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Kristin Scott Thomas
Zwischen Frankreich und England
Interview: Weltenbummlerin Kristin Scott Thomas
Kristin Scott Thomas zog 19-jährig nach Paris. Dort absolvierte die gebürtige Engländerin nicht nur ihre Schauspielausbildung, sondern lernte auch ihren späteren Ehemann kennen und lieben. Seitdem überzeugt sie sowohl in französischen, als auch in englischsprachigen Filmen mit ihrer Vielseitigkeit. Mit uns sprach Thomas über "Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau", Unterschiede zwischen ihren Filmprojekten. Zudem verriet die Schauspielerin, warum sie unsympathische Menschen mag.
erschienen am 28. 10. 2010
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Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau
Ricore: Schauspielerinnen beschweren sich immer, es gäbe zu wenig gute Rollen für sie. Aber Sie scheinen entweder unglaubliches Glück zu haben oder einfach sehr wählerisch bei ihren Rollen zu sein.

Kristin Scott Thomas: Nun, über welche der zwei Rollen reden wir hier?

Ricore: Über beide. Ihre Rollen in "Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau" und "So viele Jahre liebe ich Dich" sind so unterschiedlich.

Scott Thomas: Komplett verschieden, nicht wahr? Ich denke, das mit dem Glück kommt daher, dass ich durch die Sprache die Möglichkeit hatte, zu wechseln. In England habe ich das Image Rollen spielen zu können wie in "Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau". Das wurde meine Schublade und wurde dadurch unglaublich langweilig. Ich musste schreiend und tretend an den Set gezerrt werden. Ich wollte das nicht machen.

Ricore: Warum?

Scott Thomas: Weil ich diesen Part einfach nicht nochmal spielen wollte.

Ricore: Was hat Ihre Meinung geändert?

Scott Thomas: Ich weiß nicht. Ich sagte am Ende einfach zu, wissen Sie? [lacht] Ich mochte die Besetzung. Ich wollte einfach nur nicht diese Rolle spielen. Doch dann hat es so viel Spaß gemacht...

Ricore: War es schwierig, den Charakter zu spielen?

Scott Thomas: Nein. Ich denke, "Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau" ist ein gutes Beispiel, wie man einen Charakter gestaltet. Bei der Figur in "So viele Jahre liebe ich dich" geht es darum, von innen heraus zuspielen, ehrlicher zu sein. Dabei wollte ich so roh und nackt wie möglich auf der Leinwand sein.
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Kristin Scott Thomas
Ricore: Das scheint eher eine europäische Interpretation des Charakters zu sein, als eine britische. Konnten Sie sich durch ihre beiden Kulturen diese europäische Sensibilität aneignen?

Scott Thomas: Ja, ich denke damit haben Sie recht. Im französischen Kino stellen die Hauptdarsteller oft eine Variation eines Themas dar. Da mag man es nicht, wenn sie sich verwandeln. In der anglo-amerikanischen Welt wollen wir, dass unsere Darsteller, unsere Charaktere wandelbar sind. Wir verehren Leute wie Meryl Streep oder Daniel Day-Lewis. In Frankreich ist man daran nicht sehr interessiert.

Ricore: Es gibt sicherlich so viele schlechte französische wie amerikanische Filme. Wie schwer ist es für Sie in Europa Projekte zu finden, die Ihnen wirklich gefallen?

Scott Thomas: Nun, es gibt immer etwas, das lohnenswert ist. Ich habe das Glück, viele Angebote aus Frankreich und England sowie einige aus Amerika zu bekommen. So finde ich immer Filme, die ich realisieren will. Die Frage ist, wie treffe ich meine Entscheidungen? Mit wem will man arbeiten? Wem gibt man drei Monate seines Lebens? Ich versuche einfach auch, dauernd etwas anderes zu machen.

Ricore: Fühlen Sie sich inzwischen wohler, wenn Sie auf Französisch spielen?

