Nina Klofac/Ricore Text
Sebastian Stern
Zweifel ist Teil der Arbeit
Interview: Sebastian Sterns Tragikomik
Noch gibt es über den Absolventen der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) Sebastian Stern nicht viel zu erzählen. Mit dem Spielfilm "Die Hummel" schließt er sein Studium ab. Die Tragikomödie läuft auf dem Filmfest München 2010 in der Sektion Neue deutsche Kinofilme. Ein großartiges Gefühl für den jungen Filmemacher, der für sein Debüt mit Jürgen Tonkel und Inka Friedrich zwei hochkarätige Stars verpflichten konnte. Wie er die Premiere erlebte, welche Gedanken durch seinen Kopf gingen und worauf er sich als nächstes stürzt, verrät er uns in einem entspannten Gespräch.
erschienen am 24. 08. 2010
Movienet Film
Die Hummel
Ricore: "Die Hummel" ist Ihr Abschlussfilm an der HFF und wurde gleich auf dem Filmfest München gezeigt. Was ist das für ein Gefühl?

Sebastian Stern: Bei der Premiere war ich sehr aufgeregt. Man arbeitet ja lange an so einem Projekt und verliert im Laufe der Zeit ein wenig die Neutralität. Gerade bei einem Film der mit Humor arbeitet, der sich an der Grenze zum Tragischen befindet, weiß man nie, ob der Funke beim Publikum überspringt. Man hofft und wünscht es zwar, aber die Ungewissheit bleibt. Ich war unglaublich erleichtert, als der Film begann und die Leute gelacht haben. Der Draht war da und ich wusste, dass die Geschichte funktioniert. Es ist schön, dass der Film hier bei diesem Festival die Chance bekommen hat, einem großen Publikum gezeigt zu werden.

Ricore: Es ist doch eher ungewöhnlich, dass ein Absolvent der Filmhochschule gleich bei einem Festival vertreten ist, oder?

Stern: An der Filmhochschule in München kommt es derzeit häufig vor, dass Absolventen für ihren Abschlussfilm einen Spielfilm wählen. Der Trend geht eindeutig dahin. Zum anderen gibt gerade das Münchner Filmfest jungen Filmemachern mit ihren ersten Werken eine Chance. Das ist sehr schön.

Ricore: Besteht also noch Hoffnung für den Deutschen Film?

Stern: Der junge deutsche Film hat meiner Meinung nach eine Lust entwickelt, sich mit dem Hier und Jetzt auseinander zu setzen. Das geschieht allerdings auf höchst unterschiedlicher Weise. Es gibt die sogenannte Berliner Schule, die diese Tendenz mit starker visueller Kraft aber auch einer gewissen Ernsthaftigkeit verfolgt. Andere wiederum gehen eher in die Stilisierung oder den Genrefilm, wie beispielsweise Alexander Adolph mit "Der letzte Angestellte". All das sind Filme, die sich mit der Gegenwart beschäftigen. Das finde ich sehr schön und wichtig.

Ricore: Wie gehen Sie mit der Gegenwart um?

Stern: Auf eine tragikomische Art und Weise, die nicht ganz realistisch ist, sondern das Geschehen eher mit einem Augenzwinkern begleitet. Trotzdem möchte ich mich mit der Gegenwart auseinandersetzen.
Movienet Film
Jürgen Tonkel: äußerlich optimistisch, innerlich zerissen
Ricore: "Die Hummel" dreht sich auch ums Scheitern. Hatten Sie je Angst, am Buch oder dem Film zu scheitern?

Stern: Ich hatte definitiv Angst vorm Scheitern. Ich habe sehr lange am Buch gearbeitet. "Die Hummel" ist ja auch mein erster Spielfilm. In 20 oder 30 Jahren hat man vielleicht etwas Routine und entwickelt eine bestimmte Sicherheit, aber die fehlt mir jetzt natürlich noch.

Ricore: Sie wussten also nicht von Anfang an, dass das Buch realisiert wird?

Stern: Nein, man schreibt jahrelang am Buch und weiß dabei nicht, ob es überhaupt verfilmt wird. Das ist eine sehr ungewisse Zeit. Man macht sich noch nicht einmal Gedanken über Finanzierungsmöglichkeiten. Man weiß nicht, ob diese ganze Arbeit letzten Endes auch Früchte trägt. Daher ist der Zweifel immer Teil des Arbeitens. Die Angst davor, dass die Sache nicht aufgeht, ist immer da. Schön wird es erst, wenn man weiß, dass es den Film irgendwie geben wird. Dann weiß man auch, dass die Entscheidungen, die man trifft, sichtbar sind.

