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Wotan Wilke Möhring in "Das letzte Schweigen"
"Einsame Inseln verrohen die Menschheit"
Interview: Regisseur Wotan Wilke Möhring?
Trotz seines komödiantischen Talents überzeugt Wotan Wilke Möhring auch in ernsten Rollen, so in Baran bo Odars Drama "Das letzte Schweigen". Dass er vielseitig ist, verdankt er seiner konsequenten Art, sich nicht auf immer die gleichen Rollen festzulegen. Heute ist er oft im Fernsehen und im Kino zu sehen. Mit Filmreporter.de sprach der Darsteller über seine geheimen Zukunftspläne, seine Vaterfreuden und darüber, dass wir Menschen eigentlich einsame, egomanische Inseln sind, wenn wir nicht lernen, mit anderen offen über Probleme zu reden.
erschienen am 20. 08. 2010
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Das letzte Schweigen
Ricore: Es scheint, als würden Sie schwierige Filmstoffe magisch anziehen…

Wotan Wilke Möhring: Nein, das nicht. Aber es ist schon so, dass ich ein Faible für fordernde Filmstoffe habe. Ich denke, dem Großteil der Schauspieler geht es so. Man befasst sich intensiver mit der Figur und taucht in ihr ab. So eine Herausforderung hat man nicht oft. Ich habe keine Sekunde gezögert, die Rolle anzunehmen. Ich habe mich auf die Figur und die Arbeit gefreut, und natürlich auch auf das Wagnis, eine solche Figur darzustellen.

Ricore: War es nicht auch ein Wagnis, ein solches Projekt mit einem vielleicht nicht ganz so erfahrenen Regisseur zu machen?

Möhring: Baran bo Odar ist ja nicht unerfahren. Er hat 2006 bereits das Drama "Unter der Sonne" inszeniert. Im Vorgespräch merkt man schon, ob jemand die entsprechende Passion und Professionalität hat, ein solches Projekt zu machen. Und Ich mache viele Studentenfilme, dadurch habe ich ein gewisses Gespür dafür. Ob es von jemand der erste oder zweite Film ist, ist dann beim Drehen zweitrangig.

Ricore: Ihre Filmfigur Timo Friedrich hat wahrscheinlich sehr wenig mit Ihnen gemein. Wie sind Sie an diese anspruchsvolle Rolle herangegangen?

Möhring: Wir haben tatsächlich eine geringe Schnittmenge. Das ist aber manchmal ganz gut so. Denn je weiter man sich von sich selbst entfernt, desto mehr kann man sich auf die Rolle einlassen. Man vermischt sich dann nicht so sehr mit der Figur. Einen Ansatz zum andocken brauche ich aber schon. Wenn man gar nichts mit der Figur anfangen kann, dann soll man es vielleicht lieber lassen. Das ist eine Frage des Bauchgefühls, keine Kopfsache.
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Wotan Wilke Möhring in "Das letzte Schweigen"
Ricore: Und wo haben Sie hier angedockt?

Möhring: Nun ja, Timo hat jenen wichtigen Moment, etwas mitzuteilen, verpasst. Er hat eine Sucht, eine Neigung, eine Lust, eine Krankheit, wie auch immer man das nennen will, für die er sich schämt, und vor der er wegrennen will. Er verachtet sich regelrecht dafür und verspürt aus diesem Grund eine große Einsamkeit in seinem Leben. Und genau diese Einsamkeit konnte ich mir vorstellen. Er ist ein sehr einsamer Mensch, obwohl er 23 Jahre lang verheiratet war und zwei Kinder hat. Er hatte nie den Mut, sich dieser Neigung zu stellen, geschweige denn, sie mitzuteilen. Er ist in meinen Augen der größte Schweiger von allen. Ich fand es total spannend zu sehen, wohin ihn diese Konsequenz des Schweigens führt. Letztendlich gibt es nur eine Möglichkeit, und die ist sehr unschön.

Ricore: Sind Sie ein schweigsamer Mensch?

Möhring: Eher nicht (lacht). In meinen Rollen bin ich häufig schweigsamer als privat. Das kommt darauf an, zumindest kann ich die Diskrepanz zwischen äußerer und innerer Darstellung nachvollziehen, die jeder Mensch in sich trägt. Oft drückt man Dinge nicht so aus, wie man es möchte. Missverständnisse können leicht entstehen. Allerdings muss man im richtigen Moment das Schweigen durchbrechen. Sonst werden wir alle zu einsamen Inseln und würden auf dramatische Weise enden. Ich hoffe, dass der Zuschauer diese Botschaft aus dem Film mitnimmt.

