Paramount Pictures
M. Night Shyamalan
"Vielleicht sollte ich auswandern"
Interview: M. Night Shyamalan ist ein Jäger
Mit seinen mysteriösen Thrillern lehrt uns M. Night Shyamalan immer wieder das Fürchten. Sein bislang größter Erfolg ist der im Jahre 2000 für sechs Oscars nominierte "The Sixth Sense". Mit seinen letzten Filmen hatte der Regisseur bei vielen Kritikern allerdings einen schweren Stand. Die Erwartungshaltung bei seinem neuesten Streich "Die Legende von Aang 3D" ist trotzdem groß. Schließlich basiert das Fantasy-Abenteuer auf der von Fans geliebten Zeichentrick-Serie "Avatar - Der Herr der Elemente". Mit uns sprach Shyamalan über den Erfolgsdruck, seine Kritiker und die Bindung zum Publikum.
erschienen am 17. 08. 2010
Paramount Pictures
Dev Patel und M. Night Shyamalan
Ricore: Ihre Töchter sollen große Fans von "Avatar - Der Herr der Elemente", der Zeichentrickvorlage von "Die Legende von Aang 3D" sein.

M. Night Shyamalan: Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, bin ich ein großer Softie. Ich bin die Art von Vater, der heult, wenn ich meine Töchter mit der Videokamera aufnehme oder sie auf der Bühne singen höre. Eine von ihnen war total besessen von der Mythologie der Serie, der ich ein Jahr lang gar keine Aufmerksamkeit schenkte. Doch sie hörte nicht auf, darüber zu reden und zwang uns schließlich, die Serie gemeinsam anzuschauen.

Ricore: Wie gefiel sie Ihnen?

Shyamalan: Mir gefiel dabei, dass jeder von uns, damals waren wir zu viert, inzwischen habe ich eine weitere Tochter, sich aus anderen Gründen in die Serie verliebt hatte. Im Mittelpunkt stand die Natur, was für mich sehr wichtig ist, die Elemente als Metaphern, was im Hinduismus wichtig ist sowie asiatische Philosophie. Davor waren wir bereits riesige Miyazaki-Fans, dessen großartige Filme wir uns zusammen anschauten. Wir tauchten alle in diese Welten ein und "Avatar - der Herr der Elemente" wurde ebenfalls davon inspiriert. Auch die Shakespeare-Elemente interessierten mich daran. Später wird es wirklich düster, es geht um Verrat und Vater-Mord. Es hat mich auf so vielen Ebenen angesprochen. Es fühlte sich einfach richtig an, den Film zu drehen.

Ricore: Inwiefern haben Sie versucht, der Vorlage mit Ihrem Film gerecht zu werden?

Shyamalan: Michael Dante DiMartino und Bryan Konietzko haben mit mir an dem Film zusammen gearbeitet. Ich wollte sichergehen, dass die Essenz beibehalten wird. Der erste Entwurf war dabei so lang, dass der Film sieben Stunden lang gewesen wäre. Also bat ich sie, mir die Geschichte der ersten Staffel zu erzählen. Das war das Grundgerüst. Was nicht in den Film reinpasste, haben wir uns für eine Fortsetzung aufgehoben.
Paramount Pictures
Die Legende von Aang in 3D
Ricore: Es gab einige Beschwerden darüber, dass Aangs Liebesgeschichte zu kurz gekommen sei. Haben Sie sich das auch für einen zweiten Teil aufgehoben?

Shyamalan: Ja, denn meiner Meinung nach ist die Serie für ein sehr junges Publikum. Wir wollten es ein klein wenig erwachsener machen, um ein breiteres Publikum anzusprechen, ohne dabei die Kinder zu verlieren. In einer Zeichentrickserie nimmt man einem zwölfjährigen eine Liebesbeziehung ab. Aber bei einem Realfilm ist das nicht dasselbe. Wir wollen das in späteren Filmen zeigen. In der Tat gab es ursprünglich eine Szene, in der Aang vom Drachen gewarnt wird, bei seinen Gefühlen für Katara vorsichtig zu sein, weil das in der Zukunft zum Problem werden wird. Er müsse sich zwischen seinem Dasein als Avatar und Katara entscheiden. Es war so eine kraftvolle Szene, dass alle im Testpublikum mehr darüber erfahren wollten. Doch da es zu frustrierend ist, bis zum zweiten und dritten Teil warten zu müssen, habe ich die Anspielung rausgenommen.

Ricore: Wie haben Sie den Aang-Darsteller gefunden?