Ricore: Wie lange haben Sie am Drehbuch geschrieben?

Stern: Von der Idee bis zur ersten Fassung hat es ein Jahr gedauert. Danach haben wir ein weiteres Jahr auf Finanzierungszusagen gewartet. In der Zeit haben wir das Drehbuch umgeschrieben und poliert. Ich bin jemand, der das Vorhandene poliert. Ich kann beispielsweise nicht ein bestehendes Buch komplett über Bord werfen und sagen, ich schreib einfach ein Neues. Ich versuche auf dem, was ich habe, aufzubauen und es zu verbessern. Ein Buch braucht eben auch seine Entstehungszeit, denn man entdeckt immer wieder neue Aspekte. Ich glaube nämlich, dass diese kleinen Veränderungen ein Buch letztendlich auch so lebendig machen.

Ricore: Gab es einen Moment, wo Sie alles hinschmeißen wollten?

Stern: Nein, den gab es glücklicherweise nicht. Wenn es mal nicht so gut lief, hab ich mir immer gedacht, es wäre schade um die schönen Passagen, die bereits gelungen sind.
Nina Klofac/Ricore Text
Sebastian Stern stellt sich auf dem Filmfest München den Fragen und Antworten des Publikums
Ricore: Woher nehmen Sie Ihre Inspiration für das Schreiben?

Stern: Ich kann keine Geschichte auf dem Reißbrett entwerfen oder konstruieren. Ich beobachte gerne Leute und gehe mit einer gewissen Neugierde und Absurdität durch die Welt. Dabei fallen mir bestimmte Dinge auf und die merke ich mir.

Ricore: Können Sie Beispiele nennen?

Stern: Begegnungen mit einem Vertreter beispielsweise oder Erzählungen eines Freundes, der selbst einmal in einem Strukturvertrieb gearbeitet hat. Solche Dinge addieren sich zu Puzzlesteinen. Spielt man damit ein wenig, ergeben sich diverse Möglichkeiten, wie man das vorhandene Material am schönsten zu einer Geschichte verarbeitet.

Ricore: Tragen Sie einen Vorrat an solchen Geschichten mit sich herum?

Stern: Ja, gewissermaßen, auch einen Vorrat an Menschen, wenn Sie so wollen.

Ricore: Hatten Sie während dem Schreiben bestimmte Schauspieler im Kopf, wer in welche Figur schlüpfen könnte?

Stern: Im frühen Stadium des Buches noch nicht. Da ging es eher um Stellvertreter des echten Lebens (lacht). Ich habe mir oft gedacht, im Moment verhält sich diese Figur so, wie eine Person, die ich kenne. Ich werde jetzt aber keine Namen nennen. Manchmal war es auch ich. Irgendwann kommt man natürlich an den Punkt, wo man sich die Frage stellt, wer könnte das jetzt spielen? Aber ich habe jetzt niemandem die Rolle auf den Leib geschrieben. Ich denke, dass die Rollen relativ offen angelegt sind, sodass die jeweiligen Schauspieler viel von ihrer eigenen Persönlichkeit mit einfließen lassen konnten.
Nina Klofac/Ricore Text
HFF-Absolvent Sebastian Stern im Jahr 2010
Ricore: Es gab also Platz für Improvisationen?

Stern: Nun ja, der Text ist ja an vielen Stellen sehr reduziert und trocken. Das bedeutet, dass die Lücken mit dem Spiel der Schauspieler aufgefüllt werden wollen. Da kommt eine Persönlichkeit wie jene von Jürgen Tonkel optimal zur Geltung. Er hat unglaublich viel zu geben, gerade was die Tragikomik betrifft. Das, was er letztlich aus der Figur gemacht hat, hätte ich nie derart detailliert niederschreiben können. Das meine Figuren lebendig werden, verdanke ich natürlich den Schauspielern. Aber was den Text betrifft, haben wir uns relativ strikt daran gehalten, weil er ja schon so komprimiert war.

Ricore: Hat Sie der Bekanntheitsgrad Ihrer Schauspieler am Set nervös gestimmt?

Stern: Beim ersten Kontakt, den ersten Proben war ich sicherlich etwas nervös. Man merkt aber schnell, dass die Zusammenarbeit einfacher ist, als man sie sich vielleicht vorgestellt hat. Ich hatte bereits die Möglichkeit, während des Studiums mit bekannten Darstellern zu arbeiten. Trotzdem war die Arbeit mit Jürgen Tonkel, Inka Friedrich und Michael Kranz nochmal eine andere Liga.

