Koch Media
Fabrice du Welz
Bei der Mafia zum Fischen
Interview: Fabrice du Welz pragmatisch
Der belgische Regisseur Fabrice du Welz thematisiert in seinem psychologischen Horrorfilm "Vinyan" die Suche eines Ehepaares nach ihrem Sohn. Das Kind verschwindet in Folge der Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004. Verschwommene Filmaufnahmen schüren Jahre später die Hoffnung der verzweifelten Eltern. Es beginnt ein apokalyptischer Albtraumtrip in Burmas Dschungel. In unserem Gespräch erzählt der Filmemacher von den Dreharbeiten, seinem Sohn Borhan und einer Einladung die man nicht ausschlagen kann.
erschienen am 15. 10. 2009
Koch Media
Vinyan
Ricore: Wasser ist ein zentrales Motiv in "Vinyan". Warum?

Fabrice du Welz: Ja, es ist ein Wasserfilm. Das war nicht wirklich geplant, aber "Vinyan" ein sehr femininer Film und deshalb spielt Wasser eine wichtige Rolle. Eigentlich wollte ich den Film mit einer schwarzen Leinwand und Geräuschen im Hintergrund beginnen lassen. Die Assoziation hinsichtlich der Terroranschläge vom 11. September 2001 war aber zu groß. Danach haben wir mit Wasserblasen experimentiert, bis wir den Anfang hatten. Ein ungewöhnlicher sanfter Einstieg in die Katastrophe.

Ricore: Warum ist der Film feminin?

Du Welz: Es ist die Suche einer Frau nach dem Licht.

Ricore: "Vinyan" erstrahlt in rotem Licht. Hat das eine tiefere Bedeutung?

Du Welz: Es hat keine größere Bedeutung. Wir haben in Südostasien gedreht und Thailand schimmert eben rot, vor allem in der Nacht. Bangkok hat zudem ein sehr aggressives Licht. Wenn sich das Geschehen im Laufe des Films aufs Land verschiebt, wird das Licht viel weicher.
Koch Media
Fabrice du Welz
Ricore: Wie haben Sie die Drehorte in Südostasien gefunden?

Du Welz: Ich habe lange suchen müssen um die geeigneten Plätze zu finden. Thailand funktioniert in diesem Punkt sehr pragmatisch. Man muss zahlen und erhält die Drehgenehmigung. Die Mafia ist allgegenwärtig und kontrolliert die Abläufe. Speziell die Szenen im Rotlichtviertel mussten vorher mit einem Mafiaclanboss abgestimmt werden. Er fand uns sehr sympathisch und lud uns später sogar zum Fischen ein. Wir hatten viel Spaß.

Ricore: Was haben Sie die mafiöse Strukturen in Südostasien recherchiert?

Du Welz: Auf mich machten die Mafiosis einen sehr friedlichen Eindruck. In Asien hat jeder seinen Platz und seine Funktion in der Gesellschaft. Die ganze Struktur ist nicht mit Europa zu vergleichen. Man sollte diese Strukturen akzeptieren, dann gibt es keine Probleme. Vielleicht werde ich über diese Thematik irgendwann nochmal einen Film machen.

Ricore: Wie beurteilen Sie die Tsunami-Katastrophe vom Dezember 2004?

Du Welz: Im Westen gab es viel Anteilnahme, weil bei der Tsunamikatastrophe viele Europäer ums Leben kamen. Sechs Monate später passierte Ähnliches in Sri Lanka und niemand in den westlichen Industrienationen hat sich dafür interessiert. In der Beurteilung von Katastrophen werden große Unterschiede gemacht. Viele Thais haben durch die Katastrophe alles verloren, aber sie gehen pragmatisch damit um. Die Frage nach Moral oder Gut und Böse steht nicht im Vordergrund. Der Umgang mit der Katastrophe unterscheidet sich enorm von der in Europa oder der USA. Diese Diskrepanz war ein spannendes Hintergrundmotiv für meinen Film.
La Biennale 2008
Szene aus "Vinyan"
Ricore: Sie beschreiben den Albtraum im Hinterland Burmas mit Hilfe von Kindern in Monstergestalt. Wie sind Sie darauf gekommen?

