20th Century Fox
Werner Herzog am Set von "Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen"
"Noch nicht gegen eine Betonwand gekracht"
Interview: Werner Herzog inszeniert Kult neu
Werner Herzog gilt als unberechenbarer, medienscheuer Exzentriker mit einem Faible für das Scheitern übergroßer Helden. Nun inszenierte der Regisseur "Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen" mit Nicolas Cage und Eva Mendes, ein Remake von Abel Ferraras Klassiker "Bad Lieutenant" (1992), in dem ein schwer drogenabhängiger Cop am gewalttätigen Morast seines Berufsalltags in New Orleans zu ersticken droht. Ein Gespräch mit dem 67-Jährigen über die ewige Suche nach der Conditio Humana, Operationen am offenen Herzen und die Allüren seiner Hollywoodstars.
erschienen am 7. 03. 2010
20th Century Fox
Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen
Ricore: Herr Herzog, Sie haben vor dreißig Jahren einmal gesagt: Ich versuche zu forschen und zu suchen, wer wir eigentlich als Menschen sind.

Werner Herzog: Solche isolierten Statements fassen Sie besser nur mit Kneifzangen an. Wenn Sie es so sagen, klingt es prätentiös, aber im Gesamtzusammenhang von dem, was ich mache, mag das schon stimmen. Film und Literatur haben schon immer versucht, unsere Conditio Humana dazustellen, in den Griff zu bekommen und irgendwie auch zu beschreiben. Insofern ist das nichts Exotisches und eigentlich das Allernatürlichste, was Sie vom Kino - unter anderem -verlangen können.

Ricore: Was haben Sie denn im Falle von "Bad Lieutenant" dazugelernt?

Herzog: Ich habe in vieler Hinsicht Neuland betreten: Der Drehort in New Orleans, die Arbeit mit Nicolas Cage, die Darstellung von wilden Drogenphantasien. Ich zeige einer Welt von Demenz, die mir nicht vertraut ist, weil ich nie Drogen genommen habe. Nicht, weil ich besonders moralistisch darauf reagieren würde, sondern weil mich immer die Kultur abgestoßen hat, die Drogen umgab.

Ricore: Nicolas Cage spielt den abhängigen Polizisten mit erstaunlicher Tiefe. Fast möchte man sagen: er zeigt nach "Leaving Las Vegas" endlich mal wieder, dass er Schauspielen kann.

Herzog: Er musste für den Film bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten gehen - was übrigens eine überraschend einfache Arbeit war. Wir beide haben gut zusammen funktioniert. Das merkt man an jeder Sekunde des Films.

Ricore: Es scheint, dass jeder Schauspieler von Gewicht gerne mit Ihnen drehen würde...

Herzog: Alle, alle wollen sie das.
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Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen
Ricore: Oder man sagt nach der Arbeit mit Ihnen, es sei ein unglaubliches Erlebnis gewesen. Wieso ist das so?

Herzog: Das ist Teil meiner beruflichen Aufgabe. Wenn ich es nicht in mir hätte, das Beste aus den Schauspielern herauszuholen, wäre ich fehl am Platz. Egal ob das jetzt Nicolas Cage, Christian Bale, Klaus Kinskii, Donald Sutherland oder Claudia Cardinale ist, das spielt keine Rolle. Wenn Sie das nicht in sich haben, fangen Sie besser gar nicht an, Filme zu machen.

Ricore: Aber was machen Sie besser als all die anderen Regisseure? Ist es die Ruhe, sich von nichts erschüttern zu lassen? Diese Vermutung drängt sich zumindest auf, wenn man Sie in "Mein liebster Feind - Klaus Kinski" mit Gelassenheit auf die hasserfüllten Ausbrüche Ihrs Hauptdarstellers reagieren sieht, oder wenn Sie in der Dokumentation "La Soufrière - Warten auf eine unausweichliche Katastrophe" das Scheitern Ihrer eigentlichen Mission kurzerhand zum neuen Thema des Films machen.

Herzog: Ich kann es nicht so bezeichnen, wie Sie das formulieren. Es fühlt sich eher an wie eine Operation am offenen Herzen: im Operationssaal herrscht eine professionelle Konzentration auf den Herzmuskel, der lebenswichtig ist und der alles entscheidet. Gesprochen wird nur im Flüsterton, mit dem Instrumentarium wird mit sehr hoher Geschwindigkeit gehandhabt, allerdings nur mit den Bewegungen, die notwendig sind. Ein guter Chirurg braucht aber auch ein Verständnis für die entscheidenden Organe, die uns am Leben erhalten. Als Regisseur wäre das dann ein Gespür für das, was ein Schauspieler auf der Leinwand letztlich für ein Publikum herüberzubringen hat.

