Universum Film
Karl Markovics
"Im Idealfall ist die Rolle riskant"
Interview: Karl Markovics bricht Tabus
Karl Markovics kann auf eine fast 20-jährige Schauspielkarriere zurückblicken. Vielen ist der gebürtige Wiener als Inspektor Stockinger ein Begriff. Diesen spielte Markovics von 1994 bis 1996 an der Seite von Tobias Moretti in der Krimiserie "Kommissar Rex". In "Die Fälscher" mimte der wandlungsfähige Künstler Geldfälscher Solomon Sorowitsch. Nach dieser Rolle ließ der internationale Durchbruch nicht lange auf sich warten, das Projekt wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. In "Mahler auf der Couch" ist Markovics als Sigmund Freud zu sehen. Trotz seines Erfolges bleibt der Schauspieler bodenständig. Mit typischem Wiener Charme erklärt er uns die Verknüpfung zwischen Traum und Schauspielerei sowie die Anstrengung des Theaterspielens.
erschienen am 1. 07. 2010
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Karl Markovics in: Mahler auf der Couch
Ricore: Der Bart ist schon wieder ab!

Karl Markovics: Ja der alte Bart ist ab, es ist aber ein neuer da. Das geht bei mir ständig hin und her. Je nach Rolle und der Zeit, die zwischen Rollen liegt. Ich bin kein leidenschaftlicher Glattrasierer. Deswegen lasse ich mir den Bart stehen, wenn ich ihn nicht rasieren muss. Wenn ich dann drehe, habe ich eh einen Schnauzbart, einen Vollbart oder Koteletten.

Ricore: Wie haben Sie auf das Rollenangebot zu "Mahler auf der Couch" reagiert?

Markovics: In erster Linie hat es mich gefreut, mit Percy Adlon zu arbeiten. Was mich in Bezug auf die Rolle gefreut hat, war dass, mehr noch als die Rolle Sigmund Freuds, der Fokus auf diese Begebenheit, auf das Treffen Freuds und Mahlers gerichtet war. Sie treffen sich an einem für beide unbekannten Ort. Das macht die Situation für beide zu einer Ausnahmesituation. Für Mahler kommt noch der gefühlsmäßige Ausnahmezustand hinzu. Für Freud in gewisser Weise auch, schließlich war er ja auch nicht zu Hause, nicht in seiner Praxis, seinem gewohnten Umfeld. Er konnte ja seine ganze Professionalität und Sicherheit nicht so anwenden. Das Ganze hat mehr oder weniger zwischen Tür und Angel, auf der Durchreise stattgefunden. Einerseits empfängt er zwar diesen wichtigen Patienten, denn man lässt ja Gustav Mahler nicht so einfach abblitzen. Andererseits fühlt er sich aber doch nicht so ganz wohl in dieser Situation. Das war für mich das Spannende an dieser Konstellation.

Ricore: Hatten Sie zuvor einen Bezug zu Freud?

Markovics: Das ein oder andere hatte ich schon gelesen von und über Freud, in meiner Jugend zum Beispiel "Berggasse 19". Das ist ein Theaterstück, ich glaube von einem Engländer. Das Bedeutende für mich war damals, dass Curd Jürgens die Rolle Sigmund Freuds spielte. Ich war damals 14 oder 15 und habe Curd Jürgens noch auf der Bühne erlebt. Das hat mich total beeindruckt. Und dann Sigmund Freud nach so vielen Jahren selber zu spielen, das hat natürlich einen schönen Privatbezug hergestellt.
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die vielen Gesichter eines Karl Markovics: hier in "Nanga Parbat"
Ricore: Hat Freud Sie auch in Ihre Träume verfolgt?

Markovics: Nein, das nicht. Als Schauspieler hat man das Glück, die meisten Dinge ausleben zu können. Was die Arbeit angeht, habe ich selten, um nicht zu sagen nie,Träume während der Arbeit über die Arbeit.

Ricore: Was halten Sie von der Traumdeutung?

Markovics: Die halte ich für wahnsinnig spannend und in vielen Dingen auch für sehr schlüssig. Aber es gibt mindestens genauso viele Beispiele, wo ich mir denke, da lässt sich das nicht so einfach anwenden. Es handelt sich wahrscheinlich um ein noch weitaus tieferes Feld, als das, in welches wir vorgedrungen sind. Wobei Freud schon sehr weit vorgedrungen ist. Viele seiner Fallbeispiele, die immer wieder vorkommen, sind auf ihre Art und Weise schlüssig.