Du Welz: Es sind keine Monster, es sind Kinder. Der Beginn des Films ist realistisch, je länger der Film dauert, desto mysteriöser und albtraumhafter wird es. Obsession wird zur Wirklichkeit. Metaphorik ist ein wichtiges Stilelement von "Vinyan" und ich möchte nicht zu viel erklären, weil der Zuschauer mitfühlen und sich sein eigenes Bild der Geschehnisse machen soll. Das Ende kann frei interpretiert werden. Ich will nicht behaupten, das sei das Nonplusultra, jedoch habe ich etwas probiert.

Ricore: Wie haben Sie die ganzen Kinder ausgewählt?

Du Welz: Einige haben wir lange vor Produktionsbeginn ausgewählt, andere hat eine thailändische Casting-Agentur gefunden. Die Kinder hatten während der Dreharbeiten viel Spaß und haben sich nicht von dem albtraumhaften Sujet beeinflussen lassen. Sie haben die Dinge gespielt und trotzdem vermitteln sie einen furchteinflößenden Eindruck. Mein achtjähriger Sohn Borhan hat auch eine kleine Rolle übernommen, er spielt Joshua, den langvermissten Sohn von Jeanne und Paul. Das war die einfachste Möglichkeit mit meinem Kind während der langen Dreharbeiten zusammen zu sein.

Ricore: Wie hat er die Dreharbeiten verkraftet?

Du Welz: Auch er hatte Spaß. Ich denke nicht, dass er nun wirklich weiß, was sein Vater beruflich macht. Er hat den Film noch nicht gesehen, weil er noch nicht im richtigen Alter ist und weil es ihn nicht interessiert. Er mag "Fluch der Karibik", aber in fünf Jahren wird er sich vielleicht für "Vinyan" interessieren.
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Fabrice Du Welz (Venedig 2008)
Ricore: Der Horror in "Vinyan" ist weitestgehend psychologischer Natur. Gegen Ende wird der Schrecken jedoch körperlich. Warum?

Du Welz: Mir ging es um das Zentralmotiv der Befreiung. Paul stirbt und Jeanne überlebt. Das ist alles was ich dazu sagen möchte, um die Zuschauer nicht zu beeinflussen.

Ricore: Kann man den Film auch als Studie einer zwischenmenschlichen Beziehung und dem Verlust von Vertrauen betrachten?

Du Welz: Natürlich. Der Begriff Studie stört mich dabei jedoch ein wenig, aber die Lesart ist absolut erlaubt. Beide verlieren das Vertrauen ineinander und am Ende gibt Jeanne ihrem Mann Paul die Schuld an dem Unglück.

Ricore: Die Darbietung und das Minenspiel von Emmanuelle Béart ist eindrucksvoll. Inwieweit haben Sie nachgeholfen?

Du Welz: Technik oder Makeup spielten keine Rolle. Es war die Art wie ich sie in ihrer Rolle und extremen Situationen gesehen habe. Sie ist einfach eine großartige Frau, da bedurfte es keiner künstlichen Untermalung. Sie hat mich im Vorfeld der Produktion nach der Rolle gefragt, ich hatte sie dafür eigentlich nicht vorgesehen. Es erreichte mich ein Anruf ihres Agenten und dann haben wir uns getroffen. Ich habe ihr gesagt, dass der Film nicht teuer sein wird, aber sie ließ sich nicht abhalten. Unsere Zusammenarbeit war kooperativ und effektiv. Es hat sich im Laufe der Zeit eine Freundschaft zwischen uns entwickelt. Ein Glücksfall für mich.

Ricore: Herr du Welz, wir bedanken uns für das Gespräch.
erschienen am 15. Oktober 2009
Zum Thema
Vinyan (Kinofilm)
Das Unerwartete brach grausam in das bis dahin glückliche Leben der Belhmers ein. Bei ihrem Urlaub in Südostasien trifft sie ein Tsunami und entreißt ihnen ihr einziges Kind - Joshua. Besonders Mutter Jeanne (Emmanuelle Béart) kann sich mit der Situation nicht abfinden. Als sie von verwahrlosten Kinderbanden im Grenzgebiet von Burma hört, die auf sich allein gestellt im Urwald leben, ist sie überzeugt, dort ihren Sohn zu finden. Denn seine Leiche gilt immer noch als vermisst.
2024