Zorro Filmverleih
Der Räuber alias Johann Rettenberger alias Andreas Lust
Die Suche nach dem Adrenalin
Interview: Andreas Lust weich gezeichnet
Götz Spielmann erkennt 2007 das Talent von Andreas Lust, als er ihn für eine Hauptrolle in "Revanche" besetzt. 2010 folgt Benjamin Heisenbergs Drama "Der Räuber". Darin verkörpert der österreichische Schauspieler den Bankräuber und Marathonläufer Johann Rettenberger. Die Geschichte basiert auf einem wahren Kriminalfall, der sich in den 1980er Jahren in Wien und Umgebung zugetragen hat. Für den 43-jährigen Schauspieler behandelt der Film dennoch kein explizit österreichisches Thema. Was für ihn typisch österreichisch ist und warum niemand den ORF versteht, erklärt er uns in einem heiteren Gespräch.
erschienen am 7. 03. 2010
Zorro Filmverleih
Der Räuber alias Johann Rettenberger beim Marathonlaufen
Ricore: Vergleicht man die Biografie des echten Johann Kastenberger mit Ihrer Filmfigur, ist diese sehr weich gezeichnet.

Andreas Lust: Meine Filmfigur ist einfach nicht so pathologisch wie das Original. Sie wurde mit Bedacht auf eine große, dramatische Liebesgeschichte etwas anders konzipiert. Wir wollten ja nicht nur Kastenbergers Biografie erzählen. Das wäre ein Psychogramm einer verpatzten Kindheit geworden. Wir wollten etwas machen, was den Betrachter fordert und mit sich selbst konfrontiert. Wenn man aus dem Kino rausgeht und fragt "Was hält mich am Laufen? Was ist meine Motivation? Habe ich nur ein Bild im Kopf, dem ich nachlaufe?", dann ist der Film gelungen.

Ricore: Ihr Schauspiel wirkt beinahe wie Method Acting.

Lust: Es war Method Acting. Allein die Vorbereitung - das Laufen - forderte vollen Einsatz. Bei dieser Arbeit war es nicht möglich, zu spielen, ich musste sein. Denn schließlich musste ich bei einem Marathon mitlaufen. Das kann man nicht vortäuschen. Du kannst nicht neben Profiläufern herlaufen und so tun, als ob du das auch könntest. Das würde dem Publikum sofort auffallen. Ich musste neben Profiläufern stehen und so aussehen, als würde ich mitlaufen können.

Ricore: Wie dreht es sich während einem Marathon?

Lust: Das war ein logistischer Großaufwand - mit dem Druck der Produktionsfirma im Nacken. Es hieß immer: "Andreas, wir haben nur die eine Chance! Wir dürfen das nicht vermasseln." Plötzlich zischen sieben Kenianer mit 20 Stundenkilometer an dir vorbei, dann kommt lange nichts. Irgendwann kommt der beste Europäer. Ich musste dieses Loch abpassen und lief dann da hinein, knapp hinter der Spitzengruppe mit den Kenianern. Ich musste alles geben, damit ich ihnen an den Fersen blieb. Wären die mir davongelaufen, hätten wir das gesamte Material wegschmeißen können. Der Druck war schon stark.
Zorro Filmverleih
Am Ende seiner Kräfte: Johann Rettenberger (Andreas Lust)
Ricore: Wie fühlte sich dann der Zieleinlauf an?

Lust: Das war eine große Erleichterung, und der Stadionsprecher rief: "Johann Rettenberger für Österreich". Die Menge, die nicht wusste, dass wir einen Film drehen, jubelte und peitschte mich nach vorne. Das irrsinnige Gefühl in diesem kurzen Moment ist unbeschreiblich. Ich hatte Gänsehaut, als ich eingelaufen bin. Das hatte ich nicht erwartet. Jetzt weiß ich, was ein Sportler empfindet. Das Adrenalin, das dabei ausgestoßen wird, durchströmt den ganzen Körper. Es hat mich weggerissen. Ich muss aber auch dazu sagen, das war einer der stressigsten Drehtage.