Ricore: Was für eine Bedeutung hat das für Sie als Schauspieler?

Markovics: Gerade der Traum ist mit der Schauspielerei verknüpft. Als Schauspieler taucht man immer wieder in imaginäre Welten ein, manchmal auch in abstrakte. Ich bin eigentlich eher jemand, der nicht so analytisch vorgeht, sondern Dinge auch ruhig mal stehen lässt, ohne sie zu hinterfragen.

Ricore: Gibt es irgendeine Rolle, die Sie auf keinen Fall spielen würden?

Markovics: Eigentlich nicht. Vielleicht gibt es so etwas, ohne es jetzt benennen zu können. Wenn ich etwas nicht spiele, dann weil es mich nicht interessiert und nicht, weil ich es Tabugründen ablehnen würde. Vielmehr würde ich vielleicht etwas ablehnen, weil ich es schon einmal gespielt habe, die Erfahrung also schon gemacht habe. Ansonsten kann ich mir aber keinen Grund vorstellen.
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Am besten steht ihm der ernste Gesichtsausdruck: Karl Markovics
Ricore: Welchen Anspruch stellen Sie an eine Rolle?

Markovics: Im Idealfall muss die Rolle riskant sein. Es soll eine Rolle sein, bei der ich nicht von Anfang an weiß, ob ich die Rolle auch wirklich erfüllen kann. Mich interessiert grundsätzlich das Neue, das Nicht-Vertraute, Unbekannte.

Ricore: Soll es nur für Sie nicht vertraut sein, oder wollen Sie mit Ihren Rollen aus der Reihe tanzen?

Markovics: Es geht nicht darum, aus der Reihe zu tanzen. Es geht darum, zu zeigen, dass die Reihe keinen Anfang und kein Ende hat. Dass es möglich ist, an den seltsamsten Enden der menschlichen Existenz noch etwas Vertrautes zu finden, so erschreckend das manchmal auch sein mag. Ich habe in einer Semi-Spielfilmdokumentation den Franz Fuchs gespielt, der ja vor 15 Jahren in Österreich mit einer Serie von Briefbombenanschlägen eine traurige Berühmtheit erlangt hat. Diesen Anschlägen sind vier Menschen zum Opfer gefallen und zwölf wurden schwer verletzt. Er selbst hat sich dann bei seiner Verhaftung beide Hände weggesprengt. Ein abstruser Charakter, der seine Minderwertigkeitskomplexe und sein Einzelgängertum mit einer seltsamen Ideologie von Fremdenhass und Angst vor Überfremdung vermengt hat, womit er dann jahrelang das ganze Land mehr oder weniger in Atem hielt. Da fragt man sich ja auch, was an so einer Gestalt noch menschlich ist und warum man so jemanden spielen möchte. Die Antwort ist im Endeffekt, und das sage ich jetzt, auch wenn es banal klingt. Auch Adolf Hitler war ein Mensch, weswegen ich damals die ganze Aufregung über die Darstellung mit Bruno Ganz nicht nachvollziehen konnte. Ich fand das einfach ganz legitim und auch wichtig, dass solche Charaktere auch verkörpert werden. Gerade um sie davor zu bewahren, aus ihnen einen Monstermythos zu kreieren. Es ist ja nicht so, dass so jemand nicht mehr mit der menschlichen Natur gemein hat. Das ist so und dem müssen wir uns stellen. Auch diese Personen waren Menschen und es ist möglich gewesen, was nie für möglich gehalten wurde.
Gudrun Schmiesing/Ricore Text
Aber er kann auch fröhlich: wie hier beim Fototermin zu "Nanga Parbat": Karl Markovics
Ricore: Meinen Sie nicht, die Kritik rührt eher aus dem Zweifel an der Möglichkeit, etwas so Unvorstellbares zu verkörpern?

