Carlos Corbelle/Ricore Text
Oren Peli
Oren Peli lehrt uns das Fürchten
Interview: Die Geister, die er rief
Bis vor kurzem war Oren Peli noch ein unbeschriebenes Blatt in der Filmindustrie. Dann beschloss er, sich eine Videokamera zu kaufen, sein Haus zum Drehort umzudekorieren und für 15.000 US-Dollar den Horrorfilm "Paranormal Activity" zu drehen. Inzwischen hat der angsteinflößende Streifen allein in den USA fast 100 Millionen Dollar eingespielt und ist damit der profitabelste Film aller Zeiten. Plötzlich ist der Regie-Newcomer in aller Munde. Mit uns sprach der Regisseur über den unerwarteten Erfolg, das Horror-Genre und Steven Spielbergs Angst vor seinem Film.
erschienen am 19. 11. 2009
Central Film
Paranormal Activity
Ricore: Das Budget von "Paranormal Activity" betrug 15.000 US-Dollar und spielte bisher Millionen ein? Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Oren Peli: Ich denke, das liegt an den Fans. Mundpropaganda, das ist alles. Manche sagten, es sei einer der gruseligsten Filme, die sie je gesehen hatten.

Ricore: Sie haben sehr viel improvisiert? Warum?

Peli: Die Schauspieler erhielten kein Skript, sie haben nie genau gewusst, was sie erwartete. Daher benötigte ich gute und intelligente Schauspieler, die schnell und spontan sein können. Es musste natürlich wirken. Ich bin sehr froh, Katie Featherston und Micah Sloat gefunden zu haben. Sie haben mir mein Leben erleichtert.

Ricore: Woran liegt es, dass diese Art von Neo-Cinéma vérité vor allem in Horrorfilmen - beispielsweise "Blair Witch Project" oder "Cloverfield" - zum Einsatz kommt?

Peli: Der Erfolg eines Horrorfilmes hängt davon ab, wie viel Angst man um die Figuren hat. Wenn man also etwas zeigen kann, dass sich roh und echt anfühlt, ist die Wirkung effektiver. Daher funktioniert dieser Stil so gut bei Horrorfilmen.

Ricore: Wie groß war der Einfluss von "Blair Witch Project" auf "Paranormal Activity"?

Peli: Als ich "Blair Witch Project" zum ersten Mal sah, habe ich den Film geliebt. Die Art und Weise, wie er gedreht und präsentiert wurde, war sehr kreativ. Die Erfolge von "Blair Witch Project" und auch "Open Water", der einige Jahre später kam, haben mich inspiriert. Sie gaben mir den Mut und die Entschlossenheit, um das zu realisieren.
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So sah es aus am Set von "Paranormal Activity"
Ricore: Gibt es noch andere Einflüsse?

Peli: In Bezug auf die Handlung gab es viele Einflüsse durch andere Geisterfilme, die nicht zu blutig und übertrieben sind, sondern subtiler. Filme wie "Rosemaries Baby", viele der älteren Hitchcock-Filme, "The Others" und "The Sixth Sense". Auch einige andere Werke, die nicht so offensichtlich sind, beeinflussten meinen Film. Etwa "Misery", dessen Handlung sich ebenfalls in einem Haus zwischen zwei Charakteren abspielt. Und den alten Spielberg-Film "Duell", der zwar nicht in einem Haus spielt, aber bei dem das Böse auch nie sichtbar ist und niemand weiß, was seine wahren Absichten sind.

Ricore: Welcher Film hat Ihnen bislang am meisten Angst eingejagt?

Peli: "Der Exorzist". Als ich den Film als Kind sah, bekam ich Alpträume und konnte einige Wochen nicht schlafen.

Ricore: Was halten Sie über die derzeitige Welle sogenannter Folter-Porno-Filme im Horrorgenre, wie "Saw" oder "Hostel"?

Peli: "Saw" oder "Hostel" haben ihre Daseinsberechtigung. Im Horror-Genre gibt es explizite Filme wie diese und solche wie "Paranormal Activity", die mehr auf die eigene Vorstellungskraft setzen. In vielerlei Hinsicht gehören sie nicht wirklich demselben Genre an. Mein Film ist in gewisser Weise kein wirklicher Horrorfilm, sondern eher ein übernatürlicher Thriller. Sie sprechen jeweils ein anderes Publikum an, es gibt also keinen Grund, dass beide Arten von Horror nicht nebeneinander existieren können.
Carlos Corbelle/Ricore Text
Oren Peli im Gespräch
Ricore: Das Horror-Genre hat es schwer, als hochwertige Kunst angesehen zu werden. Woran liegt das?

Peli: Ich weiß es nicht. Ich schätze, es liegt an der Interpretation jedes Einzelnen. Letztlich kann man jeden Film als bloße Unterhaltung oder als Kunst betrachten. Meiner Ansicht nach ist die Hauptsache, dass einem ein Film gefällt, aus welchem Grund auch immer. Egal, ob er einen zum Weinen oder Lachen bringt, ob er angsteinflößend oder emotional ist - was zählt ist, dass man eine gute Zeit hat.

Ricore: Warum haben Menschen das Bedürfnis sich zu fürchten?

