Basis Film
Rosa von Praunheim in "Meine Mütter - Spurensuche in Riga"
Schwulsein ist heute langweilig
Interview: Rosa von Praunheims wilde Jahre
Auf seiner Homepage ist zu lesen, dass Rosa von Praunheim seit über 30 Jahren die Nation mit über 60 Filmen, Talkshows, Büchern, Hörspielen und Theaterstücken nervt. Manch einer wird ihm zustimmen, andere verdanken Holger Bernhard Bruno Mischwitzky - so sein bürgerlicher Namen - viel. Der schwule Filmemacher ist ein äußerst produktiver Künstler. Mit "New York Memories" realisiert er 2010 eine sehr persönliche Dokumentation. Darin reflektiert die 68-jährige Schwulen-Ikone seine persönlichen Erfahrungen von New York. Dazu gehören der Ausbruch von Aids, das Aufkeimen der Schwulen- und Lesbenbewegung sowie Andy Warhol und die Beat Generation. Zudem erzählt er uns, warum heute Schwulsein nicht mehr untergrundtauglich ist.
erschienen am 16. 07. 2010
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New York Memories
Ricore: Wie kam es 1971 dazu, dass Sie ausgerechnet nach New York gegangen sind?

Rosa von Praunheim: Amerika hat mich schon immer interessiert. Vor allem die Beat Generation der 1950er Jahre und die Pop-Art, die ebenfalls Mitte der 1950er entstanden ist, haben mich sehr inspiriert. Die Underground-Filme und Andy Warhol waren für mich Mythen und Legenden. Aus diesem Grunde wollte ich unbedingt nach New York um all das einmal mit eigenen Augen zu sehen und zu erleben.

Ricore: Es war letztlich aber auch eine finanzielle Frage, nicht?

von Praunheim: Klar, ich musste zuvor mehrere Filme drehen, um Geld zu verdienen und um mir die Reise leisten zu können. 1971 war es dann endlich soweit (lacht).

Ricore: Wie wirkte die Stadt damals auf Sie?

von Praunheim: Es war ein Erlebnis. Die Stadt ist ein Wahnsinn. Man muss aber sagen, nicht jedem gefällt New York. Man muss die Vielfalt, die Hektik, die Unruhe mögen. Ich habe ein expressionistisches Gefühl in mir, weshalb mich derart große, hektische Städte begeistern. Natürlich haben es mir die Subkulturen, die Gegenbewegungen angetan. Es war nicht wie heute. Heute ist New York reich. Damals lebten Künstler aus aller Welt mit wenig Geld in der Stadt. Das ist heute unmöglich.

Ricore: Wie lange waren Sie in New York?

von Praunheim: Das kann ich nicht genau sagen. Ich bin immer wieder gekommen. Einmal waren es nur ein paar Wochen, ein andermal einige Monate. Bis 1995 bin ich in regelmäßigen Abständen immer wieder nach New York geflogen, habe dort Filme gedreht und das Leben genossen.
Moviemento
Rosa von Praunheim in "Auf der anderen Seite der Leinwand - 100 Jahre Moviemento"
Ricore: Was ist dann passiert?

von Praunheim: Dass ich über zehn Jahre nicht mehr in New York war, hatte unter anderem auch politische Gründe. Die Bush-Regierung hat mir einfach nicht behagt. Ich hatte keine Lust mehr auf das Land. Zudem hatte ich das Gefühl, dass sich das Leben in New York verändert hat. Die Stadt ist reich und sauber geworden, die Underground-Szene hat sich etabliert. Meine geliebten Subkulturen sind weggefallen. Als ich dann aber für "New York Memories" 2009 zurückgekehrt bin, war ich dennoch überrascht, wie viel Energie New York immer noch hat.

Ricore: Sie sind mit Ihrem Freund Oliver nach New York gereist?

von Praunheim: Ja, er hat die Stadt geliebt. Er konnte das Leben in New York natürlich nicht mit früher vergleichen, sondern ist frisch an die Sache herangegangen. New York scheint die Fähigkeit zu besitzen, sich immer wieder neu zu regenerieren, Neues hervorzubringen.

Ricore: Haben Sie durch seinen Augen neue Facetten von New York kennengelernt?

von Praunheim: Als älterer Mensch tendiert manchmal dazu, zu jammern. Man sagt dann gerne: "Früher war alles besser und schöner." Das geht fast allen so. Man hält an seinen Erinnerungen fest. Allerdings muss man aufpassen, dass man sich nicht in der Vergangenheit verliert. Ich habe versucht, die Stadt neu zu erobern. Viele Künstler sind in die Vorstädte gezogen, wo das Leben billiger ist. Nun kämpfen sie da um ihre Kunst und versuchen dort Erneuerungen.

