Zorro Film
Iris Berben
Steht auf - prangert an - Seid aktiv!
Interview: Iris Berben über politische Unwörter
Sie hasst das Wort "Politikverdrossenheit", nimmt die heutige Jugend in Schutz, prangert aber auch deren latente Gemütlichkeit an. Vieles kann Iris Berben verstehen, nur eines nicht: Untätigkeit. Selbst politisch engagiert, reist sie durch deutsche Gefilde, um die Vergangenheit zu thematisieren, Diskussionen anzuregen und Jugendliche auf die Probleme unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen. Ihr neuer Film "Es kommt der Tag" kommt dabei gerade richtig. Wir trafen uns mit der deutschen Vorzeigeschauspielerin zu einem Gespräch, das harmlos begann, in seinem Verlauf aber immer tiefer und emotionaler wurde.
erschienen am 1. 10. 2009
Warner Bros. Pictures
Am Set von "Buddenbrooks": Iris Berben
Ricore: In "Es kommt der Tag" sind Sie ungeschminkt. Heute tragen Sie Make-Up…

Iris Berben: Natürlich. In meinem ganzen Leben werden Sie mich nie ohne Make-Up sehen - außer im Film.

Ricore: Hat Sie dieser Umstand irritiert?

Berben: Nein, warum sollte er? Das ist nicht der erste Film, den ich ungeschminkt mache. Das ist eine Frage des Inhaltes und wo sich die Geschichte abspielt. Man muss sich fragen, wo wird es unrealistisch, wenn eine Frau Schminke trägt und wo ist es realistisch?

Ricore: Was bedeutet Make-Up für Sie persönlich?

Berben: Schutz. In der Öffentlichkeit würde ich nie ohne Make-Up auftreten. Ich finde, ungeschminkt ist nackt. Dadurch zeigt man viel Privates und Intimes von sich. Aber wenn man jung ist, macht man sich keine Gedanken darüber.
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Elegant und sinnlich: Iris Berben
Ricore: Hat das wirklich etwas mit dem Alter zu tun?

Berben: Bei mir schon. Bei anderen weiß ich es nicht.

Ricore: Kommen wir zum Film, der es einem nicht leicht macht, sich für eine Figur zu entscheiden. Wie sehen Sie das?

Berben: Ich finde, beide haben Recht. Mutter und Tochter agieren aus ihrem Verständnis, aus ihrer Lebensmelodie und ihrem Erfahrungsbereich heraus. Natürlich fordert die Tochter eine Erklärung, warum sie weggegeben wurde. Noch dazu zu fremden Menschen, nicht zu den Großeltern, was vielleicht verständlich gewesen wäre. Aber auch darauf gibt es ein Antwort: "Sie waren genau das, wogegen wir gekämpft haben". Auf der anderen Seite ist eine Frau, die eine politische Überzeugung hatte, die etwas Richtiges zu tun wollte. Die die Weltordnung stören und die Bevölkerung zum Nachdenken zwingen wollte. Auch diese Position kann ich verstehen.
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Es kommt der Tag
Ricore: Waren Sie damals ebenfalls politisch aktiv?

Berben:, ich war einige Zeit ein "Mitmacher". Der politische Aspekt kam aber erst viel später hinzu. Als 17- oder 18-jähriges Mädchen hatte das eher etwas Schwärmerisches an sich, es war kein Kalkül oder politisches Wissen dabei. In elf Jahren Internat wurde man fern gehalten von jeglicher Politik. Das wurde in unserer Schule nicht vermittelt. Darum bin ich nach Israel gegangen. Schaufenster einzuhauen und gegen Springer zu sein, das war gelebter Ungehorsam. Menschen, die alles in Frage gestellt haben, die gegen jedes Obrigkeitsdenken waren, das habe ich zwar instinktiv wahrgenommen, aber man konnte damals noch nicht von einer politischen Haltung meinerseits sprechen.

Ricore: Ihr politisches Denken und ihr Engagement befanden sich damals also noch in der Entwicklung?

Berben: Ja, aber es wurde durch diese Zeit geprägt. Heute bezeichne und gelte ich als politischer Mensch. Ich mache das halbe Jahr hindurch Lesungen an Schulen, rede über die deutsche Biografie, spreche über Frauen, deren Stimmen nicht gehört werden. Ich bin bekennende SPD-Wählerin, mache Wahlaufrufe, diskutiere mit Politikern. Dafür stehe ich.

