Sydney Film Festival
Steve Jacobs auf dem Sydney Film Festival (2009)
Steve Jacobs schätzt gute Bücher
Interview: "Ich bin Perfektionist"
"Schande" behandelt nicht nur eine Vater-Tochter-Beziehung, sondern vor allem den Umgang mit einer traumatischen Erfahrung. Was Regisseur Steve Jacobs daran faszinierte und wie er auf den Stoff kam, erzählt er in einem entspannten Gespräch nach der Deutschlandpremiere auf dem Filmfest München 2009. Seine zweite Regiearbeit nach "Die schöne Spanierin" basiert auf einem Roman von Literaturnobelpreisträger J.M. Coetzee.
erschienen am 18. 09. 2009
Alamode Film
John Malkovich in "Schande"
Ricore: Warum haben Sie diesen Roman für Ihre zweite Regiearbeit ausgewählt?

Steven Jacobs: Anna Maria Monticelli hat ihn ausgewählt. Sie dachte, es würde einen guten Film abgeben.

Ricore: Ist es nicht sehr schwer für einen Regisseur, den Roman eines Nobelpreisträgers zu verfilmen?

Jacobs: Doch, natürlich ist es sehr schwierig. Aber es ist ein gutes Buch, deshalb muss man sich damit abfinden.

Ricore: Haben Sie viel vom Roman für den Film verändert?

Jacobs: Natürlich haben wir viel rausgenommen. Es ist ein zweistündiger Film und über 300 Seiten Roman. Viele Dinge wurden umgeändert, aber alles, was im Buch passiert, passiert auch im Film.

Ricore: Sie haben das meiste in Südafrika gedreht.

Jacobs: Ja, sieben Wochen. Und eine Woche in Sydney.
Alamode Film
Szene aus dem Drama "Schande"
Ricore: Warum haben Sie an den Originalschauplätzen gedreht?

Jacobs: Weil wir Authentizität wollten. Und uns wurde ein Bonus von der südafrikanischen Regierung angeboten. Der blieb bisher jedoch aus.

Ricore: War es trotzdem richtig, dort gedreht zu haben?

Jacobs: Es ist wichtig für den Film, es war eine gute Entscheidung. Aber es ist bedauerlich, dass wir den Bonus nicht bekommen haben.

Ricore: Wie war es, diesen Film in Südafrika zu machen? War man dort sehr kritisch?

Jacobs: Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Es ist ja keine Dokumentation über Südafrika. Es geht um eine kleine Gruppe Menschen und basiert auf einem Buch. Das heißt ja nicht, dass Südafrika so ist. Es zeigt ja nur das, was im Buch steht.

Ricore: Wenn man jemanden dafür verantwortlich machen würde, wäre das also der Autor?

Jacobs: Ich glaube nicht, dass er ein Statement über Afrika machen wollte. Er hat eine Geschichte über eine Farm und die paar Leute geschrieben, die dort leben. Das sind ja nicht die Millionen Menschen, die in Südafrika leben. Es geht nur um drei oder vier Einzelfiguren in einem Drama.

Ricore: Hatten Sie nicht die Befürchtung, dass Sie auf einer abstrakten Ebene eine politische Aussage transportieren würden?

Jacobs: Ich habe keine politische Aussage in den Film gepackt. Ich habe mich auf das Drama konzentriert. Die Figuren im Film repräsentieren keine politischen Positionen oder Stereotypen von Rasse oder Geschlecht.
Alamode Filmverleih
Steve Jacobs
Ricore: Was wollten Sie anhand der Protagonisten zeigen?

Jacobs: Ich wollte das zeigen, was im Buch steht. Ein Komplex aus Individuen in einer Situationen, dem traumatischen Ereignis der Vergewaltigung, und wie sie darauf reagieren. Daraus ergeben sich natürlich andere Probleme, über die die Menschen nachdenken sollen. Wir wollten so nahe am Buch bleiben wie möglich.

Ricore: Wenn die Vergewaltigung der Wendepunkt im Film ist, warum war es so wichtig, David Luries Vorgeschichte bis zu diesem Moment zu zeigen?

Jacobs: Es zeigt die Heuchelei der Figur und woher sie kommt. David Lurie ist die Hauptfigur. Er hat noch genügend andere Probleme, aber es geht nicht um seine persönliche Reise. Man muss aber seinen Hintergrund zeigen und auch die Art, wie er sich in der Gesellschaft von früher verhielt und in der von heute, in die er hineingezwungen wird.

Ricore: David Lurie zitiert oft Lord Byron. Ist das nicht ein mutiger Schritt für einen Regisseur, Hochliteratur im Film zu verwenden?

Jacobs: Das war im Buch noch offensichtlicher, da er eine Oper schreibt, nicht nur ein Lied, wie im Film. Ich musste die Szene irgendwie für den Film umsetzen, und so habe ich es dann gemacht. Ich hielt es für wichtig, es reinzunehmen, weil es jemanden zeigt, der sich selbst für einen Romantiker hält, am Ende will er jedoch Rache. Das ist ein Paradoxon.

Ricore: Es gibt eine Szene, in der es um Sexualität geht und die männliche und weibliche Herangehensweise. Jessica Haines fragt John Malkovich darin, ob es immer darum geht, eine Frau zu unterdrücken.