Ricore: Ihre Filme wurden aber stets in Deutschland finanziert?

von Praunheim: Ja natürlich. Ich habe das Geld von deutschen Förderungen bekommen, ob es nun das Fernsehen oder andere Institutionen waren. Ich war glücklicherweise nicht auf amerikanische Förderungen angewiesen, denn diese zu bekommen ist sehr schwer. Künstler haben es in New York sehr, sehr schwer, Geld für ihre Projekte zu bekommen, selbst für ambitionierte Projekte. Denn in Amerika setzt man schon lange auf Kommerz. Das ist grausam für Künstler. In Deutschland gibt es in letzter Zeit eine ähnliche Tendenz. Ich sehe es als großes Glück an, dass ich damals und auch heute noch aus beiden Welten das Positivste schöpfen konnte und kann. Ich kriege von Deutschland das Geld und kann mich in New York von der ungeheuer kreativen Szene inspirieren lassen, die ich in vielen Filmen dokumentiert habe.
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Rosa von Praunheim in "Rosas Höllenfahrt"
Ricore: Sie sagen in "New York Memories", dass New York die schwulste Stadt der Welt sei. Trifft das heute auch noch zu?

von Praunheim: Nun ja, natürlich gibt es auch heute noch sehr viele Schwule, die in allen möglichen Bereichen Einfluss nehmen. Aber das bedingt sich schon allein aus der gigantischen Einwohnerzahl der Stadt. Heute ist beispielsweise das Nachtleben für Schwule in Berlin viel interessanter als in New York. Es ist viel freier. Gerade in Amerika wurde in den letzten zehn Jahren eine sehr rigide Politik geführt. Schwulendiscos oder Sexclubs, die sich auch nur in entfernter Nähe zu Kirchen oder Schulen befanden, wurden geschlossen. Das war natürlich sehr willkürlich. Insofern ist das Leben für Schwule in Amerika sehr kontrolliert und wurde in den privaten Bereich gedrängt. Berlin ist inzwischen viel offener und interessanter.

Ricore: Sprechen Sie hier Ex-Bürgermeister Rudolph Giuliani an, unter dem New York 'sauberer' wurde?

von Praunheim: Es fing mit Kunstwerken an. Künstler haben beispielsweise Förderungen bekommen, wurden dann aber von Giuliani angegriffen. Er verbot ihnen, ihre Sachen auszustellen. Seine Politik griff sehr in jene Freiheit ein, die sich gerade Schwulen und Lesben erkämpft hatten. Immerhin wird heute noch weltweit an den Christopher Street Day erinnert. Das war die Geburtsstunde der Schwulenbewegung. Damals hat sich viel getan, Hunderttausende sind auf die Straßen gegangen und haben sich Stück für Stück Rechte erworben. Als Giuliani kam und von staatlicher Seite große Einschnitte machte, war das ein großer Rückschritt.

Ricore: Unter dem Deckmäntelchen der Moral…

von Praunheim: Ja und das ist schade, denn Clubs leben davon, dass Leute innovativ sind, neue und gewagte Sachen ausprobieren. Das ist heute in New York sehr schwer beziehungsweise unmöglich. Die Stadt reguliert beinahe alles.

Ricore: Und wie steht es mit der Toleranz gegenüber Homosexuellen?

von Praunheim: Es hat sich sehr viel getan. Heute sind Schwule offener, freier und etablierter. Schwulsein hat sich gewissermaßen verbürgerlicht. Eine entsprechende Underground-Szene gibt es kaum mehr. Früher kam das von unten. Leute haben mit ihrem Herzblut für Freiheit und Rechte gekämpft. Das hat sich heute etabliert. Wie in Deutschland auch. Je moderner eine Gesellschaft wird, desto weniger aufregend wird Underground und Homosexualität.
Rosa von Praunheim Filmproduktion
Rosa von Praunheim ("Tote Schwule und Lebende Lesben")
Ricore: Sie haben auch die revolutionären Seiten erlebt...

von Praunheim: Natürlich. Ich war in New York als Aids aufkam und man für Anerkennung der Krankheit kämpfte. Das waren aufregende Zeiten. Heute ist alles ruhiger geworden, und dadurch auch ein Stück langweiliger.

Ricore: Ist die Gesellschaft heute wirklich toleranter gegenüber Homosexuellen?

von Praunheim: Mit Sicherheit, aber das betrifft nur bestimmte Länder und Regionen. Sogar hier in Europa herrscht in manchen unserer Nachbarländer wie Polen und Russland massive Intoleranz gegenüber Schwulen und Lesben, geprägt durch die Kirche. Natürlich ist auch ein großer Teil der Amerikaner sehr religiös. Von denen geht letztlich auch ein starker Schwulenhass aus.

Ricore: Hat sich durch den 11. September 2001 in dieser Beziehung etwas verändert?

von Praunheim: Nein, ich glaube nicht, dass dies in einem Zusammenhang steht.

Ricore: Als Sie damals nach New York gingen, waren Sie in Deutschland bereits eine Ikone der Schwulenbewegung, nicht zuletzt durch Ihre Filme "Die Bettwurst" und "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt". Hat Ihnen das in New York geholfen, sich durchzusetzen?

von Praunheim: Solche Filme üben letztlich nur im Underground Einfluss aus und betreffen auch nur eine bestimmte Schicht von Menschen. Durch meinen Schwulenfilm besaß ich in New York schon eine kleine Fangemeinde. Einige meiner Filme wurden immer wieder einem gewissen Publikum gezeigt. Dadurch dass ich die Schwulen-, Lesben- und Transgenderbewegung immer wieder dokumentiert habe, war ich im ständigen Kontakt mit den Personen und mittendrin in dieser Bewegung.