Shyamalan: Das war eine ungewöhnliche Situation. Ich hätte noch nie einen Laiendarsteller für die Hauptrolle eines Filmes, potentiell sogar von drei Filmen genommen. Das wäre verrückt. Aber es gab diesen Charakter bereits irgendwo auf der Welt. Da war dieses Kind, dem man dauernd sagte, dass er wie die Zeichentrickfigur wäre. Er wurde zu Hause unterrichtet und hatte keinen Fernseher. Demnach wusste er gar nicht, worüber sie überhaupt redeten. Doch er nahm an vielen Kampfturnieren teil und rasierte sich dafür den Schädel. Daher sagten die Kinder: "Das ist Aang aus der Fernsehserie." Schließlich sagte ihm sein Kampflehrer, dass er sich die Serie mal anschauen soll. Als er sich die Serie mit seiner Mutter ansah, identifizierte er sich damit und als er von der Verfilmung hörte, nahm er im Keller ein Video von sich auf. Ich denke, ich werde es auf der Blu-ray zeigen. Es ist so süß. Er ist kostümiert und bemalt und zeigt eine großartige Martial-Arts-Einlage. Dann schreit er seinen Namen und sagt: "Ich bin Avatar". [lacht] Er arbeitet hart und passte besser zu der Rolle als die anderen Darsteller, also bekam er sie.

Ricore: Wie gehen Sie mit dem Erfolgsdruck um?

Shyamalan: Glücklicherweise verspüre den Druck nicht, solange ich mich in der künstlerischen Phase befinde. Ich bin sehr fokussiert auf die Dinge, die ich zu sagen versuche. An dem Punkt geht es sehr friedlich zu. Erst wenn der Starttermin näher rückt, wird der Druck größer. Man fragt sich, was die ganze Welt denkt, ob es den Leuten gefällt und ein Erfolg für meine Partner wird. Das alles frisst dich zu dem Zeitpunkt auf. Das hat wahrscheinlich mit der ganzen indischen Vater-Sache zu tun, nichts ist jemals gut genug [lacht].
Buena Vista
M. Night Shyamalan
Ricore: Lesen Sie die Kritiken oder zählt allein der finanzielle Erfolg?

Shyamalan: Weder, noch. Was zählt, ist die künstlerische Verbindung zum Publikum. Es gibt eine bestimmte Wahrnehmung von der Realität und die Realität selbst. Das wissen wir alle. Ich will mich nicht von der vermeintlichen Realität beeinflussen lassen. Demnach wäre auch Stanley Kubricks Schaffen zum Teil ein Fehlschlag gewesen. Auch Alfred Hitchcock galt unter Kritikern als Witz. Aber das entspricht nicht der Wahrheit. Es gibt Millionen solcher Beispiele. Ich habe nie so gute Kritiken gekriegt, wie "Iron Man 2". Das ist eben die vermeintliche Realität. Doch ich bin wirklich glücklich. Irgendetwas läuft richtig. Ich mache seit elf Jahren Filme. Alles, was ich machen wollte, konnte ich machen. Als letzten Sommer der erste Teaser von "Die Legende von Aang" in den USA gezeigt wurde, eine Szene, die im Film nicht vorkommt, waren die Leute begeistert, als sie meinen Namen sahen. Das hatte nichts mit Kritiken oder Einspielergebnissen zu tun, sondern allein mit der Bindung zum Publikum. Das wichtigste bei einem Künstler ist, die richtige Perspektive beizubehalten. Man muss dafür kämpfen, wer man als Mensch ist. Berühmt zu sein ist so, als ob man den Rest seines Lebens in der High-School wäre. So wie in der High-School muss man darauf vertrauen, dass etwas Größeres am Werk ist, als das, was in der Schul-Cafeteria vorgeht [lacht].

Ricore: Sie erwähnten die Bindung zum Publikum, doch die ersten Reaktionen der Fans auf "Die Legende von Aang 3D" sollen nicht sehr positiv gewesen sein.

Shyamalan: Das stimmt nicht so ganz. Dass sie diese Frage stellen, ist wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Sie schreiben darüber, dann schreibt jemand anderes auch darüber und das geht dann ewig so weiter. Es ist immer dasselbe. Die lautesten Leute sind immer die wütenden. Die Leute gehen nicht ins Internet und schreiben: "Oh, der Typ ist so nett" [lacht].

Ricore: "The Sixth Sense" hat doch sehr gute Kritiken bekommen.

Shyamalan: Das stimmt auch nicht ganz. So wird das bloß wahrgenommen. Zunächst bekam der Film nur mittelmäßige Kritiken. Als wir für einen Oscar nominiert wurden, war das ein totaler Schock. Davor kriegten wir kaum Aufmerksamkeit. Erst als Haley Joel Osment und ich für den Golden Globe nominiert wurden, änderte sich das etwas. Bis dahin dauerte es etwa sechs oder sieben Monate. Aber die New York Times und alle großen Kritiker bewerteten den Film vorher negativ. Die Geschichte wird einfach umgeschrieben. Mein am besten bewerteter Film war "Signs - Zeichen", das sind die Fakten. Es ist also eine bizarre Sache. Wir haben "Die Legende von Aang" Fans gezeigt und sie liebten den Film. Man hört immer nur den kleinen Teil der Leute, die aufschreien. Das ist heutzutage einfach so.
Buena Vista
Voll konzentriert am Set zu "The Village - Das Dorf"
Ricore: Ist das nicht frustrierend für Sie?