Jacobs: Sie ist eine Lesbe, deshalb ist heterosexueller Geschlechtsverkehr nichts für sie. Erzwungener Sex mit einem Mann trägt noch eine extra Dimension des Horrors in sich, denke ich. Auch für eine heterosexuelle Frau ist erzwungener Geschlechtsverkehr fast wie ein Tod. Das sagt sie auch. Vergewaltigung ist ein Missbrauch, es ist eine sehr kraftvolle Art das zu beschreiben. Manchmal ist auch Sex mit beidseitigem Zustimmen nicht unbedingt von beiden Seiten erwünscht. Wie bei dem Mädchen, das ihm an der Universität Gefälligkeiten erweist.
Sydney Film Festival
Steve Jacobs mit Ehefrau Anna Maria Monticelli
Ricore: Würden Sie es als Affäre bezeichnen?

Jacobs: Es ist eine sexuelle Beziehung.

Ricore: Aber sie sind nicht auf derselben Ebene, wie es bei einer Affäre wäre?

Jacobs: Er nutzt seine Macht, um sie einzuschüchtern. Sie macht nicht freiwillig mit.

Ricore: War es Ihre Absicht, den gebildeten Professor in Bezug auf seine Sexualität auf dasselbe Level zu stellen wie die drei Jugendlichen, die nichts außer Verbrechen im Sinn haben?

Jacobs: Coetzee hat diese Kombination zusammen gebracht. Er sagt, David vergleicht die Natur des Sexes mit dem Verlangen von Hunden. Der Hund, der sein Verlangen nicht stillen kann, erleidet Qualen und man sollte ihn einfach erschießen. Und sie sagt, hast du das schon immer so gesehen? Und er sagt, nein, statt ja. Und einen Moment später zerstört derselbe biologische Trieb seine Tochter. Das ist eine brillante Weise zu zeigen, dass ein intellektuelles Argument in der physischen Realität nicht zu rechtfertigen ist.

Ricore: Hätten Sie sich einen anderen Darsteller als John Malkovich für die Rolle des David Lurie vorstellen können?

Jacobs: Ralph Fiennes hätte den Film machen sollen, ist aber ausgestiegen. John hat die Rolle übernommen. Jetzt kann ich nur noch John in der Rolle sehen und mir keinen anderen vorstellen. Ich bin glücklich mit dem, was er gemacht hat und dabei belasse ich es auch. Jemand anders hätte das Wesen des Films verändert.

Ricore: Sie kennen ja auch die Schauspielersicht. Halten Sie sich für einen strengen Regisseur?

Jacobs: Ich bin eine Miezekatze. Ich bin liebenswert und verschmust. Die Schauspieler lieben mich total. Sie laufen mir wie kleine Welpen hinterher.
Alamode Film
Schande
Ricore: Leider haben wir keinen der Schauspieler hier, um das zu bestätigen.

Jacobs: Nein, gerade deshalb sage ich das ja (lacht). Ich bin Perfektionist. Ich versuche so gut wie möglich, alles aus den Leuten herauszuholen. Ich habe versucht, ein Umfeld zu schaffen, in dem ich das machen kann. Es ist unser Job, das Bestmögliche zu machen.

Ricore: Warum haben Sie Jessica Haines ausgewählt? Sie ist ja keine sehr bekannte Schauspielerin.

Jacobs: Sie hat einen großartigen Job beim Screentest abgeliefert. Viel besser als alle anderen.

Ricore: Wie lange hat es gedauert, bis Sie jemanden für die Rolle gefunden hatten?

Jacobs: Wir haben eine Menge Test gemacht, sie mit vielen Problemen und traumatischen Szenen konfrontiert. Wir haben auf der ganzen Welt gesucht, sind aber bei Jessica geblieben. Sie war die Beste. Danach beurteilen wir die Leute. Nicht danach, wer sie sind, sondern was sie können.

Ricore: Können Sie sich vorstellen, dass der Film in einem anderen Land spielt?

Jacobs: Ja, absolut. Er könnte im früheren Jugoslawien spielen, in Palästina, in Nordirland, im heutigen Simbabwe, im Sudan. Er könnte überall auf der Welt spielen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 18. September 2009
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Schande (Kinofilm)
"Schande" ist ein südafrikanisches Drama, das nicht nur von der Affäre eines Professors mit seiner Studentin handelt, sondern auch von den Nachwehen der Apartheid und wie der Einzelne versucht, in dem chaotischen Land zu überleben. In der Verfilmung des erfolgreichen Weltbestsellers von Literatur-Nobelpreisträger J.M. Coetzee brilliert John Malkovich als David Lurie, der auf dem harten Weg lernen muss, dass Liebe Opfer erfordert.
Steve Jacobs wird 1967 in Connecticut geboren. Er besucht die Australian Film, Television and Radio School. Seine Filmkarriere startet 1984 mit dem Kurzfilm "The Man You Know", bei dem er selbst Regie führt. Im Anschluss ist er als Schauspieler in mehreren Filmen und TV-Serien tätig. 2001 nahm er wieder auf dem Regiestuhl Platz und inszenierte die Komödie "Die schöne Spanierin". Seine Drehbücher schreibt er zusammen mit seiner Ehefrau Anna Maria Monticelli.
2024