Ricore: Vermissen Sie dieses Engagement bei der heutigen Generation?

Berben: Ich vermisse einiges. Aber was will ich einfordern? Das, was wir ihnen hinterlassen haben, was wir ihnen ermöglicht haben, ist auch unser Erbe. Ein Großteil der Jugend interessiert und engagiert sich für die Umwelt. Das ist nicht weniger politisch. Gut, 16 Jahre Kohl haben dazu beigetragen, dass jeder möglichst wenig Eigeninitiative ergreift, weil es angeblich Institutionen gibt, die alles für einen erledigen. Das prägt Menschen, vor allem Jugendliche. Heute muss die Jugend mit 20 schon wissen, was und wie viel sie einzahlen muss, um irgendwann eine Rente zu bekommen. Das weiß ich heute noch nicht und bin 59 Jahre.
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Iris Berben
Ricore: Ist die Jugend von heute anders?

Berben: Sie muss sich anders behaupten. Wir durften früher viel mehr ausprobieren, viel mehr suchen und tasten. Das ist das eigentliche Vorrecht der Jugend in meinen Augen. Ich freue mich heute über die Möglichkeiten von damals. Meine Spielwiese war größer. Heute muss man funktionieren. Man arbeitet und lebt in einem System, in dem sehr stark nur das Materielle, die Karriere zählt. Die Individualität wird dadurch beeinträchtigt. Wenn junge Kollegen in meiner Branche erfolgreich sind, dann muss der nächste Film ebenfalls wieder ein Erfolg werden. Wenn der dritte dann nicht den Erfolg bringt, den andere als Maßstab nehmen, sind sie weg vom Fenster. Wie schrecklich ist das?

Ricore: Möchten Sie noch einmal jung sein?

Berben: Nein, ich bin froh, dass ich nicht mehr jung bin. Was man aber vielleicht einfordern kann, ist, dass man etwas gegen eine gewisse Gemütlichkeit unternimmt. Das kann man aber nicht immer mit Politikverdrossenheit erklären. Dieses Wort ärgert mich. Dann macht doch Politik! Bringt euch ein! Seid aktiv! Sagt, was euch nicht gefällt und wo es zwickt. Ja, das vermisse ich schon etwas!

Ricore: Sie meinen, dass der Begriff "Politikverdrossenheit" vieles entschuldigt?

Berben: Ja, genau. Damit entschuldigt man seine Passivität. Ich finde es aber auch unfair, wenn man eine gesamte Jugend als unpolitisch einstuft. Ich kenne viele politische junge Leute, vor allem durch meine Lesungen und Diskussionen an Schulen. Es sind nicht nur Jugendliche, die nicht zur Wahl gehen. Da müssen wir uns nichts vorlügen. Ich finde wirklich, dass sich die Anforderungen, die heute an die Jugendlichen gestellt werden, dieses "Funktionieren müssen", verschoben haben. Und das können wir ihnen nicht zum Vorwurf machen, denn es ist auch Teil dessen, was wir mit gebildet haben.
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Iris Berben als Anführerin einer ganzen Dynastie
Ricore: Kann Sie insofern heute noch etwas überraschen?

Berben: Nun ja, ich war in diesem Sommer drei Wochen in Vietnam. Kommt man zurück, muss man den Boden erst einmal neu greifen. Ganz plakativ gesagt: Man schlägt die Zeitung auf und liest über Unternehmen, die sich immer als Familienbetrieb bezeichnet haben, die sich durch ihre Beständigkeit definiert haben und plötzlich sind sie weg. Pleite. Insolvenz. Diese Insolvenz wird aber schon gar nicht mehr als Schreckensgespenst verkauft, es gibt ja schon positive oder auch freundliche Insolvenzen. Und diese Ruhe, die dabei herrscht, die erstaunt und erschrickt mich gleichzeitig.

Ricore: Wäre dies ein Thema, das filmisch aufgearbeitet werden könnte?