Ricore: Inwiefern wird die Zusammenarbeit einfacher?

Stern: Arbeitet man mit professionellen Darstellern, muss man seine Energie nicht darauf wenden, dass die Szene an sich gut funktioniert. Denn das ist Voraussetzung. Man kann seine Kraft höher ansetzen und schauen, dass man das Ganze zum Gänzen bringt.

Ricore: Wie haben Sie Jürgen Tonkel auf die Rolle angesprochen?

Stern: Das lief ganz offiziell über seine Agentur. Allerdings habe ich schon damals gesagt, dass ich gerne jemanden hätte, der ein süddeutsches Pendant zu Bill Murray ist (lacht). Seine Agentin meinte, ich solle ihm das sagen, denn Jürgen würde darauf mit Begeisterung reagieren.
Movienet Film
Die Hummel: Zwischen Tragik und Komik
Ricore: Und wie hat er reagiert?

Stern: Ich glaube, es hat ihn gereizt, eine tragikomische Figur zu spielen. Wir haben uns dann länger unterhalten und hatten beide das Gefühl, dass wir gut miteinander können. Ich habe Jürgen schon mal im Theater gesehen, das war lange vor "Die Hummel". Damals hat er den Killer in der Adaption von Aki Kaurismäkis "Vertrag mit meinem Killer" gespielt. Schon damals hat er sein Talent für das Tragikomische unter Beweis gestellt. Das hat selbst im Theater unglaublich gut funktioniert.

Ricore: Wie geht es jetzt weiter? Denken Sie schon an Ihr nächstes Projekt oder genießen Sie noch den Rummel um "Die Hummel"?

Stern: "Die Hummel" hat bis kurz vor dem Münchner Filmfest 2010 noch sehr viel Arbeit gemacht. Wir waren ja relativ schlank aufgestellt, was das Produktionsteam betraf. Wir sind ja nur ein Low-Budget-Projekt. Das heißt, dass ich vieles selbst gemacht habe, wie auch den Schnitt des Trailers. Aber ich werde mich demnächst mal hinsitzen und mit diesen beobachteten Figuren, die in mir herumgeistern, eine Form finden. Es gibt schon Ideen und Ansätze, aber sie warten darauf, zusammengebaut zu werden.

Ricore: Geht es wieder in die tragikomische Richtung?

Stern: Ja, das würde ich am liebsten machen. Ich selbst schaue mir im Kino auch mit Vorliebe Tragikomödien an.

Ricore: Gibt es Vorbilder?

Stern: Ich mag das Lakonische an "Broken Flowers" von Jim Jarmusch. Was die Leichtigkeit betrifft, mit schwierigen, persönlichen Themen umzugehen, finde ich französische Filme hervorragend, Agnès Jaoui beispielsweise. Auch britische Komödien mit sozialem Hintergrund finde ich gut. Bezüglich der Wärme der Figurenzeichnung finde ich Andreas Dresen einzigartig. Bei ihm spürt man, dass er aufrichtig mit den Figuren umgeht. Das ist großartig. Es gibt vieles, was ich gut finde, trotzdem versuche ich, meinen eigenen Weg zu finden.

Ricore: In dem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute für Ihren weiteren Weg und vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 24. August 2010
Zum Thema
Die Hummel (Kinofilm)
Pit Handlos ist Vertreter für Kosmetikprodukte. Obwohl er seinen angeblichen Wohlstand gerne zeigt, schaut es gar nicht gut um ihn aus. Er hat viele Schulden, steht kurz davor, Haus und Leasing-Auto zu verlieren. Schafft er den Absprung? Mit "Die Hummel" gelingt Sebastian Stern eine lakonische Komödie des Scheiterns. Der Film punktet vor allem durch die grandiose Leistung von Jürgen Tonkel und der Ernsthaftigkeit, mit der sich der Regisseur seinen Figuren nähert.
Mit der Tragikomödie "Die Hummel" schreibt und inszeniert der 1979 geborene Sebastian Stern sein Spielfilmdebüt an der Jürgen Tonkel und Inka Friedrich gleich zwei bekannte Schauspielstars zu verpflichten. Stern haben es vor allem lakonische, tragikomische Gegenwartsgeschichten angetan. Als Vorbilder nennt er "Broken Flowers" von Jim Jarmusch, französische und britische Filme, Agnès Jaoui und Andreas Dresen.
2024