Universum
Paul Maar
Auf du und du mit Hollywood
Interview: Paul Maar gibt sich bescheiden
Schriftsteller Paul Maar widmet sich früh der Kinderbuchliteratur. Mit "Am Samstag kommt das Sams" gelingt ihm 1980 der große Durchbruch. Bei der filmischen Adaption seiner Vorlagen beteiligt er sich gerne an der Drehbuchadaption. Auch bei "Lippels Traum" von Regisseur Lars Büchel partizipiert er an der Bearbeitung. In unserem Gespräch beschreibt er die abenteuerlichen Dreharbeiten in Marokko, die Beschaffenheit einer guten Crème Brulée und sein Verhältnis zu Hollywood-Kameramann Michael Ballhaus.
erschienen am 6. 10. 2009
Universum
Paul Maar und Ulrich Limmer
Ricore: Haben Sie Erfahrungen damit, gehänselt zu werden?

Paul Maar: Nein, nicht wirklich. Es gab allerdings jemanden in der Klasse, der mich ein bisschen gequält hat. Ich erinnere mich an eine Szene im Winter. Wir gingen von der Schule nach Hause und ich hatte eine Wollmütze auf. Der Junge hat mir die Mütze über den Kopf gezogen und mich blindlings vor sich her getrieben. Das ging ungefähr 500 Meter bis er endlich abließ und davonrannte. Ich hatte eine Wahnsinnswut und schmiss mit einem Stein nach ihm - verfehlte ihn allerdings. Plötzlich sah ich meinen Vater auf der anderen Straßenseite und konnte nachvollziehen, warum der Junge auf einmal weggelaufen war. Mein Vater jedoch gab mir noch auf der Straße eine mächtige Ohrfeige und sagte: "Man wirft nicht mit Steinen auf andere!"

Ricore: Was war die Inspiration zu "Lippels Traum"?

Maar: Es gab tatsächlich einen Anlass. Meine Frau und ich fuhren damals für eine Woche weg und ließen unseren Sohn Michael alleine zurück. Allerdings nicht bei einer bösen Frau Jakob, wie in "Lippels Traum", sondern bei der Schwester meiner Frau. Die hatte andere Erziehungsvorstellungen als wir und zudem abweichende Kochgewohnheiten. Beispielsweise gab es Birnensuppe, die überhaupt nicht nach seinem Geschmack war. Ich fand es eine gute Idee diese Situation als Ausgangspunkt zu nehmen, kombiniert mit der Geschichte eines Träumers, die ein wenig autobiographische Züge trägt, weil ich als Träumer beziehungsweise Tagträumer verschrien war. Hinzu kam ein Sammelband aus dem Fischer-Verlag von "Tausend und einer Nacht" von dem ich damals hingerissen war. Aus diesen Faktoren erwuchs meine Inspiration zu "Lippels Traum".

Ricore: Haben Sie, wie Lippel, ebenfalls eine Abneigung gegen Tomatensauce?

Maar: Nein, damit wird eher Bezug auf die schon erwähnte Birnensuppe genommen. Ich musste Lippel eine spezielle Eigenschaft verpassen und es bot sich die Tomatensauce an. Die Abneigung gegen Spinat hätte er mit vielen Kindern und Kinderfiguren geteilt, seine Aversion gegen die beliebte Rotfrucht macht ihn hingegen zu etwas Besonderem.
Gudrun Schmiesing/Ricore Text
Paul Maar
Ricore: Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Regisseur Lars Büchel erlebt?

Maar: Ich war bei den Dreharbeiten in Marokko dabei und habe selten erlebt, dass ein Regisseur ein fertiges Drehbuch in die Hand kriegt und es sofort akzeptiert. Nur einen Nachmittag saßen wir Drehbuchautoren, Ulrich Limmer und ich, zusammen mit ihm, um das Drehbuch gemeinsam durchzugehen. Letztendlich haben wir einige Sätze und eine Szene in seinem Sinn geändert.

Ricore: Können Sie sich vorstellen in Marokko Urlaub zu machen oder haben Sie vor Ort negative Erlebnisse gemacht?

Maar: Keine negativen, sondern eher skurrile Erlebnisse. Eine Panne hat die Nächste gejagt. Unser marokkanischer Verbindungsmann beim Film sprach sehr gut Deutsch und hat uns erzählt, dass es in Marokko seit sechs Jahren nicht mehr geregnet habe. Die Kinder die jetzt in die Schule kämen wüssten nicht was Regen sei. Soweit die Vorinformation. Es sollte daraufhin eine Massenszene gedreht werden für welche die Komparsen aufwendig eingekleidet wurden: Kaftan an, Turban auf und Bärte geklebt. Als alles fertig war, fing es plötzlich an zu regnen. Zudem wehte ein Sandsturm einmal das ganze Equipment um, die Kamera sprang auf und Licht drang für einen kurzen Moment ein.

