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Armin Rohde am Set zu "Unter Bauern - Retter in der Nacht"
"Lass' die Faust in der Tasche"
Interview: Armin Rohde schätzt Produktivität
Seine Paraderolle ist der liebenswerte Prolet. In deutschen Produktionen wie "Kleine Haie", "Der bewegte Mann" oder "666 - Traue keinem, mit dem du schläfst!" hat Armin Rohde Publikum und Kritik überzeugt. In "Unter Bauern - Retter in der Nacht" stellt er mit dem jüdischen Pferdehändler Menne Spiegel eine historische Figur dar, die mit ihrer Familie Zuflucht vor den Nazis sucht. In unserem Gespräch äußert sich der beliebte Schauspieler zur Schuldfrage, seiner Herkunft als Arbeitersohn und den Vorzügen des Schauspielberufes.
erschienen am 19. 10. 2009
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Unter Bauern - Retter in der Nacht
Ricore: Warum brauchen wir einen weiteren Film zur NS-Zeit?

Armin Rohde: Genauso gut könnte man fragen, ob wir noch einen Film übers Leben brauchen? Warum sollte dieses Thema abgehakt werden? Durch den Nationalsozialismus sind 60 Millionen Menschen zu Tode gekommen - das kann man nicht aufarbeiten. Das ist unmöglich, weil diese Verbrechen niemals getilgt werden können.

Ricore: Was hat Sie an der Rolle Menne Spiegel fasziniert?

Rohde: Es ist einfach eine tolle Geschichte. Ich habe nicht so oft die Möglichkeit, historische Figuren darzustellen, weil ich eher in der komischen Schublade abgelegt bin. Auch wenn Menne Spiegel immer einen flotten Spruch parat hatte, war der ernste Hintergrund der Thematik für mich sehr reizvoll. Der Film hat die Stärke des Drehbuchs übernommen. Manchmal mache ich einen Film und denke hinterher: 'Oh Gott, wie sollst du hinterher dafür bloß die Presse machen. Soviel kannst du ja gar nicht lügen, da bleib ich gleich zuhause und sage ich habe Grippe.' "Unter Bauern - Retter in der Nacht" hat hingegen diese schöne, bescheidene Sprödigkeit mit fast dokumentarischem Charakter. Das Dargestellte wirkt wie nebenan, ist sehr unmittelbar. Am Schluss des Films war ich sehr ergriffen.

Ricore: Wissen Sie, was aus Menne Spiegel geworden ist?

Rohde: Er war nicht mehr die Frohnatur früherer Jahre. Er wurde durch die Ereignisse gebrochen und starb in den 1970er Jahren. Ich habe versucht, das bei meiner Interpretation der Figur ein bisschen anzudeuten, als er am Ende wie versteinert dasitzt und sich nicht freuen kann, seine Familie wiederzusehen. Menne ist es einfach zu laut. Diese Familie hat sich wiedergefunden, aber die meisten jüdischen Familien wurden vernichtet und bei lebendigem Leib verbrannt. Es gab also keinen Grund zur Darstellung übertriebener Freude. Da muss man auch als Schauspieler bewusst mit umgehen.
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Armin Rohde
Ricore: Was haben Sie von den damaligen Rettern für ein Bild?

Rohde: Das waren ganz einfache Leute. Die Bauern sind danach nicht damit hausieren gegangen, dass sie geholfen haben. Vielleicht fanden einige von Ihnen Hitler gar nicht so schlecht, aber das spielte in diesem Moment, wo es um die Rettung von Menschenleben ging, überhaupt keine Rolle. Marga Spiegel hatte eine andere Perspektive auf die Ereignisse, weil sie Hilfesuchende war und eben keine Bäuerin. Das ist ein Unterschied.

Ricore: Sie haben sich im letzten Jahr im Rahmen der Arte-Themenreihe "Das Geheimnis meiner Familie" auf die Spuren ihrer Vergangenheit in Westpreußen begeben. Das war auch eine Konfrontation mit den Folgen des 2. Weltkriegs. Hat Ihnen das bei der Darstellung des Menne Spiegel geholfen?

