Pandastorm Pictures
Tom McCarthy
"Menschlichkeit auf der Strecke geblieben"
Interview: Kritischer Geist: Tom McCarthy
Tom McCarthy kennt man als Schauspieler. Im Fernsehen spielte er Hauptrollen in Serien wie "Boston Public" oder "The Wire". Im Kino ist er hingegen meist in Nebenrollen zu sehen, so in Roland Emmerichs Blockbuster "2012". Inzwischen macht sich McCarthy auch einen Namen als Drehbuchautor und Regisseur. Sein mehrfach prämiertes Debüt "Station Agent" wurde von der Kritik gelobt. Bei seiner zweiten Regiearbeit "Ein Sommer in New York - The Visitor" setzt er sich kritisch mit der Situation von Immigranten in den USA auseinander. Auch in unserem Gespräch wirft der 43-jährige Filmemacher einen kritischen Blick auf die Politik seines Landes.
erschienen am 15. 01. 2010
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Ein Sommer in New York - The Visitor
Ricore: Wie kamen Sie auf die Idee zu "Ein Sommer in New York - The Visitor"?

Tom McCarthy: Ausgangspunkt der Geschichte waren die Charaktere, insbesondere die Figur Walters. Es geht um Menschen, die ihre bisherige Lebensperspektive verlieren und auf subtile Weise ein neues Leben beginnen. Ich finde das sehr interessant. Als ich die Geschichte entwickelte, reiste ich nach Libanon und traf einige Leute, die mir als Inspiration für die Figur des Tarek dienten. Von Anfang an ging es mir darum, wie sich diese beiden Männer, Walter und Tarek, treffen würden. Was sie zusammenführt und wieder auseinander bringt. Die anderen Aspekte der Geschichte ergaben sich dann.

Ricore: Haben Sie von Ihren Reisen abgesehen noch anderweitig recherchiert?

McCarthy: Ich lebe in New York City und habe eine Menge Freunde, die sich in derselben Situation befinden wie Tarek und seine Freundin. Ich verbrachte eine Menge Zeit mit verschiedenen Leuten und hörte mir ihre Geschichten an. Dadurch erfuhr ich immer mehr über die Haftanstalten. Ich war nie zuvor in einer gewesen, doch ich schaffte es schließlich, mir als Besucher Zutritt in eine dieser Anstalten zu verschaffen. Als ich diesen Ort betrat, musste ich das einfach in die Geschichte integrieren. Es ergab für mich Sinn, dass sich Tarek in solch einer Situation befinden würde. Damit hatte ich alle Elemente der Geschichte beisammen.

Ricore: Ihr Film setzt sich kritisch mit dem Umgang mit Immigranten auseinander. Warum haben Sie dieses Thema gewählt?

McCarthy: Witzigerweise war das nicht meine ursprüngliche Absicht. Ich hatte nicht vor, einen Immigranten-Film zu machen. Wie schon bei meinem ersten Film "Station Agent" interessierten mich vor allem die Charaktere und ihre Beziehungen. Als ich die Haftanstalt für meine Recherchen besuchte, betrachtete ich den Ort zunächst auf objektive Weise. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde. Als ich dort war, dachte ich aber auf Anhieb: "Was ich hier sehe, ist nicht richtig." Darüber hinaus hatte ich den Eindruck, dass viele Menschen kaum etwas über diese Haftanstalten wissen. Und ich denke, ich lag damit richtig. Als ich den Film fertiggestellt hatte und durch das Land reiste, um Interviews zu geben, wollten die Leute mit mir über diese Gefängnisanlagen sprechen. Sie wollten erfahren, wo sie waren und wie sie geführt wurden.
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Tom McCarthy am Set von "Ein Sommer in New York - The Visitor"
Ricore: In Ihrem Film sind die Menschen einem unbarmherzigen System der Bürokratie ausgesetzt. Wo findet sich das Ihrer Meinung nach in der amerikanischen Gesellschaft?

McCarthy: Unglücklicherweise sind die meisten modernen Gesellschaften voller Bürokratie. Die Menschen gehen in diesen bürokratischen Systemen verloren. Ich denke, das ist nichts Neues. Die Art und Weise, wie unser Land mit Immigranten umgeht, hat sich in den letzten zehn Jahren jedoch wirklich geändert. Das spiegelt sich auch in den Haftanstalten wider. Bei meinen Reisen rund um die Welt, reagierten die Menschen auf das Thema auf ähnliche Weise. Sie waren sich nicht wirklich im Klaren darüber, wie die Regierungen in ihrem Namen mit dieser Situation umgingen. Das war mir besonders wichtig. Den meisten Leuten ergeht es so wie Walter. Er hat zunächst keine Vorstellung davon, was in diesen Haftanstalten vorgeht. Und um ehrlich zu sein, hatte ich auch keine Ahnung, als ich anfing, für den Film zu recherchieren. Das erste Mal, dass ich in eines dieser Gefängnisse ging, war ich schockiert. Ich dachte: "Oh, mein Gott, das ist verrückt!" Und dann fand ich heraus, dass sich in meiner unmittelbaren Nachbarschaft ebenfalls so eine Anstalt befand, ohne je davon gehört zu haben.

