Monic Johanna Wollschläger
Franziska Weisz
Einzelgänger und Freundschaften
Interview: Franziska Weisz auf Adrenalin!
Ihre erste Rolle spielt die gebürtige Wienerin Franziska Weisz in Ulrich Seidls "Hundstage" im Jahr 1998. Danach entschließt sie sich für ein Studium in England. Die Schauspielerei hat sie aber nicht aufgegeben, vielmehr widmet sie sich nach Abschluss vollständig dieser Karriere. Auf der Berlinale 2010 präsentiert sie mit Regisseur Benjamin Heisenberg und Kollege Andreas Lust das Drama "Der Räuber". In unserem Gespräch erzählt sie, warum sie sich als Einzelgängerin sieht und weshalb es bei den Dreharbeiten manchmal slapstickartig zugegangen ist. Das alles natürlich mit ihrem charmanten Wiener Akzent.
erschienen am 6. 03. 2010
Zorro Filmverleih
Keine Chance für die Liebe: Erika und Johann
Ricore: Waren Sie heute vor der Pressekonferenz sehr nervös? Franziska

Weisz: Ich werde schon seit Tagen gefragt, ob ich nervös bin, aber nein, unterspannt trifft es eher. Das ist interessant. Gerade bei Pressekonferenzen und Interviews mit Journalisten lerne ich viel Neues über den Film - anhand der Fragen, die gestellt werden. Ich habe natürlich meinen eigenen Blick darauf, habe das Drehbuch gelesen, viel mit Regisseur Benjamin Heisenberg geredet. Nun lerne ich einen gewissen Blick von außen kennen und staune immer über die Antworten, die Benjamin auf bestimmte Fragen gibt. Da lerne ich gescheite Sachen, die ich bei meinen Interviews sagen kann (lacht).

Ricore: In "Der Räuber" geht es um Entscheidungen. Sind Sie jemand, der gerne Entscheidungen trifft?

Weisz: Im alltäglichen Leben trifft man jede Sekunde irgendwelche Entscheidungen, meist unbewusst. Da ist es schon eine Herausforderung, bestimmte Entscheidungen bewusst und richtig zu treffen. In meinem Leben sind Dinge einfach so geschehen, ohne viel Zutun meinerseits. Andrerseits habe ich Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen. Das waren die wichtigen. Diese haben mein Leben gelenkt und sind auch der Grund, warum ich nun hier sitze und in der "Der Räuber" mitgewirkt habe.

Ricore: Welche Dinge sind Ihnen einfach so passiert?

Weisz: "Hundstage" beispielsweise. Das ist einfach so geschehen. Ich wollte immer Schauspielerin werden, aber plötzlich war einfach dieser Film da und ich habe zugegriffen. Dennoch habe ich danach noch studiert. Erst nach dem Studium kam der Film wieder auf mich zurück. Irgendwann war dann der Moment da, wo ich nicht mehr gesagt habe, ich bin Studentin, die Filme macht, sondern ja, ich bin Schauspielerin. Das war so ein wichtiger Moment.

Ricore: Sie sind dann ja nach Berlin gezogen...

Weisz: Ja, das war auch ein wichtiger Schritt, aber eher auf mein Leben bezogen, nicht auf die Schauspielerei. Natürlich geschieht hier filmtechnisch gesehen viel, aber das tut es auch in Wien.
Zorro Filmverleih
Eine seltene Szene in "Der Räuber": Zuneigung und Liebe
Ricore: Sie haben in England, Wien und Berlin gelebt. Wollen Sie nach Wien zurück?

Weisz: Nach der Schule habe ich für vier Jahre in England gelebt und studiert. Danach bin ich für circa ein Jahr nach Wien zurück, dann nach Berlin. Ich brauche Veränderungen dieser Art, damit es interessant bleibt. Aber Wien lässt mich nicht los, und das ist gut so.

Ricore: Was machen Sie, um Ihren Adrenalin-Spiegel ständig oben zu halten?

Weisz: Adrenalin ist zur Zeit ein gutes Wort. Dafür muss ich nicht viel tun, denn im Moment ist mein Adrenalin-Spiegel ziemlich hoch (lacht). Die gesamte Berlinale-Woche war Adrenalin pur - im positiven Sinne. Hysterische Freude wechselte sich mit Neugier ab. Sonst kommt das Adrenalin aus der Alltagslosigkeit. Es bringt der Beruf mit sich, dass man manchmal keine zwei Nächte am selben Ort ist. Aber das Leben habe ich mir ja selbst ausgesucht. Wenn ich mal nicht drehe, reise ich, streiche die Wände in meiner Wohnung und nerve meine Nachbarn mit lauten Bohrgeräuschen.

Ricore: Sie suchen keine Ruhe?