Ricore: Sie haben mit vielen Stars gearbeitet, die für Ihre Ausfälle am Set berüchtigt sind. Sind Allüren bei Ihren Dreharbeiten verboten oder vielleicht sogar erwünscht?

Herzog: Nein, ich versuche Allüren zu vermeiden, weil sie kontraproduktiv sind. Ich erzähle Ihnen eine kleine Episode über Eva Mendes: Ich traf sie in der Lobby eines Hotels in New York und fragte sie nach ihren Bedürfnissen am Filmset. Sie sagte mir, dass sie eine Entourage von zwölf Personen benötige. Ich fragte: 'Wie kommt das, brauchen Sie das wirklich?' Sie antwortete: 'Ja, das ist so das Ritual. Mein Agent, mein Businessmanager und meine Anwälte verlangen so etwas automatisch.' Ich sagte dann zum Spaß, dass ich aber nicht den Psychiater ihres Hundes am Drehort antreffen möchte. Da lachte sie fürchterlich. Um ein Beispiel zu setzen habe ich dann bei Vertragsunterzeichnung nicht nur auf meinen Wohnwagen verzichtet, sondern auch auf einen persönlichen Assistenten, einen Chauffeur und eine Sicherheitsperson. Zu guter Letzt habe ich sogar den Regiestuhl abbestellt, den ich sowieso hasse. Ich habe den Produzenten dann lachend gesagt: Das spart euch noch einmal 65 Dollar.

Ricore: Und wie haben Eva Mendes und Nicolas Cage darauf reagiert?

Herzog: Eva Mendes brachte dann auch nur zwei Personen mit: ihre Make-Up-Frau, die sie wegen Hautbesonderheiten braucht, und einen Chauffeur, der gleichzeitig ihr Bodyguard war - weil ihr nämlich seit geraumer Zeit Irrwütige nachstellen. Völlig klar, dass ich das akzeptierte. Nicolas Cages Team war ähnlich reduziert. Da ich die Budgets von Anfang an kontrollierte, war jedem klar, dass wir das Geld nicht in den luxuriösesten Campingtrailer am Set stecken werden, sondern dass es auf der Leinwand erscheinen soll. Den Film habe ich dann zwei Tage früher abgedreht, 2,6 Millionen Dollar unter Budget. Das hat es in Hollywood noch nie gegeben, es war völlig unerhört. Jetzt will mich der Produzent heiraten.
20th Century Fox
Werner Herzog und Nicolas Cage am Set von "Bad Lieutenant"
Ricore: Wenn Filmtheoretiker sagen, der Begriff 'Herzog-Film' sei schon eine Genrebeschreibung für sich ist: Finden Sie das eine schöne Aussage oder können Sie das nicht unterschreiben?

Herzog: Ehrlich gesagt ist mir das ziemlich gleichgültig. Die ganzen Filmstudien und das ganze akademische Getue um Filme herum staubt mir bei den Ohren heraus und ist nicht meine Sache. Auf lange Sicht beschädigt es auch die Kultur von Filmen, ähnlich wie die zu intensive akademische Beschäftigung mit Literatur und Lyrik den beiden Kunstformen keinen großen Gefallen getan hat. Für mich heißt das: Zitieren Sie aus dem akademischen Bereich, was immer Sie wollen, es hat meine Freundschaft nicht. Oder besser gesagt: ich senke meinen Schädel und gehe eher in Angriffsstellung über.

Ricore: Interessiert Sie vor allem das Scheitern überlebensgroßer Titanen?

Herzog: (überlegt)

Ricore: Das Scheitern am Leben? Der Wahnsinn, den die menschliche Psyche manchmal dadurch erleidet? In "Bad Lieutenant" erzählen Sie ja auch - wie in vielen anderen Ihrer Filme - von einem Typen, der an seinem Alltag und seinen Aufgaben zerbricht.

