Kool Filmdistribution
Christian Frei ("War Photographer")
Die Unendlichkeit des Weltraums
Interview: Überflieger Christian Frei
Mit "Space Tourists" begibt sich der Schweizer Christian Frei in die Weiten des Weltraumes. Er begleitet zwei Weltraumenthusiasten auf ihrer Reise in den Orbit und zeichnet gleichzeitig ein ebenso eindringliches wie nostalgisches Bild von der russischen Weltraumbehörde Roskosmos. Diese ist aufgrund finanzieller Notlage immer mehr gezwungen, "Touristen" auf ihren Weltraumflügen mitzunehmen. In unserem Interview sprach der für einen Oscar nominierten Filmemacher über seine nächste Dokumentation, seine Weltraumbegeisterung sowie seine Skepsis gegenüber der Kommerzialisierung des Weltraumtourismus.
erschienen am 24. 07. 2010
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Space Tourists
Ricore: Herr Frei, ein wesentlicher Aspekt von "Space Tourists" ist die Raumfahrt-Begeisterung. Wie viel Begeisterung für das Thema steckt in Ihnen?

Christian Frei: Ich war zehn Jahre alt, als die Mondlandung stattfand. Und diese westliche Sicht auf die Weltraum-Errungenschaften hat auch mich geprägt. Aber Gagarin, Sputnik, die Hündin Leika, die erste Frau im All - das waren alles russische Rekorde. Bei der Recherche zum Film entdeckte ich dann, wie faszinierend diese Welt ist. Diese Sperrzonen, die sich plötzlich auftaten. Das Kosmodrom Baikonur, wo hunderttausend Leute arbeiteten und das trotzdem auf keiner Landkarte verzeichnet war. Mich interessierte auch der Zukunftsaspekt in diesem Thema. In den fünfziger und sechziger Jahren zweifelte niemand daran, dass es nur eine Frage von wenigen Jahren sei, bis ganze Familien in den All fliegen werden. Mit dieser Stimmung bin ich aufgewachsen. Heute ist Weltraumtourismus eine Realität. Aber eben eine ganz andere, als man sich damals vorstellte. Statt mit Zukunftsraketen, fliegen die westlichen Milliardäre mit der guten alten Sojus!

Ricore: Was ist ihre persönliche Sternstunde der Raumfahrt?

Frei: Es war schon eine riesige Leistung, in den erschwerten Bedingungen während der Sowjetunion einen Satelliten ins All zu befördern. Den Sputnik-Schock kann man gar nicht überschätzen. Das war schon faszinierend.

Ricore: Wie kam es zu der Idee von "Space Tourists"?

Frei: Ich las einen kurzen Artikel über einen japanischen Computer-Milliardär, der mit einer Sojus-Rakete zur Internationalen Raumstation fliegen wollte - damit er oben im All einen speziell angefertigten Raumanzug anziehen kann, einen sogenannten Mobile Suit, inspiriert von seiner Lieblings-Comic-Figur aus einem Gundam-Film. Das kann doch wohl nicht wahr sein, dachte ich zuerst. Ein Japaner gibt zwanzig Millionen Dollar aus, um im All das Kostüm einer Trickfilm-Figur zu tragen? Und wie genau reist er da hinauf? Ich begann zu recherchieren und war bald gefesselt vom Thema
Kinostar
Christian Frei am Set von "The Giant Buddhas"
Ricore: Im Film gibt es unterschiedliche Kamera-Qualitäten. Gibt es einen Grund dafür?

Frei: Wenn man im Umfeld der Raumfahrt einen Dokumentarfilm dreht, muss man irgendwann feststellen, dass das nicht so einfach ist. Es ist eine Welt, die so kontrolliert, so sehr mit Militär und Geheimdienst verknüpft ist, dass es unmöglich ist, auf normale Weise einen Film zu machen. Das war von Anfang an klar. Und so habe ich mit viel Geduld versucht, authentische Momente zu erreichen. Zum Teil wurde das Material von Leuten gefilmt, die keine Filmemacher sind. Sie haben aus versicherungstechnischen Gründen die Aufnahmen gemacht. Daraus ergaben sich die unterschiedlichen Bildqualitäten des Films.