Rohde: Weiß ich nicht. Ich nehme die Dinge nicht explizit auseinander und frage mich, welche Erfahrungen oder Veranlagung mir was eingebracht hat - und wenn ja, zu wie viel Prozent? Die Reise nach Westpreußen fand im Vorfeld von "Unter Bauern - Retter in der Nacht" statt. Als ich die Entdeckung machen musste, dass einer meiner Großväter ein Massenmörder im Warschauer Ghetto gewesen ist, habe ich Regisseur Ludi Boeken, der Jude ist, angerufen und ihm gesagt: "Du, ich habe da gerade etwas rausgefunden was mich aus den Socken haut. Ich weiß nicht wie du reagieren wirst, aber ich will es dir gesagt haben. Es kann sein, dass mein Großvater deinen Großvater ermordet hat."

Ricore: Wie hat er reagiert?

Rohde: Er hat gesagt: "Armin wir sind eine neue Generation, wir sind woanders, wir gehen mit solchen Problemen anders um." Da war ich sehr erleichtert. Ich fand es charmant, witzig und sehr souverän von ihm, gerade weil sehr viele Familienangehörige von Ludi von den Nazis ermordet wurden. Deshalb war es sehr bemerkenswert und großzügig, wie er mit dieser schrecklichen Möglichkeit umging. Das nahm viel Druck von meinen Schultern und ich habe versucht, mir etwas von dieser Souveränität in mein Herz zu nehmen. Ich denke das ist ein sehr angemessener Umgang mit dem Thema, damit auch Folgegenerationen unter dem Damoklesschwert der Schuld weiter atmen können.
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Armin Rohde mags tierisch
Ricore: Fühlen Sie sich schuldig an den damaligen Ereignissen?

Rohde: Ich bin ein Nachkriegskind und mir wurde sofort eingetrichtert: "Du bist Schuld!" Somit fällt eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt schwer. Im Grunde müsste man sagen: "Hast du einen Knall, lass mich in Ruhe, ich habe gar nichts gemacht. Ich habe niemanden umgebracht, die Wohnung weggenommen, mich an niemandem bereichert oder sonstiges. Leave me alone!" Allerdings muss man immer berücksichtigen, dass diese Ereignisse in diesem unserem Heimatland passiert sind, und dass sie auch wieder passieren können. Deshalb ist Vorsicht geboten. Speziell das Klima in den östlichen Bundesländern ist beunruhigend.

Ricore: Woher kommt das Ihrer Meinung?

Rohde: Das hat ökonomische Gründe. Die dortigen Jugendlichen haben nichts zu tun, weil nicht ausreichend Arbeitsplätze angeboten werden können. Die rennen über Hügel und warten darauf, jemanden verprügeln zu können. Allerdings denke ich oft, dass ich in vergleichbarer Situation nicht auf den Gedanken kommen würde, wehrlose Menschen zusammenzuschlagen. Ich würde versuchen eine eigene Theatergruppe zu gründen oder irgendwas Produktives mit meinem Leben anzufangen. Gewisse Zustände lassen sich einfach nicht entschuldigen, wichtige zivilisatorische Grunderkenntnisse sind komplett an denen vorbei gegangen. Ich konstatiere das mit Entsetzen.

Ricore: Die filmische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist wieder aktuell. Gibt es Ihrer Meinung nach neue Ansätze?

Rohde: Kann ich nicht sagen, weil es mir auch nicht aufgefallen ist. Über neue Ansätze kann ich in diesem Zusammenhang nichts sagen, da bin ich der falsche Ansprechpartner.

Ricore: Bräuchte man Ihrer Meinung nach einen neuen Ansatz der Auseinandersetzung?