Ricore: Sie sind emotional also durch dieselben Stadien gegangen wie Ihre Filmfigur?

Lust: Mit Sicherheit konnte ich dadurch besser nachempfinden, was er gefühlt haben mag. Er war ein Adrenalin-Junkie und musste seine Dosis ständig steigern. Eben auch mit Banküberfällen.

Ricore: Ihm ging es mehr um das Adrenalin, Geld ist Ihrer Figur vollkommen egal.

Lust: Das ist ihm egal. Geld ist bloß das Abfallprodukt von dem, was er tut. Ihm geht es darum, sich zu beweisen, dass man lebt. Er hat ja diverse Versuche gemacht: heute laufe ich die Strecke mit Bank, morgen ohne Bank. Ich messe die Zeit, die Strecke, den Puls. Ich merke die Auswirkungen. Diese haben mit mir zu tun. Die Folgerung daraus ist: Ich lebe! Dass Johann Rettenberger das Geld aus der Bank im Sack mit nach Hause nimmt, ist ein Abfallprodukt.

Ricore: Er gibt Zeit seines Lebens kein bisschen von dem geraubten Geld aus...

Lust: Nein. Das verstaut er unter dem Bett. Es interessiert ihn gar nicht. Er will ja nicht reich werden, sondern sich beweisen, dass er lebt. Das gilt für die Filmfigur genauso, wie für den wahren Johann Kerstenberger. Der hat keinen Groschen von dem Geld ausgegeben. Er hat alles hinter einem Schrank gehortet. Die Filmfigur ist nicht so weit weg vom Original.
Zorro Filmverleih
Der Räuber
Ricore: Ist die Faszination des Laufens privat übergesprungen?

Lust: Ich würde privat nie im Wettbewerb laufen, weil es mich nicht interessiert. Ich laufe nicht, um so schnell wie möglich irgendwohin zukommen, sondern ich laufe des Laufens wegen. Laufen fasziniert mich, ja. Das ist für mich eine meditative Möglichkeit, den Körper loszuwerden und die Gedanken frei fließen zu lassen. Die Faszination Laufen gab es für mich schon vor dem Film.

Ricore: Betreiben Sie weiterhin Sport oder haben Sie erst mal genug?

Lust: Sport wird es immer geben in meinem Leben. Ich habe auch lange Zeit Fußball gespielt.

Ricore: Auch in "Revanche" laufen Sie..

Lust: Ich werde jetzt öfters auf die Sportlerrolle reduziert. Ich habe auch schon mit einem Regisseur geredet, der gerade einen Film in Planung hat, in dem es um einen Ex-Radrennprofi geht. Wahrscheinlich werde ich demnächst also Radrennen fahren (lacht).

Ricore: Wie wichtig Sport in Österreich ist, merkt man an den Radionachrichten. Direkt nach der Berichterstattung über den Bankräuber kommen immer Sportnachrichten.

Lust: Ich fände es genial, wenn es "Der Räuber" auf die Sportseiten der Zeitungen schafft. Kultur- und Sportnachrichten finde ich gut. Ich fange die Zeitungen immer hinten an - also erst der Sport und dann die Kultur.
Movienet Film GmbH
Andreas Lust in Götz Spielmanns "Revanche"
Ricore: Haben Sie im Umfeld der echten Figur auch selbst recherchiert?

Lust: Klar, mit irgendetwas muss man ja beginnen. Wenn der Film auf der Biografie einer wahren Figur basiert, fragt man sich "Wer ist das? Was hat er gemacht? Wie ist die Geschichte?" Dann beginnt man zu recherchieren.

Ricore: Hat Ihnen das geholfen?

Lust: Hätte ich mich an all meine Recherchen erinnert, hätte mich das daran behindert, etwas Eigenes zu entwickeln. Es war wichtig, nicht an der Geschichte festzukleben. Am Ende steckt aber dennoch sehr viel von jener Energie im Film, die ich auch wahrgenommen habe, als ich mich über Johann Kastenberger informiert habe. Ich kann es nicht beschreiben, aber emotional kann ich noch immer von der Originalfigur zehren.

