Constantin Film
Hautnahe Konfrontation mit dem Tod: Albrecht (Tom Schilling)
Tom Schilling über sein Leben als Schöngeist
Interview: Und plötzlich packt es mich wieder
Mit zwölf Jahren auf dem Schulhof entdeckt, danach Theatererfolge, und mit "Crazy" der Durchbruch im Kino. Tom Schilling ist knapp 23, aber schon sein halbes Leben lang Schauspieler. Zeitweise stand er dabei im Schatten seines gleichaltrigen Kollegen Robert Stadlober, inzwischen hat er seinen persönlichen Stil gefunden. Zum Interview im Berliner Hotel Adlon erscheint der Jungschauspieler wie gewohnt im Anzug: ein Gespräch über literarische Seelenverwandte, Helden der Neuzeit und dem international prämierten Film "Napola - Elite für den Führer".
erschienen am 12. 01. 2005
Constantin Film
Drill und Disziplin: Alltag in der Napola
Vieles gemeinsam
Ricore: Tom, Sie sollen auf die Rolle des sensiblen Nazi-Sohns Albrecht Stein unglaublich scharf gewesen sein.

Tom Schilling: Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich meinen Beruf gar nicht gerne mache. Bei neuen Rollen bin ich voller Komplexe und Angst und denke, dass 1.000 andere das besser als ich machen könnten. Bei diesem Drehbuch war das anders. Auf einen Schlag fielen mir unzählige Dinge ein, die ich einbringen könnte. Ich war davon überzeugt, dass kein anderer das besser machen würde als ich.

Ricore: Albrecht ist ein von den Eltern vernachlässigter Einzelgänger mit Hang zur Schriftstellerei. Was genau qualifizierte Sie für die Rolle?

Schilling: Wir haben vieles gemeinsam. Die Liebe zur Literatur, das Interesse an der Kunst, ein Leben als Schöngeist. Auch seine Statur spielt - vor allem in der damaligen Zeit - eine große Rolle. Er ist eben nicht 1,80 Meter groß und blond. Nein, er ist schwarzhaarig, klein und schmächtig. Das beeinflusst die Figur in ihrem Handeln und Auftreten. Genauso wie mich auch.

Ricore: Sie haben Probleme mit Ihrer Statur?

Schilling: Früher habe ich darunter gelitten, immer der Kleinste zu sein. Beim Sicherheits-Check am Flughafen wurde ich sogar von Frauen abgetastet, weil man mich für ein Mädchen hielt. Aber irgendwann lernt man, sich zu arrangieren. Heute ist es für mich in Ordnung.
Constantin Film
Überzeugter Nazi: Albrechts Vater ( Justus von Dohnanyi )
Ein bis zwei gute Rollen im Jahr
Ricore: Sind Sie mit Ihren Rollenangeboten zufrieden?

Schilling: Es läuft mal besser und mal schlechter. Pro Jahr sind vielleicht ein bis zwei gute Rollen dabei. Kommt immer darauf an, wie viele Drehbücher ich geschickt bekomme. In letzter Zeit habe ich nicht viel gelesen. Hm, warum nur? (grinst)

Ricore: Das bringt Ihr Alter so mit sich. Wie schwer fällt es, sich bei Drehs in fremden Städten nicht die Nächte um die Ohren zu schlagen?

Schilling: Die Hemmschwelle nimmt kontinuierlich ab. Zum Beispiel unser aktueller Dreh in Prag: Am Anfang bleibt man noch brav zu Hause, aber dann hört man von diesem abgefahrenen Club mit lauter Models... Die Quittung kommt dann am nächsten Morgen. (lacht) Vor zwei Jahren habe ich das ziemlich ausufern lassen, mittlerweile bin ich gemäßigter. Heute weiß ich auch, dass man frühzeitig seinen Text lernen sollte - nicht erst am Abend vorher oder gar auf dem Weg zum Set. (lacht)

Ricore: In "Napola", einem Film über NS-Eliteinternate, spielt der Heldenbegriff eine große Rolle. Wie definieren Sie heute einen "Helden"?

Schilling: Schwer zu sagen. Zum Helden wird man gemacht. Der sowjetische Astronaut Juri Gagarin zum Beispiel war alkoholkrank und verprügelte seine Frau. Trotzdem kürte ihn die Propagandamaschinerie zum Helden. Er wurde für das System missbraucht. Ich komme aus der DDR, für mich gehört der Heldenbegriff zum Militär, vielleicht auch in die Politik.

Ricore: Haben Sie keine Helden?