Ricore: Es standen also keine dramaturgischen Überlegungen dahinter?

Frei: Nein, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, ich war bestrebt, die Unterschiede auszugleichen. Der Qualitätsunterschied ist in erster Linie ein Schärfenunterschied. Wenn einige Aufnahmen etwas körniger ausfielen, dann versuchte ich, sie etwas zu glätten. Schließlich wollte ich nicht primär (filmisches) Material vorführen, sondern eine Geschichte erzählen. Ich bin kein Materialfetischist.

Ricore: Wie kam es eigentlich zu den Aufnahmen im Weltraum?

Frei: Die Aufnahmen kamen von Anousheh Ansari. Sie hat sie mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Sie hat sehr schöne Bilder gemacht. Zum ersten Mal ist das alltägliche Leben auf der Raumstation zu sehen. Die typischen Weltraum-Bildern, die man immer wieder im Fernsehen zu sehen bekommt, haben mich immer etwas gelangweilt. Davon wollte ich unbedingt wegkommen. Es gibt da oben so etwas wie eine Alltäglichkeit. Sie leben zusammen, es gibt ganz normale soziale Situationen. Aber dass das jemand auch filmt, war gar nicht so selbstverständlich. Technisch gab es allerdings einige Schwierigkeiten. Der Ton war teilweise so schlimm, dass wir ihn in London von einem Großcomputer aufbereiten ließen. Es war ein Rechner, der nicht nur Frequenzanalysen machen kann, sondern aus dem ganzen Rauschmüll Sprache herausfiltern kann. Das war sehr kompliziert und hat mich tausende Franken gekostet.
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Dumitru Popescu in "Space Tourists"
Ricore: Sind sie im Vorfeld von "Space Tourists" auf Frau Ansari zugegangen?

Frei: Nein, ich wollte eigentlich den erwähnten Japaner filmen. Dieser konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht fliegen und so wurde er von Anousheh ersetzt. Sie wollte im Sternenstädchen eigentlich nur trainieren. Drei, vier Wochen vor dem Start wurde sie gefragt, ob sie mitfliegen will. Sie hat natürlich nicht lange überlegt und hat zugesagt. Zu der Zeit befand ich mich schon in Baikonur, und so kam ich zu ihr.

Ricore: Kann man mit dem Motiv des Fliegens die Suche des Menschen nach etwas Höherem, dem Metaphysischen assoziieren?

Frei: Der Gedanke steckt auf jeden Fall da drin. Wir leben auf einem Planeten, den wir als absolut betrachten. Das ist unser Lebensraum. Allein das Reisen auf dem Planeten zeigt wie verschiedenartig er ist. Wenn man sich aber von diesem Planeten entfernt, erlebt man ihn als winzige blaue Kugel. Dabei erkennt man, dass der Mensch nicht mehr als ein Sandkorn in der Unendlichkeit ist. Natürlich drängen sich da Fragen über Raum und Zeit auf. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Gedicht von Arseni Tarkovsky zu, das ich im Film zitiere. Es sagt nicht nur etwas über Raum, sondern auch über Zeit aus. "Hinter mir Myriaden von Einzellern, vor mir Myriaden von Sternen". Irgendwo dazwischen steht der Mensch in Raum und Zeit?

Ricore: Ist der metaphysische Aspekt der Grund, wieso es in "Space Toursits" so viele Anklänge an das Werk Andrej Tarkowskijs gibt, dem Sohn des Dichters Arsenij, den Sie soeben angesprochen haben?

Frei: Ja, er hat mich schon beeinflusst. Zum Beispiel erinnerte mich Baikonur ganz stark an die "Zone" aus "Stalker".

Ricore: Haben Sie deswegen auch auf die Musik aus "Stalker" zurückgegriffen?