Ricore: Es wird sehr wenig geredet, viel ist auf die Körpersprache reduziert.

Lust: Ja, das war sehr schwer für mich. Ich habe mich sehr unterdrücken müssen, um nicht mehr zu reden (lacht).

Ricore: Hätten Sie lieber mehr geredet?

Lust: : Naja, es hat sich so angefühlt wie eine gefangene Energie. Du bist die ganze Zeit am Kochen. Es gab viele Momente, in denen ich dachte "Jetzt muss ich zerplatzen! Jetzt möchte ich am liebsten explodieren!" Aber das war nicht möglich. Meine Energie wurde kontrolliert kanalisiert.

Ricore: Stand von Anfang an fest, dass im Wiener Akzent gedreht wird?

Lust: Das Drehbuch war in der österreichischen Alltagssprache geschrieben. Dadurch, dass es in diesem Raum angesiedelt war und wir ein großes Verständnis für sämtlich Schichten und Sprachausformungen in Österreich haben, wussten wir natürlich wie jede Figur, aus welcher Gegend auch immer sie kommt, sprechen würde.
Zorro Filmverleih
Keine Chance für die Liebe: Erika und Johann
Ricore: Wie würden die verschiedenen Sprachebenen im internationalen Kontext bereinigt?

Lust: Das Ziel war, den Film irgendwo anzusiedeln, um dann eine reale Welt zu schaffen. Keine Kunstwelt und keine Kunstsprache. Wir haben schließlich eine Art Doku gemacht und keinen Kunstfilm oder fiktionale Kunst.

Ricore: Der Film spielt in Wien - allerdings sind die klassischen Sehenswürdigkeiten nicht zu sehen.

Lust: Das ist auch vollkommen egal.

Ricore: Es ist ja auch kein Film über Wien, oder?

Lust: Nein, es ist kein Film über Österreich und kein Film über Wien. Für mich ist "Der Räuber" ein Film über Lebenssinnlosigkeitsbewältigungssysteme, ein philosophischer Film. Es geht um das Arbeitsamt, das Vollbeschäftigungsmodell, das religiös-fatalistische Prinzip. Und dann gibt es da noch diese Liebesgeschichte. Letztendlich ist "Der Räuber" aber auch ein Film über Lebensmodelle.

Ricore: Eigentlich ist Johann Rettenberger sozial nicht verträglich. Dennoch verliebt er sich.

Lust: Er versucht sich von sozialen Bindungen abzuschneiden. Die Liebe löst dann aber etwas bei ihm aus und verursacht einen Sprung in der Schale.

Ricore: Aber das gefällt ihm gar nicht.

Lust: Nein. Damit hat er doch schon abgeschlossen. Er hat sich ein autarkes System geschaffen, das plötzlich einen Riss bekommt. Das ist eine ganz große, dramatische Liebesgeschichte.
p. domenigg/thimfilm
Andreas Lust
Ricore: Trifft die Figur des einsamen Wolfs auf ihn zu?

Lust: Ich habe Johann Rettenberger immer als Puma gesehen. Benjamin Heisenberg beschreibt die Figur aber als Wolf. Im Prinzip ist es das Gleiche. Bei dem einen ist es eine Katze, beim anderen ein Hund.

Ricore: Dasselbe ist das aber nicht.

Lust: Was für mich die Katze ist, ist für Benjamin der Hund.

Ricore: "Der Räuber" wurde im Wettbewerb der Berlinale 2010 gezeigt. Ist so ein Festival geschäftlich interessant? Knüpft man Kontakte?

Lust: In erster Linie ist man wegen dem Film hier und freut sich, dass er eine Öffentlichkeit hat und im Wettbewerb läuft. Natürlich trifft man auch Leute. Es ist schließlich ein Festival, auf dem viele zusammenkommen. Da kommt man mit dem einen oder anderen ins Gespräch.

Ricore: Streben Sie eine internationale Karriere an?