Ricore: Sie haben eine unglaubliche Bandbreite an Filmrollen...

Möhring: Ja, glücklicherweise habe ich mich zu keinem Zeitpunkt festgelegt, weder aufs Kino noch aufs Fernsehen und auch nicht auf Genres. Ich erlaube mir da die maximale Freiheit.
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Wotan Wilke Möhring in "Das letzte Schweigen"
Ricore: Macht diese Vielfalt die Anziehungskraft des Berufs für Sie aus?

Möhring: Genau. Schon bevor ich mich ganz auf die Schauspielerei verlegt habe, habe ich mich immer wieder für Neues begeistert. Ich hatte immer Freude am Risiko und Mut zum Wagnis. Manchmal auch mit entsprechender Belohnung (lacht). In diesem Beruf kann man das wunderbar ausleben. Insofern ist die Schauspielerei der perfekte Beruf für mich. Es ist eine wunderbare Befriedung, eine Erfüllung, die für mich nahezu physisch notwendig ist. Erstaunlicherweise harmonisiert mein Beruf perfekt mit meinen Alltag.

Ricore: Wie meinen Sie das?

Möhring: Nun ja, ich kann in meinem alltäglichen Berufsleben all das machen, womit man im normalen Leben nicht ungestraft davon käme, oder die eben auch moralisch verwerflich sind. Man kann da alles loswerden. Wir Schauspieler leben ja viele Leben und schlüpfen immer wieder in unterschiedliche Persönlichkeiten. Das ist das Tolle an diesem Beruf.

Ricore: Sie haben in den letzten Jahren viel gedreht, vornehmlich ernste Rollen. Aber sie verfügen auch über komödiantisches Talent.

Möhring: Ich habe zuletzt "Männerherzen" und "Soul Kitchen" gemacht, das waren keine zutiefst dramatischen Rollen. Aber ich versuche eben, einen Ausgleich hinzukriegen. Nach einem Film wie "Das letzte Schweigen" dreht man nicht sofort wieder so was. Als Schauspieler durchleben wir schließlich dasselbe wie unsere Figuren, nur ohne Konsequenzen. Das heißt aber schon, dass es einen strapaziert. Man setzt sich mit den Themen auseinander. Fünf Mal hintereinander kann man das nicht machen.

Ricore: Können Sie nach den Dreharbeiten relativ schnell wieder abschalten?

Möhring: Ja, ich kann das ganz gut. Unter anderem hilft mir mein Humor dabei. Das ist mir sehr wichtig. Meine Form der Konzentration ist eher systolisch, einmal angespannt, dann wieder entspannt. Außerdem erdet mich meine Familie immer wieder.
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EIner flog übers Kuckucksnest
Ricore: Durch die zuletzt aufgedeckten Kindesmissbrauchsfälle bekommt "Das letzte Schweigen" eine tragische Aktualität...

Möhring: Die Botschaft von diesem Film ist ja, dass man sich dem großen Schweigen nicht anschließt, sondern dass man rechtzeitig hinguckt und das Wort ergreift. Leider hat der Film durch die vielen Kindesmissbrauchsfälle eine tragische Aktualität. Er kommt im Sommer in die Kinos, und wir hoffen, dass Menschen auch bei strahlendem Sonnenschein den Kinosaal mit geschärftem Bewusstsein verlassen.

Ricore: Das Publikum wird auch gefordert. Wird es vielleicht überfordert?

Möhring: Nein, ich denke nicht. Natürlich wird das Publikum gefordert. Kino als kulturelles Instrument kann den Zuschauer, oder seine Sichtweise, ein Stück weit verändern - wie bei einem guten Buch.

Ricore: Hat Sie ein Film verändert?

Möhring: Ich erinnere mich beispielsweise noch sehr gut an "Einer flog übers Kuckucksnest", den ich in meiner Jugend gesehen habe. Es gab viele andere Filme, die mich berührt und ganz bestimmte Gefühle in mir hinterlassen haben. Das Schöne an Kino ist ja, dass es keine reine Kopfsache ist, sondern ein Erlebnis. Und genau dieses Erlebnis macht uns manchmal sprachlos. Wir nehmen etwas mit nach Hause, in unseren Alltag.

Ricore: Warum sprachlos?

