Gudrun Schmiesing/Ricore Text
Reinhold Messner
Gegen Vorurteile ist man machtlos
Interview: Reinhold Messners Geschichte
Kein zeitgenössischer Bergsteiger hat es zu einer so großen Berühmtheit gebracht, wie Reinhold Messner. Alle Achtausender hat der gebürtige Südtiroler ohne Sauerstoffgerät, manche auf neuen Routen bezwungen. Er war der Erste, der den 8.125 Meter hohen Nanga Parbat im Kashmir-Gebiet des Himalaya bestieg. Sein Erfolg wird überschattet vom Absturz seines jüngeren Bruders Günther, der ihn auf dieser Expedition begleitete. Der neue Joseph Vilsmaier-Film "Nanga Parbat" widmet sich diesem schwierigen Teil seiner Biographie.
erschienen am 16. 01. 2010
Karolina Zebrowski/Ricore Text
Reinhold Messner am Münchner Filmset von "Nanga Parbat"
Ricore: Herr Messner, was ist Ihre Aufgaben bei den Dreharbeiten zu "Nanga Parbat"?

Reinhold Messner: Ich bin Zuschauer und Lerner, nicht der Regisseur. Joseph Vilsmaier macht das großartig. Ich bin auch kein Schauspieler, sondern mehr oder weniger Kontrolleur. Ich korrigiere vielleicht mal die Stimmung oder schaue am Berg, dass die Steigeisen richtig sitzen oder der Pickel richtig gehalten wird. Am Ende hoffe ich, ist die Geschichte so gut erzählt, dass sie mich und die Zuschauer berührt. Aber ansonsten ist das normale Arbeit, ein Film, der zufällig mit mir zu tun hat. Ich bin als eine Art Berater am Set. Das könnte auch eine vollkommen andere Geschichte sein.

Ricore: Wie fühlt sich das an? Haben Sie noch Erinnerungen an 1970, kommt das Filmset dem damaligen Geschehen nahe?

Messner: Das ist alles sehr echt, da es nach Originalfotos gebaut ist. Ich kann mich natürlich nicht mehr im Detail erinnern, Bürgermeister Vogel [Hans-Jochen Vogel] habe ich aber noch im Gedächtnis. Ich weiß ungefähr, wo ich stand, weil es Bilder gibt, wo ich drauf zu sehen bin. Aber im Detail könnte ich mich nicht mehr erinnern. Niemand kann sich nach 40 Jahren an Einzelheiten erinnern. Wenn Dinge nicht unmittelbar danach aufgezeichnet oder während des Geschehnisses fotografiert worden sind, dann sind die Erinnerungen überlagert von anderen Erfahrungen.

Ricore: Sind Sie mit der schauspielerischen Leistung von Florian Stetter und Andreas Tobias zufrieden?

Messner: Florian Stetter spielt exzellent. Er bemüht sich sehr. Das ist ein junger Schauspieler, der natürlich nicht über die Erfahrung eines Herrn Markovics verfügt. Der ist sicherlich der Star unter unseren Schauspielern. Markovics interpretiert diese Rolle Oscarreif, er ist in den Herrligkoffer regelrecht hineingeschlüpft. Wenn ich Markovics vor mir sehe, ist der Herrligkoffer für mich wirklich da. Obwohl er seit fast 20 Jahren tot ist, hat man das Gefühl, dass er wieder auferstanden ist. Ich glaube, dass er mit diesem Film eine große Präsenz kriegt. Er kommt sehr stark rüber, als Leader, der er im Grunde gar nicht wahr. Aber es ist auch gut, dass positiv an diesen Expeditionsleiter erinnert wird und nicht in kritischer Form.
Karolina Zebrowski/Ricore Text
Reinhold Messner gewohnt relaxt und entspannt
Ricore: Was verbinden Sie mit München?

Messner: Die Expedition hat in München ihren Anfang genommen. Diese Herrligkoffer'sche Stiftung "Deutsches Institut für Auslandsforschung" hat ihren Sitz in München. Von hier aus sind wir aufgebrochen und hierher sind wir wieder zurückgekommen. Die Expedition war keine bayrische, sondern eine österreichische, deutsche, südtirolerische Expedition, fast möchte man sagen international. Aber der Schwerpunkt lag in München.