Ricore: Welchen Einfluss hatten die terroristischen Angriffe auf das World Trade Center am 11. September 2001 auf den Umgang mit Immigranten?

McCarthy: Unter der Präsidentschaft von George W. Bush und Dick Cheney wurde man aufgrund seiner Nationalität, Religion oder Hautfarbe kategorisiert und beobachtet. Ich empfand das beängstigend, eine sehr gefährliche Entwicklung. Ich glaube, das Land hat sich inzwischen ein wenig von den sechs oder sieben Jahren nach dem 11. September erholt. Wir wurden beherrscht von Angst und ließen zu, dass die Regierung unsere Bürgerrechte einschränkte. Das war das vermutlich größte Übel dieser Regierungszeit. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass es sich bei dem Ganzen um eine simple Situation handelt. Es muss bestimmte Gesetze geben und Beamte, die sich damit auseinandersetzen. Ich denke nur, ein Teil unserer Menschlichkeit ist dabei auf der Strecke geblieben. Wir haben aufgehört, die Menschen als Menschen zu sehen. Wir behandelten Immigranten nicht so, wie wir es uns für unsere eigenen Kinder gewünscht hätten, wenn sie im Ausland leben würden.
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"Ein Sommer in New York - The Visitor"
Ricore: Ändert sich die Situation durch Präsident Barack Obama?

McCarthy: Ich bin ein großer Befürworter von Obama, doch leider ändern sich die Dinge nicht schnell genug. Unglücklicherweise hat man Obama einen Scherbenhaufen hinterlassen. Das gilt für die Kriege, die Wirtschaftslage, das Gesundheitswesen, einfach alles. Es muss also vieles getan werden. Ich denke aber, man könnte in der Hinsicht noch mehr machen. Er kümmert sich um große Angelegenheiten wie das Gefangenenlager in Guantanamo. Darüber hinaus müsste er sich aber mit dem System als Ganzes auseinandersetzen. Viele nicht registrierte Bürger haben keinerlei Rechte. Sie kriegen keinen Anwalt, niemanden, der sie repräsentiert. Die meisten, die in dieses Land kommen, wie es beispielsweise bei meinen Großeltern der Fall war, haben gar nicht das Geld, um sich einen Anwalt leisten zu können. Sie kommen ja gerade deshalb in die USA, um ihre Lebenssituation zu verbessern. Jeder Bürger sollte das Recht auf juristischen Beistand haben, bevor man ihn einfach in eine Zelle steckt. Diese Dinge müssen sich ändern. Sie müssen sich jetzt ändern.

Ricore: Welche Rolle spielt dabei die Freundschaft zwischen Walter und Tarek in Ihrer Geschichte?

McCarthy: Ich denke, es hat mit der Stadt New York zu tun und der Nähe zwischen den Menschen, die von allen möglichen Orten hierher kommen. Vor kurzem saß ich mit einer Französin, die seit 30 Jahren in New York lebt, beim Abendessen. Wir hatten im Grunde nichts gemeinsam, doch wir unterhielten lange miteinander. Zwischen Walter und Tarek entsteht sehr schnell eine enge Freudschaft durch ihre Musik. Das wird durch eine internationale Stadt wie New York erleichtert.

Ricore: Das Bedürfnis nach Beziehungen zu anderen Menschen ist ein zentrales Motiv ihrer beiden Regiearbeiten. Ist das ein Aspekt, an dem sie als Geschichtenerzähler besonders interessiert sind?

McCarthy: Ja, ich denke schon. Wie sehr, wird sich noch zeigen. Ich bereite gerade meinen dritten Film vor. Es geht darin noch mehr um das Thema Familie. Das Motiv der menschlichen Beziehungen wird wieder ein wichtiger Aspekt sein. Ich denke, das ist eine Sache, nach der jeder Mensch sucht, ganz gleich ob man verheiratet ist und Kinder hat oder alleinstehend ist, ob man schwul oder hetero ist, schwarz oder weiß. Wir alle suchen danach, obwohl uns das manchmal gar nicht bewusst ist. Ich glaube, dass es ein menschliches Grundbedürfnis ist.

Ricore: Sie erwähnten gerade Ihren dritten Film. Können Sie noch etwas mehr darüber verraten?

McCarthy: Nicht wirklich. [lacht] Ich überarbeite momentan noch das Drehbuch und kann nicht wirklich darüber reden, bis ich fertig bin.
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"Ein Sommer in New York - The Visitor"
Ricore: Welche Vorbilder haben Sie als Filmemacher?

McCarthy: Das ist eine gute Frage. Meine Wurzeln liegen im Theater. Dort habe ich angefangen, zu schauspielern und Regie zu führen. Was Filme angeht, habe ich wohl mehr europäische und in einigen Fällen asiatische Regisseure als Vorbilder. Ich kann mich besser mit ihrer organischen Herangehensweise beim Geschichtenerzählen identifizieren. In meinen Geschichten konzentriere ich mich vor allem auf die Charaktere. Amerikanische Filme sind dagegen oft sehr handlungsorientiert. Ich habe kein einzelnes Vorbild, an dem ich mich ausschließlich orientiere, doch Ingmar Bergman ist beispielsweise jemand, der mich wegen seiner Geduld als Geschichtenerzähler inspiriert.