Scott Thomas: Ja, ich arbeite jetzt gerne auf Französisch. Ich habe diesen Sommer noch einen weiteren französischen Film gemacht, der mir sehr gefallen hat. Manchmal ist es frustrierend, wenn die Sprache etwas im Weg steht. Bei "So viele Jahre liebe ich dich" hatte Philippe ein gutes Gespür dafür. Das half mir sehr beim Feinschliff meines Textes.

Ricore: Sie sind wegen Ihres Ehemannes nach Frankreich gezogen, oder?

Scott Thomas: Nein, ich bin dorthin gezogen, bevor ich meinen Mann traf. Ich lernte ihn erst dort kennen und blieb...

Ricore: Warum sind Sie nach Frankreich gegangen?

Scott Thomas: Weil ich ein herumtreibender Teenager war und nicht wusste, was ich tun sollte. Daher dachte ich mir, ich könnte vielleicht eine Sprache lernen.
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Kristin Scott Thomas in "So viele Jahre liebe ich dich"
Ricore: Also sind Sie geblieben?

Scott Thomas: Also bin ich geblieben, ja. Dort ging ich dann auf die Schauspielschule.

Ricore: Fühlen Sie sich wie eine Fremde, wenn Sie nach England zurückkehren?

Scott Thomas: Ja, das tue ich nach wie vor. Wobei London voller Fremder ist, ich bin also nur eine von vielen.

Ricore: Warum entschieden Sie sich als herumtreibender Teenager für die Schauspielerei?

Scott Thomas: Ich wollte das schon immer machen, wissen Sie? Doch ich war deswegen auch immer etwas verlegen, weil es Narzissmus und Eitelkeit implizierte. Also behielt ich es für mich. Schließlich wollte ich es einfach machen. Ich wollte Geschichten erzählen und andere Charaktere verkörpern. Man will in der Lage sein, die Geschichte eines anderen zu erzählen. Oft versetze ich mich in unsympathische Leute hinein.

Ricore: Weshalb?

Scott Thomas: Nun, in gewisser Weise mag ich unsympathische Menschen. Es muss immer einen Grund dafür geben, dass sie so schlimm sind.

Ricore: Offensichtlich ist die Frau in "Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau" ein ziemlich gemeiner Charakter.

Scott Thomas: Ja, aber sie ist so enttäuscht. Die Enttäuschung macht sie zu dem, was sie ist. Sie ist eine Karikatur!
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Jessica Biel als verführerische Ehefrau in "Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau"
Ricore: Hat sich das am Set auch schon mal auf Sie übertragen?

Scott Thomas: Anscheinend, aber ich bin nicht diejenige, die danach fragt.

Ricore: Nun, ich schon... [lacht]

Scott Thomas: Und was haben Sie herausgefunden?

Ricore: Ich sprach gestern mit Jessica Biel. Sie spielt die Außenseiterin und war anscheinend auch die Außenseiterin am Set. Sie sagte, dass das schwierig gewesen sei.

Scott Thomas: Ja, aber es lag nicht nur an mir. Sie war schwierig, Punkt! Oder hat sie mir etwa die Schuld an allem gegeben? [lacht] Ich muss wohl mal mit ihr reden. Aber sie ist schon weg.

Ricore: Ja, ist sie. Sie war sehr nett.

Scott Thomas: Sie ist ein liebenswertes Mädchen, nicht wahr?

Ricore: Sind Sie angesichts ihrer eigenen Karriere überrascht?

Scott Thomas: Ich weiß nicht genau, wie ich das verstehen soll.

Ricore: Ich meine den Erfolg.

Scott Thomas: Ich weiß wirklich nicht, was es ist. Es ist einfach meine Karriere. Es gibt Höhen und Tiefen, Momente, in denen ich mich frage, ob ich je wieder arbeiten werde. Manchmal ist es mir einfach egal. Es gibt Zeiten, in denen ich so enthusiastisch bin, dass ich immer mehr und mehr machen will. Das war grad so eine Zeit, Sie erleben mich am Ende einer Phase, in der ich einfach hungrig nach Arbeit war.
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So viele Jahre liebe ich Dich
Ricore: Warum?