Ricore: Arbeiten Sie mit diesem Film Ihre Geschichte auf? Den tragischen Tod ihres Bruders?

Messner: Ich habe diese Geschichte schon aufgearbeitet. Hätte ich 1970 nicht schon ein Buch geschrieben, um dies zu erzählen, hätte ich diesen Film gar nicht anfangen können. So bin ich zu Vilsmaier gekommen, der aus meinen und anderen Büchern ein Drehbuch hat erarbeiten lassen, das ich kaum beeinflusst habe. Das will ich auch nicht. Die Geschichte wird nacherzählt. In vielen Punkten deckt es sich natürlich mit dem ersten Buch, das ich geschrieben habe. Denn das war das Lebendigste was es gab und heute noch zu dem Thema gibt. 40 Jahre lang habe ich aufgearbeitet.

Ricore: Was ist der Unterschied zwischen Buch und Film?

Messner: Ich glaube, dass ein Film die einzige Erzählform ist, in der ein Laie, also ein Nicht-Bergsteiger, das Geschehene nachvollziehen kann: die Schwierigkeiten, die Expedition, die Verzweiflung. Die Geschichte könnte auch in einem anderen Milieu spielen. Wir sind nicht dafür da, Urteile abzugeben oder zu moralisieren. Wir erzählen einfach eine Geschichte. Ich werde großen Wert darauf legen, dass wir beim Schneiden in den Totalen bleiben, nicht viele schnelle und nahe Bilder haben, damit man den Berg sieht, mit seiner ganzen Größe, seiner ganzen Kälte, seiner Gefahr, die er birgt. Nur dann kann man verstehen, wie diese Leute reagiert haben.
Senator Film Verleih
Nanga Parbat
Ricore: Der Nanga Parbat ist Ihr Berg. Werden Sie ihn nach dem Film nochmal besteigen?

Messner: Ich werde ihn sicherlich nicht nochmal besteigen. Vor neun Jahren, im Jahr 2000, habe ich eine letzte Besteigung versucht. Über eine Route, die bis heute nicht gelungen ist. Ich habe den Berg selbst zweimal bestiegen, hauptsächlich, um nach meinem Bruder zu suchen. Was am Ende auch gelungen ist. Außerdem war ich vor zwei Jahren mit meiner Familie dort, meinen Brüdern, deren Frauen und Kindern. Ich habe eine Stiftung ins Leben gerufen, mit der ich in Berggebieten Schulen und kleine Krankenstationen baue. Auch kleine Hütten werden errichtet, um den Tourismus voranzubringen. Davon gibt es einige am Nanga Parbat. Aber dieses Projekt ist mehr oder weniger abgeschlossen. Jetzt betätige ich mich im Karakorum [Gebirgskette in Zentralasien] und gehe dann weiter nach Nepal. Ich werde in den nächsten Jahren diesen Lernprozess, den ich hier mache, vermutlich in eigenen Arbeiten umsetzen.

Ricore: Heißt das, Sie werden eigene Filme drehen?

Messner: Ich schließe das nicht aus.

Ricore: Durch diesen Film werden über den Verlauf der Ereignisse von damals wieder Spekulationen laut. Geht Ihnen das nahe?

Messner: Erstens können die Menschen mit diesem Film sehen, wie es wirklich war. Zweitens hab ich eine wichtige Erfahrung gemacht: Diese Unterstellungen haben nichts mit dem Nanga Parbat 1970 zu tun. Das hat mit Rufmordkampagnen zu tun. Ist ein Rufmord einmal in der Welt, bleibt er in der Welt. Das ist das Verbrechen, das hinter jeder solchen Kampagne steckt. Nicht nur diejenigen, die sie vom Zaun brechen, sondern auch jene, die sich belügen lassen, kommen von dieser Geschichte nie mehr los. Wenn Vorurteile da sind, kann ein Einzelner nicht dagegen angehen. Er muss damit leben und auf die biologische Lösung des Problems warten. Das heißt, wenn alle Vorurteile einzeln ausgestorben sind, sind sie endgültig aus der Welt. Die Prozesse hinter Rufmordkampagnen zu erkennen, ist sehr interessant. Das wäre ein Film für sich. Ich schließe nicht aus, dass ich diese Vorkommnisse mal in Buchform behandeln werde, aber nicht in den nächsten fünf Jahren. Momentan ist mir mein junges Leben mit 65 Jahren noch zu schade dafür.
Gudrun Schmiesing/Ricore Text
Reinhold Messner weiß zumeist, wo es lang geht
Ricore: Glauben Sie, dass der Film einen Teil der Wirkung dieser Rufmordkampagne revidieren kann?

