Neue Visionen Filmverleih
Sam Garbarski
Sam Garbarski über Münchner Wurzeln, Traditionen und den jüdischen Glauben
Interview: Tango als Allheilmittel
Mit seinem ersten Spielfilm "Der Tango der Rashevskis" wirft der aus München stammende Regisseur Sam Garbarski einen humorvollen Blick auf das Judentum. Dabei geht es ihm nicht um die Ergründung der Religion an sich, vielmehr führt er uns zu den wesentlichen Dingen unseres Lebens: Traditionen, Wurzeln und Liebe. Wunderbar melancholisch und zugleich humorvoll beschreibt Garbarski die Geschichte der Familie Rashevskis und ihrer Suche nach der eigenen Identität. Die Musik ist für Garbarski hierbei unverzichtbar, genau wie für die Rashevskis der Tango. So heißt es in der Tragikomödie: "Wer Tango tanzen kann, dem kann nichts passieren." Filmreporter.de sprach mit dem Regisseur über seinen Film, seine Wurzeln und die religiöse Selbstfindung.
erschienen am 20. 01. 2005
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Schmerzhaftes Tabu: Der Holocaust (Szene mit Michel Jonasz und Nathan Gogan)
Ricore: Wo sind sie aufgewachsen?

Sam Garbarski: Ich bin in Krailing geboren und aufgewachsen. Ich bin in München, also um die Ecke, zur Schule und später zur Uni gegangen. Mit 22 Jahren hab ich dann Deutschland verlassen und bin nach Belgien ausgewandert.

Ricore: Wie war ihr Elternhaus?

Garbarski: Nett, normal, im Grunde nichts aufregendes. Das Erstaunliche ist vielleicht das beide Elternteile jüdischer Abstammung waren. Sie haben sich nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland angesiedelt.

Ricore: Sind sie religiös erzogen worden?

Garbarski: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Ich habe in der Schule am katholischen Religionsunterricht teilgenommen. Meine Eltern waren überhaupt nicht religiös. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Juden, die den zweiten Weltkrieg überlebt haben, über das Geschehene einfach nicht reden konnten. Dieses Thema ist totgeschwiegen worden. Ich weiß bis heute nicht, ob sie nie gläubig waren oder aufgrund der Geschehnisse während des Krieges nicht mehr religiös gelebt haben.

Ricore: Sind ihre Eltern aus Deutschland geflohen?

Garbarski: Meine Eltern waren beide im Konzentrationslager. Mein Vater war in mehreren Lagern und meine Mutter in einem Arbeitslager in Polen. Aber wie gesagt, über diese Thema haben sie nie mit mir gesprochen. Es fiel ihnen zu schwer. Wenn ich nachgebohrt habe, sind sie dem Thema immer ausgewichen. Es ist einfach verschwiegen worden. Als meine Mutter fast schon am Sterben war , habe ich nochmals versucht mehr über ihre Vergangenheit zu erfahren. Selbst in dieser Situation hat sie nichts erzählt. Es ist sehr schade, denn ich weiß nichts über meine Familie außer dass viele von ihnen in Konzentrationslagern umgekommen sind. Dieses Unwissen ist eine Tatsache, mit der ich zu leben gelernt habe.
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Tango: Medizin gegen schlechte Laune (Hippolyte Girardot und Tania Garbarski)
Ricore: Aus welchen Gründen haben sie Deutschland verlassen? Aus beruflichen oder privaten Motiven?

Garbarski: Ich habe mich im Urlaub in eine Belgierin verliebt und bin ihr nachgereist. Die Männer sind ja schwach, wissen Sie. Ich wollte unbedingt mit ihr zusammenbleiben. In Belgien bin ich dann in der Werbung gelandet. Eigentlich wollte ich Werbung machen seitdem ich vierzehn war. Ich habe dann meine eigene Agentur gegründet und die nächsten zwanzig Jahre sehr erfolgreich in der Branche gearbeitet. Eines Tages hatte ich die Nase voll. Seit zu vielen Jahren machten es die Regisseure bei der Umsetzung meiner Scenarios anders als ich es mir vorgestellt hatte. Deshalb fing ich an meine Werbefilme selbst zu drehen. Dann ermutigten mich meine Freunde, auch Kurzfilme zu drehen, die sie dann zu kurz fanden und dann kam logisch mein erster Langspielfilm.