Peli: Filme bieten dem Publikum die Möglichkeit, einen Adrenalinrausch zu erleben. Sie können Angst und grundlegende Emotionen in einer sicheren Umgebung durchleben. Man weiß, dass man anschließend nach Hause gehen kann und keiner realen Gefahr ausgesetzt ist. In der modernen Gesellschaft muss man nicht mehr so sehr um das eigene Leben fürchten, aber wenn der Film effektiv ist, kann man diese Angst ohne Gefahr trotzdem erleben.

Ricore: Glauben Sie an übersinnliche Dinge?

Peli: Selbst glaube ich nicht daran. Ich bin ein rationaler, logisch denkender Mensch. Daher bräuchte ich einen Beweis, bevor ich an so etwas glauben könnte.

Ricore: Was macht Ihnen Angst?

Peli: Auch wenn ich nicht daran glaube, machen mir Geister und unsichtbare Entitäten Angst, Dinge, die sich unbemerkt im eigenen Haus aufhalten könnten. Die Geschehnisse in "Paranormal Activity" würden mir definitiv Angst einjagen.
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Szene aus "Paranormal Activity"
Ricore: Steven Spielberg hat angeblich gesagt, der Film sei verflucht.

Peli: Ich denke, Steven Spielberg mag den Film sehr. Er hat sich gegruselt, was das größte Kompliment ist, das man als Filmemacher kriegen kann.

Ricore: Es kursieren verschiedene Versionen der Geschichte über Spielberg. Welche Version kennen Sie?

Peli: Die Version, die ich kenne ist die, dass er beim ersten Anschauen des Films Angst hatte. Er war nachts allein bei sich zu Hause und stoppte den Film. Am darauffolgenden Morgen schaute er sich ihn bei Tageslicht zu Ende an. Als er dann am nächsten Tag in sein Schlafzimmer gehen wollte, hatte sich die Tür von innen versperrt, so dass er nicht hinein konnte. Er musste den Schlüsseldienst rufen, um die Tür öffnen zu lassen. Doch auch dieser konnte das Schloss nicht öffnen und hat sie nach eineinhalb Stunden schließlich aufgebrochen. Danach wollte Spielberg die DVD nicht mehr in seinem Haus haben und brachte sie zurück ins Büro.

Ricore: Apropos Spielberg: Wie wichtig ist für den finanziellen Erfolg des Filmes die Beteiligung von Paramount und DreamWorks gewesen?

Peli: Der Film musste von einem Studio veröffentlicht werden. Daher waren wir sehr froh über die Zusammenarbeit mit Paramount, das eines der größten Studios ist, und DreamWorks, das einen sehr guten Ruf besitzt. Meiner Meinung nach hat Paramount großartige Marketingarbeit geleistet, vor allem, da dieser Film nicht leicht zu vermarkten ist. Deren Beteiligung war also sehr wichtig.
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Die übernatürlichen Ereignisse mit Handkamera gefilmt
Ricore: Waren Sie durch die Zusammenarbeit gezwungen, einige Dinge zu ändern?

Peli: Es gab nicht wirklich viele Änderungen, bis auf das Ende. Schon vor der Beteiligung von DreamWorks gab es mehrere Enden. Wir haben viel experimentiert. Die Enden, die wir ursprünglich hatten, machten für die Leute Sinn, aber sie erschienen ihnen nicht sehr aufregend. Viele fanden den Film toll, aber mochten das Ende nicht. Nachdem DreamWorks mit an Bord kam, wollten sie verschiedene Enden ausprobieren und als wir das jetzige Ende dem Testpublikum vorführten, kam es sehr gut an. Nun ist es eines der beliebtesten Teile des Films.

Ricore: Ist es prinzipiell möglich, in Hollywood unabhängig als Künstler zu arbeiten, ohne die Einmischung durch Studios und Produzenten?

Peli: Das weiß ich nicht. Zuvor habe ich nie in Hollywood gearbeitet, weder innerhalb noch außerhalb des Studiosystems, daher kann ich das nicht beurteilen. Aber ich habe die Dinge immer auf meine Weise gemacht, soweit ich das konnte.

Ricore: Wie hat sich der Erfolg auf Ihr Leben ausgewirkt?

Peli: Mein Leben fühlt sich momentan anders an. Es hat sich viel verändert. Ich hoffe, ich habe das Glück, nun hauptberuflich Filme machen zu können.

Ricore: Vor Ihrer Regietätigkeit arbeiteten Sie als Videospielprogrammierer. Gibt es Parallelen zwischen den beiden Berufen?

Peli: Es ist nicht dasselbe, aber beim Programmieren muss man sich zum Teil auch mit Dingen wie Beleuchtung, Kameraperspektiven, Klang oder narrative Strukturen auseinandersetzen. Es gibt also definitiv einige Dinge, die einen auf die Regiearbeit vorbereiten, aber es ist nicht dasselbe. Ich konnte immer gut mit Computern umgehen. Das half mir vor allem beim Schnitt und beim Realisieren der Spezialeffekte.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 19. November 2009
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Katie (Katie Featherston) und Micah (Micah Sloat) werden in ihrem neuen Zuhause von unheimlichen Ereignissen heimgesucht. Eine Überwachungskamera soll Aufschluss bringen, enthüllt jedoch unvorstellbares Grauen. Fast im Alleingang inszenierte Oren Peli seine Idee eines Albtraums und schickte zwei unbekannten Schauspieler auf den Horrortrip. Damit machte er sich auf Genre-Festivals einen Namen und begeistert eine wachsende Fangemeinde.
2024