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Sebastian Blomberg in "Das letzte Schweigen"
Phantasien prallen aufeinander
Interview: Sebastian Blomberg ist kein Mechaniker
Unter der Regie eines Österreichers feiert Sebastian Blomberg 1999 seinen cineastischen Durchbruch. Damals spielt er an der Seite von Franka Potente und Benno Fürmann in Stefan Ruzowitzkys Thriller "Anatomie". Zu diesem Zeitpunkt ist er auf der Bühne beinahe schon ein alter Hase. 1995 macht er seinen Abschluss am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Inzwischen gehört er zu den renommierten deutschen Theaterdarstellern. Wie viel ihm die Bühne bedeutet, erzählt er Filmreporter.de in München bei einem sommerlichen Interview zu "Das letzte Schweigen". Dass er mehr drauf hat, als Texte laut zu rezitieren wird hierbei schnell klar.
erschienen am 11. 08. 2010
Sony Pictures
Sebastian Blomberg in "Anatomie"
Ricore: Sind Sie vor Filmpremieren noch nervös?

Sebastian Blomberg: Ja, sehr sogar. Das ist der Moment, in dem man zum ersten Mal mit Publikum den Film sieht. Zwar ist das Publikum ausgewählt, viele Freunde sitzen darunter, wohlgesonnene Kritiker. Festivalpublikum ist hingegen etwas ganz anderes. Um der ganz großen Nervosität zu entgehen, habe ich mir angewöhnt, die Filme zuerst alleine anzusehen. Ich weiß, wenn man das erste Mal dem Ergebnis seiner Arbeit zuschaut, ist man oft nicht in der Lage, darüber zu reden oder sich richtig zu verhalten.

Ricore: Wie meinen Sie das?

Blomberg: An so einem Abend werden natürlich Fragen gestellt, Reaktionen des Publikums tauchen auf. Wenn man darauf nicht vorbereitet ist, kann es schon mal zu Missverständnissen kommen. Vor allem, wenn man selbst noch zu sehr unter dem Eindruck der Arbeit steht. Beim ersten Sehen des Films gleicht man oft auch die Erinnerungen ab, die man daran hat. Man darf ja nicht vergessen, dass der Entstehungsprozess des Films lange zurückliegt, manchmal mehr als ein Jahr. Die Bilder, die man auf der Leinwand sieht, hat man oft ganz anders erlebt. Die visuelle Lösung eines Films kann sehr überraschend sein.

Ricore: Wie oft haben Sie "Das letzte Schweigen" schon gesehen?

Blomberg: Bisher zwei Mal. Und um ganz ehrlich zu sein, das zweite Mal ist bei mir immer das erste Mal. Denn da sitze ich im Kinosessel und kann den Film in seiner Komplettheit genießen.
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Sebastian Blomberg in "Das letzte Schweigen"
Ricore: Sind Sie kritisch?

Blomberg: Ich bin sehr kritisch.

Ricore: Wurden Sie von dem Ergebnis auf der Leinwand auch schon mal enttäuscht?

Blomberg: Ganz schlimm ist es mir noch nicht ergangen. Ich hatte beispielsweise noch nie den Eindruck, etwas nicht wiederzuerkennen, was ich geglaubt habe, gemacht zu haben. Es kann natürlich auch passieren, dass viele Dinge rausgeschnitten werden, die man gedreht hat. Das habe ich auch noch nicht erlebt. Ich sehe es eher wie ein aufregendes Rätsel, das darin besteht, dass der eigene innere Film den man hat, niemals dem gleicht, den man am Ende sieht.

Ricore: Sind Sie ein phantasiereicher Mensch?