Herzog: Sie spielen auf etwas an, dass Sie sicherlich richtig beobachten: es gibt durchaus ein paar Filme, die das behandeln, etwa "Lebenszeichen", meinen ersten Spielfilm, oder "Fitzcarraldo". Aber vor allem bei Letzterem ist es wie so oft kein vollkommenes Scheitern, sondern dem Scheitern wird etwas Grandioses abgerungen, etwas, was unsere Existenz auf einmal mit Sinn erfüllt. Ob wir an einem großen Traum scheitern oder nicht, ist in meinen Filmen nebensächlich. Es nicht probiert zu haben, das wäre die Katastrophe.

Ricore: Und deshalb drehen auch Sie einen Film nach dem anderen, um sich immer wieder am Traum des ultimativen Werks zu versuchen?

Herzog: Ach was, ich habe da kein Programm. Sehe Sie, ich werde immer wieder nach meiner Karriere gefragt. Ich hatte nie eine Karriere! Eine Karriere hat jemand, der methodisch an seiner Karriere arbeitet. Jemand, der in der Bestsellerliste nachsieht, aus welchem Erfolgsroman man am besten einen Film machen könnte. Das hat es bei mir nie gegeben.
Studiocanal Home Entertainment
Mein liebster Feind - Klaus Kinski (1999)
Ricore: Wenn schon keine Karriere: Was hatten Sie denn dann?

Herzog: Die Filme, die ich bisher gemacht habe, waren immer wie ein Einbrecher in der Nacht, die nicht eingeladen waren. Sie waren unabweisbar da und ich musste mich zwangläufig fragen, wie ich das jeweilige Projekt am besten wieder aus meinen Räumen herausbekomme. Meistens war der einzige Ausweg, die Eindringlinge direkt auf die Leinwand zu befördern.

Ricore: Ich muss noch einmal einen Satz aus dem Kontext reißen.

Herzog: Ja, nur zur.

Ricore: Vielleicht auch deshalb, weil er aus dem Buch "Herzog on Herzog" stammt, dem große Glaubwürdigkeit beigemessen wird. Da haben Sie gesagt: 'Ich habe immer noch ein Problem damit, meine Arbeit als wirklichen Beruf zu sehen.' Ist das immer noch so?

Herzog: Richtig, das ist immer noch so. Ich habe noch nie eine wirkliche Profession gehabt. Was ich habe ist ein Leben, ein wilder Slalom, den ich mit 180 Sachen den Berg herunter rase. Wieso ich noch nicht gegen eine Betonwand gekracht bin, ist mir ein völliges Rätsel.

Ricore: Wie exzentrisch stufen Sie sich selbst ein?

Herzog: Überhaupt nicht. Ich kann es am besten auf Englisch sagen: "I am the only one clinically sane". Man redet ja oft von klinischem Wahnsinn, deshalb halte ich mich gerne für den einzigen klinisch Gesunden.
Kinowelt Home Entertainment
Fitzcarraldo - Edition Deutscher Film
Ricore: Wieso sagt man Ihnen diese Exzentrik dann so oft nach?

Herzog: Ach, das ist einer der Doppelgänger, die sich so in den Medien ergeben haben, weil man angefangen hat, von den Figuren, die in meinen Filmen wichtige Rollen spielen, auf mich Rückschlüsse zu ziehen. Wenn ich jemanden zeige, der dem Wahnsinn verfällt, heißt es dann immer gleich: Jetzt ist der Herzog durchgedreht. Es gibt auch nicht nur diesen Doppelgänger, es gibt noch fünf, sechs andere Versionen. Ich habe mich mit ihnen abgefunden - nicht dass ich mich unbedingt mit ihnen befreundet habe - aber sie sind wie eine Art Schutzschild.

Ricore: Sind Sie gerne bekannt? Sie sind ja inzwischen so etwas wie ein Regie-Star.

Herzog: Nein, ich will lediglich das Beste und Erstaunlichste für ein Publikum auf die Leinwand bringen. Das ist alles. Mir wäre wohler dabei, wenn ich anonym sein könnte, das ist nur heute bei der Sensibilität und Verbreitung der Medien nicht mehr möglich. Ich kann nicht wie der Meister des Kölner Altars sein, von dem man nur weiß, dass er um 1450 dieses Triptychon gemalt hat. Das geht beim Filmemachen nicht, weil zu viele Leute damit verbunden sind. Innerhalb von fünf Minuten haben sie den ersten, der mit seinem Mobiltelefon ein Foto macht und nachweist, wer an Ort und Stelle war.