Rohde: Nein. Was soll ein neuer Ansatz bringen. Die Frage ist zu kurz gefasst. Es braucht eine Vielzahl von Ansätzen, weil das Thema zu komplex ist. Es gibt und gab so viele Überschneidungen und Interessensgruppierungen. Man kann nicht sagen, da waren die Guten, hier die Bösen. Dort die Mutigen, hier die Feigen. Das ist ein Konglomerat aus Empfindlichkeiten, wie aus politischen und gesellschaftlichen Strukturen. Vieles ist sehr gut aufgearbeitet und von Historikern erforscht, einzig einige Archive in Russland und den USA müssen bei eventueller Freigabe noch analysiert werden.
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Täglich drei Stunden in die Maske
Ricore: Hätte man "Unter Bauern - Retter in der Nacht" auch vor zehn Jahren machen können?

Rohde: Es braucht immer eine gewisse zeitliche Distanz zu den eigentlichen Ereignissen, um Dinge künstlerisch umsetzen zu können. Ich denke jedoch, dass der Film auch vor zehn Jahren hätte entstehen können, weil der Abstand zum historischen Hintergrund groß genug gewesen wäre.

Ricore: Was für Erkenntnisse lassen sich für Sie aus der Aufarbeitung ziehen?

Rohde: Das die Nachgeborenen nicht die Schuldigen sind. Unsere Väter und Großväter sind die schuldtragende Generation. Als ich geboren wurde, haben wir natürlich noch auf Trümmergrundstücken gespielt, aber in meinen Gedanken war der Krieg eine Million Jahre entfernt. Mit jedem Jahr das ich älter werde, rücke ich den damaligen Ereignissen um hunderttausend Jahre näher. Inzwischen ist das ganze nur noch 60 Jahre her. Wir Nachgeborenen haben das Schicksal in einem Land geboren zu sein, in dem sich unsere Vorfahren auf schreckliche Weise versündigt haben.

Ricore: Gibt es direkte Auswirkungen des damaligen Genozids auf die Filmbranche?

Rohde: Der deutschen Filmlandschaft haben in der Nachkriegszeit viele Experten gefehlt, die entweder getötet wurden oder fliehen mussten. Hollywood hätte niemals ohne die jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland diese Entwicklung genommen. Deren Witz und Intelligenz war die Basis der Erfolgsgeschichte. Das fehlt uns in Deutschland noch heute bei der Drehbuchgestaltung oder der Regiearbeit. Bitte nicht falsch verstehen, gehört haben uns diese Eigenschaften nie, aber es war mal ein elementarer Teil unserer Kultur. Die typische Langeweile an einem Samstagnachmittag im Fernsehen ist diesem Umstand geschuldet. Was folgte ist deutsche Tristesse und Minderwertigkeit. Das wird aktuell langsam wieder aufgefüllt durch Zuwanderung und dem kulturellen Einfluss ehemaliger Gastarbeiter, sowie der Folgegeneration.
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Armin Rohde
Ricore: Sie entstammen einer klassischen Arbeiterfamilie. Nach einer aktuellen Studie bestimmt Herkunft immer noch im verstärkten Maß den Bildungsstand in Deutschland. Wie sind Ihre Erfahrungen diesbezüglich?

Rohde: Ich war damals auf dem Gymnasium einer der wenigen Arbeitersöhne. Meine Mitschüler kamen aus Beamten- oder Akademiker-Familien. Von einem Klassenlehrer wurde ich häufig gedemütigt. Bei Klassenbucheinträgen wurde nach dem Beruf des Vaters gefragt. Wenn ich an der Reihe war hieß es immer: "Armin, ah, weiß schon!" Als sei es für mich peinlich, dass mein Vater Arbeiter war. Dort ist mir erstmals aufgefallen, dass der Beruf meines Vaters etwas Besonderes sein könnte. Mein Vater arbeitete in der Fabrik, war Maler und Anstreicher, arbeitete aber auch unter Tage. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit hat mich dieser Lehrer vor der Klasse gedemütigt. Er hat mir das Gefühl gegeben: Armin, eigentlich gehörst du hier ja nicht hin!?

Ricore: Hat Sie das heruntergezogen oder haben Sie sich aufgelehnt?