Ricore: Man hört ihren Münchner Dialekt noch deutlich heraus...

Garbarski: Den gebe ich auch nicht her. (lacht) Irgendwas muss ja bleiben. München gehört einfach zu mir. Deswegen freut es mich ganz besonders, dass der Film in München laufen wird. Dieses Gefühl ist herrlich.

Ricore: Fühlen Sie sich noch mit ihrer Heimatstadt verbunden?

Garbarski: Emotional gesehen auf jeden Fall. Ich bin dort geboren. Ich habe auch noch sehr viele gute Freunde in München.

Ricore: Was lieben Sie ganz besonders an München?

Garbarski: Was ich ganz besonders mag, ist das leckere Essen im Franziskaner oder im Bratwurstglöckl. Und das Münchner Bier. Das ist schon einmalig. Kein Vergleich zum Französischen. Wann immer es möglich ist schaue ich auch Fußball mit meinem Sohn im Fernsehen. Er ist sieben Jahre alt und Fan des FC Bayern. Mein Sohn wollte auch unbedingt München sehen, da hab ich mit ihm eine Pilgerfahrt nach München gemacht und ihm alles gezeigt. Er spielt selbst Fußball. Er trägt beim Training sogar ein Bayerndress von Ballak.
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Sam Garbarski: Betrachtet die Welt mit Augenzwinkern
Ricore: Gibt es etwas was Sie in Belgien mehr mögen als in Deutschland?

Garbarski: Ja und Nein. Belgien ist ein kleines, sehr günstig gelegenes Land. Es liegt sehr zentral. In einer Stunde 20 Minuten bin ich zum frühstücken in Paris. In anderthalb Stunden bin ich mit dem Flieger in München. Man kann in Belgien sehr gut leben, ohne zuviel Geld auszugeben. Ich wohne am Wald wie in München am Englischen Garten. Aber es kostet viel weniger. Lebensqualität ist billiger und besser aber ich komm immer mit sehr viel Enthusiasmus und Vergnügen nach München zurück.

Ricore: Wie sehen ihre nächsten Projekte aus? Wieder ein Spielfilm?

Garbarski: Ja der zweite Langfilm. Im Sommer nächsten Jahres beginnen die Dreharbeiten.

Ricore: Um welches Thema wird es sich handeln?

Garbarski: Der Film hat nichts mit Religion zu tun. Es ist die Geschichte von einer Oma, einer jungen fünfzigjährigen Oma, die helfen will ihrem Enkel das Leben zu retten. Der braucht eine Rückenmarkoperation. Um das Geld zu bekommen nimmt sie einen Job in einer Stripteasebar an Der Rest wird erst im Kino erzählt. Es ist eine Tragikkomödie, die von den Filmen der 1950er und 1960er Jahren inspiriert ist. Ich liebe Tragikkomödien. Es ist übrigens kein französischer Film. Er wird auf Englisch gedreht und spielt in London.

Ricore: Kommen wir nun auf ihren jetzigen Film "Der Tango der Rashevskis". Warum haben Sie einen Film über den jüdischen Glauben gemacht?

Garbarski: Dass ich mir dieses Thema ausgesucht habe, ist auch durch die Medien bedingt. Man bekommt einfach zu viele falsche Klischees vermittelt was ein Jude ist. Man sieht immer nur die Extreme, die Karikaturen. Z.B. zeigt man die Religiösen meist als Extremisten. In der ganzen Welt gibt es nur 13 Millionen Juden. Die meisten sind wie die Rashevskis, sie sind gar nicht sonderlich religiös. Es sind Leute die von der Tradition her jüdischen Glaubens sind, die aber gar nicht so richtig wissen, wie man mit seinem Judentum am besten lebt. Sie ändern auch oft ihre Meinung. Und warum auch nicht. Was ist schon klar an der Religion, welche es auch immer ist? Ich hatte einfach Lust so eine Familiegeschichte zu erzählen. Mein Koautor ist väterlicherseits Jude und mütterlicherseits persischer Muslim. Die Geschichte ist nicht nur meine Geschichte einer liberalen jüdischen Familie sondern auch seine.
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Zwei die gerne ihre Traditionen teilen (Rudi Rosenberg und Selma Kouchy)
Ricore: Das Thema an sich kann jeder nachvollziehen, die Suche nach Wurzeln, Liebe und Traditionen. Was bedeuten Traditionen für Sie persönlich?