Markovics: Da gebe ich Ihnen Recht. Das muss man ja auch nicht, oder kann man auch gar nicht schaffen. Meiner Meinung nach wird zu viel Darstellbarkeit erwartet und abverlangt. Ich bin überhaupt ein Freund von Auslassungen. Würde ich mich jetzt als Zuschauer beschreiben, fände ich es immer wahnsinnig spannend, nicht immer alles komplett erklärt und serviert zu bekommen. Ich will mitgenommen werden zu etwas, aber ich finde es auch immer spannend, am Ende mit offenen Fragen zurückgelassen zu werden. Und dann sagen können, dass ich auch noch nicht so ganz auf einen grünen Zweig gekommen bin. Im Idealfall bringt uns genau das dann dazu, dass wir noch lange nach dem Theater- oder Kinoerlebnis darüber nachdenken, was wir gesehen haben. Das ist eigentlich das Schönste, was man als Schauspieler in seinem Beruf erreichen kann. Da geht es nicht um Filmpreise oder gute Kritiken, sondern darum, was wir vielleicht gar nicht mehr mitbekommen. Das, was sich Tage, Wochen oder Monate später in den Köpfen der Leute abspielt. Die Leute müssen eine private Erkenntnis aus dem ableiten, was sie sehen.

Ricore: Worin läge diese Erkenntnis bei "Mahler auf der Couch"?

Markovics: Oh (lacht). Da gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten. Es hängt davon ab, welcher Reiz gerade aus dem momentanen Leben des Betrachters ausstrahlt. Was demjenigen, der es gesehen hat, als relevant erscheint. Ob es nun die fatale Beziehung zu einer Frau ist, die man mit wenig probaten Mittel zu bändigen versucht, oder ob man erkennt, dass jemand der mit einer solchen Gabe ausgestattet ist, sich gewissermaßen als lebensunfähig erweist.
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Ricore: Sie plädieren also eher für Offenheit. Liegt darin auch ein Ziel der Akademie des Österreichischen Films, deren Mitbegründer Sie ja sind?

Markovics: Wenn man so will, ja. Es ist in erster Linie als Forum von Filmschaffenden für Filmschaffende gedacht. Es geht um die ganze Bandbreite, die Filmschaffende darstellen, vom Unterhaltungsfilm bis hin zur anspruchsvollsten Experimentalabteilung, quer durch also. Das Spannende ist ja, dass eine Gemeinschaft aus so unterschiedlichen Persönlichkeiten eine Art Sammelbecken bekommt, wo sich die aktuellen Talente auch gegenseitig beeinflussen. Nicht zuletzt ist man ja, und das jetzt bitte nicht überbewerten, Teil einer nationalen Kultur. Diese hat sich ja gerade in den letzten Jahren verstärkt gezeigt. So verankert ist es aber auf der anderen Seite doch wieder nicht, daher auch die Gründung der Filmakademie.

Ricore: Widersprechen die Aufnahmekriterien der Akademie nicht der Offenheit, von der Sie sprechen?

Markovics: Es läuft eigentlich ähnlich, wie an anderen Akademien auch. Es ist eben ein Forum für Filmschaffende, es geht darum, diese Gruppe abzugrenzen. Es gibt gewisse Kriterien, wie die die Aufnahme beeinflussen. So müssen es etwa österreichische Produktionen, oder zumindest zur Hälfte österreichische Produktionen sein. Man muss ja irgendwie festhalten, dass es sich um Branchenleute handelt. Ansonsten gibt es da eigentlich keine Ausschlusskriterien nach dem Motto, jemand würde nicht die richtige Art von Filmen machen. Es ist eher eine branchenspezifische Sortierung und sicherlich keine geschmackliche.

Ricore: Welchen Einfluss hatte der internationale Erfolg von "Die Fälscher" auf ihre Karriere?

Markovics: Ich würde sagen, das Verhältnis zwischen dem, was ich im Fernsehen und dem, was ich im Kino mache, hat sich im Vergleich zu früher umgedreht. Die Angebote für Kinofilme, ob es jetzt deutsche, österreichische oder internationale Produktionen sind, sind im Verhältnis zu den Fernsehangeboten gestiegen. Früher habe ich 20 Prozent Kinofilme gemacht und 80 Prozent fürs Fernsehen, das ist jetzt eben umgekehrt.

Ricore: Wie sehr wird das Theater derzeit vernachlässigt?