Ricore: Sie haben auch mehrere Filme über Aids gedreht...

von Praunheim: Ja, ich habe den Kampf betroffener Menschen gegen die Krankheit dokumentiert. Das hat mich natürlich stark mit ihnen verbunden. Insofern gehörte ich quasi zur Familie.
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Rosa von Praunheim
Ricore: Amerika gilt aber auch als offenes Land...

von Praunheim: Ja, das liegt daran, dass Amerika ein Einwanderungsland ist. Als ich in Soho gelebt habe, wohnten mit mir im selben Haus Menschen aus 150 Nationen. Ohne Offenheit und Aufgeschlossenheit dem Fremden gegenüber geht es da gar nicht. In Deutschland ist das oft umgekehrt. Hier werden Fremde oft noch belächelt und als negativ bewertet. In New York lernt man Toleranz und Offenheit. Gerade auch was die Sprache betrifft. Kommt jemand aus einem anderen Kulturkreis, geht man mit Offenheit auf ihn zu. Das heißt natürlich nicht, dass das Land frei von Rassismus ist. Natürlich gibt es auch dort große Probleme. Aber der Ansatz ist ein anderer.

Ricore: Wenn man dann von außen kommt, merkt man das wahrscheinlich am eigenen Leib?

von Praunheim: Klar. Es ist beispielsweise wunderbar, wenn man auf einer Party vorgestellt wird und die Leute kennen später immer noch deinen Namen. Das ist Höflichkeit. Dadurch gibt man dem Anderen das Gefühl, dass er wertvoll ist und ernst genommen wird. Das ist großartig. Auf der anderen Seite ist Amerika natürlich stark nationalistisch. Gerade wenn man sich die Provinzen ansieht. New York ist allerdings durch seine Vielfalt an Kultur, an Menschen, an Nationalitäten schon von Haus aus offen.

Ricore: Werden Sie nach New York zurückkehren?

von Praunheim: Das weiß ich noch nicht. Vorerst bin ich in Deutschland mit Arbeit eingedeckt. Gerade eben habe ich einen Film in Rumänien über Prostitution gedreht. Es kommt immer auf die Themen an. Und ich habe noch sehr viele Ideen. Das Schöne am Älterwerden ist, dass man sehr viel gespeichert hat. Ich suche nicht mehr so sehr das Abenteuer außen, sondern es ist innen so viel da, das nur darauf wartet, aufgearbeitet zu werden.

Ricore: Wie schätzen Sie heute Ihre Zeit in New York ein?

von Praunheim: Rückblickend glaube ich, dass meine Jahre in New York die wichtigste Zeit meines Lebens war. Ich habe Menschen kennengelernt, die mich sehr schnell ins Herz geschlossen haben. Umgekehrt natürlich genauso. Man kommt am Flughafen an und innerhalb weniger Minuten ist man wieder mit Menschen zusammen, die aufregend und inspirierend sind. Das hat mich immer sehr angeregt.

Ricore: Im Film fällt aber auch der Begriff "New York Müdigkeit"...

von Praunheim: Wenn man länger dort lebt, spürt man natürlich die Mängel des Staates: das Gesundheitssystem, die sozialen Probleme, den Kommerz. Amerika hat durchaus seine Nachteile und bietet seinen Menschen mitunter ein sehr hartes Leben. Ich hatte nur das Glück, dass ich immer von Deutschland aus abgesichert war. Wäre ich auf amerikanisches Geld angewiesen gewesen, wäre mir die Arbeit unmöglich gewesen. Wir sind hier in Deutschland wirklich verwöhnt.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 16. Juli 2010
Zum Thema
Der schwule Filmemacher Rosa von Praunheim ist einer der wichtigsten Vertreter des postmodernen deutschsprachigen Films. Er war maßgeblich an der Gründung der Schwulen- und Lesbenbewegung in Deutschland beteiligt. Mit seiner offenherzigen, progressiven Art stieß er nicht immer auf Gegenliebe. 1991 löste er einen Skandal aus, als er Moderator Alfred Biolek und Komiker Hape Kerkeling in einer Fernsehsendung öffentlich als schwul bezeichnet. Damit trat er eine umstrittene Outing-Debatte los...
In seiner Dokumentation "New York Memories" blickt der schwule Filmemacher Rosa von Praunheim auf 40 Jahre New York zurück. Es ist die Stadt, die den Regisseur stets fasziniert hat, in der er lange Jahre gelebt, geliebt und gearbeitet hat. Er reflektiert die schrille Warhol-Zeit in den 1970ern, den Kampf gegen Aids in den 1980ern, die hoffnungsvollen 1990er, den 11. September 2001, die darauffolgende gesellschaftliche Starre, die aktuelle Wirtschaftskrise sowie über neue Träume und Hoffnungen..
2024