Scott Thomas: Wenn ich Theater spiele, werd ich meist so mitgerissen, dass ich immer mehr machen will. So habe ich mich nach dem Stück in die Arbeit für "So viele Jahre liebe ich dich" gefühlt. Danach machte ich einen französischen Film. Dann kam "Easy Virtue", danach wieder eine französische Produktion und dann "Shopaholic - Die Schnäppchenjägerin"

Ricore: Sind sie ein eiskalter Charakter in "Shopaholic"?

Scott Thomas: Nein, nicht eiskalt.

Ricore: Wie würden sie den Charakter beschrieben?

Scott Thomas: Ein bisschen verrückt.

Ricore: Der Film wurde von Jerry Bruckheimer produziert. Kristin Scott Thomas und Jerry Bruckheimer - dieses Bild kann ich mir schwer vorstellen.

Scott Thomas: Dann bereiten Sie sich mal vor (lacht)

Ricore: Wieso ausgerechnet dieser Film?

Scott Thomas: Weil ich Isla Fisher mag - und ich mochte das Drehbuch. Es war sehr lustig und brachte mich oft zum Lachen.

Ricore: Spielen Sie eine Amerikanerin?

Scott Thomas: Nein, ich spiele eine Französin.

Ricore: Wirklich?

Scott Thomas: Ja.

Ricore: Und Sie sprechen mit einem französischen Akzent?

Scott Thomas: Ja., mit einem sehr bedrohlichen französischen Akzent.
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Ricore: Wie schwer war das für Sie?

Scott Thomas: Es hat Spaß gemacht.

Ricore: Haben Sie Jerry Bruckheimer getroffen.

Scott Thomas: Ja.

Ricore: Waren Sie von ihm überrascht?

Scott Thomas: Ich habe mich nur kurz mit ihm unterhalten. Er war charmant.

Ricore: Interessant. Es ist Ihr erster Mainstream-Film seit langer Zeit, oder? Kristin Scott

Scott Thomas: Ja.

Ricore: Man hat Sie schon seit einer Weile nicht mehr in einem amerikanischen Film gesehen.

Scott Thomas: Nein, nicht seit einiger Zeit.

Ricore: Warum war es für Sie wichtig, zurück ans Theater zu gehen? Was hat es Ihnen gebracht?

Scott Thomas: Ich liebe das Theater. Ich habe es vor ungefähr sechs Jahren entdeckt, kurz nachdem ich "Life is a House" gemacht habe. Das Theater hat mein Leben verändert, weil ich entdeckt habe, dass ich etwas selbstständig machen kann. Ich konnte auf der Bühne stehen und mit anderen Schauspielern spielen. Ohne von Schnitten ständig unterbrochen zu werden. Es war wie ein Orchester. Ich liebte diese Unabhängigkeit beim Interpretieren der Rolle. Und ich liebte die Texte. Es ist großartig, Worte auszusprechen, die die man schon vor 400, 150, 100 Jahren gesprochen hat. Diese Worte halten sich so lange, weil sie einfach funktionieren. Weil es große Schreibkunst ist.

Ricore: Da merkt man, dass es nicht viel echte Schreibkunst gibt.

Scott Thomas: Ja, es gibt tatsächlich nicht mehr viel große Schreikunst.
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Kristin Scott Thomas in "So viele Jahre liebe ich dich"
Ricore: Wann haben Sie zuletzt am Broadway gespielt?

Scott Thomas: Ich habe zuvor nie am Broadway gespielt. Das ist mein erstes Mal.

Ricore: Sind sie nervös beim Spielen?

Scott Thomas: Ja.

Ricore: Wie lange läuft das Stück noch?

Scott Thomas: Bis zum 21. Dezember.

Ricore: Wer spielt noch mit?