Messner: Die Leute, die dem aufgesessen sind, haben schon eine Meinung. Wenn sie Opfer einer Kolportage geworden sind, kriegen sie direkt die nächste vorgesetzt. Andernfalls müssten ja die Verursacher zugeben, die Unwahrheit gesagt zu haben und das macht niemand freiwillig. Dazu müsste man sie juristisch zwingen. Das ist es nicht wert. Mir geht es hier nur um die Geschichte, die wir erzählen, um Emotionen auf der Leinwand, um starke Bilder, die noch niemand gesehen hat und vor allem um eine Geschichte, die den Leuten unter die Haut geht. Ich bin überzeugt davon, das wird uns gelingen. Wobei ich keine Rolle spiele, sondern die Schauspieler, der Musiker, der Drehbuchautor und der Regisseur und viele weitere Mitarbeiter, die einen kleinen Teil beigetragen haben, um diesen Film Wirklichkeit werden zu lassen.

Ricore: Was bedeutet für Sie Glück?

Messner: Nur Menschen, die das Glück nicht haben, sehnen es andauernd herbei. Ich bin nicht jemand, der ständig über das Glück redet, weil ich glaube, es meist in mir zu tragen. Wenn ich nicht glücklich bin, dann schaffe ich mir Glück an.

Ricore: Sie sagen, Bilder lösen starke Emotionen aus. Lösen die Bergaufnahmen dieses Films auch bei Ihnen Emotionen aus?

Messner: In diesem Film nicht. Ich habe das schon zu oft gesehen. Aber wenn die Endversion des Films mit der passenden Musik fertig ist, dann denke ich schon, dass ich an manchen Stellen ergriffen sein werde. Sonst wäre der Film nicht gut.

Ricore: Welche Emotionen werden das sein? Auch Trauer?

Messner: Nein, das ist nicht nur meine Trauer. Ich bin derjenige, der die Geschichte erlebt hat. So hatte ich es am einfachsten von allen, damit zu Recht zu kommen. Die anderen hatten das nicht erlebt. Am schwersten war es sicherlich für unsere Mutter, den Tod des Sohnes zu verkraften. Das ist eine Erfahrung, wie sie in Kriegszeiten von vielen Müttern erlebt wurde. Leider. Aber hier spielt sie in einer anderen Welt und das ist im Grunde der Schlüssel zur Geschichte.

Ricore: Ich bedanke mich für das Gespräch.
erschienen am 16. Januar 2010
Zum Thema
Grenzgänger ist der passende Begriff, will man den Bergsteiger, Autoren und mehrfachen Weltrekordhalter Reinhold Messner in einem Wort beschreiben. Als erster Bergsteiger bestieg er alle Achttausender dieser Erde ohne Sauerstoffgerät. Zahlreiche Erstbesteigungen, auch im Alleingang, gehen auf sein Konto. Mit Medienpräsenz und einer gekonnten Selbstinszenierung, die ihm auch Kritik einbrachte, teilte Messner die Faszination des Bergsteigens mit seinem Publikum. Nachdem es keine weiteren..
Nanga Parbat (Kinofilm)
Die Erstbesteigung eines der gefährlichsten Achttausender war schon immer der Traum von Reinhold (Florian Stetter) und Günther Messner (Andreas Tobias). Am 27. Juni 1970 wurde er wahr. Das Brüderpaar zog vom Basislager aus los und eroberte den Gipfel. Der Rückweg wurde für einen von ihnen allerdings zur tödlichen Falle. Regisseur Joseph Vilsmaier versucht mit dem Mammutprojekt "Nanga Parbat" die Ereignisse um den tragischen Tod von Günther Messner nachzustellen. Als Berater und Unterstützer..
2024