Schilling: Eher Idole. Bob Dylan, Nick Cave und Leonard Cohen zum Beispiel. Oder aber Hermann Hesse. In seinen Büchern entdecke ich soviel von mir selbst, dass mir bang wird. Ich frage mich, warum er soviel über mich wusste, obwohl ich noch gar nicht geboren war.
Constantin Film
Der sensible Albrecht (Tom Schilling)
Manches berührt dich einfach
Ricore: "Ich wollte ja nichts, als das zu leben versuchen, was von selbst aus mir herauswollte. Warum war das so sehr schwer?"

Schilling: Das Anfangszitat von Hesses "Demian"! Einfach schön. Manches berührt dich einfach, genauso wie in der Musik. Vor drei Jahren habe ich Gitarre angefangen, vor einem Jahr Klavier. Mit zwei alten Schulfreunden habe ich eine Band.

Ricore: Neben Robert Stadlober und Tobias Schenke sind Sie nun der dritte Nachwuchsschauspieler mit musikalischen Ambitionen. Wollen Sie professionell in diese Richtung?

Schilling: Davon bin ich weit entfernt. Mich erfüllt es, auf der Couch zu Hause Songs zu schreiben, nach typischem Singer-Songwriter-Muster, ein bisschen wie "Element Of Crime". Mit Schlagzeug, Gitarre und Trompete.

Ricore: Und was ist aus den Plänen von Ihnen und den anderen Jungstars Daniel Brühl, August Diehl und Fabian Busch geworden, gemeinsam gute Filmstoffe zu entwickeln?

Schilling: (lacht) Die haben sich total im Sand verlaufen. Es war eine typische Stammtischidee. Wir wollten das Pferd von hinten aufzäumen. An sich keine schlechte Idee, nur der Antrieb hat halt gefehlt. (lacht)

Ricore: Haben Sie viel Kontakt zu gleichaltrigen Kollegen?

Schilling: Einige sind zu guten Freunden geworden. Daniel Brühl und Jessica Schwarz gehören zum Beispiel zu meiner Clique. Und die kennen wiederum August Diehl ziemlich gut. Alles ist irgendwie vernetzt.
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Eliteinternat Napola: Welt ohne Erbarmen
Genauer Beobachter
Ricore: In "Napola" wird deutlich, wie Hitler aus einem kleinen Kreis begabter Jugendlicher eine neue, weltweite Oberschicht erschaffen wollte. Stellt man sich da nicht automatisch selbst die Frage: Wie verführbar wäre ich gewesen?

Schilling: Aus heutigem Blickwinkel kann man diese Frage gar nicht beantworten, aber ich würde nie behaupten, dass ich resistent geblieben wäre. Man sieht das ja an Albrecht, der mit ein bisschen mehr Liebe von Seiten des Vaters vielleicht auch eine große Nummer im Dritten Reich geworden wäre. Vielleicht hätte er eine ähnlich traurige Karriere gemacht wie Albert Speer. Ein Intellektueller, der gerade deshalb zur tragischen Figur wird, weil er Zeichen hätte setzen können. Colin Powell ist auch so einer. Bei ihm hatte ich immer das Gefühl, dass es ihm nicht leicht gefallen ist, die Dinge auszuführen, die von ihm verlangt wurden. Er hätte ein Exempel statuieren und zurücktreten sollen. Jetzt ist es zu spät.

Ricore: Sind Sie ein politischer Mensch?

Schilling: Schon. Zwar nicht aktiv, dafür aber ein ziemlich genauer Beobachter. Ich will informiert sein, will wissen, was vor sich geht.

Ricore: Mit 22 Jahren ist der zukünftige Beruf ein großes Thema. Bleibt es nun endgültig bei der Schauspielerei?

Schilling: Endgültig? Mir fällt es manchmal schon schwer, bis zum nächsten Tag zu planen. Man kommt in einen Trott, in dem Zukunftsfragen automatisch viel zu wenig Platz bekommen. Vor allem, wenn man so viel Hesse liest. (lacht und wird dann ernst) Ich habe schon diese depressiven Phasen, in denen ich mich frage, ob ich mit meinem Leben nicht mehr anstellen sollte. Aber dann stoße ich wieder auf ein Buch, das ich unbedingt spielen möchte. Und plötzlich packt es mich wieder...
erschienen am 12. Januar 2005
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Tom Schilling hat bereits eine steile Karriere gemacht. Im Gegensatz zu vielen anderen Jungstars startete Schilling seine Ausbildung auf der Bühne. Als Zwölfjähriger erwarb er sich bei "Im Schlagschatten des Mondes" erste Schauspielerfahrung beim Berliner Ensemble. Weitere Bühnenrollen folgten. Mit "Crazy" kam 2000 auch der Durchbruch auf der Leinwand. In der Rolle des Jakob zeigt Schilling, dass er nicht nur ein großes Talent hat, sondern auch die nötige Leinwandpräsenz hat.
2024