Weisz: Nein. Es muss immer etwas los sein.

Ricore: Der Regisseur meinte, Anspannung sei Teil des Glücksgefühls. Trifft das auf Sie zu?

Weisz: Nein, über Glück habe ich folgendes gelesen, und das stammt von Eckart von Hirschhausen, das Buch habe ich übrigens geschenkt bekommen: Glücksgefühle kommen aus der Überraschung. Wenn man das erste Mal einen guten Film sieht oder eine leckere Schokolade isst, dann werden Glücksgefühle freigesetzt. Versucht man ein zweites Mal, dieses Glücksgefühl nachzuempfinden, geht es nicht, da das Überraschungsmoment weg ist. Gerade bei Schokolade teste ich das regelmäßig.
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Franziska Weiszin "In 3 Tagen bist du tot 2"
Ricore: Werden Sie oft überrascht?

Weisz: Permanent. Mein Leben ist bunt und ich versuche, jede Sekunde bewusst wahrzunehmen.

Ricore: Haben Sie sich Hoffnungen auf den Goldenen Bären gemacht?

Weisz: Jeder der Wettbewerbsfilme hatte eine reale Chance auf einen Bären. Doch darum geht es nicht. Als wir erfuhren, dass "Der Räuber" im Wettbewerb der Berlinale laufen würde, haben wir schon begonnen zu feiern. Wir haben auch von Anfang an ausgemacht, nicht über das B-Wort und haarige Tiere zu sprechen. Diese Festivalplatzierung ist perfekt für den Räuber. Ein Preis spielte keine Rolle. Die Reaktionen bei Pressekonferenz und Premiere waren überwältigend und darüber habe ich mich wahnsinnig gefreut.

Ricore: Über Ihre Figur erfährt man nur sehr wenig. Wie haben Sie sich ihrem Filmcharakter angenähert?

Weisz: Über Gespräche mit dem Regisseur. Jedes Mal, wenn ich eine Rolle bekomme und das Drehbuch lese, fange ich an, Fragen über die Figur zu stellen. Ich denke mir eine Biografie aus, erwecke die Figur zum Leben. Ich weiß beispielsweise, in welche Schule die Erika gegangen ist, wie viele Geschwister sie hat. Das stammt allerdings aus meiner Phantasie. Natürlich hole ich mir Infos von Benjamin, denn seine Idee und meine Phantasie müssen natürlich zusammenpassen.

Ricore: Können Sie die Biografie ihrer Figur kurz umreißen?

Weisz: Erika wuchs in der gleichen Gegend wie Johann auf und die beiden waren in der gleichen Clique. Er hat sie früher schon interessiert, weil er immer schon ein bisschen anders war. Und dann trifft sie ihn irgendwann wieder. Erika ist durchaus eine Intelektuelle. Sie hat ein abgeschlossenes Doktoratsstudium, doch nach und nach starb ihre ganze Familie weg. Anfangs war es auch so, dass ich zu jung für die Rolle war. Daher sind im Film meine Haare auch dunkler, damit ich älter aussehe. Bei Erika waren die Grundvoraussetzungen da, um eine große akademische Karriere einzuschlagen, doch dann geschahen Dinge, die sie in eine andere Richtung drängten. Im Arbeitsamt zu arbeiten, mit einem Doktor in der Tasche, das war nicht Erikas ursprüngliche Bestimmung. Aber sie hat sich damit abgefunden und sich in der dunklen, kalten Wohnung eingeigelt, in der ihre Mutter starb. Mir war es dort immer zu kalt.
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Der Räuber
Ricore: Der Film erzählt ja auch über Einsamkeit.

Weisz: Nein, er erzählt von zwei Menschen, die alleine im Leben stehen und aufeinander treffen. Das ist ein Unterschied. Das Spannungspotenzial entsteht aus der Anziehung zwischen zwei Einzelgängern.

Ricore: Trotz des Einzelgängertums will Erika mehr Liebe, mehr Körpernähe. Insofern ist "Der Räuber" auch eine rührende Liebesgeschichte.

Weisz: Klar ist der Film eine Liebesgeschichte. Als er aus dem Gefängnis kommt, lernt er eine Frau kennen. Dadurch kippt auch seine Balance zwischen Kriminalität und Sport. Das Ventil für sein Übermaß an Energie droht zu verstopfen. Sie versucht trotz der Aussichtslosigkeit des Unterfangens, ihn von der Kriminalität abzubringen. Das macht den "Räuber" zu einer berührenden Liebesgeschichte.

Ricore: Glauben Sie an die wahre Liebe?

Weisz: Ja. Ich glaube, dass es möglich ist, sich auf einen geliebten Menschen einzulassen, ohne sich zu verstellen. Das ist in meinen Augen die wahre Liebe. Und wenn man diese Hoffnung oder den Glauben daran nicht hat, verliert das Leben seinen Sinn.