Blomberg: Ja, es ist tatsächlich so, dass ich als Schauspieler Phantasien zu allem Möglichen entwickle, auch zu einem Film. Ich stelle mir vor, wie er aussehen könnte, wie meine Rolle innerhalb des Films funktioniert. Ich bin nicht jemand, der völlig autistisch seine Szenen spielt und dann ist gut. Ich mache mir viele Gedanken. Das führt dann dazu, dass man das enträtseln muss. Natürlich ist es ein Glückserlebnis, wenn der Film sehr nah an dem ist, was man sich vorgestellt hat. Aber es geht auch andersrum. Wenn man am Ende erkennt, dass der Film zwar sehr weit von der eigenen Vorstellung entfernt ist, der Regisseur aber die aufregendere Lösung gefunden hat, ist das auch ein Glücksfall. Filme sind wie komplizierte Schachpartien. Man weiß am Ende einfach nicht, was dabei rauskommt und welcher Zug gemacht wurde. Kaum jemand - im besten Fall aber der Regisseur - hat eine Ahnung davon, wie das Ganze am Ende funktionieren wird.

Ricore: Wussten Sie bei diesem Film sofort, dass Sie die Rolle übernehmen wollen?

Blomberg: Ja. Ich habe das Buch gelesen, fand es auf Anhieb sehr interessant und habe dem Regisseur Baran bo Odar sofort mitgeteilt, dass ich das machen will. Wir haben danach noch lange darüber gesprochen und gemeinsam daran gearbeitet.
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Das letzte Schweigen
Ricore: Inhaltlich?

Blomberg: Ja, wie kann man die Rolle noch weiter treiben, in dem was sie ist und wie kann man es sichtbar machen? Meine Figur ist ja der Ich-Erzähler aus dem Roman von Jan Costin Wagner. Man muss einige Anstrengungen unternehmen, um so eine Figur zu visualisieren. Innere Prozesse der Reflektion sind notwendig, um diese Reise in eine handlungsfähige Figur zu verwandeln.

Ricore: Ist in so einem Fall eine Romanvorlage dienlich oder eher hinderlich für die Entwicklung der Figur?

Blomberg: Ich habe den Roman gelesen, allerdings nachdem ich das Drehbuch kannte. Danach habe ich ihn aber auch wieder beiseite gelegt. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Film anders funktioniert, als ein Buch. Man muss sich von der literarischen Vorlage ein Stück weit befreien. Das hat Bo mit seinem Drehbuch auch machen müssen. Es hat Verlagerungen und Umgewichtungen innerhalb der Geschichte gegeben. Diese waren notwendig, um den Film zum Leben zu erwecken. Insofern habe ich die Erinnerungen an das Buch immer mit mir getragen, aber man muss sich auch ein Stück davon lösen, um handlungsfähig zu sein.

Ricore: Glauben Sie, dass dem Film als Medium mehr als nur Unterhaltungswert zukommt?

Blomberg: Ja, absolut. Das Betreten des Kinosaals ist gleichzeitig das Betreten der eigenen Fantasie. Ich finde, dass ein Film da alle Rekorde brechen kann, wo er die Phantasie des Zuschauers stimuliert. Das entsteht durch Leerstellen. Das ist wie beim Lesen eines Romans. Ich setze mir letztendlich die Geschichte selber zusammen. Daher ist es auch so schwierig, Romane gut zu verfilmen. Man hat mit der Phantasie, die durch den Roman initiiert wurde, schon genug zu tun. Wird er aber in Bilder gefasst, kann das beim Leser zu Enttäuschungen führen. Denn dann wird die Phantasie des Lesers mit jener des Regisseurs konfrontiert. Gleichzeitig muss der Film das als eigenständiges Medium leisten. Er muss also die Phantasie anregen können. Das heißt nicht, die Dinge so abzuliefern, dass man sie konsumieren kann.

Ricore: Das kann aber auch ganz schön wehtun.

Blomberg: Das muss meiner Ansicht nach auch wehtun. Es muss den Zuschauer bis auf die Zähne bewaffnen und man muss sich aufregen können. Insofern finde ich, dass Film kein reines Unterhaltungsmedium ist. Heute ist man dies mehr denn je der Liebe zum Film schuldig. Seine Eigenständigkeit kann man nur behaupten, wenn man das Medium strapaziert.
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Sebastian Blomberg grübelt über seinen wohl brutalsten Fall ("Das letzte Schweigen")
Ricore: Läuft man aber nicht manchmal Gefahr, das Medium überzustrapazieren?