Ricore: Im Zweifel bedeutet dies, dass vorherige Aufnahmen rückstandslos gelöscht sind. Wie haben Sie das Projekt trotzdem gerettet?

Maar: Das war abenteuerlich. Um Zweifel zu beseitigen ob der Film Schaden genommen hat oder nicht, mussten wir das marokkanische Sicherheitssystem umgehen. Meine Frau und ich sollten auf Geheiß des Regisseurs und Produzenten mit der Filmkassette das erste Flugzeug nach Frankfurt besteigen, wo uns jemand vom Kopierwerk erwarten und die Aufnahmen überprüfen sollte. Von ihm hätten wir dann erfahren ob wir die Szenen nochmals hätten drehen müssen oder nicht. In einer Plastiktüte hatten wir diese eiserne Filmkassette - die jedoch in keinem Fall durch die Sicherheitsschleuse gedurft hätte, weil der Film dabei ja durchleuchtet worden wäre. Ich hatte mir schon mein ganzes Schulfranzösisch zurechtgelegt um den komplizierten Vorgang zu erklären. Es war dann jedoch ganz einfach. Meine Frau ging zuerst durch das Tor und ich gab ihr um den Pfosten herum einfach die Kassette mit dem Film in die Hand. Niemand hat etwas gesagt. Im Grunde hätte sich in der Plastiktüte auch eine Bombe befinden können - keiner hätte etwas gemerkt.
Universum Film
Lippels Traum
Ricore: War der Film noch auf der Kassette noch in Ordnung?

Maar: Es hat sich herausgestellt, dass nur der Filmoberrand von dem eingefallenen Licht beschädigt war. Man konnte den Schaden heraus zoomen, mit der Folge dass über Lippels Kopf jetzt nicht mehr drei Meter Himmel auftauchen, sondern nur 1,5 Meter.

Ricore: Gab es noch andere Kuriositäten?

Maar: Es mussten mal zwei LKW-Ladungen Sand in die Wüste geschafft werden, weil ein Sandsturm gedreht werden sollte und die Windmaschinen den Boden nicht aufwirbeln konnten. Die Beschaffenheit vor Ort ähnelte eher einer Crème Brulée, weil es nachts getaut hatte und sich eine feste Sandkruste bildete - von wegen feiner Sandstaub. Mit dem Import-Sand hat es letztlich geklappt.

Ricore: Wo machen Sie gerne Urlaub?

Maar: Meine Frau und ich sind oft auf die Kanareninsel Gomera gefahren. Kürzlich war ich auf einer Schifffahrt die norwegische Küste entlang bis nach Spitzbergen. Auf Landgang waren immer zwei Eisbärjäger dabei um uns zu beschützen. Insgesamt sehr reizvoll, weil es mal etwas Anderes war.

Ricore: Was fasziniert sie daran, Kinderbücher zu schreiben?

Maar: Es ist die Tatsache, dass ich es so gut kann. Spaß beiseite, aber nicht jeder der schreiben kann, kann auch Kinderbücher schreiben. Siegfried Lenz oder Johannes Mario Simmel haben es ebenfalls probiert, jedoch hat keiner davon je Notiz genommen, weil sie die Kinder nicht erreicht haben. Von Anfang an habe ich gemerkt, dass ich den richtigen Ton finde. Anscheinend habe ich das innere Kind gewahrt und schreibe von Dingen die ich als Kind gerne gelesen hätte. Mein Erfolg in diesem Metier mahnt mich nicht den Ehrgeiz zu entwickeln im Feuilleton stehen zu wollen. Mein erster Gehversuch war ein Hörspiel für Erwachsene, aber mein Talent liegt einfach woanders.
Gudrun Schmiesing/Ricore Text
Paul Maar
Ricore: Welche Literatur fasziniert Sie persönlich?

Maar: Ich lese selten Kinderbücher, weil ich selten Zeit habe und die Zeit dann nicht mit Literatur verschwenden möchte, die für mich nicht altersgemäß ist. Letztens allerdings habe ich "Rico, Oskar und die Tieferschatten" von Andreas Steinhöfel gelesen und war fasziniert. Ansonsten liegt Max Goldt auf dem Nachttisch, ich habe alles von Eckhard Henscheid gelesen und natürlich bevorzuge ich Werke des kürzlich verstorbenen Robert Gernhardt, auch weil wir uns persönlich kannten. Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" oder Laurence Sternes "Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman" finde ich ebenfalls unbedingt lesenswert.

Ricore: Was verbindet Sie mit dem Film?