Lust: Ich weiß nicht. Ich gehe diese Dinge ziemlich entspannt an. Es kommt, was kommen wird. Im Moment freue ich mich über spannende Rollen, die noch vor mir liegen.

Ricore: Zum Beispiel?

Lust: Was in Zukunft passieren wird, darüber denke ich nicht nach. Es geht nicht ums Internationale. Wenn man ein gutes Produkt hat, möchte man es so gut wie möglich streuen und herzeigen.
Zorro Filmverleih
Er tut alles für seinen Adrenalinspiegel: Räuber Johann Rettenberger
Ricore: Würde es Sie nicht interessieren, im Ausland zu drehen?

Lust: Es ist mir egal, wo es mich hinbringt. Das Schöne an meinem Beruf ist ja, nicht nur in verschiedene Leben hineinschlüpfen zu können, sondern das auch an verschiedenen Schauplätzen zu tun. In Paris wäre ich sofort dabei, aber auch auf Mauritius.

Ricore: Was erwartet uns als Nächstes? Ist "Der Kameramörder" schon abgedreht?

Lust: "Der Kameramörder" ist schon abgedreht und ist der Eröffnungsfilm auf der diesjährigen Diagonale. Die zweite Staffel von "Schnell ermittelt" läuft auch schon, die dritte ist derzeit in Planung. "FC Rückpass" ist ebenfalls schon fertig. Es gibt auch noch einige Kinoprojekte, die aber noch nicht ausfinanziert sind. Florian Flicker hat eine Adaption von "Weibsteufel" geschrieben. Die Gespräche laufen zwar, aber die Förderungen stehen noch aus. Und die Geschichte des Ex-Radrennprofis mit Hodenkrebs ist ebenfalls in Planung.

Ricore: Wird dieser Film die Biografie von Lance Armstrong?

Lust: Ja und nein. Wahrscheinlich ist das Buch etwas an seine Biografie angelehnt, letztendlich hat es hat aber nichts mit der Armstrong-Story zu tun. Es geht um eine Vater-Tochter-Beziehung.

Ricore: Wie sieht es mit Komödien aus?

Lust: Ich würde gerne mal eine Komödie drehen, aber das bietet sich komischerweise nicht an. "FC Rückpass" ist beispielsweise als zehnteilige Serie angelegt. Das Tolle daran ist, dass man eine Patenschaft für eine Figur übernimmt. Man entwickelt sie ständig weiter. Das ist ein Stück Lebenszeit von dir. Es ist nicht so abgeschlossen wie im Film, sondern man verbringt richtig Zeit mit der Figur, und man entwickelt sich mit der Figur weiter. Das ist total spannend. Wir haben jetzt erstmal fünf Teile gedreht. Wie es aber weitergeht, ist noch unklar Das ist vom ORF abhängig. Unsereins weiß nie, was passiert. Die Pläne des ORF sind unergründlich.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 7. März 2010
Zum Thema
Der Räuber (Kinofilm)
Benjamin Heisenbergs zweiter Spielfilm basiert auf der Biografie des österreichischen Marathonläufers Johann Kastenberger. Der holte sich in seiner trainingsfreien Zeit bei Banküberfällen den nötigen Adrenalin-Kick. Das Geld interessierte ihn gar nicht. Zeit seines Lebens wird er keinen einzigen Cent der Beute ausgeben. Die Filmsprache des "Räubers" ist dem Charakter des Protagonisten perfekt angepasst: spröde, unangepasst und still. Dafür erhielt das Werk den bayrischen Filmpreis 2009.
Der in Wien geborene Schauspieler Andreas Lust studiert Schauspiel am Mozarteum in Salzburg. Nach seiner Ausbildung erhält er zahlreiche Theaterengagements im In- und Ausland. 1994 kommt er schließlich zum Film und ist in einigen Nebenrollen zu sehen. Er arbeitet unter anderem mit Wolfgang Murnberger und Götz Spielmann zusammen. Letzterer besetzt ihn 2007 in seinem Oscar-nominierten Drama "Revanche". 2010 ist Andreas Lust im Drama "Der Räuber" von Benjamin Heisenberg als Bankräuber und..
2024