Möhring: Sprachlos, weil wir aufgewühlt sind. Etwas in uns arbeitet weiter. Deshalb fehlen uns nach einem solchen Film auch manchmal die Worte. Das kann durchaus zur kulturellen Reife beitragen und ist manchmal sogar ein wichtiges Instrument dafür.
Universum Film
Wotan Wilke Möhring beim Versuch, den Hund außer Gefecht zu setzen
Ricore: Finden Sie, dass der Deutsche Film zu wenig in dieser Richtung macht?

Möhring: Nun ja, ich kann mir vorstellen, dass die Entscheidungsträger, die das zu verantworten haben - Produzenten, Redakteure - in der Regel Erfolge sehen wollen. Aber Erfolg ist bei uns leider meistens nur quantitativ messbar. Das ist sehr traurig, leider aber Tatsache unserer Messkultur. Wenn also so ein qualitativer Film auch mal quantitativ erfolgreich wäre, hätten vielleicht mehr Leute den Mut, öfters in diese Richtung zu gehen. Sie würden sich in ihrer Arbeit bestätigt fühlen. Irgendwie will man damit doch auch Geld verdienen. Von daher wäre es schön, wenn es einen Mittelweg gäbe.

Ricore: Haben Sie jemals Rollen angenommen - aus welchen Gründen auch immer - die qualitativ minderwertig waren?

Möhring: Wenn ich bei einem Film mitmache, ist nur die Rolle ausschlaggebend. Ich mache mir beispielsweise zunächst keine großen Gedanken darüber, ob das Drehbuch fürs Kino oder fürs Fernsehen ist. Das geschieht erst in der nächsten Phase. Die Zielgruppen- und Quotendiskussion überlasse ich anderen.

Ricore: Haben Sie das Publikum zu keinem Zeitpunkt vor Augen?

Möhring: Nein, ehrlich gesagt nicht, denn ich konzentriere mich auf die Figur, die Rolle. Ich muss schauen, dass meine Darstellung stimmt. Würde man schon in dieser Phase an den Zuschauer denken, bestünde die Gefahr, dass man sich von außen beobachtet und dass man die Figur in ihrer Wahrhaftigkeit verändert. Man wäre wie ein Maler, der für eine Ausstellung nur das malen würde, wovon er glaubt, dass es den Leuten gefallen könnte. So betreibt man keine Kunst.

Ricore: Wenn Sie dann das erste Mal vor Publikum treten, sind Sie dann noch nervös?

Möhring: Ja natürlich. Ich bin gespannt wie der Film ankommt, wie er geworden ist, und ob er dem Publikum gefällt. Man hat ja auch eine bestimmte Demut vor der Meinung der anderen. Es ist nicht so, dass alle doof sind, wenn niemand den Film versteht. Auch wenn man sich das am liebsten wünschen würde. Kommt ein Film nicht an, revidiert man als Filmemacher sein eigenes Bild und sagt sich, vielleicht lag ich doch daneben. Als Darsteller ist das natürlich eine andere Nummer. Beim Film müssen sich vor allem Regisseur und Produzent solche Fragen gefallen lassen. Trotzdem hofft man, dass das, was man versucht hat, rüberzubringen, auch ankommt. Und das ist aufregend.
Universum
Wotan Wilke Möhring
Ricore: Stehen Sie derzeit auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere? Immerhin haben Sie in den letzten zwei bis vier Jahren rund 20 Filme gedreht?

Möhring: (lacht) Ich weiß nicht, ob man das als Höhepunkt bezeichnen kann. Den würde ich gerne erst dann festlegen, wenn ich in Ruhestand gehe. An meinem letzten Arbeitstag kann ich dann sagen, wann und was der Höhepunkt in meiner Karriere war.

Ricore: Sie sind vor kurzem ja auch Vater geworden...

Möhring: Ja, das war mit Sicherheit ein Höhepunkt in meinem Leben. Das hat auch die Prioritäten verschoben. Ein Kind zeigt einem deutlich, was wirklich wichtig im Leben ist. Mir fällt aber gar nicht auf, dass ich viel arbeite. Ich arbeite halt gerne. Ob ich jetzt fünf oder zehn Filme innerhalb kurzer Zeit gemacht habe, könnte ich gar nicht sagen.

Ricore: Fünf weitere Filme stecken zudem in den Startlöchern...

Möhring: Nun ja, dieses Jahr habe ich sogar etwas weniger gearbeitet als sonst. Wenn gute Bücher kommen und es mit der Familie passt, dann mache ich das natürlich. Das ist ja meine Arbeit und darin finde ich meine Erfüllung. Aber wenn nichts kommt, mache ich auch mal nichts (lacht).

Ricore: Wann wissen Sie denn, wann Sie ein Projekt machen wollen?

