Led Zeppelin, The Edge von U2 und Jack White von den White Stripes gemeinsam auf der Gitarre jammen. In seiner Rockumentation folgt Doku-Oscarpreisträger Davis Guggenheim den drei Gitarrenhexern aus drei Generationen zu den Anfangsstätten ihres Wirkens. Kombiniert mit Archivmaterial und Interviews soll ein Bild des Gitarren-Rocks seit den frühen 1960er Jahren entstehen.
Als Sohn von Hollywood-Regisseur und Produzent Charles Guggenheim wird Davis 1963 praktisch ins Filmbusiness geboren. In den 1990er Jahren startete er seine eigene Karriere und führte bei diversen Serien-Episoden von "New York Cops - NYPD Blue", "24" und "Deadwood" Regie. Er erweiterte sein Repertoire um Dokus und Spielfilme und gewinnt 2007 mit "Eine unbequeme Wahrheit" den Oscar in der Kategorie Bester Dokumentarfilm. 1994 heiratete er die Schauspielerin Elisabeth Shue, zusammen ziehen sie..
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