Maar: Als ich Kunststudent war, führten meine Frau und ich eine Studentenehe. In dieser Zeit war das Geld knapp und ihr Bruder, Kameramann Michael Ballhaus, war so freundlich und hat mich des Öfteren als seinen Kameraassistenten beschäftigt, obwohl ich keine Erfahrung hatte und manchen Fehler gemacht habe. Von daher hatte ich schon früh Berührungspunkte mit dem Medium. Hinzu kam, dass ich mir gerne Filme ansah und viel mit Michael darüber diskutiert habe.

Ricore: Wie ging es weiter?

Maar: Ich war sechs Jahre lang Kunsterzieher an einem Gymnasium und habe meine Liebe zum Film in die dortige Arbeit integriert. In Form der ersten Film-AG an der Schule wollte ich den Schülern am Nachmittag ein wenig Medienkunde bieten. Das war mehr Hobby als Arbeit, weil ich es ehrenamtlich gemacht habe. Das Projekt lief sehr erfolgreich und prompt leitete ich noch eine zweite und dann sogar eine dritte AG. Wir gewannen sogar einen Schülerfilmwettbewerb. Zwar war ich mit ganzem Herzen Lehrer, aber merkte auch, dass ich als Autor erfolgreich sein kann, weshalb ich die Schule verließ.
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Lars Alexander Seidel und Paul Maar
Ricore: Haben Sie von Ihrer AG nochmal gehört?

Maar: Mein Nachfolger interessierte sich nicht sonderlich fürs Filmen und das Projekt schlief ein. Allerdings haben fast alle aus der AG später einen Beruf ergriffen der entweder mit Fotographie, Film oder Fernsehen zu tun hat. Als "Das Sams" im Jahr 2001 den bayerischen Filmpreis bekam, lief ich, im Gegensatz beispielsweise zu der viel beachteten Veronica Ferres, komplett unerkannt durch die Veranstaltung. Plötzlich rief ein Fotograph: "Herr Maar, Herr Maar, schauen Sie bitte mal her!" Er hat mich abgeknipst und ich habe ihn im Anschluss gefragt: "Wieso kennen Sie mich überhaupt?" Daraufhin antwortete er: "Ich bin doch der Joachim aus der Film-AG!"

Ricore: Was ist das Geheimnis Ihrer langen Ehe?

Maar: Es liegt wohl daran, dass wir uns schon in der Abiturklasse kennengelernt haben. Wir waren noch ungeformt und haben uns zusammen entwickelt. Gleiche Interessen und Gemeinsamkeiten sind ein Garant für den Fortbestand der Beziehung. Natürlich ist das kein Allheilmittel, aber bei uns hat es geklappt. Man darf sich nicht darauf verlassen, dass es immer schön bleibt. Auch bei uns gibt es Auseinandersetzungen, allerdings tauschen wir keine Vorwürfe aus, sondern erzählen von uns und was etwas bei uns ausgelöst hat.

Ricore: Haben Sie noch unerfüllte Träume?

Maar: Eigentlich nicht. Das finde ich selber schade. Mein einziger Traum ist, dass die familiäre Harmonie so bleibt, wie sie ist. Das Schlimmste was ich und meine Frau uns vorstellen können wäre, dass einer vor dem anderen stirbt. Letztlich habe ich einen Beruf ergriffen der mir großen Spaß macht und mich total ausfüllt. Ich bin ein glücklicher Mensch.

Ricore: Herr Maar, wir bedanken uns für das Gespräch.
erschienen am 6. Oktober 2009
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Lippels Traum (Kinofilm)
Der elfjährige Lippel (Alexander Seidel) muss sich notgedrungen mit der neuen Haushälterin Frau Jakob (Anke Engelke) vertragen. Sein Vater (Moritz Bleibtreu) ist geschäftlich verreist und nicht nur die gestrenge Aufsichtsperson macht ihm das Leben zur Qual. Nachts jedoch findet der fantasievolle Junge Zuflucht in seiner Traumwelt. Nach einer Vorlage von Kinderbuchautor Paul Maar inszeniert Regisseur Lars Büchel einen Film fürs junge Kinopublikum leider ohne besondere Nachhaltigkeit.
Paul Maar wird 1937 in Schweinfurt geboren und widmet sich bereits zu Schulzeiten dem Schreiben. Zunächst als Autor bei einer Schülerzeitung, später als Bühnenbildner und Theaterfotograph wird er sich seiner künstlerischen Begabung früh bewusst. Mit dem Kinderbuchklassiker "Am Samstag kommt das Sams" gelingt ihm 1980 der Durchbruch. "Lippels Traum" und "Herr Bello und das blaue Wunder" stehen dem ersten Erfolg nur wenig nach. Seit Studientagen ist er mit Nele Ballhaus, der Schwester von..
2024