Frei: Ja, ich kontaktierte den Komponisten von "Stalker", Eduard Artemyev, der zurzeit in Moskau lebt. Er war ein Pionier der elektronischen Musik und hatte viele große Erfolge als Filmkomponist. Es waren wunderschöne Klangerlebnisse, wenn er Bach auf Synthesizern spielen ließ. Diese ambivalenten Töne, die er erzeugte, klingen heute schon wieder altmodisch. Heute hört man in der elektronischen Musik die Bits und Bytes nicht mehr. Damals war das anders. Man konnte den Synthesizer noch hören und dass etwas in Informationen zerlegt wurde. D.h. also, heute tönt die Zukunftsmusik etwa aus "Solaris" altmodisch. Das ist im Grunde das Thema in meinem Film: die Paradoxie zwischen Zukunft und Vergangenheit oder anders gesagt: die Vergangenheit, die in der Zukunft durchscheint.
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Christian Frei in "The Giant Buddhas"
Ricore: Haben Sie zu "Space Tourists" auch Stücke komponieren lassen?

Frei: Nein, aber ich arbeitete mit dem Münchner Musikproduzenten Manfred Eicher zusammen. Er ist ein großer Vertreter neuzeitlicher Musik, was ich sehr spannend finde. Er hat jeden meiner Filme begleitet, indem er mir mit Rat und Tat zu Seite stand. Er sagt manchmal, dass mein Musikgeschmack kitschig sei und dass es viel komplexere Musik gebe. Und so streiten wir oft über die Musikauswahl, was zu unserer Zusammenarbeit einfach dazu gehört.

Ricore: Kritisieren Sie die wirtschaftliche und politische Entwicklung der Weltraumbehörde und/oder Russlands?

Frei: Ich behaupte nichts, sondern beobachte und entdecke. Eine Entdeckung war dann eben die, dass die Zukunft eher nach Vergangenheit aussieht. Ich interessierte mich dafür, warum Baikonur so ist, wie es ist? Weshalb ist der Kalte Krieg zu Ende? Die gegenwärtige Situation der russischen Weltraumbehörde hat mit diesen Fragen zu tun. Mit dem Versuch, das Space Shuttle nachzubauen, haben sich die Sowjets übernommen, es war einfach zu viel. Gorbatschow sagte einmal, die Ausgaben für die Raumfahrt verschlinge ein Jahresbudget der Sowjetunion. Das heißt, es ist heute alles Geschichte.

Ricore: Sind Sie während der Arbeit im Umfeld der Raumfahrtbehörde auf Menschen gestoßen, die sich das sozialistische System zurückwünschen?

Frei: Eine gewisse Nostalgie war bei Menschen, die auf ihre Errungenschaften in der Raumfahrt stolz sein konnten, schon vorhanden. Das heißt aber nicht, dass sich diese Menschen die Stalinzeit zurückwünschen. Es gibt berechtigten Stolz auf diese Errungenschaften und ich verneige mich auch vor der Schönheit der Sojus-Raketen.

Ricore: Ein zentraler Satz im Film lautet: "Die Neugier ist dem Kalkül gewichen". Ist der Weltraumtourismus reine Kommerzialisierung seitens der russischen Weltraumbehörde oder hat das mit Existenzbewahrung zu tun?

Frei: Ich habe sehr viel Verständnis für die Entscheidung von Roskosmos, die Arbeitsplätze zu retten, indem man zahlende Passagiere in den Weltraum mitnimmt. Ich kritisiere das in meinem Film keinesfalls. Aus einer gewissen Perspektive kann man darin sicher auch eine Art von Verkauf erkennen. Dennoch: Raumfahrt kann man in diesem Zusammenhang mit der Kunst vergleichen. Es ist faszinierend, aber im Grunde etwas Unnötiges. Wenn die Raumfahrt dafür kritisiert wird, dass sie zu teuer ist, dann könnte auch ich als Künstler aufhören zu arbeiten. Es soll auch Unnötiges geben. Wenn man die Situation aus Sicht der Kosmonauten betrachtet, dann merkt man, dass das für sie viel emotionaler ist. Sie müssen befürchten, nicht mehr fliegen zu können.
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Jonas Bendiksen in "Space Tourists"
Ricore: Glauben Sie persönlich an den Erfolg des Weltraumtourismus?

Frei: Ich würde mir nicht wünschen, dass zukünftig zehntausende Menschen in den Weltraum fliegen. Aber abgesehen davon wird die Raumfahrt physikalisch so aufwendig bleiben, dass sie wohl nie wirklich kommerzialisiert werden kann. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Wie das da oben aussieht, zeigt letztlich mein Film. Ich nehme die Zuschauer auf die Reise mit. Es kostet nur zehn Euro und man darf dabei sein.