Ricore: Dafür, dass Sie am liebsten anonym bleiben möchten, setzen Sie sich bei einigen Ihrer Dokumentationen aber ganz schön in den Vordergrund. Man denke nur an "Grizzly Man", in dem Sie als Erzähler quasi permanent von Ihrer Gedankenwelt erzählen. Da zeigen Sie als Regisseur doch ein Maximum an Präsenz!

Herzog: Nicht als Regisseur, sondern als Erzähler. Dabei ist aber völlig gleichgültig, ob das jetzt ich bin oder sonst jemand. Ich weiß nur, dass ich sprachlich mehr kann als professionelle Darsteller. Die sind zu geschult, zu geleckt, da fehlt es an Glaubwürdigkeit und Authentizität. Ein Publikum, das heutzutage mit so vielen virtuellen Welten, so vielen digitalen Effekten und so vielen manipulierten Dingen konfrontiert wird, sieht gerne etwas, wo sie ihren Augen wieder trauen können.

Ricore: Anfangs hatten wir doch darüber geredet, dass jeder mit Ihnen drehen möchte.

Herzog: Ja, alle.
Jean-François Martin/Ricore Text
David Lynch
Ricore: In "My Son, My Son, What Have Ye Done", Ihrem zweiten Film, der parallel zu "Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen" in Venedig 2009 seine Weltpremiere feierte, versammeln Sie eine absurde Mischung an Schauspielern. Wie passen Chloë Sevigny, Michael Shannon und Udo Kier zusammen?

Herzog: Ich wollte einen günstigen Film mit den besten Schauspielern machen, die wir haben. Nicht mit den ganz großen Stars, die fünfzehn bis zwanzig Millionen Dollar kosten, sondern mit Leuten, die wirklich gut sind. Der Film sollte nicht mehr als zwei Millionen Dollar kosten, es war fast wie ein Manifest. Wenn heute Produktionen 180 Millionen Dollar kosten und dann eine Bauchlandung hinsetzen, ist das katastrophal. Dem wollte ich ein Statement entgegensetzen. Und jetzt schauen Sie an, wie gut die Schauspieler in dieser kleinen Geschichte funktionieren: Michael Shannon, Chloë Sevigny, Willem Dafoe und Udo Kier - alle große Klasse.

Ricore: In Deutschland hat Letzterer aber inzwischen eher den Beigeschmack eines B-Schauspielers.

Herzog: Aber ich nehme ihn ernst und auf einmal ist der Mann jemand mit absoluter Statur. Schauen Sie sich den Film an und schauen Sie sich an, wie gut er ist! Und schauen Sie sich an wie gut die anderen Schauspieler sind. Und in gewisser Weise ist das genau die Sache, die ich an meiner Position in Amerika so gerne mag. Weil eigentlich die Besten von den Schauspielern aber auch die großen Stars mit mir arbeiten würden.

Ricore: Wieso präsentiert David Lynch Ihren Film?

Herzog: Ich sprach anfangs mit ihm über dieses Projekt. Ich sagte: 'Wir sollten etwas machen mit den Besten von den Besten, mit ganz großartigen Stories - fast wie ein Manifest.' Und er sagte: 'Ja, das müssen wir machen.' Und er fragte mich nebenbei: 'Hast du den Projekt?' Und ich sagte: 'Freilich habe ich eines.' Und er fragte: 'Wann kannst du anfangen?' Und ich sage: 'Morgen, wenn es sein muss.' Ich fing kurze Zeit später an, und davon war er so begeistert, dass er den Film jetzt präsentiert. Sonst hat er eigentlich nichts damit zu tun.

Ricore: Auch wenn Sie Ihre Leistungen persönlich nicht als Karriere bezeichnen: sind Sie trotzdem manchmal stolz auf das, was Sie erreicht haben?

Herzog: Doch, dieses Gefühl gibt es bei mir auch. Aber nur dann, wenn die Elemente richtig zusammenpassen. Zum Beispiel in "Bad Lieutenant", ja. Ein großartiger Schauspieler, eine richtig gute Geschichte, der richtige Schauplatz, ein schwärzester Humor, schnell und leicht inszeniert. Aber dieses Gefühl von Stolz stellt sich erst dann ein, wenn ich merke, dass der Film auch beim Publikum Anklang findet.
erschienen am 7. März 2010
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