Berben: Der Film ist eine der Kunst- und Vermittlungsformen weltweit, um Geschichten zu erzählen, aufzudecken, anzuregen, Emotionen raus zu kitzeln und zu sensibilisieren. Ja, es gibt viele Themen, die man auf unterschiedliche Art und Weise vermitteln kann. Das ist aber nicht nur die Aufgabe des Films, dazu gehören auch die Literatur, die Kunst überhaupt. Natürlich auch die Politik und seriöse Medien. Danke an die vielen Überschriften, die uns immer wieder erklären, wo es lang geht und was wir denken sollen. Das ist erschreckend. Aber wir reden ja von Seriosität. Und in diesem Sinne ist das ein Thema, das aufgegriffen werden soll.

Ricore: In den letzten Jahren ist eine neue Generation junger Regisseure aufgekommen, die sich verstärkt mit vergangenen Themen auseinander setzt…

Berben: Ja, ich finde, dass es derzeit eine ganz spannende Generation von jungen Leuten gibt, die beispielsweise auch das Thema 68er aus ihrer Sicht schildern. Gut, Susanne Schneider ist ein bisschen jünger als ich, aber wir sind ein und dieselbe Generation. Es macht mir Freude zu sehen, dass sich gerade jetzt vermehrt junge Leute daran reiben und ihre Sicht darstellen. Ob nun solche Filme im Vormarsch sind, kann ich nicht sagen. Ich freue mich aber ganz besonders, dass unser kleiner Film, "Es kommt der Tag", der ja eher ein Arthaus-Film ist, fürs Kino gemacht wurde. Das zeigt, dass es immer wieder gute, mutige und intelligente Produzenten und Verleiher gibt, die sagen, das müssen wir ins Kino bringen. Und die nicht nur Popcorn-Kino machen.

Ricore: In dem Sinne hat das Kino eine Veränderung durchgemacht?

Berben: Ja, ich kann nur hoffen, dass dies so bleibt. Erst gab's Opas-Kino, dann kam der Autorenfilm, der wurde abgelöst von der deutschen Komödie. Dabei wäre die Vielfalt erstrebenswert. In dem Sinne hat das Fernsehen dem Kino etwas voraus. Das Fernsehen traut sich, es hat eine größere Spielwiese zum Ausprobieren. Es wäre schön, wenn sich diese Vielfalt auch auf der Kinoleinwand in unserer nicht sehr ausgeprägten Filmindustrie wiederspiegeln würde.
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Iris Berben
Ricore: Aber das ist halt auch eine Geldfrage…

Berben: Natürlich. Wenn man aber immer alles nur übers Geld definiert, hat man verloren. Klar macht ein Blockbuster andere Zahlen. Aber ich denke, es ist die Verpflichtung einer Gesellschaft, dass Nischenstimmen, in welcher Form auch immer, gehört werden.

Ricore: War dies ein Grund, weshalb Sie bei dieser relativ kleinen Produktion mitgemacht haben?

Berben: Nein, ich denke über meinen Marktwert nicht nach. Das machen andere, Strategen, die dahinter sitzen. Es wäre schrecklich, wenn ich das bewusst einsetzen würde. Ich war lediglich gierig auf dieses Buch, gierig mit Katharina Schüttler und einer Autorin und Regisseurin zu arbeiten, die mit einer solchen Genauigkeit an die Sache heran geht. Sonst hat kein anderes Kalkül eine Rolle gespielt.

Ricore: Noch eine letzte Frage zum Film: Man hat den Eindruck, die Dreharbeiten seien körperlich sehr anstrengend gewesen: Sie schreien, kämpfen, toben...

Berben: Ja, es war sehr anstrengend. Man war wie unter einer Glocke. Das bin ich zwar immer, da ich bei Dreharbeiten die Drehorte nicht verlasse. Ich fahre nicht nach Hause, sondern bleibe dort, um nicht in den anderen Alltag hineingezogen zu werden. Dadurch ist man sehr angespannt. Die Dreharbeiten zu "Es kommt der Tag" waren sowohl körperlich, als auch seelisch sehr anstrengend.

Ricore: Wie können Sie sich dann ausspannen und abschalten?

Berben: Das muss man. Das ist eine Frage der Kraft, die man für den nächsten und übernächsten Drehtag und für alle weiteren, die folgen, haben muss. Aber ich bin jemand, der seine Kraft in der Einsamkeit sammelt. Ich will dann alleine sein und bin jemand, der sich sehr gut mit sich selbst beschäftigen kann. Das ist eine Form von Auftanken. (lacht)

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 1. Oktober 2009
Zum Thema
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2024