Blomberg: Meinen Sie den speziellen Fall bei "Das letzte Schweigen"?

Ricore: Speziell bei "Das letzte Schweigen" und generell.

Blomberg: Dazu möchte ich als erstes sagen, dass das Thema Kindesmissbrauch nicht das einzige Thema des Films ist. Es hat wahrscheinlich die größte Wucht und deshalb wird man auch immer wieder darauf angesprochen. Ich verwehre mich aber dagegen, dass "Das letzte Schweigen" ein Film über Pädophilie ist. Ich finde es richtig, darüber zu sprechen, so wie der Film darüber spricht. Es ist auch richtig, die Unverschämtheit zu begehen, die Psychologie einer solchen Figur zu beleuchten und sie damit greifbar zu machen.

Ricore: Ist das Publikum überhaupt reif dafür?

Blomberg: Das Tabu zu brechen und das Thema Kindesmissbrauch und Pädophilie nicht kleinkariert beiseite zu schieben, beinhaltet durchaus Erregungspotential und bringt manche vielleicht auf die Palme, vor allem jene, die unmittelbar betroffen sind. Das kann ich gut verstehen. Aber ein Großteil der Gesellschaft will nicht zur Kenntnis nehmen, dass diese Themen omnipräsent sind. Sie denken und sagen, Pädophile gehören weggesperrt und damit ist die Sache für sie auch erledigt. Ist sie aber nicht. Dadurch dass unsere Gesellschaft und die Institution Familie - meist durch gesellschaftliches Tabuverhalten - derart geschützt sind, wird die Tat für den Täter oft ungemein erleichtert. Das behaupte ich. Das mag zwar perfide sein, aber ich denke, dass dies der Wahrheit entspricht. Schwieriger wird es, wenn man versucht, diese Leute zu verstehen, ihre Motive zu erkennen, sofern es diese gibt und Pädophilie nicht als reine Krankheit abzutun, sondern als Krankheit ernst zu nehmen.

Ricore: Wurde das Thema auch während der Dreharbeiten diskutiert? Und wie gingen Sie nach Drehschluss damit um?

Blomberg: Unterschiedlich, abhängig von der Tagesverfassung. Natürlich hat das Thema etwas Erschöpfendes. Beschäftigt man sich täglich damit, geht es an die Substanz. Vor allem, wenn man sich mit dem Verlust, der Traurigkeit und der gewissermaßen panoptischen Geschlossenheit auseinandersetzt, die in "Das letzte Schweigen" thematisiert wird. Nichts desto trotz gibt es auch hier Raum für Humor und Idiotien. Davon bin ich überzeugt und ich habe auch versucht, einiges innerhalb meiner Figur zustande zu bringen. Daher ist es nicht so, dass man schwer depressiv vom Set geht (lacht). Die Dreharbeiten haben Spaß gemacht und wir sind Schauspieler. Man kann und muss sich daher vom Thema auch befreien. Befreundete Medizinstudenten in Wien haben in ihrem pathologischen Kurs beispielsweise vier Monate lang Leichen zerlegt. Natürlich haben sie sich irgendwann Witze erzählt, während am Tisch vor ihnen die Leichen lagen. Man kann irgendwann gar nicht anders. Die menschliche Psyche funktioniert so. Wenn man eine Situation irgendwann nicht mehr erträgt, sucht man Auswege. Genauso kann es zu einem hysterischen Lachanfall bei einer Beerdigung kommen. Alles ist möglich, und soll auch möglich sein.
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Anatomie
Ricore: Geben Sie Ihrer Filmfigur stets auch etwas von sich selbst mit?

Blomberg: Ja, natürlich. Ansonsten müsste ich meinen Beruf aufgeben. Ich bin ja kein Mechaniker, der in Szene gesetzt wird. Es ist vielmehr ein Prozess, der zwischen Regisseur und Schauspieler stattfindet. Vielleicht sind auch noch Produzent und Autor involviert. Das Ganze ist sehr lebendig. Zwangsläufig bleiben Spurenelemente von mir an der Figur hängen.