Garbarski: Ich glaube Traditionen sind wenn man sie teilen kann etwas Schönes - solange sie von der Religion getrennt bleiben. Ich feiere Weihnachten, seitdem ich ein ganz kleines Kind bin. Meine Frau zum Beispiel ist Christin und ist mehr Jüdin als ich. Sie besteht mehr auf den jüdischen Traditionen als ich. Ich war auf einer arabischen Hochzeit von einer jungen Muslimin eingeladen. Man muss wissen, dass bei den Moslems an einem Tag die Frauen und am zweiten Tag die Männer Hochzeit feiern. Ich war, als Jude, mit meinem Produzent, einem belgischen Christen, auf die Damenhochzeit eingeladen .Andere Traditionen zu teilen ist das bereichernste, was man erleben kann. Traditionen bedeuten Kultur, Wurzeln. Sie sind tiefliegend und warm. Das sollten alle Kulturen beibehalten, ohne es als Ausschlusskriterium zu benützen. Sobald es in Religion übergeht wird es exklusiv behandelt. Traditionen sind schön, Religion ist gefährlich. Wurzeln sind etwas ganz besonderes, man kann sie nicht abschütteln. Darum geht es auch in meinem Film. Jeder hat seine Wurzeln, aber jeder findet sich auf seine Weise damit zurecht und lebt dementsprechend. Was er auch immer tut, er sollte lieber Tango tanzen als sich mit einem Andersgesinntem zu schlagen.

Ricore: Was bedeutet der Tango für die Rashevskis?

Garbarski: Tango ist das Familien-Aspirin der Rashevskis. Wenn sie etwas wirklich nicht akzeptieren können, tanzen sie lieber Tango als sich in die Haare zu bekommen.

Ricore: Tanzen Sie Tango?

Garbarski: Ja, aber schlecht, aber alle meine Rashevskis tanzen schlecht. Wenn etwas schief geht, dann tanzen sie eben Tango.

Ricore: Wie definieren sie liberale und orthodoxe Juden?

Garbarski: Ein liberaler Jude ist ein Jude, der wenn er etwas nicht akzeptieren kann, lieber Tango tanzt als sich extrem zu verhalten. Ein orthodoxer Jude ist einer, der an Schriften festhält, die vor Tausenden von Jahren geschrieben wurden und bis heute nicht modernisiert wurden. Welche Religion auch immer, man lebt am Leben vorbei wenn man an diesen Richtlinien festhält. Es ist wirklichkeitsfremd. Das kann nicht gut gehen. Liberale Juden sind Menschen, die ihre Traditionen beibehalten wollen. Sie wollen die Traditionen fühlen und sie mit anderen Kulturen teilen. Aber sie beharren nicht darauf und schließen die anderen vor allem nicht aus.
erschienen am 20. Januar 2005
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Sam Garbarski wird 1948 in München geboren und studiert in Deutschland zunächst Jura. Er bricht das Studium ab und siedelt wegen einer Frau nach Belgien über. Seine Karriere beginnt der Autodidakt als Regisseur von Werbespots und Kurzfilmen. Den Durchbruch hat er mit der Tragikomödie "Irina Palm", die 2007 im Wettbewerb der Berlinale läuft. Nach dem Drama "Vertraute Fremde" dreht Garbarski mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle "Vijay und ich - Meine Frau geht fremd mit mir", eine..
Die Rashevskis sind eine ganz normale liberale jüdische Familie. Der Tod der Großmutter Rosa stürzt die Familie jedoch in eine religiöse Selbstfindungskrise. Jeder einzelne von ihnen wird mit der Realität konfrontiert und begibt sich auf die Suche nach Bedeutung seines jüdischen Erbes. Geistreiche Tragikkomödie über die Suche nach den eigenen Wurzeln und die Sehnsucht nach Traditionen.
2024