Scott Thomas: Peter Sarsgaard hat eine Rolle übernommen und Zoe Kazan. Es ist alles sehr aufregend und es ist wirklich eine großartige Produktion.

Ricore: Ist es eine Rundbühne oder ein Proszenium?

Scott Thomas: Es ist ein Proszenium. Wenn Sie "Die Seemöve" nie gesehen habe, müssen Sie sich das Stück ansehen.

Ricore: Sie sollten einen anderen klassischen Charakter auf der Bühne spielen? Sie würden eine tolle Lady Macbeth zu spielen, oder?

Scott Thomas: Ja, das wäre toll. Viele Leute fragen mich, ob ich nicht die Hedda von Ibsen spielen könnte. Aber ich mag Ibsen nicht.

Ricore: Wieso nicht? Sie wären in der Rolle sicher sehr gut. Sie sind doch eine Tonangebende Persönlichkeit, oder?

Scott Thomas: Ja, das mag sein. Hat Ihnen Jessica das gesagt?
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Ricore: Nein, wir haben das Interview nicht damit verbracht, über Sie zu sprechen.

Scott Thomas: Nein?

Ricore: Nein, wirklich nicht.

Scott Thomas: Oh.

Ricore: Es war sehr kurz. Wieso, waren Sie auf der Bühne Ton angebend?

Scott Thomas: Nein, es gab auf dem Set keine Zeit, Ton angebend zu sein. Ich habe niemals einen größeren guerillamäßigen Film gemacht. Wir hatten zwei Kameras.

Ricore: Es gab wohl kein großes Budget...

Scott Thomas: Wir haben den Film in nur sieben Wochen gedreht. Dabei liefen immer zwei Kameras gleichzeitig. Wenn man etwas einigermaßen vorgetragen hat, dann haben wir es nicht wiederholt. Ich liebe es, auf diese Weise zu arbeiten. Nicht dieses 38-Take-Geschäft.

Ricore: Sie sollten Regie führen. Ich wäre gerne auf dem Set, wenn Sie einen Film machen.

Scott Thomas: (lacht) Ich werde Sie einladen.

Ricore: Würden Sie eher einen Film oder ein Theaterstück inszenieren?

Scott Thomas: Wenn, dann Theater. Aber ich weiß nicht, ich fühle mich dafür nicht gebildet genug. Aber wer weiß, vielleicht kann ich eines Tages in einer kleinen diskreten Ecke irgendwas machen.
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Ricore: Wie sieht es mit dem Schreiben aus?

Scott Thomas: Nein.

Ricore: Kein Schreiben?

Scott Thomas: Nein, nein.

Ricore: Keine Memoiren oder etwas Ähnliches?

Scott Thomas: Nein, ich bin eine faule Kuh (lacht). Ich lerne lieber Texte anderer auswendig und interpretiere sie. Was ich aber gerne machen würde, ist Radio. Es würde mich reizen, an einem Hörspiel mitzumachen.

Ricore: Glauben Sie, dass Ihre Karriere ohne den Erfolg von "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" anders verlaufen wäre?

Scott Thomas: Nein, das denke ich nicht. Es gab auch andere Filme, die Aufsehen erregten. "Mission: Impossible" zum Beispiel oder "Richard III".

Ricore: Ich habe verdrängt, dass Sie in "Mission Impossible" mitspielten...

Scott Thomas: Ja, das war die Zeit wo ich ungefähr sechs Filme im Jahr gemacht habe und jeder dieser Filme hatte Erfolg. Der Erfolg von "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" war ein Gottesgeschenk. Aber ich denke, mir wäre es auch ohne diesen Erfolg gutgegangen.

Ricore: Verspüren Sie beim Schauspielen noch einen Kick?

Scott Thomas: Ja, ich liebe es. "Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau" ist das beste Beispiel dafür. Ich wollte den Film erst nicht machen. Ich musste regelrecht dazu überredet werden. Ich war ein großer Spaß.
erschienen am 28. Oktober 2010
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