Markovics: Das ist bei mir immer so eine Sache von Phasen. Wenn ich spüre, dass ich jetzt wahnsinnig gern Theater spielen würde und das dann mit einem Angebot zusammenfällt, dann mach ich das Theater, auch jetzt und in nächster Zeit wieder. Aber die Phasen werden immer größer und ich merke, dass mich das Theater im Vergleich zu früher immer mehr anstrengt. Was mich dabei vor allem belastet, ist die lange Spielzeit von Produktionen. Darüber können angestellte Ensemblemitglieder wahrscheinlich nur lachen, aber ich werde mittlerweile schon ab der zwölften Vorstellung nervös. Das ist glaub ich auch eine Alterssache, mir fällt die Reproduktion eines Abends dann immer schwerer.
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Karl Markovics in "Die Fälscher"
Ricore: Sie meinen, im Nachhinein nochmal über die Leistung nachzudenken?

Markovics: Nein, vielmehr meine ich, sich jeden Abend wieder neu auf diesen Nullpunkt einzulassen, wenn man 30 oder 40 Vorstellungen spielt. Ich will in keine Routine verfallen und immer wieder die gleichen Sachen machen, nur weil sie gut gegangen sind. ich will bei jedem Mal eine Art Wagnis eingehen und einen Kraftakt vollziehen. Mir geht es darum, bei der Vorstellung, die man spielt, mindestens einen halben Schritt weiter zu kommen, als bei der Vorstellung, die man schon gespielt hat. Das erfordert eine unglaubliche Kraft. Zwar hat es mich die wahrscheinlich auch schon früher gekostet, nur habe ich das damals wohl nicht so stark empfunden, wie ich das heute tue.

Ricore: Was zeichnet Sie neben ihrem Ehrgeiz noch als Schauspieler aus?

Markovics: Ich bin auf jeden Fall ein schonungsloser Schauspieler. Ich halte an Kraft nichts zurück, ebenso wenig an Selbstschutz. Es ist nicht so, dass ich feststelle, dass das Publikum an einem Tag nicht so gut ist und dann beschließe, ihnen nur die Hälfte zu geben. Es geht bei mir nicht, nicht alles zu geben. Das hat glaub ich nicht so viel mit Ehrgeiz zu tun, sondern ich kann einfach nicht anders. Auch wenn das vielleicht entsetzlich klingt, spiele ich in erster Linie für mich und nicht für ein Publikum. Das brauche ich, obwohl es wahrscheinlich total eingebildet klingt. Zumindest ist es ehrlich. Ich brauche diesen Ausdruck einfach für mich.

Ricore: Wozu benötigen Sie den Ausdruck?

Markovics: Nun ja, auch das mag wieder sehr banal erscheinen. Aber letztlich ist es ein ähnlicher Vorgang wie das Atmen. Man kann ja schließlich auch nicht nicht atmen. Es tut mir eben gut. Zum Glück muss ich nicht darüber nachdenken, da es ohnehin passiert. Mit dem Spielen ist es auch so. ich habe mir ja auch nie was anderes vorstellen können, weil es gar nicht anders geht.

Ricore: Ist die Schauspielerei für Sie eine Sucht.

Markovics: Nein, keine Sucht, eine Lebensfunktion.

Ricore: Zum Überleben?

Markovics: Überleben klingt so stark, so groß, so fatalistisch. Sagen wir einfach, man braucht es zum Leben.

Ricore: Brauchen Sie Zigaretten auch zum Leben?

Markovics: Ja, ja, ich rauche. Das bewerte ich aber nicht so. ich kann aufhören und aber auch immer wieder anfangen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 1. Juli 2010
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Karl Markovics wird 1963 als Sohn einer Verkäuferin und eines Busfahrers in Wien geboren. Er weiß schon früh, dass er Schauspieler werden möchte. Obwohl er am Indien" sein Kinodebüt hin. Sein bislang größter internationaler Erfolg ist die Hauptrolle in dem mit einem Die Fälscher". Mit anderen österreichischen Filmschaffenden gründet Markovics am elften März 2009 die Österreichische Filmakademie.
Als der Komponist (Johannes Silberschneider) der Affäre seiner Frau (Barbara Romaner) mit dem Architekten Walter Gropius (Friedrich Mücke) auf die Schliche kommt, beginnt seine Eifersucht Herr über ihn und sein Schaffen zu bekommen. Den letzten Ausweg sieht das Genie in einem Besuch Sigmund Freuds (Karl Markovics). In ihrer ersten Zusammenarbeit zeichnen Percy Adlon und Sohn Felix die Ehekrise Gustav Mahlers mit viel Sarkasmus. Dennoch gelingt ihnen eine sensible Studie über die Verdrängung.
2024