Ricore: Eine große Rolle spielt auch der rumänische Raketen-Enthusiast Dumitru Popescu. Ironisieren Sie im Film seine Bemühungen?

Frei: Nein, Dumitru ist für mich ein toller Mensch mit einer tiefen Vision. Seinen Ehrgeiz verkaufe ich nicht als Monty-Python-Nummer. Natürlich ist klar, dass er nie bis zum Mond fliegen wird. Das gehört zum Extremsten, was die Menschheit je geleistet hat - auch in finanzieller Hinsicht. Aber theoretisch würde es durchaus funktionieren. Das ist das Faszinierende. Allein die Idee, mit selbst gebauten Mitteln in den Orbit zu fliegen, ist schon unglaublich.

Ricore: Der kurze Animationsfilm in "Space Tourists" ist damit quasi die Fortführung seiner Idee?

Frei: Ja, den Film hat er gemacht, nicht ich.

Ricore: Sie haben insgesamt drei Jahre gebraucht, um die Dokumentation fertigzustellen. Liegt das an einer akribischen Arbeitsweise von Ihnen oder an den Produktionsbedingungen?

Frei: Die Oberfläche der Informationsebene kann ich nur durchbrechen, wenn ich wirklich die Zeit habe, tief in die Materie einzutauchen. In einem Kino-Dokumentarfilm erlebt man schließlich den Stoff, man wird nicht nur informiert. Entsprechend ist der Aufwand so riesig. Am Anfang von "Space Tourists" landet der Fallschirm in der riesigen kasachischen Steppe. Dann wird die Kapsel geöffnet, und die Astronauten werden daraus befreit, als würden sie neu geboren werden. Allein diese wenigen Filmminuten haben wir wochenlang vorbereitet. Hätte ich nicht diese Zeit und diesen Aufwand investiert, hätte ich nur eine Information vermittelt, aber keine Geschichte erzählt.

Ricore: Dokumentarfilme erleben zurzeit einen Boom. Woran liegt das ihrer Meinung nach?

Frei: Ja, wir leben in einer goldenen Zeit des Dokumentarfilms. Ich glaube, es gibt ein immer größeres Bedürfnis des Menschen, reale Welten im Kino zu erleben. Der Mensch wünscht sich, komplexere Aussagen zu erfassen, Spannung, Freude und Konflikte mit anderen Menschen teilen zu können. Das unterscheidet den Dokumentarfilm von journalistischen Annäherungen an ein komplexes Thema. Vor allem grenzt ihn das von schlecht gemachter Fiktion ab. Die Realität ist einfach reicher, als wie man sie oft in fiktionalen Filmen zu sehen bekommt.

Ricore: Haben Sie schon ein nächstes Projekt im Visier?

Frei: Ja, aber darüber kann ich noch nichts sagen. Das muss alles noch wachsen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 24. Juli 2010
Zum Thema
Space Tourists (Kinofilm)
"Space Tourists" ist eine Dokumentation über drei Menschen, die das ehrgeizige Ziel haben, in den Weltall zu reisen. Da ist die Unternehmerin Anousheh Ansari, die als erste Weltraumtouristin in die Geschichte eingegangen ist. Auch Software-Entwickler Charles Simonyi bereitet sich auf seine erste Weltraummission vor. Und schließlich der Rumäne Dumitru Popescu. Er träumt davon, mit einem von ihm selbst konstruierten Raumschiff den Weltraumtourismus zu begründen. "Space Tourists" ist eine..
Christian Frei, Jahrgang 1959, studiert Optische Medien an der Schweizer Universität von Freiburg. Seit 1984 arbeitet er als freier Filmemacher und realisiert Dokumentarfilme für das Schweizer Fernsehen. Seinen ersten Kino-Dokumentarfilm inszeniert er 1997 mit "Ricardo, Miriam y Fidel". Mit "War Photographer" erregt er internationale Aufmerksamkeit und erhält eine Oscar-Nominierung in der Kategorie bester Dokumentarfilm. Erfolgreich ist auch "The Giant Buddhas", in dem Frei die Zerstörung der..
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