Rohde: Das hat mich mitgenommen. Ich wusste gar nicht wie man sich auflehnt, weil ich nicht die rhetorischen und intellektuellen Möglichkeiten hatte, ihm Paroli zu bieten. In dem Alter war ich ein Spielball für den Lehrer. Damals war ich Klassensprecher und er hat es geschafft die Klasse davon zu überzeugen, mich abzuwählen. Die Jahre auf dem Gymnasium waren für mich eine endlose Serie von Demütigungen. Danach habe ich mir eine Machohaltung antrainiert, bin zum Kampfsporttraining gegangen und habe so versucht die Ereignisse zu verarbeiten. Mein Vater hat gesagt: "Die Herren haben studiert, die werden schon wissen, was sie machen. Junge, lass die Faust in der Tasche!" Das gebildete Bürgertum hat seinen eigenen Codex mit dem man als Arbeitersohn überfordert ist. Wenn ich zuhause etwas falsch gemacht habe, kriegte ich eine geklebt, dann wusste ich was los war. Da gab es keinen subtilen Psychoterror.
Ricore Text
Armin Rohde auf der Berlinale 2006
Ricore: Wo sehen Sie diese Konflikte heute?

Rohde: Bei mir zuhause jedenfalls nicht, wenn sie das meinen. Meine Frau kommt aus einem Akademiker-Haushalt, denn ihr Vater ist Lehrer. Wir mögen uns trotzdem. Ich war jedoch erstaunt zu lesen, dass in Deutschland der Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungschance eklatant hoch ist. Unterschicht bleibt Unterschicht, Mittelschicht bleibt Mittelschicht. Leider haben wir nicht das Klassenbewusstsein wie in England. Dort will der Arbeiter nichts anderes sein, als ein Arbeiter. Daran ist nichts verkehrt, auch wenn die damalige Premierministerin Margaret Thatcher in den 1970er Jahren durch die Demontage der Gewerkschaften einiges an Ideologie zerstört hat. Der deutsche Arbeiter hingegen wollte immer Kleinbürger werden, mit all den dazugehörigen Sehnsüchten und Ansprüchen.

Ricore: Wie wirkt sich Ihre Herkunft auf Ihr jetziges Leben aus?

Rohde: Ich freue mich immer noch wenn ich irgendwohin geflogen werde wegen Interviews oder Pressekonferenzen und mich lächelnde Stewardessen nach dem Abendessen in zehntausend Meter Höhe fragen: "Herr Rohde, möchten Sie noch ein Glas Wein oder Champagner?" Und ich dann antworte: "Och, im Moment gerade nicht!" Fünfzig Jahre vorher hat mein Vater 900 Meter unter der Erde sein Geld verdient und musste mit dreißig Kilo Ausrüstung jeden Tag acht Stunden ackern. Das ist doch verrückt. Mir ist schon bewusst wo ich herkomme.

Ricore: Herr Rohde, wir bedanken uns für das Gespräch.
erschienen am 19. Oktober 2009
Zum Thema
Armin Rohde wird 1955 als Sohn von Bergmann Kurt Rohde in Gladbeck geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums entwickelt er seine Begeisterung für das Theater. Es folgt eine Ausbildung an der renommierten Essener Folkwang Hochschule und der Besuch einer Clowns-Schule. 1992 schafft er als 'Bierchen' in Sönke Wortmanns "Kleine Haie" seinen Durchbruch im Kino. Sein Mitwirken in "Der bewegte Mann", "Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" und "Lola rennt" weißt auf seinen..
Auf der Jagd nach jüdischen Bürgern durchkämmen Nationalsozialisten im Jahr 1943 auch das Münsterland. Das Ehepaar Marga (Veronica Ferres) und Menne Spiegel (Armin Rohde) taucht mit ihrer Tochter Karin (Luisa Mix) unter. Bei Bauernfamilien der Region finden sie Schutz, aber noch lange keine Sicherheit. Regisseur Ludi Boeken verfilmt die Erinnerungen von Zeitzeugin Marga Spiegell. Nicht nur die überzeugenden Schauspieldarbietungen und die authentische Kulisse überzeugen.
2024