Möhring: Sofort nachdem ich das Buch gelesen habe. Es ist wie beim Fußballtippen. Das, was man zuerst tippt, stimmt meistens. Das muss man dann auch beibehalten. Wenn ich beispielsweise ein gutes Drehbuch lese, überträgt sich etwas auf mich. Das ist das erste Bauchgefühl, auf das man hören muss. Erst viel später wird der Kopf eingeschaltet.

Ricore: Sie entscheiden mit dem Bauch?

Möhring: Aber wie. Ich entscheide nie mit dem Kopf. Denn in meiner Entscheidung, den Film zu machen oder nicht zu machen, bin ich völlig alleine. Daher bin ich auch nur mir selbst Rechenschaft schuldig. Und damit komme ich gut klar.
Universum Film
Wotan Wilke Möhring in "Hardcover"
Ricore: Entscheiden Sie privat auch nach Bauchgefühl?

Möhring: Ja, auch im Privatleben. Obwohl hier, im Umgang mit anderen, die Vernunft auch eine große Rolle spielt.

Ricore: Befragen Sie Freunde, Familie oder Bekannte bezüglich Ihrer beruflichen Entscheidungen?

Möhring: Nein, das mache ich mit mir selbst aus. Klar ist es spannend zu erfahren, was Freunde und Familie über bestimmte Rollen denken, wie im Fall von "Das letzte Schweigen". Weil die mich einfach so gut kennen, aber ich bin sehr froh über meine Familie, die sehr gut trennen kann. Manchmal bin ich ganz überrascht, was die alles entdecken und wie sie bestimmte Dinge sehen. Aber die Familie wird erst später eingeschaltet. Zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung bin ich allein.

Ricore: Ist Ihre Familie dann auch immer die erste, die den Film sieht?

Möhring: Nein, sie sind ganz normal bei den Premieren anwesend. Ich als Schauspieler sehe den Film meist schon vorher, allein wegen der Pressearbeit. Das ist auch wichtig, denn natürlich löst ein Film auch bei mir Emotionen aus, wenn ich ihn zum ersten Mal sehe. Das war beim Münchner Filmfest etwas schwierig, denn da habe ich "Das letzte Schweigen" bei der Premiere zum ersten Mal gesehen. Dann wurde ich sofort vor das Publikum geworfen und musste mich den Fragen stellen. Man ist selbst aber noch so geplättet von all den Emotionen und Bildern. Das war nicht einfach.

Ricore: Wurden Sie jemals vom Ergebnis auf der Leinwand enttäuscht?

Möhring: Ja, durchaus. In mir schlummert ja gewissermaßen ein Undercover-Regisseur. Manchmal denke ich mir schon, dass ich es anders gemacht hätte. Manche Dinge wurden vielleicht komisch geschnitten oder der Schwerpunkt wurde verlegt. Ich war durchaus auch schon mal enttäuscht von einigen Ergebnissen.

Ricore: Was heißt denn Undercover-Regisseur?

Möhring: (lacht). Irgendwann, es ist zwar noch lange hin, aber irgendwann könnte ich mir vorstellen, dass ich selbst mal auf einem Regiestuhl Platz nehmen könnte.

Ricore: Ein schönes Schlusswort. Ich bedanke mich für das angenehme Gespräch.
erschienen am 20. August 2010
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Wotan Wilke Möhring hat schon so manches in seinem kurzen Leben erlebt: Er war Punk, ging trotzdem zur Bundeswehr, er ist gelernter Elektriker und ehemaliges Model. Er verdiente sein Geld als Türsteher und war Inhaber eines illegalen Clubs, er studierte Kommunikation und lebte zwei Jahre in den USA. In New York arbeitete er mit geistig behinderten Menschen, in Los Angeles nahm er Schauspielkurse. Heute ist er in der Medienstadt Köln sesshaft geworden, schauspielert und produziert Filmmusik.
Vor 23 Jahren war Timo (Wotan Wilke Möhring) Zeuge, wie sein Freund Peer Sommer (Ulrich Thomsen) ein Mädchen vergewaltigt und ermordet hat. Nun ist am damaligen Tatort erneut ein Mädchen verschwunden. Nur Timo weiß, wer als Täter in Frage kommt. Baran bo Odars "Das letzte Schweigen" basiert auf Jan Costin Wagners Romanvorlage "Das Schweigen". Wie der Autor konzentriert auch er sich auf die Entwicklung von Opfer und Täter. Das Erzähltempo ist äußerst langsam, zudem steigert sich mit jeder..
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