Ricore: Welche Rolle spielt die Musik in "Ein Sommer in New York - The Visitor"?

McCarthy: Ich fand es sehr interessant, mich mit dem Thema Musik auseinanderzusetzen, da ich ja selbst kein Musiker bin. Zur Vorbereitung auf den Film habe ich Musikunterricht bei jemandem genommen, der als Autor arbeitet und mit dem ich inzwischen befreundet bin. Er brachte mir das Trommelspielen bei und ich war noch schlechter als Walter im Film, auch wenn es mir genauso viel Spaß gemacht hat. Das gemeinsame Musizieren, speziell mit den Trommeln, empfand ich als wirklich belebendes Element für die Geschichte und Walters Entwicklung. Der Versuch, ein Musikinstrument zu erlernen, bringt eine gewisse Verletzlichkeit mit sich, da man sich der Möglichkeit aussetzt, zu versagen.

Ricore: Denken Sie, dass Kunst - egal, ob als Musik, Film oder in anderer Form - eine nützliche Waffe gegen die Mechanismen der Unterdrückung sein kann?

McCarthy: Absolut. Ich las erst neulich einen Artikel in der New York Times, in dem es darum ging, welche Dinge in der Zukunft helfen könnten. In Nordirland gibt es beispielsweise Rock-Festivals, die so laut sind, dass die Leute in diesen Momenten aufhören zu denken und sich einfach von der Musik treiben lassen. Das entsprach meiner Ansicht nach genau dem Gedanken meines Filmes. Kunst jedweder Art kann in der Lage sein, Barrieren zwischen Kulturen zu durchbrechen.

Ricore: Schwebte Ihnen bei der Figur des Walter von Anfang an Richard Jenkins als Darsteller vor?

McCarthy: Ja, so war es. Ich kannte Richard zuvor nicht persönlich, aber ich war ein Fan seiner Arbeit. Ich brauchte jemanden, der auf den ersten Blick sehr gewöhnlich aussieht. Die Art von Person, an der man auf der Straße vorbeigeht, ohne sie weiter zu beachten. Bei Richard ist das der Fall und außerdem ist er unglaublich talentiert. Es gibt einen Grund dafür, dass er immer wieder mit großartigen Regisseuren, wie den Coen-Brüdern zusammenarbeitet. Er besitzt die Tiefe und Bandbreite, die ich bei Schauspielern immer suche.
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Haaz Sleiman in "Ein Sommer in New York - The Visitor"
Ricore: Die anderen Darsteller des Films sind nicht so bekannt. Denken Sie, es ist einfacher, sich mit unbekannten Gesichtern auf der Leinwand zu identifizieren?

McCarthy: Ja, man kann sich etwas besser in die Geschichte hineinversetzen, wenn man nichts über die Person weiß, die man sieht. Man hat zuvor ja beispielsweise nichts über deren Hochzeit oder Scheidung in der Zeitung lesen können.

Ricore: Ist es für Sie als Schauspieler einfacher, anderen Darstellern Regieanweisungen zu geben?

McCarthy: Ja, ich denke schon. Als Schauspieler weiß ich, was dabei hilft, wenn man mit anderen Darstellern kommuniziert. Außerdem hatte ich als Schauspieler das Privileg, bereits selbst mit vielen Regisseuren, guten und schlechten, zusammenarbeiten zu können. Dadurch konnte ich lernen, was am besten funktioniert, wenn man als Regisseur mit den Darstellern redet. Regie zu führen ist sehr persönlich. Jedes Projekt ist anders und jeder Schauspieler hat seine eigene Persönlichkeit. Und ich liebe die Arbeit als Regisseur. Wie bereits erwähnt, bereite ich gerade meinen neuen Film vor und habe die ersten Darsteller verpflichtet. Ich mag es, die Schauspieler kennenzulernen, mich mit ihnen beim Essen zusammenzusetzen, um über die Geschichte zu sprechen und zu sehen, wie sie darauf reagieren. Für mich ist einer der aufregendsten Aspekte herauszufinden, wie man am besten die Persönlichkeit der Darsteller in die Rollen integriert und ihnen hilft, die Figuren mit Leben zu erfüllen.

Ricore: Was bevorzugen Sie: Schauspielern, Schreiben oder Regie führen?

McCarthy: Für mich gehört das alles zusammen. Ich bekomme dadurch die Gelegenheit, meine Arbeit aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Für Drehbuchautoren ist es beispielweise schwierig, weil sie manchmal überhaupt nicht in den Prozess des Filmemachens involviert werden. Sie geben ihr Skript ab und das war es dann. Ich finde das schlimm. Autoren sollten ebenfalls am Prozess beteiligt sein.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 15. Januar 2010
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