Ricore: Ihr Kollege Andreas Lust meinte, er habe den Eindruck, dass die Welt aus einsamen, jungen Männern besteht. Teilen Sie diese Sichtweise?

Weisz: Ich glaube, dass die Welt aus einsamen jungen Menschen besteht. Die heutige Generation stößt auf keinen Widerstand mehr. Ich finde schon, dass es heute ziemlich einzelgängerisch zugeht. Man ist in verschiedenen Communities, man hat ein Handy, Facebook. Aber gerade dadurch läuft alles auseinander.
Monic Johanna Wollschläger
Franziska Weisz
Ricore: Dieses Meer an Kommunikationsmöglichkeiten führt in Ihren Augen letztendlich zu weniger Kommunikation?

Weisz: Ja, das glaube ich schon. Als ich in England studiert habe, gab es noch kein Skype. Heute kommuniziert man mit seinen Freunden in England, Amerika oder Asien, es spielt schon fast keine Rolle mehr, wo jemand wohnt. Ich meine, ich kenne auch wahnsinnig viele Leute, aber enge, gute Freunde hat man nur wenige. Ich glaube nicht, dass man seine mehrere hundert Freunde bei Facebook wirklich zu seinen Freunden zählen kann. Breitere Kommunikationsmöglichkeiten sind kein Garant für tiefsinnigere Gespräche.

Ricore: Die Intensität von Freundschaft nimmt dann auch ab?

Weisz: Wenn man nicht aufpasst.

Ricore: Wie pflegen Sie Ihre Kontakte in Wien und Berlin?

Weisz: Ich fahre oft hin und her. Aber ich muss sagen, dass ich auch eine Einzelgängerin bin. Manchmal frustriert mich das. Wenn ich am Berliner Flughafen fix und fertig ankomme, steige ich ins Taxi oder ins Auto und fahre in meine Wohnung. Plötzlich fühle ich mich dann total allein. Der Grund ist der, dass ich niemanden Bescheid gesagt habe, wo ich bin. Ich habe nämlich sehr liebe Freunde in Wien und Berlin. Eine Freundschaft heißt jetzt aber auch nicht unbedingt, dass man sich permanent hört. Es gibt Menschen, die sieht man nur einmal im Jahr, aber man fährt da fort, wo man letztes Mal aufgehört hat.

Ricore: Sie haben nun in einigen Dramen mitgewirkt, hätten Sie Lust, auch in einer Komödie mitzuwirken?

Weisz: Irrsinnig. Das würde ich sehr gerne tun. Es gibt zwar nichts Schwierigeres Darzustellen als Humor, aber ich hätte schon Lust auch mal was "Leichtes" zu machen.

Ricore: Es heißt ja, dass es auf den Sets bei Komödien ziemlich ernsthaft zugeht?

Weisz: Das weiß ich nicht, aber ich habe selten so gelacht wie bei den Dreharbeiten zu "Der Räuber". Andreas, Benjamin und ich - das war manchmal reiner Slapstick. Es ist nämlich sehr schwer, gute Komödien zu machen. Da trauen sich nur wenige drüber. Humor zu timen, ist total schwierig. Auf der Berlinale habe ich aber noch eine Tragikomödie laufen: "Renn, wenn Du kannst". Mit meiner besten Freundin Anna Brüggemann, Robert Gwisdek und Jacob Matschenz. Darin geht es um eine Dreieckskiste zwischen einem Rollstuhlfahrer, seinem Zivi und einer Cellistin. Ich spiele die etwas derbe und doch perfektionistische Mitbewohnerin.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 6. März 2010
Zum Thema
Kurz vor der Jahrtausendwende entdeckt der österreichische Regisseur Ulrich Seidl die junge Studentin Franziska Weisz und engagiert sie für sein Drama "Hundstage". Zwar studiert die gebürtige Wienerin danach in England (Benjamin Heisenbergs "Der Räuber" zu sehen. Die sympathische Darstellerin versucht nach eigener Angabe ein gesundes Gleichgewicht zwischen Fernseh- und Kinorollen zu halten.
Der Räuber (Kinofilm)
Benjamin Heisenbergs zweiter Spielfilm basiert auf der Biografie des österreichischen Marathonläufers Johann Kastenberger. Der holte sich in seiner trainingsfreien Zeit bei Banküberfällen den nötigen Adrenalin-Kick. Das Geld interessierte ihn gar nicht. Zeit seines Lebens wird er keinen einzigen Cent der Beute ausgeben. Die Filmsprache des "Räubers" ist dem Charakter des Protagonisten perfekt angepasst: spröde, unangepasst und still. Dafür erhielt das Werk den bayrischen Filmpreis 2009.
2024