Ricore: Sie kommen eigentlich von der Theaterbühne. Bedingen sich Theater und Film gegenseitig?

Blomberg: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, dass die Erfahrungen beim Film, vor allem die Nuancierung einer Darstellung, auch beim Theater hilfreich sind. Vor allem bei den heutigen Theatern - und umgekehrt. Eine formale Behandlung einer Figur auf einer Theaterbühne würde einem Film manchmal gut tun, anstatt im sogenannten Authentizitätswahn zu verfallen. Das hat auch etwas mit Gestaltung zu tun. Beim Film finde ich das manchmal sehr trügerisch. Ein tolles Beispiel ist Robert Bresson. Seine Schauspieler waren meist Laien und wussten nichts über die Schauspielerei. Nachdem er dann einmal mit ihnen gearbeitet hat, hat er sie nie wieder besetzt. Er nicht wollte, dass die Menschen jemals einen Begriff davon bekommen, was sie getan haben. Er hat sie formal gezwungen. Er hat ihnen beispielsweise eine bestimmte Sprechweise oder Blicke abverlangt, die im authentischen Sinne nichts in einem Film zu suchen haben. Nach dem Motto: So würde man sich nie unterhalten oder so würde man doch nie eine Treppe hochgehen. Diese Frage stellt sich bei ihm nicht, weil er den Film als eine Geschlossenheit behauptet und Menschen darin eben so sind beziehungsweise so zu sein haben. Dadurch entsteht eine aufregende Grundspannung, die etwas mit Theater zu tun hat. Sie hat nichts mit dem naturalistischen und realistischen, dem situativen psychologischen Umgang zu tun, der beim Film immer hochgehalten wird.

Ricore: Hatten Sie je einen Plan B, falls die Schauspielerei nicht klappen sollte?

Blomberg: Da es geklappt hat, habe ich mir nie darüber Gedanken gemacht. Plan B tauchte erst später auf.

Ricore: Wirklich?

Blomberg: Es heißt ja nicht, dass man, nur weil man einigermaßen erfolgreich in diesem Beruf arbeitet, aufhört, sich darüber Gedanken zu machen, über das, was man sonst noch gerne machen würde. Es steht für mich jetzt außer Frage, dass ich je aufhören werde, als Schauspieler zu arbeiten. Ich werde immer Schauspieler bleiben. Dass es daneben noch andere Dinge gibt, das darf und soll nicht ausgeschlossen sein. Mal schauen!

Ricore: Und was stellen Sie sich da vor?

Blomberg: Ich kann mir vorstellen, mich im Film und Theater weiter zu entwickeln. Drehbücher zu schreiben, als Regisseur zu arbeiten. Das wird auf jeden Fall passieren. Ich weiß nur noch nicht wann. Ein Drehbuch habe ich ja schon geschrieben.

Ricore: Mit diesen Aussichten möchte ich mich für das Interview bedanken!
erschienen am 11. August 2010
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Wie Heidi Klum stammt auch Theaterschauspieler Sebastian Blomberg aus Bergisch Gladbach. 1995 schließt er das renommierte Stefan Ruzowitzkys Psychothriller "Anatomie" bekannt. Es folgen Nebenrollen in Kino- und TV-Produktionen, bis er 2010 erneut eine größere Rolle im Drama "Das letzte Schweigen" annimt.
Vor 23 Jahren war Timo (Wotan Wilke Möhring) Zeuge, wie sein Freund Peer Sommer (Ulrich Thomsen) ein Mädchen vergewaltigt und ermordet hat. Nun ist am damaligen Tatort erneut ein Mädchen verschwunden. Nur Timo weiß, wer als Täter in Frage kommt. Baran bo Odars "Das letzte Schweigen" basiert auf Jan Costin Wagners Romanvorlage "Das Schweigen". Wie der Autor konzentriert auch er sich auf die Entwicklung von Opfer und Täter. Das Erzähltempo ist äußerst langsam, zudem steigert sich mit jeder..
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