Shyamalan: Ja, es ist ohne Zweifel frustrierend. Ich weiß nicht, warum ich in den USA dauernd zur Zielscheibe der Kritik bin. Es ist bizarr, als ich nach Japan geflogen bin, gab es begeisterte Reaktionen. So ist das bei jedem Film. Ich weiß nicht, vielleicht sollte ich aus den USA auswandern. [lacht]

Ricore: Sie könnten nach Deutschland kommen.

Shyamalan: Ja, vielleicht nach Deutschland [lacht].

Ricore: Sind die Reaktionen in Europa positiver?

Shyamalan: Auf jeden Fall - bei jedem Film. Aber nochmal, das amerikanische Publikum war immer wundervoll zu mir. Ich glaube, es ist einfach nur eine schlechte Zeit. Aber das wird sich ändern, ich muss einfach nur weitermachen.

Ricore: Alle Ihre Filme haben einen unverwechselbaren Stil. Sehen Sie sich selbst als Autorenfilmer?

Shyamalan: Ich denke, dass es beim Filmemachen zwei Typen von Regisseuren gibt: Jäger und Sammler. 95 Prozent der Regisseure sind Sammler, die raus gehen und filmen, was sie finden können. Unglaubliche Filme sind auf diese Weise entstanden, daran gibt es keinen Zweifel. Die restlichen fünf Prozent sind Jäger, die einen Berg besteigen, um den anvisierten Leoparden zu jagen und dabei alles andere ignorieren. Kubrick etwa ist so ein Filmemacher, der sehr spezifisch ist. Ich bin ein Jäger, ohne jeden Zweifel. Auf der Jagd nach dem Leoparden werde ich alles um mich herum ignorieren. Sammler finden meist größeren Zuspruch. Wenn man Kubrick 100 beliebigen Leuten zeigt, werden nicht alle 100 Leute ihn mögen. Die Hälfte davon wird sagen, dass das der schlechteste Film sei, den sie je gesehen haben. Das galt auch für Hitchcock. Jeder Jäger wird einen Teil des Publikums entfremden.
Fox
M. Night Shyamalan
Ricore: Sie drehten bereits als Kind Filme. Wie sahen Ihre ersten Filme aus?

Shyamalan: Jemand wurde im Wald verfolgt oder getötet. Ich benutzte Ketchup, aber Ketchup sieht auf 8mm-Film nicht wie Blut aus, was ich zu der Zeit nicht wusste. Stattdessen sah es wie Öl aus. [lacht]

Ricore: Welche speziellen Charakteristika machen Ihre Filme einzigartig?

Shyamalan: Eine formale Herangehensweise, die Mentalität, sich vorher des Schnitts bewusst zu sein. Die Motive der Spiritualität und des Schicksals. Konversationen über den Glauben in einem übernatürlichen Kontext. In meinen Thrillern werden die Figuren stärker durch das Überwinden der Angst. Meine cineastischen Einflüsse sind [Akira] Kurosawa, Kubrick und Hitchcock. Ich liebe es, wenn eine Aufnahme sich zu eine anderen Art von Aufnahme entwickelt. Das ist für mich aufregender, als die Szene zu schneiden. In "Signs - Zeichen" gibt es eine Szene, in der Mel Gibson und Joaquin Phoenix an der Tür stehen und sich entscheiden müssen, ob sie rauslaufen werden. Sie denken, dass draußen ein Eindringling steht. Die Kamera bewegt sich und stoppt während des Dialoges immer wieder. Als sie sich dann entschieden, rauszulaufen, saust die Kamera mit ihnen nach draußen. Früher war die Choreographie sehr wichtig, aber heutzutage macht man das alles mit Schnitten.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 17. August 2010
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M. Night Shyamalan setzt in seinen Filmen auf wiederkehrende Elemente. Bruce Willis und Joaquin Phoenix tauchen in mehreren Werken des US-amerikanischen Regisseurs indischer Herkunft auf. Die Themen gleichen sich ebenfalls: Fast immer steht ein unerklärliches, mystisches Ereignis im Mittelpunkt. Wiederholt wird Philadelphia als Kulisse verwendet und auch die Cameo-Auftritte des Regisseurs gehören zum festen Programm. Einen Höhepunkt in der Karriere von Shyamalan markiert der Psycho-Thriller..
2024